12.04.2001

Rumäniens trügerische Hoffnungen

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Rumäniens trügerische Hoffnungen

Von EDITH LHOMEL *

Dass die Partei der Sozialen Demokratie in Rumänien (PDSR) unter Führung von Ion Iliescu aus den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende letzten Jahres als Siegerin hervorging, kam nicht unerwartet. Das Ergebnis war vielmehr die Quittung für die konservativ-demokratische Parteienallianz des „Demokratischen Konvents“ (CDR), die das Land vier Jahre erfolglos regiert hatte.1 Für allgemeine Überraschung und Beunruhigung sorgte allerdings das Abschneiden der neofaschistischen Großrumänien-Partei Romania Mare (PRM) unter Corneliu Vadim Tudor, die mit ihren dezidiert ausländerfeindlichen, antisemitischen und nationalistischen Aussagen im ersten Wahlgang auf den zweiten Platz kam.

Die Minderheitsregierung unter Adrian Nastase verfügt auch drei Monate nach ihrem Amtsantritt nur über eine relative Mehrheit im Parlament.2 Und doch hat diese Regierung, so dramatisch die soziale Situation im Lande auch aussehen mag, gewisse Handlungsspielräume.

Rumäniens Verhältnis zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank war nie ungetrübt, obgleich die letzten drei CDR-Regierungen stets großes Verhandlungsgeschick an den Tag gelegt haben. Bukarest strebt gegenwärtig einen neuen „Stand-by“-Vertrag für zehn oder zwölf Monate an, nachdem der letzte unter der Regierung Isarescu wegen des „zu langsamen Privatisierungsprozesses“ auf Eis gelegt worden ist. Die neue Mehrheit möchte nun den zaghaften wirtschaftlichen Aufschwung, den noch die Vorgängerregierung angestoßen hat (1,5 Prozent Wachstum nach drei Jahren Rezession), ausnützen, um das Haushaltsdefizit auf 5 und die Inflation auf 20 Prozent (gegenüber mehr als 40 Prozent im Jahr 2000) zu begrenzen.

Von der Ernennung des ehemaligen rumänischen Weltbank-Vertreters Nicolae Tanasescu zum Finanzminister darf sich die neue rumänische Regierung wohl die Unterstützung durch die internationalen Institutionen erhoffen, die erleichtert sind, dass die Zeit der Missverständnisse und irreführenden Verlautbarungen hinter ihnen liegt. Zwar könnten die Verhandlungen härter werden als mit den Vorgängerregierungen, doch die US-amerikanischen Unterhändler werden sich kaum allzu unnachgiebig zeigen, sind doch die „Sozialdemokraten“ die einzige politische Kraft, die den Extremismus der Romania Mare in die Schranken weisen kann.

Der Erfolg der Emission von rumänischen Obligationen auf dem internationalen Finanzmarkt am 16. Januar 2001 illustriert, wie gering in diesen Kreisen das Misstrauen gegenüber dem „Comeback der Exkommunisten“ ist. Bukarest hofft dadurch bis Jahresende eine Summe von mindestens 800 Millionen Euro aufzubringen. Die Weltbank hat Kredite in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar für einen Zeitraum von vier Jahren zugesichert – unter der Bedingung, dass das bereits angelaufene Programm zur Privatisierung von Großunternehmen nicht wieder in Frage gestellt wird.

Politischer Druck von außen entsteht außerdem durch die – in Brüssel zurückhaltend aufgenommenen – Beitrittsbestrebungen der Regierung Nastase zur EU. Im Januar 2001 waren erst 6 der 31 Kapitel des „acquis communautaire“ abgeschlossen, den Rumänien wie die übrigen neun Beitrittskandidaten zu übernehmen hat. Das „Nationale Programm zum Beitritt Rumäniens in die Europäische Union“ bedeutet für die Wirtschaftspolitik eine schwere Belastung. Denn Rumänien muss es bis zum Jahr 2003 schaffen, dieses Programm umzusetzen, und dabei gleichzeitig das makroökonomische finanzielle und monetäre Gleichgewicht bewahren.

Die neue Führungsspitze reagiert auf diesen Druck mit heftiger Kritik an den „Forderungen“ der EU – was womöglich auf die Rollenverteilung zwischen Präsident und Regierung verweist: Während der Präsident die nationalen Empfindlichkeiten artikuliert, kann die Regierung die Reformen vorantreiben.

Die alte Koalition war so zerstritten, dass sie sich die im Dezember 1999 vom Europäischen Rat in Helsinki getroffene Entscheidung überhaupt nicht zunutze machen konnte. In Helsinki hatte die EU beschlossen, bereits im Februar 2000 mit den ursprünglich auf eine „zweite Runde“ vertagten Beitrittsverhandlungen mit Rumänien zu beginnen – eine Art Belohnung für die wohlwollende Einstellung der rumänischen Regierung zu den Nato-Luftangriffen gegen Serbien. Bei der Mehrheit der Bevölkerung und der damaligen Oppositionspartei PDSR hatte diese Haltung scharfe Kritik ausgelöst.

Sollte Rumänien tatsächlich in absehbarer Zukunft der EU beitreten, dann würde sich die Aussicht auf eine Befreiung der Rumänen von der Visumspflicht (ähnlich wie bei ihren bulgarischen Nachbarn) auch positiv auf das Ansehen der Regierung auswirken. Auch was das Wirtschaftswachstum betrifft, könnte die Regierung womöglich einige bescheidene Früchte ihrer Vorgänger ernten. Mittlerweile sind die rumänischen „Sozialdemokraten“ für die internationale Gemeinschaft ebenso salonfähig geworden wie ihre reformwilligen polnischen Amtskollegen. Ihnen kommt überdies zugute, dass es inzwischen einen Stabilitätspakt für Südosteuropa gibt. Ohne weiterhin auf die Aufnahme in die Nato zu drängen, hat Bukarest mittlerweile eine umfassende außenpolitische Offensive begonnen. In dieser Hinsicht hatte das alte Regierungsbündnis durch seine westeuropäisch-atlantische Fixierung und sein tiefes Misstrauen gegen die östlichen Nachbarn seinen diplomatischen Spielraum selbst eingeschränkt. Rumänien will den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Jahre 2001 nutzen, um die großen Fragen, angefangen mit dem Tschetschenienkonflikt, lösen zu helfen.

Der Erfolg der Neofaschisten – ein Alarmsignal

DIE Verhandlungen der Fünfzehn über die Sicherung der Grenze zu Moldawien und die Einführung der Visumspflicht für die „moldawischen Brüder“ werden wohl auf einigen Widerwillen stoßen. In Brüssel müsste man allerdings so vernünftig sein, sich in diesem Punkt nicht allzu unnachgiebig zu zeigen. Der Wahlerfolg von Romania Mare sollte der internationalen Gemeinschaft eine Warnung sein: Wenn sie bei all ihrer Unterstützung die lokalen Gegebenheiten nicht ausreichend einkalkuliert, kann das verheerende Folgen haben. Innenpolitisch verfügt die neue Führung über einen relativ großen Handlungsspielraum, obwohl die politischen Kräfteverhältnisse zwischen der Linken, der extremen Rechten und den Liberaldemokraten noch im Fluss sind. Dass Romania Mare 84 Abgeordnete und 37 Senatoren stellt3 , kann natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Andererseits führt der Opportunismus Vadim Tudors – wie bereits seine für viele unliebsame Präsenz – auch dazu, dass Romania Mare schon wieder Anhänger verliert.

Der harte Kern dieser xenophoben, gegen Juden, Ungarn und Roma hetzenden Großrumänien-Partei besteht aus ehemaligen Mitgliedern der Securitate, was übrigens auch für die PDSR gilt. Tudor und seiner Partei ist es gelungen, sowohl das Wohlwollen der Medien als auch die Oberflächlichkeit und Widersprüchlichkeit seiner Rivalen zu nutzen. Aber sie profitierten auch von der tiefen sozialen Unzufriedenheit, dem wachsenden Misstrauen gegenüber der politischen Klasse und dem diffusen Ressentiment gegenüber einem schulmeisterlich auftretenden Westen.4 Auf einem gefährlich fruchtbaren Boden, zu dem auch fünfundvierzig Jahre Staatskommunismus das Ihre beigetragen haben, hatte ein Vadim Tudor – nach zehn schmerzhaften Jahren des sozialen Wandels – relativ leichtes Spiel.

Die Verantwortung der so genannten demokratischen Opposition liegt auf der Hand. Angeführt von einer Gruppe, der es vor allem darum ging, mit der Vergangenheit abzurechnen, gehandicapt durch einen Mangel an kompetenten Führungspersönlichkeiten und ausgehöhlt durch klientelistische, die bestehende Korruption verstärkende Praktiken, hat die nunmehrige CDR ausgespielt. Jetzt versuchen die Demokraten unter Petre Roman, die Liberalen um Quintus Ionescu, aber auch die national orientierte Bauernpartei, die nicht mehr im Parlament vertreten ist, ihre Kräfte neu zu sammeln. Das wird ihnen allerdings die neue Regierungspartei PDSR nicht leicht machen. Die hat von der Opposition in nächster Zeit ohnehin nicht viel zu befürchten, zumal sie sich auf ein im Januar abgeschlossenes Stillhalteabkommen (für ein Jahr) verlassen kann. Sie dürfte also in der Lage sein, sich als einigende Kraft und Anführerin eines wenn auch nicht sehr klar konturierten sozialdemokratischen Umfelds zu profilieren.

Doch auch die PDSR blieb nicht von Stimmenverlusten verschont, was schon in der niedrigen Wahlbeteiligung deutlich wird. Die allgemeine Vertrauenskrise gegenüber einer korrupten und ineffizienten politischen Klasse ist umso beunruhigender, als sie die Gefahr birgt, dass die Desillusionierung über die demokratischen Werte allgemein weiter zunimmt. Die PDSR hatte den guten Riecher, in ihrem Wahl- und späteren Regierungsprogramm stärker auf das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit zu setzen als auf die Sehnsucht nach Demokratie.

Da die Bevölkerung nicht bereit ist, weitere Opfer zu bringen, muss die PDSR vor allem auf ihren örtlich schon immer kräftig verankerten und teilweise verjüngten Parteiapparat setzen. Wird diese heterogene politische Kraft in der Lage sein, die ihr durch demokratische Wahlen verliehene Legitimität auch wirklich auszufüllen? Diese Frage stellt sich vor allem hinsichtlich der Hinterlassenschaften der kommunistischen Vergangenheit – und zwar sowohl in den industriellen Strukturen als auch in den Köpfen der Menschen.

Einige Wähler haben sich, als sie in der Stichwahl für Ion Iliescu gestimmt haben, „um der Diktatur einen Riegel vorzuschieben“, äußerst schwer getan. Das gilt vor allem für die Bukarester Intelligenz. Müsste nicht gerade in diesen, von der allgemeinen Bevölkerung abgehobenen Kreisen ein gewisser politischer Realismus Platz greifen? Wie will der Parteiapparat der PDSR, mit allen inneren Spannungen und Konflikten, den Interessen einer äußerst unbeständigen Wählerschaft gerecht werden, die in zwei große Lager zerfällt: auf der einen Seite die Anhänger der viel beschworenen Rückkehr zu den sozialen Errungenschaften der Vergangenheit, auf der anderen die Befürworter von (immer noch schmerzhaften) sozialen Reformen?

Wieder einmal haben die Bewohner der ländlichen Regionen im Südosten der Walachei und der Moldauregion weitgehend den Politiker unterstützt, der in ihren Augen für die Rückgabe ihres Grund und Bodens gekämpft hat (zum Teil allerdings auch für die Wahrung der Interessen der ehemaligen staatlichen Landwirtschaftsbetriebe). Dabei hatte die durch Ion Iliescu im Februar 1991 eingeleitete Agrarreform die rumänische Landwirtschaft nicht vor einer dramatischen Produktionskrise bewahrt, sondern diese vielmehr in eine rückwärts gewandte Logik der schlichten Selbstversorgung hineingesteuert. Die Leute von der PDSR sind geübt, mit gespaltener Zunge zu sprechen, und sie wissen, dass sie gegenüber dem Ausland ihre Entschlossenheit zu Reformen beweisen müssen, dass sie aber gleichzeitig die großteils verzweifelte Arbeiterschaft nicht noch mehr belasten können. Die PDSR hat vor allem in Arbeiterhochburgen wie den Bergbaugebieten Stimmen an Romania Mare abgeben müssen.

Dieses unvermeidliche Spannungsverhältnis ist vermutlich die Ursache für die heimliche Opposition zwischen dem Präsidenten und seinem Premierminister. Das wird sich möglicherweise auch auf die Regierung auswirken, in der „nur“ 6 (von 26) Minister schon früheren Regierungen zwischen 1990 und 1996 angehörten. Offenbar legt die neue Regierung großen Wert auf die Fortsetzung des gegenwärtig ungetrübten Verhältnisses zur Demokratischen Union der Ungarischen Minderheit (UDMR), der einzigen Partei, die über eine stabile Wählerbasis verfügt. Die Tatsache, dass das Gesetz zur lokalen Verwaltung, das drei Jahre auf Eis gelegen hatte und von Romania Mare scharf aufs Korn genommen wurde, jetzt zügig und einvernehmlich verabschiedet wurde, könnte allerdings für einen radikalen Wandel in der Haltung der PDSR sprechen. Denn immerhin wurde der Inhalt dieses Gesetzes entscheidend durch die ungarische Minderheit geprägt, die in den Jahren 1996-2000 an der Regierung beteiligt war.

Freilich bleibt der „Tudor-Effekt“ weiterhin ein Anlass zur Sorge, denn keine der sozialen Ursachen, die ihm zum politischen Durchbruch verholfen haben, wird über Nacht zu beseitigen sein. Es ist daher zu begrüßen, dass zumindest „die ungarische Frage“ für Rumänien kein Pulverfass mehr darstellt. Doch droht die allgemeine soziale Enttäuschung sich in einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber einem anderen Sündenbock zu artikulieren: der Minderheit der Roma. Die EU übt auf alle Beitrittskandidaten – mit mehr oder weniger Erfolg – Druck aus, gezielte Programme zur wirtschaftlichen Integration der Roma in Angriff zu nehmen. Die Haltung der rumänischen Regierung gegenüber dieser Minderheit (ca. eine Million Menschen) wird womöglich der nächste Prüfstein für ihre tatsächliche Bereitschaft, den Weg in Richtung Demokratie fortzusetzen.

dt. Andrea Marenzeller

* Forscherin am Centre d’études et de documentation sur la Communauté des Etats indépendants et l’Europe de l’Est, La Documentation française, Paris.

Fußnoten: 1 Diese Koalition bestand aus der Christdemokratischen Nationalen Bauernpartei (PNTCD) und der Nationalliberalen Partei (PNL), im Bündnis mit Petre Romans Demokratischer Partei (PD) und der Magyarischen Demokratischen Union in Rumänien (UDMR) welche die ungarische Minderheit vertritt. 2 Sie stellt sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus jeweils etwa 37 Prozent der Sitze (im Senat 65 von 140 und im Abgeordnetenhaus 155 von 327 Sitzen). 3 Siehe dazu Antoine Roger, „Les partis antisystème dans la Roumanie post-communiste“, Revue d’études comparatives Est-Ouest, Bd. 31, Nr. 2, Juni 2000. 4 Obwohl laut Eurobarometer vom November 2000 von allen Beitrittsländern die EU-Aufnahme in Rumänien am stärksten befürwortet wird (71,9 Prozent).

Le Monde diplomatique vom 12.04.2001, von EDITH LHOMEL