16.02.2001

Moral gegen Vernunft

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Moral gegen Vernunft

Von TOM BLICKMAN *

DIE US-Amerikaner haben sich George W. Bush zum neuen Präsidenten gewählt. Im Wahlkampf beteuerte er, seit Jahren in völliger Abstinenz zu leben. Aber auch Bush jr. fuhr schon betrunken Auto. Koks hat er hingegen wahrscheinlich nie probiert. In Südamerika inszeniert die Supermacht mit Rückendeckung der UNO einen gigantischen, an Vietnam erinnernden Luftkrieg gegen die Drogenproduzenten. In Kolumbien werden Kokaplantagen aus der Luft mit Gift besprüht und nebenbei die linke Guerilla bekämpft. Verseuchung der Böden und Militarisierung der Konflikte halten die Weltdrogenbekämpfer tatsächlich für ein Erfolg versprechendes Modell. Drogengebrauch und -ökonomie zu legalisieren und dadurch zu kontrollieren, scheint ihnen kein Thema.

Im Oktober 2000 schwärmte Pino Arlacchi, der verantwortliche Leiter des UNO-Programms für Drogenkontrolle (UNDCP) in Wien: „Wir werden gewinnen! Wir müssen nur daran glauben, dass wir es schaffen, die Drogen endgültig zu besiegen.“ Nach dem im Herbst 2000 veröffentlichten Drogenbericht seiner Behörde ist der Anbau illegaler Drogen 1999 um 15 Prozent zurückgegangen. „Nur zwei Jahre nachdem wir unsere neue Strategie eingeführt haben“, sagte Arlacchi, „übertreffen die Ergebnisse bereits alle Erwartungen; das sind einmalige Erfolge!“1

Trotz der von Arlacchi zur Schau gestellten Zuversicht erklärt sich aber doch einiges eher willkürlich, denn aus stichhaltigen Fakten. So ist der jüngste Rückgang beim Anbau von Schlafmohn vor allem auf die anhaltende Dürre in Afghanistan zurückzuführen. In Afghanistan werden immerhin 79 Prozent des weltweit hergestellten Opiums produziert. In Lateinamerika hat die Zwangsvernichtung von Kokasträuchern in Bolivien und Peru nicht etwa den Kokaanbau insgesamt reduziert, sondern ihn lediglich nach Kolumbien verlagert, wo er innerhalb von sechs Jahren um 250 Prozent zugenommen hat – und zwar trotz des Einsatzes von Herbiziden aus der Luft. Diese Sprüheinsätze haben auch den Regenwald im Amazonasgebiet schwer geschädigt und einen Teufelskreis von Obdachlosigkeit, Umweltverschmutzung und Migration in noch labilere Regionen ausgelöst. So wird immer mehr Wald abgeholzt, die illegalen Pflanzungen verlagern sich und dehnen sich wieder von neuem aus, bis sie dann zum Ziel erneuter Herbizideinsätze werden.2

Unter dem Druck der Vereinigten Staaten hat sich der „Krieg gegen Drogen“ fast ausschließlich auf die Ausmerzung der Produktion in den Entwicklungsländern konzentriert. Das heißt auf die Angebotsseite, anstatt den Konsum in den reichen Ländern und damit die Nachfrageseite zu bekämpfen. In jüngster Zeit haben Militarisierung und Verseuchung zu brutalen Menschenrechtsverletzungen und bleibenden Umweltschäden geführt und dabei weder den illegalen Anbau noch die Produktion von Drogen reduziert.

Das Grundgerüst der internationalen Drogenpolitik bilden verschiedene UNO-Konventionen. Aber deren erfolgreiche Umsetzung existiert vor allem in den Hochglanzbroschüren des UNDPC und in den Reden seines Leiters Arlacchi. Ursprünglich war die Sondersitzung der UNO-Vollversammlung zum Thema Drogen (Ungass) im Juni 1998 von einigen Staaten anberaumt worden, um die weltweite Politik zur Kontrolle von Betäubungsmitteln auf den Prüfstand zu stellen. Doch letztlich beschränkte sich die Mehrheit der Versammlung darauf, bestehende Strategien zu bestätigen, ohne sich eingehender mit Misserfolgen zu beschäftigen.

Darüber hinaus gelobte man, die gemeinsamen Anstrengungen künftig zu verdoppeln. Arlacchi stellte seine „Scope“-Strategie zur Ausrottung von Koka und Schlafmohn vor, die innerhalb eines Jahrzehnts – also bis 2008 – die gesamte Produktion vernichten soll.3 Bereits 1961 hatte die Single Convention on Narcotic Drugs ein ähnliches Ziel formuliert. Damals hieß es, die Kokapflanze würde innerhalb von 25 Jahren – also bis 1986 – ausgerottet sein.4

Die potenziellen Geberländer akzeptierten Arlacchis Scope-Plan denn auch nur widerwillig. Sie sorgten immerhin dafür, dass er nicht ins offizielle Ungass-Programm aufgenommen wurde. Die UNO-Generalversammlung begnügte sich mit einer allgemeinen politischen Willenserklärung. Die Regierungen verpflichteten sich darin, Angebot und Nachfrage nach illegalen Drogen bis zum Jahr 2008 „erheblich zu reduzieren“. Sie riefen dazu auf, sich gleichzeitig gegen Angebots- und Nachfrageseite zu richten, und unterstrichen damit, dass Produzenten- und Konsumentenstaaten gleichermaßen für das Problem mit den Drogen verantwortlich seien.

Obwohl der Scope-Plan von der Commission on Narcotic Drugs (CND), die das UNDCP kontrolliert, nicht offiziell angenommen wurde, orientierte sich die CND trotzdem an den darin formulierten Rahmenvorgaben. Hingegen hat sie bis heute darauf verzichtet, ein umfassende Strategie zur Reduzierung der Nachfrage zu entwickeln. In Wirklichkeit sind es die USA, die den Krieg gegen die Drogen führen. Im Klartext bedeutet das, dass der größte Drogenkonsument der Welt in der Rolle des globalen Polizisten und weltweiten Drogenkontrolleurs auftritt. Im Rahmen des drug certification process beurteilt Washington jedes Jahr aus seiner Perspektive, ob ein Staat in sie zufrieden stellender Weise mit den Antidrogenbehörden kooperiert hat.

Maßgabe für die USA ist hierbei die Umsetzung und Einhaltung der UNO-Drogenkontrollkonvention von 1988. Diese Konvention widmet dem Aspekt von Konsum und Prävention kaum mehr als zehn Zeilen und wurde nach vierjährigen Verhandlungen auf Druck von Washington verabschiedet. Eine Negativbeurteilung führt zu Sanktionen, die beinhalten können, dass die USA ihre Zahlungen einstellen und ihre Zustimmung zu Krediten verweigern, die der betreffende Staat bei den multilateralen Entwicklungsbanken aufnehmen möchte.

Diese Machtanmaßung sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Verstimmung. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat aus Protest gegen die einseitigen US-Beschlüsse ein eigenes Drogenkontrollprogramm aufgelegt. Und alle Bemühungen Washingtons, die Nachbarstaaten Kolumbiens mit Hilfe des „Plan Colombia“ in die militärische Drogenbekämpfungsstrategie der USA einzubinden, sind bis heute ins Leere gelaufen.

Biologische Kriegsführung statt Legalisierung

DER „heilige Krieg“ gegen die Drogen konzentrierte sich jetzt immer stärker auf Kolumbien. Zahlreiche Beobachter befürchten, dass die US-amerikanische Militärhilfe die schwierigen Friedensverhandlungen zwischen Präsident Andrés Pastrana und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) gefährden könnten. Die FARC-Guerilla schützt die Bauern vor dene Pflanzengifteinsätzen und den mit der Mafia verbündeten paramilitärischen Verbänden. Gleichzeitig erheben die kolumbianischen Guerillas Steuern auf Kokaproduktion und -transport, was ihr beachtliche Einnahmen verschafft. Die Unterscheidung zwischen Antidrogenkrieg und Antiguerillakrieg ist hier für die USA mittlerweile so verwischt, dass sie sinnlos erscheint. Ein Memorandum des State Department fasst die US-Strategie zusammen: „Um internationale Kontroversen und Auseinandersetzungen im Kongress zu vermeiden, sind die militärischen und nachrichtendienstlichen Operationen gegen FARC und ELN (Nationale Befreiungsarmee, die zweitwichtigste Guerillabewegung) hauptsächlich auf deren Status als Narkoguerillas ausgerichtet.“5

Kolumbiens Nachbarstaaten fürchten, dass der militarisierte Konflikt um die Kokaplantagen nicht vor ihnen Halt macht und auf ihr Territorium übergreift. Schon jetzt kam es deswegen immer wieder zu Spannungen zwischen Kolumbien und Venezuela. „Darüber hinaus ist man sich in Lateinamerika darüber einig, dass die von den USA finanzierten Programme, die den Bauern den Anbau alternativer Produkte schmackhaft machen sollen, nicht ausreichen, um die entstehenden Verluste kompensieren zu können“, berichtet der Verleger Andrés Oppenheimer.6 Oppenheimer kritisiert auch die ständige Aufstockung der Subventionen für die Landwirtschaft in Westeuropa und den USA. Nach seiner Meinung macht es „der reiche Norden den lateinamerikanischen Staaten immer schwerer, legale Landwirtschaftserzeugnisse zu produzieren und zu exportieren“.

Europa, das sich im Rahmen des „sozialen Begleitprogramms“ mit einer Milliarde Dollar am „Plan Colombia“ beteiligen soll – sozusagen das Zuckerbrot, während die USA den Part der Peitsche übernahmen – reagierte zurückhaltend. Anlässlich der Madrider Konferenz vom 7. Juli des vergangenen Jahres haben fast alle europäischen Staaten kritisiert, dass die kolumbianische Zivilgesellschaft in den „Plan Colombia“ nicht einbezogen wurde und das Projekt einseitig militaristisch angelegt ist.

Die meisten Staaten kritisierten auch die Giftabwürfe aus der Luft. Diese seien mit den Investitionen nicht vereinbar, die sie für alternative Entwicklungsprojekte in den Koka- und Schlafmohnanbaugebieten tätigen sollen. Marianne Costa de Moraes, die österreichische Botschafterin in Kolumbien, formulierte die Bedenken anschaulich: „Diese Militärhilfe ist wie ein blauer Socken in einer Maschine voller weißer Wäsche: Hinterher ist alles bläulich eingefärbt.“7

Dennoch haben die sicherheitspolitischen Verantwortlichen der Europäischen Union, allen voran Javier Solana, der ehemalige Nato-Generalsekretär und heutige Beauftragte für die gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik, noch vor der Madrider Konferenz verkündet, Europa werde den „Plan Colombia“ unterstützen. Spanien bot der Regierung Pastrana unter Umgehung der gemeinsamen EU-Position 100 Millionen Dollar. Tony Blair, unter Clinton bedingungsloser Gefolgsmann der USA, kündigte ebenfalls seine Unterstützung an (allerdings ohne in die Tasche zu greifen). Einige hohe europäische Funktionäre sprachen diesbezüglich von einem „Verrat“ Solanas und Spaniens.

Auf der Geberländerkonferenz in der kolumbianischen Hauptstadt Santa Fe de Bogotá am 23. Oktober 2000 schließlich wollte die EU es sich dannmit keiner Seite verderben. Sie erklärte, sie werde zwar den „Friedensprozess“, nicht aber den „Plan Colombia“ unterstützen. Die angekündigte Beteiligung von 300 Millionen Dollar fiel jedenfalls wesentlich geringer aus als die ursprünglich geforderte Summe. Ein halber Misserfolg für die USA, die auf keinen Fall zulassen wollen, dass ein tatsächlicher Friedensprozess Vorrang genießt vor dem Antidrogenkrieg.

Der Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums, Rand Beers, drückte dies im September 1999 so aus: „Der Friedensprozess darf die Antidrogenzusammenarbeit nicht behindern, und jede Einigung der Verhandlungspartner muss eine kontinuierliche Ausweitung dieser Zusammenarbeit ermöglichen, und zwar einschließlich der Herbizideinsätze aus der Luft. Wir haben der Regierung Pastrana wiederholt deutlich gemacht, dass Frieden um jeden Preis keine annehmbare Strategie darstellt.“8

Und die UNO? Sie übertrifft sich selbst im Abgeben widersprüchlicher Erklärungen. Einerseits äußert das Hohe Flüchtlingskommissariat (UNHCR) seine große Besorgnis angesichts der Vertreibungen der Bevölkerung – unter anderem in Richtung Ecuador –, welche durch das Militär und die von ihm durchgeführten Pflanzenvernichtungsoperationen im Süden Kolumbiens ausgelöst werden. Andererseits schätzt Arlacchi und das UNDCP, dass „die lateinamerikanischen Staaten den Plan Colombia letztlich unterstützen müssen, da er einen demokratischen Schritt aus der Krise bedeuten“ würde.

Die republikanischen Abgeordneten des US-Kongresses sind gleich noch weiter gegangen. Sie wollen eine neue Generation von Herbiziden auf Pilzbasis in den von FARC und ELN kontrollierten Gebieten zum Einsatz bringen. Nach zwanzig Jahren Laborforschung ist das Mittel Fusarium Oxysporum heute einsatzbereit. Die USA betrachten es als die absolute Waffe gegen die Kokapflanzungen und die ökonomischen Grundlagen der kolumbianischen Guerilla. Doch sie benötigen eine multilaterale Bewilligung, um ihre Pläne dieser biologischen Kriegsführung umsetzen zu können. Sie haben Arlacchi und das UNDCP dazu gebracht, der kolumbianischen Regierung das Projekt als einen Vorschlag der UNO zu unterbreiten. Pino Arlacchi ist der Meinung, es handle sich um ein „umweltverträgliches Vernichtungsmittel“.

Das Giftpilzprojekt hat sowohl in Kolumbien als auch in der internationalen Gemeinschaft heftigen Widerspruch ausgelöst. Am energischsten jedoch haben die angrenzenden Staaten protestiert. Der gezielte Einsatz einer derartigen „Pest“ hätte schwer wiegende Konsequenzen für die Umwelt, die Menschen und die Sicherheit der Nahrungsmittel. Neue Migrationsbewegungen und Verlagerungen der illegalen Anbauflächen in Richtung Amazonien wären absehbar. Angesichts des starken Protests lenkten das UNDCP und die kolumbianische Regierung ein. Diese jedoch hat unter dem Druck der USA die Entwicklung „einheimischer“ biologischer Kampfstoffe angekündigt.

Unter dem Namen „Paz Colombia“ versucht ein zivilgesellschaftliches Bündnis in Kolumbien seinerseits, die Gewaltspirale und den Krieg aufzuhalten, die der US-amerikanische Plan mit sich bringt. In Bezug auf die Drogen schlägt diese Vereinigung eine „Verringerung des Übels“ vor, das heißt, sie besteht wie viele Wissenschaftler und Gewerkschaftsorganisationen9 auf einer Aussetzung der Pflanzengifteinsätze aus der Luft, einer schrittweisen Substitution der Kokapflanzen unter Beteiligung der betroffenen Bauern und auf der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsbestimmungen.10

Nur im Rahmen einer wirklichen Weiterentwicklung, und zwar sowohl in den Staaten, wo Drogen produziert werden, als auch dort, wo sie konsumiert werden, kann in Zukunft eine vernünftige Lösung gefunden werden.

dt. Miriam Lang

* Mitarbeiter am TNI, Drugs and Democracy Project, Amsterdam. Dieser Artikel erscheint ausschließlich in der Ausgabe der Schweizer WochenZeitung.

Fußnoten: 1 Reuters, 12. Oktober 2000. 2 Siehe Maurice Lemoine in: Le Monde diplomatique, 1/2001, „Krieg den Hütten, Friede dem Kartell“ oder auch Martin Jelsma: „The vicious circle. The chemical spraying of drug crops in Colombia“, TNI, März 2000; www.tni.org/drugs/research/vicious.htm. 3 Für den Inhalt von Scope siehe www.tni.org/drugs/ungass/scope.htm. 4 Ausgenommen waren die Kokabüsche für den traditionellen Konsum in einigen Regionen Boliviens. Diese 25-Jahres-Frist wurde 1988 noch einmal erneuert. 5 El Espectador, Bogotá, 4. Juni 1999. 6 The Miami Herald, 22. Oktober 2000. 7 The Guardian Weekly, London, 26. Oktober 2000. 8 Rand Beers, Bureau for International Narcotic and Law Enforcement Affairs vor dem Senate Caucus on International Narcotics Control am 21. September 1999 . 9 „Despacho bimestrial de Encod“ (European NGO Council on Drugs and Development), Nr. 23, September 2000, Anvers. 10 Siehe die Website von Paz Colombia: www.galeon.com/pazcolombia.

Le Monde diplomatique vom 16.02.2001, von TOM BLICKMAN