12.01.2001

Die schwierige Entspannung

zurück

Die schwierige Entspannung

IN Korea kommt man jetzt zum Kern der Sache. Nach dem Gipfeltreffen der beiden Präsidenten, nach dem Austausch von Besuchsdelegationen und dem Beginn eines politischen Dialogs steht die kniffligste Frage auf der Tagesordnung, die einer dauerhaften Lösung noch im Wege steht: Wie lässt sich die militärische Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea abbauen?

Die Frage betrifft unmittelbar auch die USA, die auf koreanischem Boden 37 000 Soldaten und 100 supermoderne Kampfflugzeuge stationiert haben. Diese militärische Präsenz sichert – zusammen mit dem „atomaren Schutzschild“ der USA für Südkorea – dem Süden schon seit langem die strategische Überlegenheit über den Norden.

Um das militärische Kräfteverhältnis auf niedrigerem Niveau zu stabilisieren, reicht es aus der Sicht von Pjöngjang nicht aus, wenn zwischen Süd- und Nordkorea eine Reduzierung sowie die geografische Verlegung und Umstrukturierung der jeweiligen Streitkräfte vereinbart wird. Die Nordkoreaner haben bereits Verhandlungen über einen Rückzug ihrer an der Grenze stationierten konventionellen Truppen und über die Einstellung ihres Raketen- und Atomwaffenprogramms angeboten. Aber dies nur im Rahmen von umfassenderen Abrüstungsgesprächen mit Seoul und Washington, bei denen auch die militärische Präsenz der USA auf die Tagesordnung kommen soll.

Die USA weigern sich bislang, mit Pjöngjang über ihre militärische Präsenz in Korea zu verhandeln. Das Pentagon verkündet, gerade nach dem koreanischen Nord-Süd-Gipfel seien die US-Truppen wichtiger denn je: als Abschreckung gegen die fortdauernde Bedrohung aus Nordkorea, aber auch als Beitrag zur Stabilität der gesamten Region Nordostasiens. Die Politik der USA beruht auf der Annahme, Nordkorea werde sich aufgrund seiner ökonomischen Probleme gezwungen sehen, einseitige militärische Zugeständnisse zu machen, ohne dass die US-Präsenz angetastet wird. Die Clinton-Regierung beharrte also darauf, dass Nordkorea als Preis für Wirtschaftshilfe und die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwei Bedingungen erfüllt: Erstens müsse Nordkorea die Entwicklung, Erprobung, Produktion und Stationierung aller Raketen mit einer Reichweite von über 300 Kilometer einstellen; zweitens müsse es sämtliche nuklearen Anlagen verschrotten, und zwar noch deutlich vor den Terminen, die es 1994 in dem mit den USA vereinbarten Einfrierungsprogramm zugesichert hat.

Die Annahme, dass ökonomische Anreize ausreichen könnten, um von den Nordkoreanern derart umfassende militä-rische Zugeständnisse zu erreichen, ist aus zwei Gründen verfehlt. Erstens hat Pjöngjang ein echtes Sicherheitsproblem, das vor allem daher rührt, dass seine überalterten Mig-Kampfflugzeuge den US-amerikanischen und südkoreanischen Maschinen technisch weit unterlegen sind. Nordkorea ist also gegen einen Präventivschlag aus dem Süden kaum geschützt. Der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry, der Nordkorea im September 1999 im Auftrag von Präsident Clinton besuchte, wurde bei seiner Rückkehr gefragt, warum Pjöngjang auf die Entwicklung von Langstreckenraketen setze. Perrys Antwort lautete: „Ihr Hauptmotiv ist, glaube ich, ihr Sicherheitsinteresse, ist Abschreckung. Aber Abschreckung gegen wen? Sie wollen die Vereinigten Staaten abschrecken. Wir selbst betrachten uns nicht als eine Bedrohung Nordkoreas, aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie in uns eine Bedrohung sehen.“

Neben dieser Wahrnehmung gibt es einen zweiten Grund, warum Nordkorea für rein ökonomische Gegenleistungen keine Konzessionen in Sicherheitsfragen machen dürfte. Der Zustand der nordkoreanischen Wirtschaft ist zwar noch immer höchst kritisch, aber nicht mehr hoffnungslos. In Washington geht man davon aus, Kim Jong-il müsse sich um jeden Preis um ausländische Wirtschaftshilfe bemühen, weil andernfalls sein Regime zusammenbrechen werde. Um die überlebensnotwendigen Reformen anzugehen, sei er zu sehr in der marxistisch-leninistischen Ideologie befangen; zudem könne er solche Reformen ohnehin nicht wagen, weil sie allgemein Unmut im Lande auslösen würden. Diese Einschätzung ist jedoch falsch. In Wirklichkeit hat sich Kim Jong-il vorsichtig aus seinen ideologischen Fesseln gelöst und verfolgt eine sorgsam austarierte Politik, die man als „Reform auf leisen Sohlen“ bezeichnen könnte.

So sind während der Versorgungskrise von 1995, als der staatliche Apparat der Nahrungsmittelversorgung zusammenbrach, auf dem flachen Lande improvisierte Bauernmärkte entstanden. Kim Jong-il hat diese privaten Märkte keineswegs abgeschafft, sondern stillschweigend toleriert. Er schlug sich also auf die Seite der reformerisch gesinnten Funktionäre, die damals argumentierten, die privaten Märkte könnten die Nahrungsmittelknappheit mildern und darüber hinaus eine breitere Entwicklung in Richtung einer inoffiziellen Marktwirtschaft in Gang setzen. Inzwischen sind nach Berichten der ausländischen Hilfsorganisationen, die sich in Nordkorea aufhalten, mehr als 300 private Märkte entstanden, mit einem vielfältigen Warenangebot, das nicht nur landwirtschaftliche Produkte, sondern auch andere Konsumgüter umfasst. Allerdings wurde diese bedeutende Wende im Wirtschaftsleben Nordkoreas bislang von der herrschenden Arbeiterpartei offiziell in keiner Weise anerkannt oder legitimiert.

Nordkorea lebt noch immer von der Hand in den Mund, aber Hunger oder hungerähnliche Bedingungen gibt es heute – vor allem dank der humanitären Nahrungsmittelhilfe aus den USA und anderen Ländern – nur noch in wenigen isolierten Regionen.

Als regelmäßiger Besucher Nordkoreas über die letzten dreißig Jahren bin ich auf eindeutige Beweise dafür gestoßen, dass Kim Jong-il sich von der fremdenfeindlichen Inselmentalität der alten ideologischen Garde der Arbeiterpartei entfernt hat. So hat er mehr als 150 ausländischen Vertretern von internationalen Hilfsorganisationen gestattet, sich in Pjöngjang niederzulassen und in 163 von 210 Landkreisen die Verteilung der Hilfsgüter zu überwachen. Bei allen Neuerungsvorschlägen, die ausländische Berater für die nordkoreanische Landwirtschaftspolitik machten, hat er sich gegen die Opposition der Bürokraten durchgesetzt und für eine rasche und effektive Umsetzung solcher Vorschläge gesorgt.

Gegenüber der US-Außenministerin Madeleine Albright, die im Oktober 2000 Pjöngjang besuchte, machte Kim Jong-il die interessante Bemerkung, er habe alternative Wirtschaftsmodelle für Nordkorea studiert, wobei er insbesondere „das schwedische Modell“ erwähnte. Wie rasch und wie weit er auf dem Weg zu Reformen voranschreiten kann, ist allerdings eine offene Frage. Der diesbezügliche Ehrgeiz von Kim Jong-il wird ganz gewiss durch den Widerstand der doktrinären alten Garde begrenzt, aber auch durch seinen eigenen Wunsch, seine politische Herrschaft nicht aufs Spiel zu setzen. Deshalb dürfte er wohl, bevor er grundlegende Veränderungen in der einheimischen Wirtschaftsstruktur vollzieht, erst einmal den Versuch unternehmen, einen indirekten Wandel nach dem Vorbild Chinas durchzusetzen, das sein Wirtschaftssystem für Auslandshilfe, Handelsaustausch und Investitionen – und zwar besonders mit Südkorea – geöffnet hat. Der von außen angestoßene Wandel macht Kim Jong-il also keineswegs Angst. Im Gegenteil: Er traut sich offenbar zu, diese Impulse für seine eigenen Ziele zu nutzen.

Auch die „Sonnenscheinpolitik“ des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung beruht auf einem zwingenden strategischen Kalkül. Seoul will vor allem einen Zusammenbruch des Nordens abwenden, der einen riesigen Flüchtlingsstrom in Richtung Süden auslösen würde. Das aber würde der südkoreanischen Wirtschaft, die ohnehin in einer schwierigen Phase steckt, neue und kaum mehr erträgliche Lasten aufbürden. Das deutsche Beispiel lehrt die Südkoreaner, dass eine plötzliche Absorption des Nordens weitaus kostspieliger wäre als ein allmählicher, strukturierter Entwicklungsprozess im Rahmen einer Konföderation, in dessen Verlauf der Süden helfen könnte, die ökonomischen Probleme des Nordens abzufedern.

KIM Jong-il hat den Vorschlag des südkoreanischen Kim für ein innerkoreanisches Gipfeltreffen unter einem ganz bestimmten Kalkül angenommen: Er hält die ökonomische Zusammenarbeit mit dem Süden für die entscheidende Bedingung seines eigenen politischen Überlebens, und er weiß, dass er nicht darauf setzen kann, mit Washington eine Vereinbarung zu akzeptablen Bedingungen zu erzielen. Seine Zustimmung zu dem Gipfeltreffen erfolgte denn auch in dem Moment, da die Verhandlungen mit der Clinton-Regierung über die Normalisierung der Beziehungen nach acht Jahren Dauer in einer Sackgasse steckten.

Nordkorea war 1994 vor allem deshalb bereit gewesen, sein Nuklearprogramm einzufrieren, weil die USA als Gegenleistung zugesagt hatten, die während des Koreakrieges gegen Pjöngjang verhängten Handelssanktionen schrittweise aufzuheben. Als Clinton diese Zusage unter dem Druck der republikanischen Führer im Kongress nicht einhalten konnte, ließ Kim Jong-il im August 1998 eine Langstreckenrakete testen. Damit wollte er neue Verhandlungen mit Washington erzwingen. Im September 1999 kam es dann zu einem Abkommen, in dem sich das Weiße Haus erneut verpflichtete, mit der Milderung der Sanktionen zu beginnen. Im Gegenzug verkündete Pjöngjang sein Raketentest-Moratorium. Aber wieder verweigerte die Clinton-Regierung – mit einer Reihe juristischer Rechtfertigungen – den Vollzug des Abkommens. Schließlich verlangten die USA bei neuen Verhandlungen am 18. März 2000 neue Zugeständnisse hinsichtlich des nordkoreanischen Raketenprogramms. Dieser abrupte Strategiewechsel ließ die Verhandlungen scheitern. Die Reaktion von Kim Jong-il war die Einwilligung zu dem Gipfeltreffen mit dem Süden, womit er zwei Ziele erreichte: Er konnte zum einen seine Verhandlungsposition gegenüber den Vereinigten Staaten verbessern und zum anderen einen ökonomischen Austausch mit Südkorea in Gang bringen.

In Washington nutzte Präsident Clinton den koreanischen Gipfel als politisches Alibi, um mit der Aufweichung der Sanktionen zu beginnen. Dieser Schritt gab wiederum Kim Jong-il die politische Chance, die seit langem geplante Reise seines Stellvertreters, Vizemarschalls Jo Myong-rok, nach Washington zu arrangieren. Es folgte der Besuch von Madeleine Albright in Pjöngjang, der zweifellos durch die Angst vor einem republikanischen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen beschleunigt wurde.

Kim Jong-il ist kein charismatischer Führer wie sein Vater, der noch mit absoluter persönlicher Autorität geherrscht hatte. Seine Reformideen stießen lange Zeit auf den Widerstand der alten Parteigarde. Deshalb hat er eine neue Verfassungsstruktur geschaffen, in der die Streitkräfte die Arbeiterpartei als zentrale politische Autorität ersetzten und zu seiner persönlichen Machtbasis wurden.

Seitdem ist in Nordkorea ein unblutiger Militärputsch über die Bühne gegangen, in dem mehr als 800 ältere Generäle durch Kim-Jong-il-Anhänger abgelöst wurden. Die Generäle brauchen Kim Jong-il als legitimierendes Symbol der Kontinuität mit der Kim-Il-sung-Ära. Und auch wenn sie den Sohn des Staatsgründers irgendwann nicht mehr als Symbol nötig haben sollten, blieben sie die unentbehrliche Machtbasis für dessen Nachfolger. Sie hätten also weiterhin einen starken Anreiz, die Reihen der Armee fest geschlossen zu halten – schon um nicht zu riskieren, dass man sie getrennt zum Galgen führt.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei Kim Jong-il gegen einen ernsthaften Putsch ganz gut gewappnet. In drei der wichtigsten Positionen seiner Machtstruktur hat er die Brüder seines Schwiegersohnes Chon Son-taek installiert. Der älteste dieser Brüder, General Chan Sung-woo, steht an der Spitze des Armeekorps, das Pjöngjang kontrolliert. Der zweitälteste Bruder, General Chan Sung-kil, ist Politkommissar eines weiteren Armeekorps, das in der Hauptstadt stationiert ist. Und der jüngste Bruder, General Chang Song-u, leitet die politische Abteilung im Ministerium für öffentliche Sicherheit.

Sechs Jahre nach dem Tod von Kim Il-sung sind die meisten Nordkoreaner noch immer Anhänger einer nationalistischen Ideologie, die häufig als „Kim-Il-sungismus“ bezeichnet wird. Das Charisma von Kim Il-sung beruhte ursprünglich auf seiner Rolle als Guerillaführer im Kampf gegen das japanische Kolonialregime, aber dass es sich so lange gehalten hat, erklärt sich vor allem aus den lebhaften historischen Erinnerungen an die gemeinsame Not, die Nordkorea unter seiner Führung während des Koreakrieges durchlebt hat. Selbst der heutige Besucher merkt noch immer auf Schritt und Tritt, dass der Krieg im Norden des Landes besonders tiefe Narben hinterlassen hat.

Der Süden dagegen wurde vom Krieg nur über relativ kurze Zeit in Mitleidenschaft gezogen, vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 1950, als die Nordkoreaner nach Süden vorstießen. Aber auch diese Offensive erfolgte ohne große Unterstützung aus der Luft. Dagegen musste der Norden nicht nur die Yalu-Offensive durch Bodentruppen über sich ergehen lassen, sondern auch drei Jahre lang schwere Bombenangriffe. Für Carter Eckert, Direktor des „Harvard Center for Korean Studies“, ist die aus dem Krieg stammende „permanente Belagerungsmentalität“ der Nordkoreaner nur zu verständlich: „Praktisch die gesamte Bevölkerung lebte und arbeitete drei Jahre lang in künstlich angelegten unterirdischen Bunkern, um den ständigen Angriffen der US-Bomber zu entgehen, von denen jeder – aus der Sicht der Nordkoreaner – eine Atombombe tragen konnte.“1

Fast fünfzig Jahr nach Einstellung der Kampfhandlungen ist der Koreakrieg offiziell noch immer nicht beendet. Das Waffenstillstandsabkommen von 1953 wurde noch nicht durch einen Friedensvertrag ersetzt, weil sich beide Seiten in Streitigkeiten über Verfahrensfragen verkeilt haben, hinter denen sich allerdings grundsätzlichere Probleme verbergen. Man ist sich uneinig, ob es einen oder mehrere Friedensverträge geben soll, wobei vor allem strittig bleibt, ob die Vereinigten Staaten im Rahmen einer Kompromissformel einen bilateralen Vertrag mit Pjöngjang unterzeichnen sollen.

Ebenso bedeutsam ist die Differenz zwischen Washington und Pjöngjang in einer weiteren Frage: Was soll an Stelle der provisorischen Vereinbarung zur Friedenserhaltung treten, die das Waffenstillstandsabkommen etabliert hatte, und soll diese Vereinbarung vor oder nach dem Rückzug der nordkoreanischen Truppen von der innerkoreanischen Grenze ersetzt werden? Erst nach der Lösung dieser blockierten Verfahrensfragen kann sich eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea anbahnen und können Abrüstungsverhandlungen zwischen Washington, Pjöngjang und Seoul beginnen, die Voraussetzung für den Abbau der Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea sind.

DAS Waffenstillstandsabkommen von 1953 wurde von Nordkorea, China und dem US-amerikanischen General Mark W. Clark unterzeichnet. Dabei handelte Clark im Auftrag der Vereinten Nationen, die im Koreakrieg als multilateraler Schirm der US-Intervention fungierte. Pjöngjang will heute einen Friedensvertrag zwischen Nordkorea und den USA erreichen, Washington und Seoul hingegen einen Vertrag nur zwischen Nord- und Südkorea. Diese Position ist allerdings unhaltbar, denn der Süden hatte sich 1953 nicht nur geweigert, den Waffenstillstand zu unterzeichnen, sondern sogar versucht, diesen aktiv zu torpedieren. Der südkoreanische Präsident Syngman Rhee wollte den Krieg fortsetzen und fand sich zur Respektierung der Waffenstillstandsklauseln erst bereit, als die USA seine Zustimmung mit einem bilateralen Sicherheitspakt und Zusagen über Wirtschafts- und Militärhilfen erkauften, die seitdem in Form von über 22 Milliarden Dollar nach Südkorea geflossen sind.

Die USA betrachten sich nicht als Unterzeichnerpartei des Abkommens von 1953, weil General Clark damals im Namen des UN-Oberkommandos und nicht für die USA unterschrieben habe. Doch dieses UN-Oberkommando war seit seiner Gründung nur nominell ein multilaterales Organ. Der damalige UN-Generalsekretär Trygvie Lie hat sich in seinen Memoiren bitter beschwert, dass seine Bemühungen, eine UN-Aufsicht über die Militäroperationen durchzusetzen, von den USA blockiert worden seien.2 Das UN-Oberkommando hatte über zwanzig Jahre lang keinerlei militärische Funktion und war kaum mehr als ein Feigenblatt für ein Unternehmen, das inzwischen längst zum unilateralen Engagement der USA für Südkorea geworden ist. Das Beharren Washingtons darauf, den Waffenstillstand nicht unterschrieben zu haben, ist rein politisch und nicht juristisch motiviert. Es zeugt von der Angst des Pentagon, dass die Normalisierung der Beziehungen mit Nordkorea und die Ablösung der Mechanismen, die man zur Überwachung des innerkoreanischen Waffenstillstandes geschaffen hat, die künftige Militärpräsenz der US in Korea als solche in Frage stellen könnte.

Dass Nordkorea auf einem bilateralen Friedensvertrag mit den USA besteht, hat folgenden Grund: Der Oberbefehlshaber des Hauptquartiers der vereinigten amerikanisch-südkoreanischen Streitkräfte ist ein US-General, der in Kriegszeiten auch die südkoreanischen Truppen kommandieren würde. Das macht Washington in den Augen der Nordkoreaner zum Hauptgegner. Pjöngjang hat jedoch interessanterweise eine provisorische „Friedensvereinbarung“ mit den USA vorgeschlagen, die es möglich machen würde, mit der Normalisierung der Beziehungen und mit Verhandlungen über eine militärische Entspannung zu beginnen, ohne den Abschluss eines formellen Friedensvertrages abzuwarten. Am 16. Juni 1998 offerierte Pjöngjang Verhandlungen über „die Einstellung unserer Raketenentwicklung, nachdem eine Friedensvereinbarung mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet und die militärische Bedrohung durch die USA vollständig beseitigt ist“. Nordkoreanische Diplomaten haben betont, in dem Text sei nicht zufällig von „Vereinbarung“ statt von „Vertrag“ die Rede.

Das Angebot von 1998 enthielt jedoch noch ein zweites wichtiges Signal, das Washington bislang ignoriert hat: Darin war nicht nur von „Friedensvereinbarung“ die Rede, sondern auch von „militärischer Bedrohung“ – im Gegensatz zu „militärischer Präsenz“ der USA. Nordkorea hat seitdem immer offener angedeutet, dass es nichts gegen die Präsenz der USA als solche einzuwenden hat, sondern nur gegen die Fortdauer ihrer „feindlichen Präsenz“ auf koreanischem Boden. Pjöngjang wünscht sich die USA also in der Rolle eines glaubwürdigen Vermittlers zwischen dem Norden und dem Süden, wie sie heute bereits Russland und China wahrnehmen. Gemäß dieser Rolle sollten die US-Truppen in Korea ihre militärische Mission ausweiten, die dann nicht mehr auf die Verteidigung des Südens beschränkt sein würde. Vielmehr würden die Vereinigten Staaten dazu beitragen, die koreanische Halbinsel insgesamt militärisch zu stabilisieren, indem sie an einem trilateralen Sicherheitsausschuss mitwirken, der sich aus nordkoreanischen, südkoreanischen und US-amerikanischen Generälen zusammensetzt. Kurz vor dem oben erwähnten Vorschlag zur Raketenentwicklung vom Juni 1998 meinte der erste stellvertretende Außenminister Kang Sok-su während eines Gespräches, das ich mit ihm in Pjöngjung führte, die neue Kommission werde „dazu beitragen, jede Bedrohung des Friedens zu verhindern, egal ob sie vom Süden gegen den Norden oder vom Norden gegen den Süden ausgeht“. Dieses Argument haben die Nordkoreaner seitdem in mehreren Erklärungen wiederholt.

Eine solche gemeinsame Sicherheitskommission würde das UN-Oberkommando und die Militärische Waffenstillstandskommission überflüssig machen, die beide 1953 gegründet wurden und bis heute die feindliche Beziehung symbolisieren. Die neue Kommission würde wie die jetzige Waffenstillstandskommission über die Einhaltung des Friedens am 38. Breitengrad wachen, allerding mit zwei Unterschieden: Erstens wären die USA in der gemeinsamen Sicherheitskommission direkt vertreten und nicht über ein nur auf dem Papier existierendes UN-Hauptquartier. Und zweitens würde die Kommission eine neue Rolle wahrnehmen: als Forum für Verhandlungen über den Abbau von Spannungen und über Abrüstungsschritte.

Darüber hinaus dürfte Pjöngjang auch darauf drängen, einige der als bedrohlich empfundenen Aspekte der US-Präsenz zu beseitigen. So wird man von Washington – insbesondere als Gegenleistung für die geforderte Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms – den Abzug der US-Kampfflugzeuge fordern. Dagegen dürfte die Präsenz von US-Bodentruppen auf mindestens weitere zehn Jahre für die Nordkoreaner durchaus akzeptabel sein, zumal wenn die USA in die Rolle eines ehrlichen Vermittlers hineinwachsen. Und dann könnte sich Pjöngjang wohl dazu verstehen, als Gegenleistung für die Rückverlegung von südkoreanischen und US-Einheiten und für einen Teilabzug von US-Bodentruppen, diejenigen Artillerie- und Panzereinheiten, die Südkorea heute noch bedrohen, ebenfalls von der innerkoreanischen Grenze zurückzuziehen.

Das schwierigste Kapitel in den Abrüstungsverhandlungen wäre aber zweifellos das Thema der Raketen- und Nuklearwaffen. Nordkorea hat während des Albright-Besuches und danach angeboten, die Entwicklung von Langstreckenraketen einzufrieren, aber Washington will mehr, nämlich die vollständige Einstellung des Raketenprogramms. Diese Forderung bezieht sich nicht nur auf die potenzielle Entwicklung der Langstreckenrakete vom Typ Taepodong, sondern auch auf die Produktion und Dislozierung der bereits existierenden Mittelstreckenraketen vom Typ Nodong, die in der Lage sind, Japan und die dortigen US-Militärbasen zu erreichen.

Nach der zitierten Aussage von William Perry entwickelt Nordkorea diese Rakete als Abschreckungswaffe gegen das, was es als Bedrohung durch die USA wahrnimmt. Der Preis für den Verzicht auf diese Waffen wäre folglich eine umfassendere Verminderung der konventionellen US-Truppen, als sie normalerweise zu fordern wäre, sowie weitere Zugeständnisse im Hinblick auf den „atomaren Schutzschirm“ der USA für Südkorea. In dem 1994 vereinbarten Abkommen über das Einfrieren der Atomrüstung haben sich die USA in Artikel 3, Absatz 1 verpflichtet, „der Volksrepublik Korea formelle Zusicherungen gegen die Bedrohung durch oder den Einsatz von Nuklearwaffen durch die USA“ zu geben. Sechs Jahre nach Abschluss dieses Abkommens hat Washington diese Verpflichtung immer noch nicht eingelöst. Das liegt daran, dass die USA in Korea wie in Europa noch immer an der alten Kalten-Kriegs-Doktrin festhalten und sich für einen Fall, den sie als konventionelle Aggression wahrnehmen, das Recht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen vorbehalten.

Was Nordkorea betrifft, so wird zunehmend klarer, dass die Führung des Landes vor allem auf das Überleben des Regimes bedacht ist. Sie ist bereit, über ein Ende ihrer militärischen Konfrontation mit den USA und Südkorea zu verhandeln, weil dieses Überleben bei reduzierten Verteidigungsausgaben eher möglich sein wird. Warum aber zögern dann die USA und – in geringerem Maße – Südkorea, mit Nordkorea über das Problem der militärischen Sicherheit zu verhandeln? Zum Teil erklärt sich das gewiss aus der Verachtung und dem Misstrauen, das viele US-Amerikaner dem nordkoreanischen Regime entgegenbringen, das sie an Orwells 1984 erinnert. Aber es wäre naiv zu verkennen, dass wichtige Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes ein massives Interesse an der Erhaltung des Status quo haben.

Vor allem die Rüstungskonzerne und Politiker in Washington, die den Aufbau eines Raketenabwehrsystems verfechten, neigen gern dazu, die Bedrohung durch das nordkoreanische Raketenpotenzial zu überzeichnen. Diese Bedrohung dient heute als wichtigste Rechtfertigung für den Umfang der militärischen US-Präsenz in der pazifischen Region. Wenn es den Anschein hätte, dass diese Bedrohung im Schwinden begriffen ist, wäre die politische Unterstützung für eine derart teure Militärpräsenz (die 42 Milliarden Dollar pro Jahr kostet) mit dem bloßen Verweis auf eine wolkig definierte „Stabilisierungsmission“ kaum mehr aufrechtzuerhalten.3

Der südkoreanische Präsident Kim Dae-jung steht der Idee, dass die USA die Rolle eines ehrlichen Vermittlers spielen sollten, durchaus positiv gegenüber. Aber er will sie nicht selbst propagieren, weil er fürchtet, damit die Opposition gegen seine „Sonnenscheinpolitik“ zu aktivieren, die in der südkoreanischen Armee und in dem mächtigen militärisch-industriellen Komplex seines Landes latent vorhanden ist. In Südkorea gibt es 83 Rüstungsunternehmen, die in 130 Fabriken 119 verschiedene Rüstungsprodukte herstellen. Viele dieser Unternehmen arbeiten eng mit US-Rüstungskonzernen zusammen. Der politische Spielraum des Präsidenten wird auch eingeengt durch das Misstrauen gegen Nordkorea, das noch auf den Koreakrieg zurückgeht. Dieses tief sitzende Misstrauen wird von der politischen Opposition unentwegt angestachelt. Sie schmäht Kim Dae-jung wegen seiner angeblichen Unfähigkeit, den Nordkoreanern Konzessionen abzuringen, die der „Großzügigkeit“ der südkoreanischen Seite entsprächen.

Damit sind Kim Dae-jung und Kim Jong-il in einer Art Teufelskreis gefangen. Beide sind durch die innenpolitischen Verhältnisse in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, und beide wollen, dass der andere den ersten Schritt zur Lösung der schwierigen Probleme vollzieht. Diesen Teufelskreis können allein die Vereinigten Staaten durchbrechen. Wenn sich Washington zum ehrlichen Makler mausern könnte, würde dies die Entwicklung zu einem innerkoreanischen Ausgleich beschleunigen und die moderaten Kräfte in beiden Ländern stärken. Wenn die US-Regierung dagegen an ihrer alten Kalten-Kriegs-Attitüde festhalten sollte, würde dies die Position der beiden Kims untergraben und den politischen Fortschritt in Korea erheblich erschweren.

dt. Niels Kadritzke

* Forschungsbeauftragter der Century Foundation, Washington.

Fußnoten: 1 Carter J. Eckert, „Korean Reunification in Historical Perspective“, Vortrag auf einer Konferenz, die von Seoul Shinmun gefördert wurde. Seoul (Republic of Korea), 3. Februar 1996, S. 7. 2 „In the Cause of Peace“, New York (Macmillan) 1954, S. 334. 3 Hinzu kommt ein weiterer Faktor: die militärischen Karriereinteressen der US-Generalität. Korea ist der einzige Ort der Welt, wo heute noch ein US-Vier-Sterne-General als Oberbefehlshaber (Commander-in-Chief) in einem fremden Land residieren kann. Alle anderen hohen Generäle, die ein regionales Oberkommando (z. B. das der pazifischen Region) ausüben, haben ihr Hauptquartier in Washington. Eine Serie der Washington Post kommt zu dem Schluss, dass die heutigen „CinCs“ das „moderne Gegenstück zu den Prokonsuln des Römischen Reiches“ darstellen, als „gut bezahlte, halbautonome, außerplanmäßige Entscheidungszentren US-amerikanischer Außenpolitik“. Siehe Dana Priest, „The Proconsuls, Part I“, Washington Post vom 28. September 2000 p. A1 und A18.A

Le Monde diplomatique vom 12.01.2001, von SELIG S. HARRISON