Im Senegal hilft der Süden dem Süden
Von ROLAND-PIERRE PARINGAUX *
Vom Deich eines Reisfelds aus beobachten zwei Vietnamesen, die den grünen Helm der vietnamesischen Armee tragen, eine Gruppe von Frauen, die unter glühender Sonne mit großer Sorgfalt Reisschößlinge in die Erde einsetzen. Ein vertrautes Bild – wenn man einmal davon absieht, dass die Szene sich tausende Kilometer entfernt von den Deltas des Mekong und des Roten Flusses abspielt.
Wir befinden uns bei einem Pilotprojekt für bewässerten Reisanbau im Senegal, die Anbaufläche beträgt 18 Hektar und liegt im äußersten Norden des Landes, im Dorf Dado am Ufer des Flusses Senegal. Hier hat man mit vietnamesischem Know-how, entsprechendem Saatgut und neu erworbenen Kenntnissen der Wasserregulierung den Ertrag innerhalb von zwei Jahren nahezu verdoppelt: Erzielte man bislang auf den dörflichen Parzellen vier bis fünf Tonnen pro Hektar, so sind es auf den Reisfeldern des Pilotprojekts sieben bis acht. Die Spitzenerträge liegen gar bei neun Tonnen.1 Da das Dorf mit seinen 600 Einwohnern zweimal im Jahr erntet und über 95 Hektar potenzielles Anbaugebiet verfügt, scheint hier der Wohlstand in greifbare Nähe zu rücken.
Einige hundert Kilometer entfernt, in der Region Fatik, liegt das Dorf N’Diémou, in einem Talkessel, der vier Monate im Jahr von Brackwasser überflutet ist und das bei weitem größte Anbaugebiet für Sumpfreis im Senegal bildet. Dort arbeiten zwei vietnamesische Experten mit den Dorfbewohnern, aufgeteilt in drei Gruppen (Männer, Frauen und Jugendliche), an der Einrichtung von einfachen Wasserbecken. Insgesamt geht es um die Bewässerung von fünf Hektar Bodenfläche, die von Kanälen und Deichen durchzogen ist.
Die Ausbildung ist einfach, die Techniken sind elementar. Man lernt das Wasser zu regulieren, das richtige Saatgut unter Dutzenden Sorten auszuwählen und zu lagern; des Weiteren, wie man die Aussaat effektiver gestalten und in den gefluteten Becken eine gelungene Kombination von Reisanbau und Fischzucht bewerkstelligen kann – eine ganze Palette unverzichtbarer und kostengünstiger Techniken, von denen die Dorfbewohner noch vor zwei Jahren keine Ahnung hatten. Und das, obwohl es im Senegal schon seit Jahrzehnten massive Entwicklungshilfe gibt! Die kollektiv realisierten Projekte – Deiche, Kanäle und Schleusentore – sind unaufwendig und billig, und sie kommen ohne hoch entwickelte Technik aus. Kein Vergleich jedenfalls mit den 5 Millionen CFA-Francs (17 000 Mark), die ein Privatunternehmen für das Ausheben eines einfachen Kanals mit dem Schaufelbagger verlangte.
Das Ergebnis: 1999 erntete N’Diémou 25 Tonnen Rohreis, das bedeutete 5 Tonnen pro Hektar. Ein absoluter Rekord! „Früher schafften wir in guten Jahren 700 bis 800 Kilo pro Hektar“, sagt Hassan, der Vorsitzende des Dorfverbands. „Heute sind wir fast autark.“ Zur Lagerung der Ernte hat das Dorf Silos aus Zinkblech angeschafft, Ergebnis einer Kooperation mit bolivianischen Experten. Die Speicher werden in einheimischer Fertigung hergestellt und kosten je nach Fassungsvermögen zwischen 300 und 600 Francs (100 bis 200 Mark). Der Vorsitzende ist zuversichtlich. Die Dorfbewohner, sagt er, haben die Unterweisung durch die Vietnamesen sehr gut angenommen. Sie denken nun sogar daran, etwa zehn Hektar zusätzlich zu bepflanzen und einen Teil der Produktion zu verkaufen. Im Augenblick jedenfalls will die Bevölkerung von N’Diémou auf keinen Fall, dass die Experten aus Hanoi wieder abziehen. Und das ist durchaus nicht nur in diesem Dorf so.
Die Präsenz von Vietnamesen in senegalesischen Dörfern dokumentiert beispielhaft die Möglichkeiten einer Kooperation zwischen Ländern des Südens, wie sie von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) im Rahmen ihres Sonderprogramms für Ernährungssicherheit (SPFS) empfohlen und gefördert wird. Dieses 1994 gestartete Programm räumt den „800 Millionen Bewohnern der Entwicklungsländer, [die] nicht über ausreichend Nahrungsmittel verfügen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen“, absolute Priorität ein. Es ist für einkommensschwache Länder mit starkem Ernährungsdefizit bestimmt und will die Bedürfnisse der Bevölkerungen mit Hilfe einer umweltverträglichen Agrarentwicklung und einer Verbesserung der Nahrungsmittelkulturen befriedigen; technisch angemessen und ökonomisch lebensfähig sollen sie sein. Das Sonderprogramm legt besonderen Wert auf eine maßgerechte Kooperation: kleine, kostengünstige Projekte, einfache Techniken und Förderung der dörflichen Ökonomie.
Bescheidene, aber konstruktive Ansätze
DER Senegal war eines der ersten Länder, die vom SPFS und seiner Süd-Süd-Komponente profitierten, einer Form der Zusammenarbeit, die heute in etwa 40 Ländern praktiziert wird, darunter in 23 afrikanischen. Denn der Senegal war, wenn man so sagen kann, ein idealer Kandidat: Nicht nur weil FAO-Generaldirektor Jacques Diouf, Agrarökonom und ehemaliger Minister, selbst Senegalese ist, sondern auch weil ein Drittel der Bevölkerung – das heißt 2,5 Millionen Menschen – unterhalb der Armutsgrenze leben und der Senegal jedes Jahr drei Viertel seines Reisbedarfs – mehr als 500 000 Tonnen – importiert, obwohl das Land seit Jahren autark sein müsste.
Jahrzehntelang war es der Staat, der die Grundzüge einer stark subventionierten Agrarpolitik definierte und dabei ganz auf kostspielige infrastrukturelle Investitionen und auf hydrotechnische Agrarprojekte im Flusstal des Senegal und in der Casamance setzte. Eine Strategie, die nicht nur scheiterte, sondern auch Ungerechtigkeit zur Folge hatte. „Der bewässerte Sektor des Senegal-Tales und der Casamance“, erklärt Makane Guissé, einer der SPFS-Koordinatoren im Senegal, „hat bis zu 80 Prozent der Kredite für den Reisanbau verschlungen, dabei repräsentiert er nur knapp 16 Prozent der Bevölkerung. Aber die erwarteten Resultate hat er nie erbracht. Gleichzeitig wurde der Regensektor vernachlässigt, der doch den Großteil der Bevölkerung und der Agrarproduktion ausmacht.“
Angesichts der wiederholten Misserfolge der Agrarpolitik ist es in den letzten Jahren vordringlich geworden, die Prioritäten umzukehren, zumal die Strukturanpassungsforderungen von Weltbank und anderen Kreditgebern dem Agrarsektor 1994 drakonische Liberalisierungsmaßnahmen aufzwangen. Die Zeiten der ruinösen Projekte und der „weißen Elefanten“ – jener aufwendigen und häufig undurchführbaren Vorhaben, die von oben diktiert werden – sind vorbei. Andere Kriterien haben jetzt Vorrang: ein minimalistischer Ansatz, preiswerte Anbauflächen und bezahlbare Experten.
„Wir wissen aus Erfahrung, dass das, was von oben kommt, nur selten bis nach unten gelangt, und wenn, so ist es dem Niveau und den Bedürfnissen der Dörfer auf jeden Fall nicht oder nicht ausreichend angemessen“, sagt der FAO-Direktor. Aus seiner Sicht „geht es in der Süd-Süd-Kooperation vor allem darum, mit möglichst wenig Kostenaufwand die Richtung der Prozesse umzukehren. Die Basis muss die Entscheidungen auf höheren Ebenen beeinflussen und auch in anderen Bereichen Folgereaktionen auslösen.“
Doch die kostspieligen eingefahrenen Gleise sind schwer zu verlassen. In dieser Frage äußert sich Jacques Diouf sehr bestimmt. „Auf der ganzen Welt“, sagt er, „ist die Struktur der Projekte so beschaffen, dass 10 bis 20 Prozent der Gelder regelmäßig in Studien fließen. Und nicht selten kommt es vor, dass in einem einzelnen Land Dutzende von Projekten laufen, die jeweils mehrere Millionen Dollar kosten. Aber das Ergebnis sehen wir ja: Es funktioniert nicht. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die Bevölkerungen noch immer für die Fehler der Vergangenheit zahlen müssen. Der Senegal zum Beispiel importiert nach wie vor jedes Jahr 500 000 Tonnen Reis, obwohl ungeheure Summen in zahlreiche Projekte geflossen sind. Ich jedenfalls“, fährt er fort, „weigere mich, das wenige Geld, über das unsere Organisation verfügt, in Gutachten und teure Projekte zu stecken.“ Als Beispiel zitiert er jene – „wer weiß wie vielte“ – acht Millionen Dollar teure Studie über die senegalesische Landwirtschaft und bemerkt ironisch: „In unserem Programm kostet ein Hühnerstall 15 Dollar.“
Ebenso sieht Diouf das Problem der Personalkosten. Ein Experte aus dem Süden, erklärt er, erhält im Rahmen des SPFS etwa 600 Dollar monatlich, während ein internationaler – meistens westlicher – Fachmann 15 000 bis 30 000 Dollar kostet. „Und für diesen Preis, Reisekosten nicht gerechnet, bleibt dieser Experte kaum mehr als einige Tage vor Ort und schläft jede Nacht in einem Hotel mit Klimaanlage. Die Vietnamesen dagegen leben zwei volle Jahre lang in den senegalesischen Dörfern.“
1997, nach der Unterzeichnung eines Dreierabkommens zwischen Vietnam, dem Senegal und der FAO, kamen etwa vierzig vietnamesische Experten nach Senegal, um im Rahmen eines SPFS-Pilotprojekts zu arbeiten, in das etwa sechzig bäuerliche Gemeinschaften in der unteren Casamance und im Flusstal des Senegal eingebunden sind. Vorrangiges Ziel ist die Steigerung der Erträge und der Produktivität im Reisanbau. Darüber hinaus haben die Entwicklungshelfer aus Hanoi diverse unspektakuläre, aber wirkungsvolle Projekte zur Verbesserung des Lebensstandards und zur Erhöhung der Autarkie der ländlichen Haushalte ins Leben gerufen. Dass sie bei ihrer Ankunft kein Französisch sprechen, ist nicht so wichtig: „Die Techniken lassen sich sehr gut durch Gesten und durch eigenes Vorführen verständlich machen“, betont Nguyen Duc Thao, Leiter der vietnamesischen Delegation in Thiès.
So hat in Bandia, in der Region M’Bour, Dang Van Thang einen bankrotten Imkereibetrieb mit Hilfe einer Gruppe von Frauen wieder ins Geschäft gebracht. 1998 produzierten sie 230 Kilo Honig, 1999 eine ganze Tonne. Hatte der ehemalige Besitzer, ein Europäer, einmal im Jahr geerntet, so werden jetzt vier Honigernten eingebracht. Die Frauen loben die „einfachen Techniken“ und die „Pädagogik“ des vietnamesischen Entwicklungshelfers. Auf dem Markt bringt ihr Eukalyptushonig, der in der Herstellung 1 000 CFA-Francs pro Kilo kostet, zwischen 3 500 und 4 000 CFA-Francs. In Kayar, an der Atlantikküste, hat ein Team von Frauen unter Anleitung eines Experten ein typisch vietnamesisches Projekt begonnen, die Herstellung von Fischsoße. Das Verfahren ist einfach, und in einem Land, in dem die tägliche Nahrung, wie in Vietnam, aus Reis und Fisch besteht, kann man damit viel Geld machen.
In Diambo Soubal, am Ufer des Senegal, hat ein vietnamesischer Fischereiberater zwei Boote aus Zinkblech anfertigen lassen, die eine wesentlich längere Lebensdauer haben als die traditionellen Holzpirogen. Damit die Fischer die Hände frei haben und Arbeiten, zu denen normalerweise zwei Mann nötig sind, allein bewältigen können, hat er ihnen die vietnamesische Art des Ruderns beigebracht – mit dem Fuß. So fangen sie täglich fünf bis zwanzig Kilo Fisch. Ganz in der Nähe, in Guia, macht ein anderer Berater die Dorfbewohner mit den Geheimnissen der Enten- und Fischzucht vertraut. In einem weiteren Projekt unterweist ein Experte neun Familien im Gemüseanbau.
Diese Experten, deren Zahl innerhalb von zwei Jahren von 40 auf über 100 gestiegen ist, werden überall geschätzt. „Wir leben wie die senegalesischen Bauern“, meint Nguyen Dinh Hiep, Gartenbauingenieur aus Hanoi. Jeder der Entwicklungshelfer hat Anspruch auf ein Motorrad und einen Ventilator, nicht aber auf eine Klimaanlage, auch wenn sich manche über die Hitze beklagen. Die senegalesischen Bauern, die sie frühmorgens kommen und erst bei Anbruch der Nacht wieder weggehen sehen, machen aus ihrer Bewunderung keinen Hehl.
Die Ergebnisse sind überzeugend. Die Erträge, die man – nach einer zweijährigen Pilotphase, bei der verschiedene Reispflanzen aus Vietnam getestet wurden – im Flusstal des Senegal erzielt, sprechen für sich. Auf den Pilot-Reisfeldern des bewässerten Sektors wurde die Produktion von 1997 bis 1998 um 70 Prozent gesteigert, mit einem Durchschnitt von sieben Tonnen pro Hektar, im Regensektor um 190 Prozent, mit sechs Tonnen pro Hektar. Dasselbe gilt für die Bienenzucht, den Gemüseanbau und alle anderen Bereiche.2 Bestärkt durch diesen Erfolg dürfte der Senegal in den kommenden Jahren die Ausbauphase des SPSF-Programms in Angriff nehmen und einen nationalen Aktionsplan für das gesamte Staatsgebiet entwickeln.
Erfolge und Hindernisse auf dem Weg zur Autarkie
FREILICH, zahlreiche Ungewissheiten und Einschränkungen bleiben. Werden die Senegalesen nach dem Abzug der Vietnamesen die Energie und die erforderlichen Mittel aufbringen, um diese Tätigkeiten weiterzuführen, ihre eigenen Experten auszubilden und die Entwicklungsdynamik zu erhalten? Werden sich die Bauernorganisationen stärker in ihrer angestammten Rolle als Produzenten engagieren? Vor allem aber: Werden der Staat und seine technischen Dienste sich mit dem – schwachen – Part abfinden, der ihnen noch bleibt, nachdem sie den Großteil ihrer Vorrechte und Verantwortlichkeiten an ebendiese Bauernorganisationen und den Privatsektor abgetreten haben?
In Dado ist, wie wir sahen, das Potenzial groß, und die Autarkie scheint greifbar nahe. Doch zur Erschließung der neu bewässerten Anbauflächen fehlt es immer noch an kollektiven Einrichtungen und Infrastrukturen, für die der Staat zuständig bleibt. „Es geht nicht weiter, weil das Geld fehlt. Der Staat hat seit 1995 nichts mehr unternommen“, konstatiert Abdou Sall verbittert, ein Agrarökonom, der zur Beratung der Bauernorganisationen von Podor abgestellt wurde. In Fatik fürchtet man den Mangel an Versorgung mit Material und Kapital durch die Behörden ebenso wie das Ausbleiben des Regens.
„Die Bauernorganisationen“, erklärt Makane Guissé, „haben vom Staat Einrichtungen übernommen, die sie nicht angefordert hatten und deren Funktionieren sie ohne Hilfe nicht gewährleisten können.“ Der Privatsektor, der ebenfalls an die Stelle der staatlichen Institutionen treten müsste, ist nicht stark und nicht interessiert genug, um die Erschließung zehntausender Hektar bewässerter Anbauflächen zu übernehmen. Deshalb lassen die positiven Ergebnisse auf sich warten: Die Produktion stagniert nach wie vor. Nach den Angaben eines Abschlussberichts vom Juni 1999 über die Durchführung des Programms zur Strukturanpassung des Agrarsektors (PASA) ist die Reisproduktion seit Einführung der Reformen sogar erheblich zurückgegangen, vor allem im Flusstal des Senegal. Insgesamt, so das Resümee dieses Dokuments, „hat die Liberalisierung keine nachhaltige Wirkung auf das Angebot an Agrarprodukten gezeitigt, da die begleitenden Maßnahmen, mit denen die bäuerlichen Betriebe entwickelt und das Umfeld des Produzenten (Kommerzialisierung, Kredit) verbessert werden sollen, noch ausbleiben. Letztlich bestehen die Zwänge fort, die die Steigerung der Agrarproduktion trotz der Liberalisierung des Sektors behindern.“ Berücksichtigt man zudem, dass die große Mehrheit der Landwirte auf den Regen angewiesen ist, um zu überleben, so versteht man, warum der Senegal und andere Länder des Südens den Notprogrammen in Form des SPFS und der Süd-Süd-Kooperation eine so große Bedeutung beimessen.
dt. Mathias Wolf
* Journalist