16.03.2001

Alan Greenspan und die vierzig Werte

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Alan Greenspan und die vierzig Werte

DER Präsident der amerikanischen Zentralbank Alan Greenspan gefällt sich in der Rolle der Sphinx. Das mag zum einen an seinem Naturell liegen, zum anderen aber bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Der „Mann, der die Märkte zum Beben bringt“, gibt sich alle Mühe, die Spuren zu verwischen, während die Finanzwelt unausgesetzt seine Gedanken auszuloten versucht. Selbst seine Äußerungen im privaten Rahmen gelten als rätselhaft, weil er „diese unklare, nuschelnde Ausdrucksweise an sich hat und ein ausgesprochen vorsichtiger Mensch ist“1 .

Dabei hat ihn die Ökonomenzunft lange Zeit mit Verachtung gestraft. Seinen Doktortitel hat er nur mühsam, verspätet und mit Hilfe von Sonderregelungen erworben: Die Doktorarbeit war ihm erlassen und der Titel aufgrund verschiedener Artikel und Texte, die nicht öffentlich zugänglich waren, zuerkannt worden. 1974 hatte ihm Präsident Richard Nixon, nur ein paar Wochen vor seinem Rücktritt, den Vorsitz in seinem Wirtschaftsberaterkomitee angeboten. In dieser Funktion, die er auch während der Amtszeit von Gerald Ford (1974-1977) innehatte, war er mit der ersten großen Rezession in den USA nach dem Krieg konfrontiert und erarbeitete zahlreiche Pläne gegen die so genannte Stagflation – die allesamt zum Scheitern verurteilt waren.

Zehn Jahre dauerte sein Marsch durch die Wüste. Am Ende hat er sich wohl gelohnt, obgleich er immer wieder für heftige Kontroversen sorgte. So waren etwa die Vorhersagen des Kabinetts Townsend/Greenspan hauptsächlich für ihre Fehleinschätzungen berühmt. Und Greenspan hat für so manchen zweifelhaften Kantonisten Bürgschaften übernommen und dann in barer Münze dafür geradestehen müssen, unter anderem für Charles Keating und sein Sparkassenprojekt, dessen Pleite die amerikanischen Steuerzahler mehrere Milliarden Dollar gekostet hat.2 Greenspan wurde 1987 von Ronald Reagan zum Präsident der amerikanischen Zentralbank berufen und hat dieses Amt bis heute inne.

Wer dahinterkommen möchte, wo seine eigentlichen Überzeugungen liegen, wird sich wahrscheinlich die Zähne ausbeißen. Knapp 15 Jahre lang war er ein glühender Verehrer von Ayn Rand, der Gründerin des so genannten Objektivismus, die in ihren Romanen und „philosophischen“ Essays den Beweis für die moralische Überlegenheit eines entfesselten Kapitalismus zu erbringen versucht. Und dabei ist Alan Greenspan ein durchaus pragmatischer und anpassungsfähiger Mensch. Gemeinhin als moderater Republikaner wahrgenommen, hat er im Bereich der Geldpolitik gelegentlich ganz unrepublikanische wirtschaftspolitische Zielrichtungen verfolgt. Von Präsident Nixon nominiert, dem wir den Ausspruch: „Wir sind alle Keynesianer“ verdanken, hat er in der Folgezeit mit der Angebotspolitik geliebäugelt und sich dann vor allem für die Auswirkungen der „New Economy“ auf Produktivität und wirtschaftliches Gleichgewicht interessiert.

OBWOHL er ein echter Zahlenfetischist ist, verlässt er sich bei weit reichenden Entscheidungen doch auf seinen Instinkt. Und er versteht es, so sehr er auch als eiserner, unnachgiebiger Verhandler gilt, so lange zu schmeicheln, bis er schließlich bekommt, was er will. Mit der Administration von Bush senior hatte es der Republikaner Greenspan schwer, weil Bush überzeugt war, dass ihn die gebremste Wirtschaftsentwicklung der Jahre 1990-92 seine Wiederwahl gekostet hat. Zu wirklichem Ruhm gelangte Greenspan in der Clinton-Ära. 1993 hat er es geschafft, dem jungen Präsidenten seine ambitionierten Sozialprogramme auszureden und ihn dazu zu bringen, der Reduzierung des Haushaltsdefizits die oberste Priorität einzuräumen. Damals äußerte Clinton den berühmt gewordenen Satz: „Die Zukunft meines Programmes hängt von der Zentralbank ab. Und von dem elenden Schuldenmarkt.“

Erst der Wirtschafts- und Aktienboom der Neunzigerjahre macht den Mythos Greenspan erklärbar. Er gilt allgemein als der Wächter der Finanzorthodoxie, der das „Urteil des Marktes“ vollstreckt. In Wahrheit aber hat der amerikanische Zentralbankchef bei massiven Interventionen entscheidend mitgewirkt, wie etwa bei denen zur Rettung des amerikanischen Bankensystems 1990/91, zur Stabilisierung der mexikanischen (1994) und asiatischen (1997) Finanzmärkte und 1998, als der New Yorker LTCM-Fonds nur knapp dem Bankrott entging – allesamt Maßnahmen, die der offiziell ausgegebenen Devise diametral entgegenstehen. Aber die Börsenmakler mussten eben vor ihren eigenen Irrtümern bewahrt werden – ebenso wie „der Markt“ vor dem katastrophalen Zusammenbruch.

IBRAHIM WARDE

Fußnoten: 1 Bob Woodward, „Maestro: Greenspan’s Fed and the American Boom“, New York (Simon & Schuster) 2000, 270 Seiten. 2 Justin Martin, „Greenspan: The Man Behind Money“, Cambridge, Mass. (Perseus Publishing) 2000, 284 Seiten.

Le Monde diplomatique vom 16.03.2001, von IBRAHIM WARDE