16.03.2001

Der Ausverkauf der Universität

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Der Ausverkauf der Universität

Von IBRAHIM WARDE *

Im November 1998 traf die University of California, Berkeley, eine Vereinbarung mit dem Schweizer Novartis-Konzern. Das Institut für Mikrobiologie (Plant and Microbial Biology) erhielt eine Spende von 25 Millionen Dollar. Im Gegenzug übertrug die staatliche Universität dem Schweizer Pharma- und Biotechnologieriesen die Nutzungsrechte an mehr als einem Drittel der von den Forschern des Instituts erarbeiteten Ergebnisse (einschließlich derer, die der kalifornische Staat und die amerikanische Bundesregierung finanziert hatten) sowie das Recht, die aus ihnen hervorgegangenen Patente zu vermarkten. Darüber hinaus räumte die Universität der Firma Novartis das Vorschlagsrecht für zwei von fünf Sitzen im Forschungsausschuss des Instituts ein, der über die Vergabe von Forschungsmitteln zu entscheiden hat.

Die Vereinbarung zwischen Berkeley und Novartis löste einen Sturm der Entrüstung aus. Mehr als die Hälfte der am Institut Lehrenden äußerte sich besorgt, weil dieser Schritt sowohl das Prinzip der „gemeinnützigen Forschung“ als auch den freien fachlichen Austausch innerhalb der Wissenschaft bedrohe.1 Tom Hayden etwa, Senator des Staates Kalifornien, fragte sich, „ob nicht die biotechnologische Forschung künftig nur noch von den Interessen der Konzerne bestimmt sein wird und ob Kritiker derartiger Praktiken in der Universitätslandschaft nicht damit rechnen müssen, mundtot gemacht zu werden“.

Doch so sieht das neue Modell für die Kooperation zwischen den Universitäten und der Privatwirtschaft aus. Seit Beginn der „Steuerrevolte“, die 1978 in Kalifornien von der „proposition 13“2 ausgelöst wurde, haben die Staaten auf ihre Steuerausfälle mit einer fortschreitenden Senkung ihrer Bildungsausgaben reagiert. Das Bayh-Dole Gesetz von 1980 – benannt nach seinen beiden Schirmherren, einem Demokraten und einem Republikaner –, das die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie wieder herstellen sollte, erlaubte es den Universitäten erstmals, sich ihre staatlich finanzierten Forschungsleistungen patentieren zu lassen. Es folgten weitere Gesetze, die es den Universitäten erleichtern, ihre Patente zu vermarkten, und umgekehrt den Firmen für die Finanzierung universitärer Forschung Steuererleichterungen zukommen lassen.

Das Ende des Kalten Krieges hatte zudem eine erneute Kürzung der von Washington bereitgestellten Forschungsmittel zur Folge. Die Universität Berkeley, einst fast zur Gänze vom kalifornischen Staat finanziert, erfuhr einen Rückgang ihrer öffentlichen Mittel auf 50 Prozent im Jahre 1987 und auf 34 Prozent im Jahre 1999. Alle großen Investitionen der letzten zehn Jahre verdankten sich privaten Spenden. So unternahm die Universität für den Bau ihrer neuen Business-School ein groß angelegtes fund-raising. Die Familie Haas (Erbe des Blue-Jeans-Produzenten Levi-Strauss), von der die bedeutendste Spende beigesteuert wurde, setzte durch, dass das Institut ihren Namen trägt. Große Unternehmen übernahmen die Finanzierung von Lehrstühlen. Der Dekan zum Beispiel trägt den Titel „Bank of America Dean“. Die neuen Gebäude sind von Firmenlogos übersät. Überall – sogar an Tischen und Stühlen – finden sich Gedenktafeln oder Plaketten mit den Namen der Spender (Firmen, Einzelpersonen oder Ehemaligenjahrgänge).

Der Professor am Tropf der Wirtschaft

DIE Harvard-Professoren James Engell und Anthony Dangerfield prägten für dieses Phänomen den Begriff der „marktwirtschaftlichen“ Universität“ („market-model university“): Die Institute, die „Geld verdienen“, „Geld erforschen“ oder „Geld akquirieren“, sind dabei die großen Gewinner.3 Die anderen haben das Nachsehen oder werden gar an den Rand gedrängt.

Die Befürworter solcher Allianzen zwischen Universität und Wirtschaft – etwa das Business Higher Education Forum, eine von Unternehmern und Universitätsangehörigen gebildete Lobby – betonen die Vorteile des neuen Systems: In einer Zeit rückläufigen Engagements seitens der öffentlichen Hand würden die privaten Gelder den Bau moderner Laboratorien und die Finanzierung avancierter Forschungsprojekte begünstigen; die Partnerschaft böte die Möglichkeit, wissenschaftliche Entdeckungen und Forschungsergebnisse – etwa auf dem Gebiet der Biotechnologie – umgehend dem Markt zuzuführen; die Gesellschaft und auch der Staat würden von dem Wohlstand, den die neuen Technologien erbrächten, unmittelbar profitieren, indem sie das Wirtschaftswachstum fördern, ihre Entdeckungen der Allgemeinheit auch wirklich zugute kommen könnten und zu Steuermehreinnahmen oder humanitären Auswirkungen führen würden.

Nicht alle teilen diese Einschätzung. Nach Ansicht von Ronald Collins, dem Leiter des Projekts Wissenschaftliche Integrität am Center for Science and the Public Interest, „verliert die Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit“: „Einseitige und von derartigen Interessen geleitete Forschung und Verdunklung beeinträchtigen das Ansehen der Wissenschaft ebenso wie ihr Grundanliegen, die Suche nach Wahrheit. Die von der Industrie bezahlten Universitätsprofessoren treten gegenüber dem Kongress und den gesetzgebenden Institutionen als Sachverständige auf, ohne ihre Beziehungen zur Wirtschaft offen zu legen. Die naturwissenschaftlichen Institute staatlicher Universitäten knüpfen unter größter Geheimhaltung Beziehungen zu Firmen. Die medizinischen Fachzeitschriften lassen nichts von den Interessenkonflikten ihrer Autoren verlauten.“4

Auch Robert Reich, Arbeitsminister in Bill Clintons erster Amtsperiode, beklagt in seinem jüngsten Buch die Auswirkungen, denen Wissenschaft und Forschung im „Zeitalter des Geschäftemachens“ ausgesetzt sind.5 Wissensdrang, freie Forschung und intellektuelle Neugier rücken in die zweite Reihe. Die Universitätspräsidenten, die immer mehr in die Rolle von Geschäftsreisenden schlüpfen, werden vor allem nach ihrer Fähigkeit beurteilt, Spendengelder zu akquirieren. Die Studenten der Eliteschulen betrachten ihr Studium als eine Investition, die ihnen gute Verbindungen und phänomenale Gehälter verschaffen soll.

Während es zudem früher nicht üblich war, dass Spenden an Vorbedingungen oder Auflagen geknüpft waren, müssen die Bittsteller heute sowohl die Almosenschale als auch das Weihrauchfass schwenken.6

Die Logik der „marktwirtschaftlichen Universität“ verlangt aus Sicht der Unternehmen, dass ihre Spenden als Investitionen zu betrachten sind: Kostenlose Werbung, Lobreden, öffentliches Ansehen gehören ebenso wie die Vermarktung wissenschaftlicher Entdeckungen zu einem durch die Ausgaben zu veranschlagenden Nutzen. Etwaige Unbotmäßigkeiten ziehen Sanktionen nach sich: Kürzlich hat Nike drei Universitäten (Michigan, Oregon, Brown) die finanzielle Unterstützung entzogen, weil angeblich die dortigen Studenten das Unternehmen wegen bestimmter Praktiken in einigen armen Ländern, insbesondere in Zusammenhang mit Kinderarbeit, kritisiert hätten.

Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des Bayh-Dole-Gesetzes hat sich die Summe der aus der Privatwirtschaft in die universitäre Forschung geflossenen Gelder verachtfacht, die Zahl der von den Universitäten angemeldeten Patente gar verzwanzigfacht. Alle Universitäten, an denen Forschung betrieben wird, besitzen eine eigene „Patentvermarktungsstelle“ zur Maximierung ihrer Lizenzeinnahmen. Mehrere große Konzerne haben Risikokapitalgesellschaften gegründet, um Investitionen in einträgliche Projekte zu tätigen. Und in einer Zeit, in der die traditionelle Ausbildung von den neuen Möglichkeiten der „E-Dukation“ (Fernstudium, Online-Studium etc.) revolutioniert wird, haben die Universitäten nichts Eiligeres zu tun, als Allianzen mit der Privatwirtschaft einzugehen. Nach Ansicht von David Kirp, Professor im Staatsdienst an der Universität Berkeley, „hat das alte Ideal eines ‚Marktplatzes der Ideen‘ eine groteske Bedeutungsverschiebung erfahren“.7

Ein neuer Akademikertypus erobert den Campus: der Unternehmer-Professor, für den ein universitärer Lehrstuhl die Aussicht auf schnellen finanziellen Erfolg bietet. Diese Hochschullehrer verwenden einen Großteil ihrer Zeit auf ihre kommerziellen Unternehmungen. Ihre Universitätszugehörigkeit sichert ihnen wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, einen Rückhalt im Falle eines Scheiterns und vor allem die Möglichkeit, die Gewinne zu privatisieren, die Kosten aber zu sozialisieren (wobei die Universitätsverwaltung das Sekretariat ersetzt und die Doktoranden und Forschenden als kostenlose Arbeitskräfte herhalten). Diese weit verbreiteten Praktiken geraten selten in die Kritik, da diese Unternehmer oft auch die renommierten Superstars einer Universität sind und ihr – zumindest indirekt, in Form von Vermächtnissen oder Schenkungen – den „Segen“ ihrer Initiativen zugute kommen lassen.

Zweifelhaftes Forschungssponsoring

ABGESEHEN von ethischen Überlegungen wirft das Modell der marktwirtschaftlichen Universität eine Reihe politischer Fragen auf. Die Auseinandersetzung über öffentliche Angelegenheiten wird mehr und mehr von den finanziellen Interessen einiger „Experten“ dominiert (und deformiert). Nichtkommerzielle Forschungseinrichtungen dienen Konzernen oft als notwendiges Aushängeschild. So lieferten während des Microsoft-Prozesses „unabhängige“ Forschungsinstitute, die in Wirklichkeit vom Software-Riesen bezahlt wurden, eine Fülle von „Gutachten“, die sowohl die Öffentlichkeit als auch die Richter beeinflussen sollten.8 Ganz gleich, ob es sich um die Schädlichkeit des Tabaks, den Treibhauseffekt, um Brustimplantate oder die Eigenschaften dieses oder jenes Medikaments handelt, immer wird sich ein Sachverständiger finden, der es versteht, „die Zahlen so zu drehen und zu wenden“, dass sich daraus ein seinen Auftraggebern genehmes Urteil ableiten lässt.9

Ein Vorfall verdeutlicht, wohin solches Forschungssponsoring führen kann. Charles Thomas, Professor für Kriminologie an der Universität von Florida, hatte sich einen Ruf als Experte in Sachen privater Strafvollzug erworben. Von Anhörungen vor den Senatskommissionen bis hin zu Leitartikeln in allen großen Zeitungen ließ er nichts unversucht, um sich für dieses Prinzip einzusetzen, und seine Empfehlungen wurden sowohl in Florida als auch andernorts häufig befolgt.10 Und dann stellte sich eines Tages heraus, dass dieser hervorragende Experte auf der Gehaltsliste führender Unternehmen im Bereich des privaten Strafvollzugs stand und bei einigen sogar als Aktionär beteiligt war. Seine Gutachtertätigkeit ließ ihn im Januar 1999 von der Corrections Corporation of America die hübsche Summe von drei Millionen Dollar einstreichen. Die Ethikkommision des Staates Florida eröffnete ein Untersuchungsverfahren. Der Kriminologe bot von sich aus die Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von immerhin 2 000 Dollar an.

Diejenigen an den Universitäten, die sich theoretisch für solche Fragen zu interessieren hätten, haben derweil andere Sorgen – und überdies liegt ihnen wenig daran, das Huhn zu schlachten, das goldene Eier legt, auch wenn für sie selbst nicht viel dabei herausspringt. In den Erziehungswissenschaften wird über die neuesten Moden der Pädagogik gefachsimpelt. In den Geisteswissenschaften hat man sich ganz dem „Multikulturalismus“ oder der „Identitätsfrage“ verschrieben. Und das „Dekonstruktivismus-Fieber“ trägt dazu bei, dem Prinzip der uneigennützigen, objektiven Suche nach Wahrheit insgesamt den Boden zu entziehen. In den Sozialwissenschaften dreht sich, wie es scheint, alles um Quantifizierbarkeit, verallgemeinerbare Aussagen oder Methodenstreit. An den Business-Schools muss das Modell der marktgerechten Universität verständlicherweise auf deutliche Zustimmung stoßen.

So wird vor allem in der naturwissenschaftlichen und medizinischen Fachwelt – in Zeitschriften wie Lancet oder New England Journal of Medicine (NEJM) – über das Verhältnis von Industrie und Forschung debattiert. Eine Untersuchung der Los Angeles Times hat erbracht, dass in der angesehenen medizinischen Fachzeitschrift New England Journal of Medicine 19 der 40 in den letzten drei Jahren unter der Rubrik „drug therapy“ veröffentlichten Artikel von Medizinern stammen, die von den Herstellern der Medikamente bezahlt werden, für die sie Gutachten liefern sollten. Es wurde daraufhin von verschiedenen Seiten betont, dass es nahezu unmöglich sei, Experten zu finden, die nicht auf die eine oder andere Weise von der Pharmaindustrie „ausgehalten“ werden. Immerhin wurde dieser grassierende Interessenkonflikt von der scheidenden Chefredakteurin des NEJM angeprangert.11

Man könnte auf eine weitere Parallele zwischen dem gegenwärtigen Interesse der naturwissenschaftlichen Fachwelt an ethischen Debatten und dem „Ethik-Boom“ hinweisen, der vor fünfzehn Jahren an den Managerschulen auftrat. Ein Professor der Business-School von Stanford erinnert sich: „Anfang der Achtzigerjahre mussten wir uns die bissigen Bemerkungen von Kollegen anderer Fachbereiche anhören, die uns vorwarfen, der Raffgier von Wall Street Vorschub zu leisten und moderne Freibeuter und Raubritter auszubilden. Irgendwann kam der Moment, wo wir diese Kritik nicht länger ignorieren konnten. Die Professoren der Business-School sagten also: ,Nehmen wir Ethik-Veranstaltungen in den Lehrplan auf. Das wird allen Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln nehmen.‘ “ Berufsständische Ehrenkodizes wurden formuliert, Ethik-Seminare und -Veranstaltungen aus dem Boden gestampft. An den mehr als zweifelhaften Praktiken hat das nichts geändert, aber es diente dem guten Gewissen, auf das ja niemand gerne verzichtet.

dt. Christian Hansen

* Professor an der University of California, Berkeley.

Fußnoten: 1 Eyal Press und Jennifer Washburn, „The Kept University“, The Atlantic Monthly, Boston, März 2000. 2 „Proposition 13“ war eine von dem Steueranwalt Howard Jarvis initiierte Volksabstimmung, die 1978 über eine Senkung des Steuersatzes in Kalifornien um 30 Prozent befinden sollte. Der erfolgreiche Wahlausgang löste eine Welle von Steuersenkungen auch in anderen US-Staaten aus. Die Initiative gilt als Vorspiel zu Reagans Steuersenkungspolitik Anfang der Achtzigerjahre. 3 James Engell und Anthony Dangerfield, „The Market-Model University: Humanities in the Age of Money“, Harvard Review, Mai/Juni 1998. 4 David Weatherall, „Academia and industry: increasingly uneasy bedfellows“, Lancet (London), 6. Mai 2000. 5 Robert B. Reich, „The Future of Success“, New York (Alfred A. Knopf) 2001. 6 Am 3. Mai 1973 erklärte der damalige Kulturminister Maurice Druont, Mitglied der Académie Française, dass diejenigen, die mit der Almosenschale in der einen und einem Molotowcocktail in der anderen Hand Subventionen verlangen, sich für das eine oder andere würden entscheiden müssen. 7 David L. Kirp, „The New U“, The Nation, New York, 17. April 2000. 8 The New York Times, 18. September 1999. 9 Marcia Angell, „Science on Trial: The Clash of Medical Evidence and the Law in the Breast Implant Case“, New York (W.W. Norton) 1997; Ross Gelbspan, „The Heat Is On: The Climate Crisis, the Cover-up, the Prescription“, Los Angeles (Perseus Press) 1998. 10 Vgl. Loïc Wacquant, „Privater Strafvollzug“, Le Monde diplomatique, Juli 1998. 11 New England Journal of Medicine, Boston, 24. Februar 2000, 22. Juni 2000, 13. Juli 2000.

Le Monde diplomatique vom 16.03.2001, von IBRAHIM WARDE