Chemisches Gift
DIE Debatte um das abgereicherte Uran hat sich so sehr auf die Folgen der radioaktiven Strahlung konzentriert, dass seine chemischen Eigenschaften in den meisten Beiträgen völlig unbeachtet geblieben sind. Geschosse, die aus diesem Material hergestellt sind, zerplatzen, verdampfen und/oder verbrennen beim Aufschlag und setzen dabei, manchmal in Form von Aerosol, feinen Staub frei, der aus dem Metall und seinen Oxyden besteht. Diese Partikel sinken auf Gegenstände und das Erdreich nieder und bleiben dort haften. Wenn sie nach Tagen, Wochen oder auch nach Monaten oder Jahren irgendwie wieder in die Luft gelangen, können sie eingeatmet oder geschluckt werden. Das heißt, die Gefahr, diese gefährlichen Stoffe aufzunehmen, besteht nicht nur für Personen, die sich während eines Angriffs in einem Panzer oder in seiner Nähe befinden.
Der Merck-Index1 , eines der weltweit maßgeblichen Standardwerke der Chemie, vermerkt zu diesem Stichwort: „Achtung: Uran und seine Salze sind extrem giftig. Dermatitis, Nierenschäden oder Arteriennekrose können zum Tode führen.“2 In einer anderen „Chemie-Bibel“, dem „Handbook of Chemistry and Physics“3 , wird der Stoff so beschrieben: „Hoch toxisch, in chemischer wie in radiologischer Hinsicht. Die als verträglich geltende maximale Konzentration seiner nicht löslichen Derivate (etwa Oxyde) in der Luft beträgt 0,25 Milligramm pro Kubikmeter (bezogen auf die chemische toxische Wirkung).“4 Im Kapitel „Grenzwerte für den Aufenthalt des Menschen in kontaminierter Luft“ heißt es: „Uran (natürlich), lösliche und nicht lösliche Bestandteile = 0,20 Milligramm (bezogen auf reines U) pro Kubikmeter.“ Zum Vergleich: der Wert für Bleiarsenat beträgt 0,15 mg bis 0,20 mg, für Phosgen 0,40 mg, für Arsen 0,50. Die Angaben stammen aus der „Encyclopaedia of Occupational Health and Safety“5 von 1983, die „bei den Versuchstieren, Ratten und Kaninchen, die durchschnittliche tödliche Dosis zwischen 0,55 und 1,12 mg pro Kilo Körpergewicht“ veranschlagt, was mit der Wirkung von Wasserstoffcyanid (Zyklon B) vergleichbar ist, dessen für den Menschen tödliche Konzentration bei 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht liegt.
In diesem Werk werden auch ausführlich die Schäden beschrieben, die bei einer chronischen Vergiftung durch das Metall und seine Oxyde typischerweise auftreten: Lungenfibrose, Veränderung des Blutbilds mit Verringerung der roten und weißen Blutkörperchen (Lymphozyten). Möglich sind auch Schädigungen des Nervensystems sowie Nierenentzündung, chronische Hepatitis, Gastritis und andere Erkrankungen.
JACQUES BRILLOT