16.02.2001

Die Kontrolle der Waffenmärkte

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Die Kontrolle der Waffenmärkte

Von PHILIPPE RIVIÈRE

INDUSTRIE- und Handelsgeheimnisse, diplomatische Vorsichtsmaßnahmen, verteidigungspolitische Verschlusssachen – kaum irgendwo sonst wird mit so viel Diskretion agiert wie beim Handel mit Kleinwaffen. Sämtliche Stationen des Waffentransfers liegen im Dunkeln, eine listenreiche Verschwörung des Schweigens. Kein öffentlicher Bericht verzeichnet die Hersteller, vielfach kleine Unternehmen, die breit gestreut auf dem flachen Land produzieren.1 Kein Register klassifiziert die verschiedenartigen Waffen. Von daher müsste auf dem Weg zu einer „Moralisierung“ des Gewerbes die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache am Anfang stehen.

Das Arsenal der Kleinwaffen, von der Machete bis zum Granatwerfer, bildet ein weitläufiges Labyrinth, für das keinerlei Baupläne existieren. Deshalb hat die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) 1997 eine Grobeinteilung vorgeschlagen. Von der Pistole bis zum leichten Maschinengewehr spricht sie von kleinkalibrigen Waffen, vom schweren Maschinengewehr über den tragbaren Raketenwerfer bis hin zum Mörser von leichten Waffen. Diese Klassifizierung bezieht auch die entsprechende Munition ein. Waffen ab einem Kaliber von 100 mm ordnet die UNO den so genannten konventionellen Waffen zu.

Sport- und Jagdwaffen bleiben in dieser Klassifizierung gänzlich unberücksichtigt. Dabei sind gerade sie, wie der Friedensforscher Ilhan Berkol hervorhebt, „häufige Selbstmordinstrumente und Quelle von Unfällen (...), und ihr bloßes Vorhandensein kann Missbrauch und tätliche Übergriffe bedingen“. Auch die „Hieb- und Stichwaffen, wie Dolche, Knüppel oder Macheten“, deren verheerende Wirkungen wohlbekannt sind, fallen durch das Raster.2

Berkol unterstreicht, dass sich legale und illegale Waffenmärkte vielfach überschneiden – ein Sachverhalt, der einen „umfassenden Problemansatz“ erfordere. Berkol analysiert die Möglichkeiten eines Markierungssystems für leichte Waffen und Munition, deren Daten von einer internationalen Institution verwaltet werden könnten.

Technisch wäre die Industrie durchaus in der Lage, Waffen und Munition mit einer Signatur zu versehen und so eine ausreichende Identifizierung des Herstellers und der Produktionsserie zu ermöglichen. Bei illegalen Waffenverkäufen oder Waffeneinsätzen, die gegen geltendes Kriegsrecht oder gegen die Menschenrechte verstoßen, gäbe es damit erste Anhaltspunkte, um die Verantwortlichen dingfest zu machen. „Lasergravur“, „in mehreren Schichten aufgetragene Farbindikatoren“, „eingebettete Farbpartikel“ – laufende Studien in der Schweiz und in Kanada zeigen, dass eine dokumentenechte Markierung der Metallteile von Waffen im Prinzip machbar wäre. Und der Munition ließen sich im Laufe des Fertigungsprozesses chemische Zusatzstoffe beimischen.

Eine wirksame Organisation der Markierung von Kleinwaffen setzt freilich die mehrheitliche Mitarbeit von Herstellern und Waffen exportierenden Staaten voraus. Nicht alle sind erklärtermaßen dagegen. Wie Ilhan Berkol hervorhob, schlug der Vertreter des World Forum on the Future of Sport Shooting Activities3 Ende 1999 vor, „die Entwicklung eines allgemeinen Kennzeichnungssystems zu koordinieren“.

Schon äußern einige Länder Vorbehalte und schlagen als Alternative „Herkunftsnachweise“ vor – die sich leichter manipulieren lassen. Obendrein würde eine internationale Kontrollagentur den Markt in zwei Segmente spalten – mit den Herstellern, die die Überwachung akzeptieren, auf der einen und jenen, die sich der Kontrolle zu entziehen suchen, auf der anderen Seite. In jedem Fall hätte die Agentur alle Hände voll zu tun: Ein Teil der im Umlauf befindlichen Waffen wäre nicht markiert, weil noch vor der obligatorischen Markierung produziert. Andere würden in speziellen Werkstätten oder vom Hersteller selbst „gesäubert“ und von Waffenmaklern in dunkle Kanäle geschleust, wo sich ihre Spur verliert. Hinzu kommt, dass auch Staaten, deren Rüstungsexporte als legal gelten, die Dienste solcher Mittelsmänner in Anspruch nehmen würden, um das eine oder andere Waffenkontingent an den Kontrollen vorbeizumanövrieren.

Dass restriktive Maßnahmen gleichwohl möglich sind, zeigt das Beispiel Italien. Nachdem das Land auf der Weltrangliste der Waffen exportierenden Länder jahrelang auf Platz vier oder fünf rangierte, rutschte es infolge der Rüstungsexportgesetz-Novelle von 1990 auf Platz zehn oder zwölf. Mangels Interesse und Unterstützung der Öffentlichkeit gelang es den Herstellern allerdings, die neuen Regelungen aufzuweichen.4

Die Europäische Union verabschiedete im Juni 1998 einen Verhaltenskodex, der acht Kriterien für den Rüstungsexport umfasst. Hierzu gehören die Einhaltung internationaler Normen und Verträge im Bereich der Rüstungskontrolle, der Terrorismusbekämpfung und der Menschenrechte. Auch bei regionalen Spannungen oder Konflikten im Empfängerland und dem Risiko eines missbräuchlichen Einsatzes oder der Wiederausfuhr solle der Export unterbleiben. Schließlich sei zu berücksichtigen, ob der Rüstungstransfer die „nachhaltige Entwicklung“ im Empfängerland beeinträchtige. Insbesondere Länder, in denen der Militärhaushalt die Bildungs- und Gesundheitsausgaben übersteigt, seien von einer Lieferung auszuschließen.

Die friedenspolitischen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen begrüßten den Verhaltenskodex im Allgemeinen, kritisierten jedoch, dass selbst dieses Minimum an Selbstverpflichtung viel zu schwammig formuliert sei. So seien keinerlei Maßnahmen zur Kontrolle der Zwischenhändler vorgesehen. Auch könnten die Hersteller ihre Deklarierungspflicht leicht umgehen, indem sie die Produktion ins Ausland verlagern. Unabdingbar sei jedenfalls eine Nachkontrolle über den Endverbleib der Waffen. Darüber hinaus bemängeln die Initiativen, dass der Kodex keinen rechtsverbindlichen Charakter trägt, sodass den EU-Mitgliedstaaten die politische Wahl bleibt, ob sie sich daran halten wollen – oder nicht. In diesem Zusammenhang macht sich vor allem die mangelnde Transparenz negativ bemerkbar: Wer gegen den Kodex verstößt, geht politisch ein ausgesprochen geringes Risiko ein.

Ohnehin wurden nach Angaben des EU-Berichts zur Umsetzung des Kodex von den rund 30 000 Ausfuhranträgen für das Jahr 1999 ganze 221 nicht bewilligt. Überdies, so Bruno Barrillot, Forscher am „Observatoire des Transferts d'Armements“, interessieren sich die zuständigen Kontrollausschüsse, die bei ihren monatlichen Sitzungen bis zu 700 Anträge bearbeiten, „in erster Linie für den Abschluss von Großaufträgen mit einem Volumen von über 1 Milliarde Franc. Lieferverträge über Kleinwaffen gelten als nicht so wichtig und werden daher nicht so eingehend geprüft.“

In Anbetracht der derzeitigen Umstrukturierung in der europäischen Verteidigungsindustrie wäre der EU-Verhaltenskodex als Grundstein für den Aufbau einer Kontrollinstanz zu nutzen, die in der Lage ist, Waffenherstellung und -handel zu bewerten und zu überwachen. Die europäischen „Grundwerte“ und die europäische Militärmacht prädestinieren Europa zum zentralen Ort dieser globalen Debatte. Nach Ansicht des ehemaligen Staatschefs von Mali, Amadou Toumani Touré, wird das „Gewicht der Europäischen Union ausschlaggebend sein“ im Kampf gegen die Verbreitung von Kleinwaffen.6

In diesem Zusammenhang ist eine Reihe von Vorschlägen des deutschen Rüstungsforschers Peter Lock7 erwähnenswert, darunter die Einführung einer Munitionssteuer. Eine im Verkaufspreis berücksichtigte Rücknahmegarantie für alle Handfeuerwaffen würde den „Gelegenheitsverkauf“ unattraktiver machen. Die Einführung unterschiedlicher Kaliber würde eine klare Unterscheidung zwischen Jagd- und Sportwaffen, Polizeiwaffen und Militärwaffen gestatten, die durch entsprechende Gesetze zum Waffenbesitz zu ergänzen wäre. Ein internationaler Fonds müsste die Zerstörung von „Überschusswaffen“ finanzieren.

Es können aber auch die Länder, die von Kleinwaffen überflutet werden, mit gutem Beispiel vorangehen. In Westafrika, wo der Staat die öffentliche Ordnung mangels ausreichender Mittel nicht garantieren kann, wo „Gangstertum und Kriminalität in jeglicher Form zunehmen“, wo sich nach den Worten General Tourés „eine Kultur der Angst und der Gewalt“ entwickelt, beginnt die Bevölkerung sich zu bewaffnen. Aus diesem Grund haben die Regierungschefs der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) bei ihrem Treffen in Abuja 1998 ein Moratorium für Einfuhr, Ausfuhr und Herstellung von Kleinwaffen verhängt und die Einsetzung nationaler Ausschüsse zur Überwachung der Waffenströme beschlossen. Die größten Waffenproduzenten und Unterzeichner des Wassenaar-Abkommens haben sich verpflichtet, keine Kleinwaffen in die Region zu exportieren.

Zahlreiche Beobachter betrachten den plötzlichen Zustrom von Kleinwaffen in ein Land als sicherstes Anzeichen für eine bevorstehende Krise.8 Zuverlässige und aktuelle Informationen über Kleinwaffentransfers wären daher ein geeignetes Mittel, um bewaffnete Auseinandersetzungen und Menschenschlächtereien zu verhüten.

dt. Bodo Schulze

Fußnoten: 1 Dazu Belkacem Elomari und Bruno Barrillot, „Armes légères. De la production à l'exportation: le rôle de la France“, Observatoire des transferts d'armements, 187, montée de Choulans, F-69005 Lyon, 1999, 109 Seiten, 50 Francs. www.obsarm.org/. 2 Ilhan Berkol, „Marquage et traçage des armes légères. Vers l'amélioration de la transparence et du contrôle“, Groupe de recherche et d'information sur la paix et la sécurité (GRIP), rue Van Hoorde, 33, B-1030 Brüssel, Februar 2000. www.ib.be/grip/. 3 Das WFSA (www.wfsa.net/) ist ein weltweiter Zusammenschluss von Waffenherstellern und Schießsportverbänden, zu dessen Gründungsmitgliedern neben der US-amerikanischen National Rifle Association (NRA) auch das deutsche „Forum Waffenrecht“ gehört (www.fwr.de/). 4 So Ornella Caccio, Leiterin der italienischen Friedensinitiative „Archivio Disarmo“, auf der internationalen Konferenz, die am 22. September 2000 im französischen Senat stattfand. Organisator war der 1997 gegründete Zusammenschluss „Armes légères . .  . la balle est dans votre camp“. Die Tagungsdokumente sind zu beziehen über: CDRPC, 187, montée de Choulans, F-69005 Lyon, 60 Franc einschl. Versandkosten. 5 So Bernardo Mariani von der Initiative SaferWorld auf der in Fn. 4 erwähnten Konferenz. 6 Siehe Fn. 4. 7 Peter Lock, „La disponibilité des armes légères illicites. Comment combattre cette menace mondiale“, GRIP, Brüssel, Juli 2000, 34 Seiten, 55 Franc. 8 Dazu Edward J. Lawrence (Hg.), „Arms Watching. Integrating Small Arms and Light Weapons into the Early Warning of Violent Conflicts“, International Alert, London, Mai 2000.

Le Monde diplomatique vom 16.02.2001, von PHILIPPE RIVIÈRE