Die Armee stärken, die Demokratie schwächen
Von MARIANO AGUIRRE *
Im Juli vergangenen Jahres flogen einige Dutzend US-Militärberater nach Nigeria und Ghana, um herauszufinden, welche Mittel und Maßnahmen für die Streitkräfte dieser Länder erforderlich sind, und um die Ausbildung von Truppeneinheiten vorzubereiten, die bei friedenserhaltenden Maßnahmen in der Region zum Einsatz kommen sollen. Nach Auskunft eines Pentagon-Sprechers ging es darum, drei Bataillone in Nigeria und eines in Ghana zu formieren. Die Ausbildung von Kampfeinheiten weiterer Länder werde ins Auge gefasst. Washington verfolgt mit dieser Initiative die Absicht, die regionalen Interventionskapazitäten zu stärken, um die schwierige Situation in Sierra Leone in den Griff zu bekommen. Bis zu 300 Militärberater würden dafür bereitgestellt.1
Am 30. August gab US-Präsident Bill Clinton mit seinem Staatsbesuch in Kolumbien den Startschuss für den Plan Colombia und überreichte der Regierung unter Andrés Pastrana den ersten Teil der auf insgesamt 1,3 Milliarden Dollar bezifferten Militärhilfe, die theoretisch nur für die Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels gedacht ist, praktisch aber wohl auch gegen die verschiedenen Guerillaorganisationen – die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc), die Nationale Befreiungsarmee (ELN) und die Volksbefreiungsarmee (EPL) – Verwendung finden dürfte. Zahlreiche kolumbianische und ausländische Experten sowie Nichtregierungsorganisationen sind der Auffassung, der US-Plan werde den schwelenden Krieg anheizen, die Verhandlungen mit der Guerillas blockieren und den regulären Streitkräften wie den paramilitärischen Milizen freie Hand lassen.2
Einige Tage vor seiner Stippvisite in Kolumbien hatte Clinton eine Unterredung mit dem nigerianischen Staats- und Regierungschef Olusegun Obasanjo, der seit anderthalb Jahren versucht, die staatliche Integrität seines Landes zu wahren. Ethnische Konflikte, weitverzweigte Korruption und die Probleme im Zusammenhang mit der forcierten Ölförderung drohen das Land zu spalten. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die gravierenden Umweltschäden im fruchtbaren Sumpfgebiet des Nigerdeltas, aus dem die Ölmultis jeden Tag zwei Millionen Barrel exportieren, wird von der Armee mit Repressalien beantwortet.
Für Washington hat die Unterstützung Nigerias schon deshalb Priorität, weil das bevölkerungsreiche Land acht Prozent der amerikanischen Erdöleinfuhren liefert und zu den wenigen Ländern der Region gehört, die über eine strukturierte Streitmacht verfügen. Die Demokratische Republik Kongo – im Kalten Krieg, als das Land noch Zaire hieß, ein Verbündeter der Vereinigten Staaten und Frankreichs – steckt seit Jahren in Kriegswirren und hat sich neben Sierra Leone und Liberia zu einem wichtigen Faktor der Instabilität entwickelt. Das Land gehört inzwischen zu den Hauptzentren des illegalen Waffen- und Diamantenhandels. Die Vereinten Nationen und Südafrika setzen den Sohn und Nachfolger des im Januar ermordeten Staatspräsidenten Kabila unter Druck: Er soll die Stationierung internationaler Friedenstruppen akzeptieren, um eine Situation in den Griff zu bekommen, über die Kinshasa die Kontrolle bereits verloren hat.
Samuel Berger, ehemaliger Clinton-Berater für Fragen der innereren Sicherheit, erklärte: „Wenn es Nigeria gelingt, sich zu stabilisieren, ist der Weg frei für einen Frieden in der ganzen Region. Sollte das Land damit scheitern, wird diese in Instabilität und Elend versinken.“3 Clinton jedenfalls sagte bei seinem Besuch in Lagos nicht nur Unterstützung zu, sondern legte Präsident Obasanjo auch eine Erhöhung der Ölförderung nahe, die den Rohölpreis drosseln und somit ein Gegengewicht zu den Forderungen der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) schaffen würde. Darüber hinaus forderte Clinton erhöhte Sicherheitsvorkehrungen für die Ölausfuhr und für die ortsansässigen US-Unternehmen. Auch im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel verlangte Clinton deutlichere Anstrengungen. Nigeria hat sich in den letzten Jahren zum Drogenumschlagplatz zwischen Afrika, Lateinamerika, Nordamerika und Europa entwickelt.
Von diesen Forderungen einmal abgesehen, schlug Washington der Regierung in Laos vor, Nigeria solle in der Region weiterhin eine militärische Führungsrolle wahrnehmen. Den USA, aber auch Europa wäre es sehr recht, wenn die Interventionen in den zahlreichen Krisen südlich der Sahara in Zukunft eher von Südafrika und den anderen Verbündeten in der Region durchgeführt würden. Seit dem Tod von achtzehn US-Soldaten in Somalia 1993 leiden die Vereinigten Staaten unter dem, was im Pentagon als „Mogadischu-Syndrom“ bezeichnet wird.
Nach der Intervention in Somalia erließ Clinton 1994 die „Presidential Decision Directive no 25“, die die Beteiligung der US-Streitkräfte an UN-Missionen beschränkt und die Verantwortung für ein eventuelles Scheitern solcher Missionen auf die Vereinten Nationen abwälzt. Im Juni 2000 begannen im Kongress die Beratungen über den „American Servicemembers’ Protection Act“4 , der die Mitwirkung amerikanischer Truppen an UN-Einsätzen verbieten will, sofern den US-Streitkräften bei eventuellen Verfahren vor dem künftigen Internationalen Strafgerichtshof nicht von vornherein Immunität zugesichert wird. Die Vereinigten Staaten ratifizierten die Schaffung dieser Einrichtung erst kurz vor Clintons Abschied aus dem Weißen Haus im Januar 2001.
Nach den Erfahrungen in Vietnam und im Kosovo wird immer deutlicher, dass „die Vereinigten Staaten an humanitären Einsätzen und Interventionen zum Schutz der Menschenrechte nur noch unter der Voraussetzung eines minimalen Risikos für ihre Soldaten teilnehmen werden. Mit Blick auf die künftige US-amerikanische Strategie stellt sich die Frage, ob zukünfig überhaupt noch US-Bürger bei Kämpfen von Bodentruppen zum Einsatz kommen werden. Die neue amerikanische Kriegskonzeption sichert den Luftstreitkräften, die aus großer Höhe als Präzisionsspezialisten operieren, eine Schlüsselrolle. Die Marine liefert weiterhin Abschussrampen für Raketen und Operationsplattformen für Kampfflugzeuge, während die Marineinfanterie für Brückenköpfe und die Evakuierung in Gefahr befindlicher US-Bürger vorgesehen ist.“5 Daraus ergeben sich zwei Hauptstoßrichtungen: Auf der einen Seite werden die US-Streitkräfte aus großer Distanz und mit hoch spezialisierter Technologie ihre Interventionsschläge platzieren, während auf der anderen Seite die Bodeneinsätze von (amerikanisch kontrollierten) lokalen Truppenverbänden durchgeführt werden.
Im Laufe der letzten zehn Jahre haben die nigerianischen Streitkräfte im Auftrag der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) immer wieder in Liberia und in Sierra Leone eingegriffen, und immer wieder wurden ihnen Korruption und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Ziel ist nun, dass Nigeria diese Interventionen fortsetzt, aber professioneller zu Werke geht. Dies entspricht nicht nur der Politik von UN-Generalsekretär Kofi Annan, sondern auch den Visionen der EU-Länder, insbesondere Frankreichs und Großbritanniens, die die „Sicherheitszone“ in den schwachen Staaten festigen wollen. Dieselben Vorstellungen verfolgt die Weltbank, deren Überlegungen um die Begriffe Regierbarkeit, Abbau der Armut, nachhaltiges Wachstum und Reform der Sicherheitszone kreisen.
Die Friedenstruppen sind kaum Herr der Lage
DIE Europäische Union, vor allem Frankreich und Großbritannien, setzen sich seit der Ruanda-Krise 1994 für die Schaffung und Ausbildung afrikanischer Interventionstruppen ein. Im Mai 1997 unterzeichneten Washington, Paris und London ein Abkommen über die Stärkung der militärischen Einsatzbereitschaft der afrikanischen Länder südlich der Sahara. Anschließend fanden gemeinsame Manöver statt, an denen sich Frankreich, Togo, Benin, Burkina Faso, Tschad, die Elfeinbeinküste, Ghana, Niger und Nigeria beteiligten. In einer neueren Studie heißt es hierzu: „Das Projekt einer ,Stärkung der afrikanischen Möglichkeiten zur Friedenssicherung‘ (Recamp) hat inzwischen Form angenommen. Diese jederzeit abrufbereiten Interventionstruppen werden vornehmlich in Afrika zum Einsatz kommen, könnten aber auch in anderen Ländern intervenieren.“ Der Völkermord in Ruanda 1994 weise darauf hin, dass nur „wenige afrikanische oder nichtafrikanische Staaten bereit sind, in einem so instabilen und gefährlichen Szenario die Führungsrolle bei friedenserhaltenden Maßnahmen zu übernehmen“6 .
Ob in Sierra Leone oder im Libanon, ob im Kongo, in Burundi oder im Kosovo, die Präsenz von Friedenstruppen wird mit jedem Tag dringender, doch fehlt es an Einsatzkräften. Nach Angaben von UN-Generalsekretär Annan wären allein in Sierra Leone 20 500 Mann vonnöten, das Doppelte der derzeit stationierten UN-Kräfte.
Für manche Staaten erweisen sich solche Aufgaben als rentables Geschäft: Sie steigern die internationale Reputation und ermöglichen es, die eigenen Truppen angemessen zu besolden. Doch die indischen und jordanischen Soldaten sind nicht darauf vorbereitet, Aufgaben wie die Kontrolle der kriminellen Guerillas in Sierra Leone zu übernehmen, zumal ihnen der Sicherheitsrat ein äußerst eingeschränktes Mandat übertragen hat.
Angesichts der schwachen oder inexistenten demokratischen Strukturen in vielen Ländern könnten sich diese Militärhilfeprojekte als äußerst gefährlich erweisen. Die vom Westen bewaffneten und unterstützten Streitkräfte könnten sich zum einzigen Akteur der Staatsgewalt herauskristallisieren und die innenpolitischen wie regionalen Verhältnisse durch einen Militarismus neuen Typs überformen. Überdies bestünde die Gefahr, dass die betreffenden Länder bei Friedensmissionen vor allem ihre eigenen Hegemonialinteressen verfolgen, anstatt sich an der Verteidigung allgemeiner Werte zu orientieren. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, wäre es notwendig, die schwachen regionalen Institutionen wie etwa die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) oder die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im Rahmen der UNO zu stärken.
Doch die Vereinigten Staaten und die Europäische Union konzentrieren sich nur auf die regionalen Führungen und auf die Nato. Hier liegt auch das zentrale politische Problem: „Die Antwort auf das festgefahrene System der Vereinten Nationen kann nicht darin bestehen, sich auf eine mächtigere Nato zu verlassen, die ohne UN-Mandat handelt [...], sondern darin, die UN-Mandate und UN-Einsätze so umzustrukturieren, dass sich die Nato auf regionale Organisationen stützen kann, um friedenserhaltende Operationen bei klarer, unparteiischer und der Situation angemessener Aufgabenverteilung unter ihrem Mandat zum Erfolg zu führen.“7
Washington erörterte 1999 mit verschiedenen lateinamerikanischen Regierungen die Frage einer interamerikanischen Einsatztruppe für Kolumbien, falls die Regierung in Bogotá mit den Guerrilla-Organisationen nicht fertig werden sollte. Lateinamerika lehnte dankend ab. Interventionismus stößt hier auf wenig Gegenliebe. Gleichwohl betrachten die Vereinigten Staaten Kolumbien weiterhin als strategisch wichtigen Brennpunkt. 934 Millionen Dollar wurden bereits überwiesen, um die Streitkräfte im Kampf gegen die Guerillas und den Drogenanbau und -handel zu unterstützen. Anstatt das Risiko einzugehen, eigene Truppen zu schicken, entsandten sie staatliche Berater und Spezialisten aus der privaten Sicherheitsindustrie, stellten militärische und technologische Hilfe zur Verfügung und verlangten dafür als Gegenleistung keinerlei Zusagen, was die Achtung der Menschenrechte anbelangt. Rechtsverstöße und Willkür sind beim Einsatz der Sicherheitskräfte daher an der Tagesordnung, und die paramilitärischen Milizen – die man verschämt in „Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ umtaufte, um die Erinnerung an diverse „Connections“ auszulöschen – erledigen die schmutzige Arbeit mit einer Grausamkeit, die jedes Vorstellungsvermögen übersteigt.
Dass es in diesem Deal in Wahrheit hauptsächlich ums Erdöl geht, steht außer Zweifel. Kolumbien ist der siebtwichtigste Erdöllieferant der Vereinigten Staaten, und den US-Strategen ist es allemal lieber, wenn die USA in Sachen Öl auf Afrika und Lateinamerika angewiesen sind anstatt auf den instabilen Nahen Osten.8
Die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber krisengeschüttelten Ländern, die über regionalen Einfluss verfügen, basiert auf der Forderung nach billigem Öl, Öffnung der Märkte und Maßnahmen gegen die Korruption. Als Gegenleistung versprechen die USA im Verein mit der Weltbank größere politische Stabilität und erhöhen die Militärhilfe. Auf der Strecke bleibt die Bekämpfung der Armut und die Stärkung demokratischer Strukturen. Das anempfohlene Wirtschaftsmodell führt in der Verbindung mit einer Verschärfung der Gewaltmittel zum Zusammenbruch der Zivilgesellschaft und unterminiert den Demokratisierungsprozess. Dieser explosiven Formel sollte die Europäische Union eine klare Absage erteilen.
dt. Bodo Schulze
* Leiter des Centro de Investigaciones para la Paz in Madrid und Forscher am Transnational Institute in Amsterdam.