16.02.2001

Gefangene des Militarismus

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Gefangene des Militarismus

KRIEGE haben in der Regel vielfältige und komplexe Ursachen. Das gilt auch für Afrika, wo der Kolonialismus willkürliche Grenzen und selbstherrliche Eliten hinterlassen hat. In vielen afrikanischen Kriegen der letzten Jahrzehnte hat sich eine Eigendynamik herausgebildet, die nicht nur von strukturellen Bedingungen, sondern sehr stark auch von persönlichen Machtambitionen der Protagonisten angetrieben wird. Ein solcher „subjektiver Faktor“ prägte beispielsweise so manchen Schachzug im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien, in dem unendlich viele Menschen abgeschlachtet wurden. Und auch in dem Krieg in der Demokratischen Republik Kongo vertrat der jüngst ermordete Präsident Laurent Kabila nicht zuletzt auch die Eigeninteressen seiner militärischen Machtelite.

Die kurze und unrühmliche Herrschaft von Präsident Laurent Kabila in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) zwingt uns, einigen grundsätzlichen Fragen über das Verhältnis von Macht und Krieg in Afrika nachzugehen. Wie war es möglich, dass eine einzige Person, der es ersichtlich an politischen Fähigkeiten wie auch an Rückhalt in der Bevölkerung mangelte, eine ganze Nation, ja eine ganze Region in einen Krieg hineintreiben konnte, der jede gesellschaftliche Entwicklung lähmt? Der Krieg in der DRK hat viele tief reichende und komplexe Ursachen. Dazu gehören etwa die regionalen Entwicklungen nach dem Genozid in Ruanda oder die Tradition der Kleptokratie und der regionalen Einmischung während der Amtszeit des im September 1997 verstorbenen Mobutu Sese Seko, und nicht zuletzt die verlockenden Vorkommen an wichtigen Bodenschätzen.

Aber die Rolle Kabilas sollte uns veranlassen, bei der Analyse von Krieg und Macht in Afrika ein zentrales, wiewohl oft übersehenes Element ins Auge zu fassen: den Faktor Mensch. Präsident Kabila ist dafür ein extremes Beispiel. In seinen Händen war die Macht derart personalisiert, dass es unter ihm keine Regierung und keine Legislative gab, kein Finanzministerium und keinen nationalen Sicherheitsrat – also praktisch überhaupt keine Institutionen außer der Person des Präsidenten (plus seinen Sohn). Auch Präsident Mobutu hatte bereits das Prinzip „Der Staat bin ich“ verkörpert. Aber er hatte wenigstens noch die Einsicht, dass es ohne ein Minimum von Institutionen nicht geht, und er verfügte auch noch über die politische Fähigkeit, sich über die konkurrierenden Fraktionen zu erheben, die das damalige Zaire ausmachten.

Ganz anders Kabila. An die Macht gebracht wurde der Präsident des Kongo von der Patriotischen Armee Ruandas, an der Macht gehalten von seinen militärischen Verbündeten aus Angola und Simbabwe. Die Herrschaft Kabilas stützte sich also in weit stärkerem Maße als im Falle anderer afrikanischer Staatsoberhäupter auf externe Kräfte. Seine Inkompetenz und sein exzentrisches Auftreten konnte er sich auch deshalb leisten, weil er Zugriff auf ungeheure Reichtümer hatte. Andere afrikanische Führer sahen in Kabila wohl ein peinliches Ärgernis, aber vielleicht war er doch nicht die bizarre Ausnahmeerscheinung, als die sie ihn gerne sehen würden.

Im Folgenden möchte ich mich auf zwei der vielen Aspekte konzentrieren, die Kabilas Herrschaft zu einem so ausgesprochen interessanten Beispiel machen: auf die Kultur des Militarismus und auf die Eigengesetzlichkeiten einer autokratischen Herrschaft. Das Zusammenwirken beider Elemente hat in der bisherigen Geschichte wiederholt dazu beigetragen, dass ganze Länder und sogar Kontinente in eine tiefe Krise gestürzt wurden. Der Krieg im Kongo wird auch als Afrikas „erster Weltkrieg“ bezeichnet. Diese begriffliche Parallele lädt zu interessanten Überlegungen ein, wenn man bedenkt, dass auch für das ebenso unvermeidliche wie sinnlose Blutvergießen im Ersten Weltkrieg in Europa ein militaristisches Wertesystem und die Fehlkalkulationen der politischen Führer zu den zentralen Ursachen zählten.

Am Ende seiner monumentalen Studie „Der falsche Krieg“ bezeichnet der britische Historiker Niall Ferguson den Ersten Weltkrieg als „den größten Irrtum der modernen Geschichte“1 . Und Gabriel Kolko führt in seiner Darstellung des 20. Jahrhunderts die europäischen Kriege auf die Selbsttäuschungen von politischen Führern zurück, die der Überzeugung waren, sie könnten einen Krieg „beherrschen“ und sogar „gewinnen“ (in einem irgendwie sinnvollen Wortsinne).2 Kolko schreibt: „Jede Darstellung des Krieges in unserem Zeitalter muss sich der Tatsache stellen, dass die Führer der einzelnen Staaten von einer permanenten Kurzsichtigkeit geschlagen waren, die für die Bevölkerung vieler Länder ein Jahrhundert lang die schrecklichsten Kriegsfolgen bedeutet hat. Angesichts der exzentrischen Verhaltensweisen und der perversen Beharrlichkeit, die so viele bedeutende Männer dieses Jahrhunderts immer wieder an den Tag gelegt haben, kommen wir nicht umhin, deren Einfluss auf die kausale Abfolge der Ereignisse zu reflektieren oder zumindest der Frage nachzugehen, wie es derartigen Menschen gelingen konnte, einen Staat in höchst kritischen Momenten zu regieren.“

Die Saat der Gewalt

JEDE nüchterne Analyse der Geschichte der Kriege führt zu Einsichten, die sich die führenden Politiker zu Herzen nehmen sollten. Die erste Einsicht: Jeder Krieg ist im Grunde ein leichtfertiges Spiel mit der Zukunft von Staaten, Klassen, nationalen Gruppen oder gar ganzen Kontinenten. Zweite Einsicht: Nahezu jeder Krieg in den letzten hundert Jahren, der nicht durch das hoffnungslose Ungleichgewicht zwischen den Kriegsparteien oder durch ungewöhnlich glückliche Umstände entschieden wurde, lehrt uns, dass die Kriegsanstifter die vorab ins Auge gefassten Ziele höchst selten auch nur annähernd erreichen. Daraus folgt die dritte Einsicht: Jeder politische Führer, der sich für ein kriegerisches Vorgehen entscheidet, muss entweder geistig erheblich beschränkt oder für wahnhafte Vorstellungen anfällig sein. Da aber die meisten politischen Führer immerhin genug Grips hatten, um an die Macht zu gelangen, stellt sich eher die Frage, welchen wahnhaften Irrtümern sie in der Folge erlegen sind.

Der erste Irrtum ist die Vorstellung, dass die Siege der Vergangenheit eine Anleitung für die Zukunft sein können. Die meisten Kriegsherren sind selbst Soldaten, die mit gewaltsamen Mitteln politische Ziele erreicht haben. Sie glauben – mit einigem Grund – dass sie das Kriegshandwerk perfekt beherrschen. Aber die Gewaltmittel bleiben nur selten denen dienstbar, die sie einsetzen. Erfolgreiche Kriegsherren werden zu Gefangenen ihrer früheren Siege und sind allzu leicht bereit, zu den Waffen zu greifen. Womöglich gehören sie auch zu der kleinen Minderheit von Menschen, die eine charakterliche Prädisposition zum Einsatz von Gewalt aufweisen. Die tief sitzende Abneigung des Menschen, andere menschliche Wesen zu töten, existiert offenbar für diese Menschen nicht, oder sie ist ihnen abhanden gekommen. Im Übrigen sind ihre Siege nicht unbedingt auf ihre herausragenden Fähigkeiten zurückzuführen, sondern womöglich auf die Erschöpfung oder die Unfähigkeit ihrer Kriegsgegner.

Der verstorbene Präsident Laurent Kabila hat diese wahnhaften Vorstellungen auf die Spitze getrieben: Die militärischen Siege, die ihn an die Macht brachten und an der Macht hielten, hat er nicht selbst errungen. Er war ein Produkt des Militarismus anderer Mächte, aber dennoch glaubte er wohl, Kriege beherrschen zu können, die er nicht begonnen hatte, und das mit Hilfe von Armeen, die nicht seinem Kommando unterstanden.

Ein zweiter wahnhafter Irrtum ist die Vorstellung, dass eine militärähnliche Disziplin und Organisation als Erfolgskonzept für einen ganzen Staat dienen könnte. Kompromisse und Konsensbildung des zivilen politischen Lebens werden verachtet, jede abweichende Meinung gilt als Verrat. Dagegen werden einerseits militärische Organisationsformen und Verhaltensweisen gefördert, andererseits „Entschlossenheit“, der Einsatz von Gewalt und die stereotype Darstellung männlicher Ideale glorifiziert. Die Jugend wird für paramilitärische Organisationen mobilisiert. Auch am Arbeitsplatz und sogar in der Familie machen sich militaristische Befehlsstrukturen breit.

In Europa und Asien haben militaristische Ideologien ihren Ursprung normalerweise in der politischen Rechten. Und auch in Afrika gibt es einen faschistischen Militarismus; man denke nur an die Dschihad-Ideologie der National Islamic Front im Sudan oder an den genozidalen Rassismus der „Hutu Power“ in Ruanda. Aber das Besondere an Afrika ist, dass hier ein „linker Militarismus“ dominiert. Nach dem Putsch von Gamal Abdel-Nasser in Ägypten 1952 hegte die Linke in Afrika lange die Illusion, dass sich der Weg zu einem progressiven sozialen und politischen Wandel abkürzen lasse, und zwar durch die Eroberung der Staatsmacht. Putschisten wie Gaddafi, Numeiri, Sankara und Rawlings vermochten vielerorts eine linke Begeisterung für ihre radikalen Programme zu entfachen. Sie sind allesamt gescheitert. Noch folgenreicher war der heftige Flirt der afrikanischen Linken mit dem Konzept des „Volkskriegs“. Eine ganze Reihe linker Guerilla-Bewegungen – die erste Generation in Algerien, Guinea-Bissau und im südlichen Afrika, die zweite am Horn von Afrika, in Uganda und Ruanda – beruhten auf dem Glauben, ein längerer bewaffneter Kampf der Volksmassen könne zum Instrument der Befreiung werden.

Die linken Führer dieser Bewegungen würden jeden Verdacht von sich weisen, in irgendeiner Weise „Militaristen“ zu sein. Militant ja, militaristisch nein. Aber in vielerlei Hinsicht reproduzieren linke Militärregime – und in noch stärkerem Maße ehemals revolutionäre Bewegungen –, wenn sie einmal an der Macht sind, die Werte und Institutionen, die den rechten Militarismus kennzeichnen, und mit diesen auch eine grundlegende politisch-kulturelle Anfälligkeit für gewaltsame Methoden. Die meisten der im Kongo operierenden ausländischen Armeen sind aus Befreiungskriegen hervorgegangen. Kabila war ein Gefangener dieses breiteren panafrikanischen Militarismus – aber ein bereitwilliger Gefangener, und in einem bestimmten Sinne auch ein Nutznießer. Sein ganzer Ehrgeiz war darauf ausgerichtet, ein solches System in der DRK aufzubauen, wobei ihm freilich sein paranoider, ganz auf die eigene Person zugeschnittener Zentralismus im Wege stand.

Der dritte Wahn liegt in der Vorstellung, dass Kriege in irgendeiner Weise kontrollierbar und vorausberechenbar seien. Aus dieser Sicht gilt Clausewitz also zumeist als überholt. Seine berühmte Formulierung vom Krieg „als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ wird für eine postmoderne Welt, in der souveräne Staaten nicht mehr in Verfolgung kalkulierbarer Interessen agieren, als nicht mehr gültig erachtet. Aber wenn man bei Clausewitz von der an Metternich angelehnten Theorie der internationalen Beziehungen einmal absieht, so sind seine Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten des Militärischen noch heute so richtig wie zur Zeit Bismarcks. Denn es gilt nach wie vor, dass ein Krieg, der ständig eskaliert, verlängert und mit allen Mitteln in Gang gehalten wird, zum absoluten Krieg zu werden droht. Und es gilt auch noch, dass der Verlauf eines Krieges weitgehend unkalkulierbar ist, weil sein Ausgang vornehmlich durch „innere Reibungen“, durch Glück und das Element des Unvorhersehbaren entschieden wird. All das ist nach wie vor richtig. So kann es vorkommen, dass im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea Zehntausende junger Leute in einem zwischenstaatlichen Krieg sterben, dessen Ausgangspunkt eine geringfügige Meinungsverschiedenheit über einen umstrittenen Grenzstreifen ist, dessen Fläche kaum ausreichen würde, um die Gräber aller Kriegsgefallenen aufzunehmen. Oder ein Streit über die Bezahlung von Soldaten oder über die Verlegung eines Bataillons in einen anderen Landesteil kann einen Bürgerkrieg auslösen, der eine ganze Generation vernichtet. Aus einem Konflikt über die Vergabe von Regierungsposten kann sich ein ethnischer oder religiöser Extremismus entwickeln, der die politische Landschaft eines Staates grundlegend verändert.

Die gigantischen Militärausgaben von Staaten wie Sudan, Angola, Äthiopien und Eritrea belegen, wie die Regierungen nur allzu bereitwillig ihre knappen finanziellen Mittel vergeuden und in die Verschärfung von Konflikten investieren. Zudem gilt, was ebenso wichtig ist, dass Krieg wiederum Extremismus ausbrütet. Ein Krieg verlangt, zumal wenn er lange dauert und teuer ist, nach einer rhetorischen Rechtfertigung von angemessener Reichweite und Grandiosität, damit seine Betreiber ihm einen „Sinn“ verleihen, sich selbst an der Macht halten und ihre Legitimitätsansprüche gegenüber dem Volk behaupten können. Genozid ist durch nichts zu rechtfertigen, und doch ist es eine historische Tatsache, dass der genozidäre Extremismus der Hutu in Ruanda erst auf die Spitze getrieben wurde, nachdem die RPF der Tutsi von Uganda aus in das Land eingedrungen war. Ähnliches gilt auch für den Sudan. Natürlich hat die Bevölkerung im Süden des Landes legitime Ansprüche auf Selbstbestimmung und ebenso legitime und historisch weit zurückreichende Gründe zu Klagen. Aber der islamische Extremismus ist erst explodiert und in Khartoum an die Macht gekommen, nachdem die SPLA im Südsudan ihren Aufstand begonnen hatte. Nach demselben Schema haben sich seit dem islamistischen Putsch die separatistischen Bestrebungen und die antiislamischen Gefühle im Süden massiv verstärkt. Der eritreische Nationalismus wiederum hat sich in dreißig Jahren Kampf gegen Äthiopien entwickelt.

Kriegstreiberei gehört auf die Anklagebank

NATÜRLICH ist es richtig, dass alle diese Entwicklungen auch ein Produkt ihrer jeweiligen Gesellschaft waren. Aber die Geschichte zeigt: Wo man politische Bewegungen mit gewaltsamen Mitteln unterdrückt, wird die Gewalt eher gefördert als erstickt. Ideologische Eskalation ist das billigste Mittel zur Mobilisierung der Massen, und das beste Instrument, um sich ihre Loyalität und ihre Unterstützung zu sichern. Solcher Extremismus dient den Kriegsherren aber auch als willkommenes Alibi – ob sie nun eine extremistische Politik verfolgen oder aber dagegen opponieren. Extremismus ist eine elegante Methode, die unangenehme Frage der individuellen moralischen Verantwortung und Entscheidung zu umgehen. Diese moralische Frage wird abgetan mit dem Hinweis auf das „Unvermeidliche“. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung wird verwischt.

Im Krieg macht sich auch ein ganz anderes politisches und moralisches Kalkül geltend, als es für das normale zivile politische Leben gilt. Denn im Krieg ist es legitim und notwendig, Menschenleben zu nehmen und hinzugeben. Ein politischer Führer, der dies tut, verliert unweigerlich ein Stück seiner Humanität, zumal wenn er die Entscheidungen weitgehend persönlich trifft. Und genau diese Schwierigkeit, die Wirkungen von Handlungen moralisch einzuordnen, kann dazu beitragen, dass so viele Kriegsherren die Fähigkeit verlieren, eindeutig zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.

Und schließlich gilt auch noch, dass Kriege weitere Kriege hervorbringen. Während fast alle Zivilbürger und Soldaten des Krieges überdrüssig werden und darauf sinnen, irgendwie auf die Kriegsherren einzuwirken, bedeutet der Kriegszustand für die Machthaber die Chance, sich Macht und Besitztümer, Legitimität und psychologische Befriedigung zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist folgender Befund interessant: Der statistische Einzelfaktor, der die Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs am stärksten determiniert, ist die Tatsache, dass das betreffende Land kurz zuvor schon einmal Krieg geführt hat. Wie erklärt sich das? Vermutlich doch aus der schlichten Tatsache, dass Kriege politische Führer hervorbringen, für die Gewalt ein effektives und legitimes politisches Mittel darstellt, das sie dann entsprechend einzusetzen bereit sind. Auch gibt es in einer Gesellschaft, die einen bewaffneten Konflikt hinter sich hat, viele kriegserprobte Männer, die erneut bereitwillig zu den Waffen greifen, weil sie frustriert sind und keine Anerkennung mehr finden, wenn ihre Fähigkeiten nicht mehr gefragt sind. Die häufigste Ursache, warum nach Beendigung eines Bürgerkrieges neue Konflikte aufflammen, resultiert aus Differenzen über Fragen der Entwaffnung und Demobilisierung und über den Status der Offiziere. Umgekehrt lässt sich statistisch zeigen, dass Friedensvereinbarungen am ehesten halten, wenn sie für die ehemaligen Kriegsführer (als Individuen) ökonomische Anreize vorsehen.

Die Kriege in der Region der Großen Seen und in Angola, aus denen der Krieg im Kongo unmittelbar hervorgegangen ist, illustrieren die Unkontrollierbarkeit von gewaltsamen Konflikten besonders gut. In dieser Region wollte nie irgendjemand einen langen Krieg anzetteln. Die Gruppe oder der Anführer, der einen Konflikt begonnen hat, war sich immer völlig sicher, dass die Sache nicht lange dauern würde. Diese Kriege stehen aber auch als Beispiele dafür, wie weit Konflikte sich von ihrem Ursprung entfernen können. Die militärische Aktion, die 1996 von der Armee Ruandas im Osten von Zaire begonnen wurde, war legitim als ein letztes, verzweifeltes Mittel gegen die Bedrohung durch eine organisierte Völkermordtruppe, die sich an der Grenze zu Ruanda in den Hutu-Lagern formierte. Und der Bürgerkrieg, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Angola tobte, war ein Konflikt, in dem die angolanischen Parteien als Stellvertreter der Großmächte agierten. Diese Ausgangsursachen sind heute nebensächlich oder völlig irrelevant geworden – und dennoch geht das Kämpfen weiter.

Als der Kriegsherr, der die wenigsten Erfahrungen und die schwächsten instrumentellen Voraussetzungen für sein Handwerk mitbrachte, wurde Kabila zum prominentesten Opfer eines Konfliktes, den er freilich selbst maßgeblich eskaliert und verlängert hatte. Angesichts einer langen Liste falscher, kurzsichtiger Entscheidungen, die sich die zentralafrikanischen Kriegsherren in der Vergangenheit geleistet haben, ist kaum anzunehmen, dass Kabilas Schicksal als Lektion verstanden wird.

Um so vordringlicher müsste man sich in ganz Afrika überlegen, was es für den Kontinent bedeutet, wenn das Anzetteln eines Krieges völkerrechtlich zu einem Verbrechen erklärt wird. Dies jedenfalls sieht eines der grundlegenden Prinzipien vor, die mit der Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) eingeführt werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der ICC-Juristen wird darin bestehen, den Tatbestand „Führung eines Angriffskrieges“ zu definieren, wobei es höchst unwahrscheinlich ist, dass bereits die Akteure der gegenwärtigen Kriege auf die Anklagebank kommen. Aber die Diskussion um den ICC zielt wenigstens auf das Element der strafrechtlichen Verantwortung der Personen, die Kriege beginnen und eskalieren lassen. Ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Vereinten Nationen scheint man endlich zu beginnen, den Krieg als strafrechtliches Delikt zu verfolgen.

aus dem Engl. von Niels Kadritzke

* Mitdirektor von African Rights, London. Diese Seite erscheint nur in der bundesdeutschen und Luxemburger Ausgabe.

Fußnoten: 1 Niall Fergusson, „Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert“, Stuttgart (DVA) 1999. 2 Gabriel Kolko, „Das Jahrhundert der Kriege“, Frankfurt (Fischer) 1999.

Le Monde diplomatique vom 16.02.2001, von ALEX DE WAAL