Krieg der Plünderer, Krieg der Verlierer
Von COLETTE BRAECKMAN *
Die Umstände, unter denen Laurent-Désiré Kabila am 16. Januar 2001 in Kinshasa ums Leben kam, konnten bislang nicht bis in all ihre mysteriösen Facetten aufgeklärt werden. Höchstwahrscheinlich fiel der kongolesische Präsident, der von einem Angehörigen seiner Leibgarde namens Rachidi erschossen wurde, einer von langer Hand geplanten Konspiration zum Opfer. In dem Fall war die Verzweiflungstat des Attentäters – ein Kindersoldat, der schon in Kivu an der Seite des ehemaligen Rebellen gekämpft hatte und sich für seine Dienste nicht gebührend entlohnt fühlte – in Wirklichkeit nur das Instrument eines viel weiter gehenden Planes: Über Monate galt Kabila als der Mann, der das Friedensabkommen von Lusaka (Sambia) blockierte. Doch dass Afrikas „Erster Weltkrieg“ (Madeleine Albright) inzwischen zum Stillstand gekommen ist, hat gleichwohl andere Gründe.
Der Text des Friedensabkommens vom 10. Juli 1999 ging von der Hypothese eines Bürgerkriegs aus und setzte sich damit über die Souveränität des Kongo hinweg. Dass man von falschen Voraussetzungen ausging, zeigt schon der Zeitplan: Er sieht vor, dass nach Herstellung der Waffenruhe die so genannten „negativen Kräfte“ entwaffnet werden, also die bewaffneten Gruppen, die die Sicherheit der Krieg führenden Länder bedrohen (gemeint sind im Wesentlichen die völkermordenden ruandischen Milizen); als nächsten Schritt die Eröffnung eines innerkongolesischen Dialogs, aus dem eine neue institutionelle Ordnung hervorgehen soll; und zum Schluss – im Rahmen der Verteidigungsabkommen der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SADC) – den Abzug sämtlicher ausländischen Truppen, das heißt der „Aggressionstruppen“ Ruandas und Ugandas bzw. der Streitkräfte Simbabwes, Angolas und Namibias, die das Regime in Kinshasa unterstützen.
Die Architekten des Lusaka-Abkommens, zu denen unter anderen der US-Diplomat Howard Wolpe gehörte, betrachteten das kongolesische Regime demnach lediglich als eine von mehreren Gruppierungen, die eine Aufteilung der Macht zwischen gleichberechtigten Partnern aushandeln sollen. Zu diesen Gruppierungen gehören auch drei Rebellenbewegungen: die von Ruanda unterstützte Kongolesische Sammlung für Demokratie (RCD)1 , die Kongolesische Sammlung für Demokratie – Befreiungsbewegung (RCD-ML), die sich mit der von Uganda unterstützten Kongolesischen Befreiungsbewegung (MLC) zusammengeschlossen hat, sowie die Mobutisten. Weiter sieht das Abkommen vor, die Beobachter der Vereinten Nationen sowie eventuelle Interventionskräfte an der Frontlinie, das heißt mitten im Lande zu stationieren, womit man riskierte, die Teilung des Landes auf Dauer festzuklopfen. Die Alternative wäre gewesen, diese Kräfte an den Grenzen zu stationieren, um den Abzug der ausländischen Truppen zu überwachen und mögliche Einfälle bewaffneter Gruppen nach Ruanda und Uganda zu unterbinden.
Laurent-Désiré Kabila war praktisch gezwungen, dieses Arrangement zu unterzeichnen, da die ruandische Armee Mbuji-Mayi zu erobern drohte, die Hauptstadt der Provinz Kasai mit ihren reichen Diamantvorkommen, welche die wichtigste Wirtschaftsressource des Landes darstellen. Ab diesem Zeitpunkt versuchte Kabila mit allen Tricks, die für ihn ungünstigen Bestimmungen des Abkommens zu umgehen. So lehnte er den ehemaligen Präsidenten von Botswana, Ketimule Masire, den er für parteilich erklärte, als Unterhändler ab und hintertrieb den Einsatz der UN-Mission, indem er versuchte, in Libreville (Gabun) separate Treffen mit Vertretern der – vorwiegend mobutistischen – Exilopposition zu organisieren. Auch lehnte er die freie Ausübung politischer Aktivitäten ab, indem er eine ihm ergebene konstituierende Nationalversammlung durchzusetzen versuchte und die Gründung so genannter Volksmachtkomitees betrieb, mit deren Hilfe er die Bevölkerung gängeln und mobilisieren wollte.
Ungeachtet aller Kritik an Kabilas autoritärem Herrschaftsstil muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass sich kurz vor seiner Ermordung das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten entwickelt hatte.
Die durch interne Spaltungen zerrütteten und durch Desertionen zahlenmäßig geschwächten Rebellenbewegungen erschienen immer mehr als Organisationen, die von ihren ruandischen und ugandischen Beschützern manipuliert werden (trotz der relativen Autonomie des MLC in der Äquatorzone), und immer weniger als Repräsentanten echter Volksbewegungen. Darüber hinaus trugen drei andere Ereignisse dazu bei, die weltweite öffentliche Meinung ins Wanken zu bringen: erstens die militärischen Auseinandersetzungen um Kisangani, in denen die von Kigali bzw. von Kampala kontrollierten Truppen versuchten, die Kontrolle über die Stadt und ihre Diamantenkontore zu behaupten; zweitens die Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Massaker und Stammesfehden; und drittens die Plünderung kongolesischer Bodenschätze in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten. In mehreren Resolutionen des Weltsicherheitsrats wurde – entgegen dem im Lusaka-Abkommen vorgesehenen Zeitplan – der Abzug sämtlicher ausländischer Truppen angeordnet und die Wiederherstellung der staatlichen Autorität des Kongo auf dem gesamten Territorium gefordert.
Der junge Kabila hat das Wohlwollen des Westens
JOSEPH KABILA, Adoptivsohn und Nachfolger des verstorbenen Präsidenten, war gut beraten, als er sich unmittelbar nach seiner Ernennung am 17. Januar 2001 zu Konzessionen in allen Streitpunkten bereit erklärte. So verpflichtete er sich, die Bestimmungen des Lusaka-Abkommens umzusetzen, ein größeres Spektrum politischer Kräfte zuzulassen und unverzüglich einen politischen Dialog zwischen allen Kongolesen einzuleiten. Im Gegenzug forderte er die ausländischen Truppen auf, das Land zu verlassen, und verlangte die Respektierung der territorialen und politischen Integrität des Kongo.
Dass er sogleich zu Gesprächen nach Washington, Paris und Brüssel eingeladen wurde, verdankte er freilich in erster Linie seinen wirtschaftspolitischen Maßnahmen: Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, des Diamantenhandels und der Wechselkurse, freier Devisenverkehr und freier Umlauf des kongolesischen Franc. Schließlich erklärte er sich bereit, die Frage der Schürfrechte und der Investitionen binnen kürzester Frist gesetzlich neu zu regeln. Während sein Vater im Zuge des ersten Befreiungskriegs 1997 die Verträge mit US-amerikanischen Bergbauunternehmen aufgekündigt und den Kongo mit Rezepten zu sanieren versucht hatte, die noch aus dem Arsenal der ehemaligen kommunistischen Länder stammten, hat Joseph Kabila einen Neuanfang gewagt und das Land für die freie Marktwirtschaft geöffnet.
Damit errang der junge Präsident einerseits das Wohlwollen der westlichen Länder, die ihm sofort ihre Unterstützung zusagten. Andererseits kann die Bevölkerung des Kongo, ausgelaugt von Krieg wie von dem Embargo, das faktisch seit 1992 über das Land verhängt ist (also seit dem Bruch zwischen dem Mobutu-Regime und seinen Kreditgebern), endlich auf die Wiederaufnahme der internationalen Hilfe und neue Investitionen hoffen, aber ebenso auf das Ende einer absurden Wirtschaftspolitik.2
Auch wenn Kabila junior den Patriotismus seines Vaters nicht verraten hat, so hat er vielleicht mit seinem konzilianten Ton und seiner neuen Wirtschaftspolitik den Krieg führenden Parteien und der internationalen Gemeinschaft die lang ersehnte Chance eröffnet, sich ohne Gesichtsverlust aus dem Morast herauszuarbeiten. Denn der Krieg, den fünf ausländische Staaten und ein Dutzend bewaffneter Gruppen auf dem Territorium der Demokratischen Republik Kongo austragen, bedeutet für alle Beteiligten längst ein Fiasko.
1997 hatte die Allianz Demokratischer Kräfte zur Befreiung des Kongo (AFDL) nach sieben Monaten Krieg Kinshasa erobert und ihren Sprecher Laurent-Désiré Kabila an die Macht gebracht, und zwar mit diplomatischer Unterstützung durch die USA, aber auch durch Angola und Simbabwe. Doch dieser Sieg, den viele schon als Triumph der „afrikanischen Renaissance“ feierten, war eine zwiespältige Sache. Er kaschierte einen potenziellen Konflikt zwischen den Interessen der Bevölkerung und den Ambitionen der Länder, die die AFDL gegründet bzw. unterstützt hatten, und zwar um wirtschaftlicher und politischer Vorteile willen.
So hatte Ruanda dem neuen kongolesischen Präsidenten militärische Berater gestellt, und mehrere Minister Kabilas waren direkt in Kigali rechenschaftspflichtig. Der ugandische Präsident Yoweri Museveni wiederum träumte von einer Straße oder sogar einer Eisenbahnlinie, die Kampala mit Kisangani verbinden und damit Zentralafrika für die asiatischen Geschäftsleute öffnen würde, die Uganda als einen Brückenkopf betrachten. Harare war seinerseits auf dem besten Wege, Schürfverträge mit Kinshasa abzuschließen und den Markt mit Grundbedarfsgütern zu beliefern – als Ausgleich dafür, dass Südafrika den Simbabwern den mosambikanischen Markt „weggeschnappt“ hatte.
Die „Pflicht zur Undankbarkeit“, die Präsident Kabila gegenüber seinen ehemaligen Verbündeten an den Tag legte, machte diese Hoffnungen zunichte: Er stellte die Schürfverträge in Frage, entließ seine ruandischen Berater und kritisierte die Forstkonzessionen, von denen die Ugander im Nordosten des Landes profitierten. Der Ausbruch des zweiten Kongokriegs im August 1998 war in erster Linie der Versuch, den ehemaligen Buschkämpfer, der inzwischen als unkontrollierbar galt, durch eine Regierungsmannschaft zu ersetzen, die enger mit Kigali und Kampala zusammenarbeitet. Ruanda und Uganda hofften, sich durch die Ausbeutung der ungeheuren Reichtümer ihres Nachbarlandes zu sanieren, und beanspruchten unter Berufung auf ihre Sicherheitsbedürfnisse das Recht, mit ihren Truppen auf kongolesischem Staatsgebiet zu operieren. Doch die von den USA gebilligte, wenn auch nicht finanzierte Operation, die man sich als Blitzkrieg vorgestellt hatte, verlief im Sande, als Angola und Simbabwe gegen das Eingreifen dieser unter dem Deckmantel der Rebellenbewegung RCD operierenden Truppen Einspruch erhoben.
Seitdem sind die Kriegshandlungen abgeflaut, und alle beteiligten Parteien haben viel mehr als nur ihren ursprünglichen Einsatz verloren. Die Rebellen, die bei der Bevölkerung sehr unbeliebt sind – zumal diese den zweiten Krieg ablehnt –, haben sich in drei rivalisierende Bewegungen aufgespalten (RCD, RCD-ML und MLC). Zudem büßten die heute konkurrierenden, wenn auch nicht verfeindeten Staatschefs von Ruanda und Uganda, Paul Kagame und Yoweri Museveni, ihr Prestige als „neue Führer“ ein und wurden vom Weltsicherheitsrat aufgefordert, ihre Truppen vom kongolesischen Staatsgebiet abzuziehen.
Hinter den Begründungen, welche die Beteiligten ursprünglich zur Rechtfertigung dieses Kriegs angeführt haben, wird heute das eigentliche Motiv deutlich, um das es allenthalben geht: die schamlose Ausbeutung der Reichtümer des Kongo. In Kivu, im Osten des Landes, hat zum Beispiel die Somigl (Société minière des Grands Lacs) ein Monopol auf die Gewinnung von Colombo-Tantalit (Coltan), ein wertvolles Mineral, das für Legierungen bei der Herstellung von Flugzeugen, Handys oder Mikroprozessoren unentbehrlich ist. Die Somigl exportiert das Mineral nach Ruanda und von dort über drei Gesellschaften – Africom, Promeco und Cogecom (belgisch, ruandisch bzw. südafrikanisch) – nach Europa und in die USA. An der Grenze zwischen Kivu und Ruanda sind sämtliche Zollschranken gefallen, was sich für die Bevölkerung wie eine faktische Annexion darstellt. Auf diese Weise gelangen die Reichtümer des Kongo in das Nachbarland und finanzieren dort den Militäretat. Aber diese Einnahmen haben auch dazu beigetragen, dass sich in Kigali eine neue politisch-militärische Klasse herausbilden konnte, die sich durch Korruption auszeichnet. Dieses neue Regime ist inzwischen aber unter den Tutsi wie in monarchistischen Kreisen gleichermaßen umstritten.
In Kampala bestritt der Hauptkonkurrent von Staatschef Museveni, Oberst Kissa Besigye, seine Kampagne für die Präsidentschaftswahlen3 mit der Verurteilung des Kongokriegs. Wo die ugandische Armee auf kongolesischem Gebiet die Macht ausübt, protegiert sie ganz unverhohlen die Einkaufskontore für Gold und Diamanten, organisiert den Import ugandischer Konsumgüter und exportiert kongolesische Bodenschätze wie Gold, Diamanten, Zinn, Kaffee, Edelhölzer und sogar Erdöl, das vor kurzem im Semlikital entdeckt wurde. Die wichtigsten Protagonisten der ständigen Ausbeutung kongolesischer Reichtümer sind General Salim Saleh und Brigadier Kazini. Die ugandischen Kräfte werden außerdem bezichtigt, Zwietracht zwischen kongolesischen Stämmen zu schüren und insgeheim die blutigen Zusammenstöße zwischen Hemas und Lendus in der Umgebung von Bunia gefördert zu haben, die hunderte Menschen das Leben kosteten.
Der Krieg im Kongo hat Uganda nicht nur moralisch diskreditiert und innenpolitisch zu einem Machtverschleiß und zu inneren Konflikten beigetragen, er hat inzwischen auch einen Graben zwischen Kampala und seinen westlichen Kreditgebern aufgerissen, die das Land bis vor kurzem noch gerne als „afrikanische Erfolgsgeschichte“ dargestellt hatten.
Die Interessen der Nachbarn
IM Übrigen hat sich die Unsicherheit in Kivu, die als Rechtfertigung für den zweiten Kongokrieg gedient hat, nur noch verstärkt: Die kongolesischen Banyamulenge-Tutsi, auf deren Verteidigung sich Kigali ursprünglich berufen hat, sind heute auf ihren Hochplateaus umzingelt. Und die von ihren Eliten unterstützte Bewegung namens Front Républicain Fédéraliste (FRF) schreibt Ruanda und dem RCD ganz offen die Schuld an den Streitigkeiten mit ihren kongolesischen Nachbarn zu. In der gesamten Region Kivu werden immer wieder Pfarrgemeinden und Gesundheitszentren überfallen und es herrscht allgemeine Unsicherheit.
Während Kigali die Zusammenarbeit der „negativen Kräfte“ (die Interhahamwe) mit den kongolesischen Widerstandstruppen Mayi Mayi verurteilt, behaupten zahlreiche kongolesische Quellen, dass die ruandische Armee gefangene Hutu nach Kivu einschleuse. Und zwar mit dem Auftrag, die Unsicherheit bewusst zu schüren, um ihre anhaltende Präsenz in einer Region zu rechtfertigen, die für Ruanda immer als demografisches und ökonomisches Ventil fungierte.
Selbst wenn die UNO den Abzug der ausländischen Truppen überwacht und sich an der Front zwischen die Parteien schiebt, bleibt die Lage in Kivu explosiv. Schließlich dient die Region auch als Operationsbasis für die burundischen Hutu, die im Februar 2001 ihre Angriffe auf die Hauptstadt Bujumbura intensiviert haben: Offenbar spielt sich in dieser Subregion heute ein „Krieg im Kriege“ ab, mit dem zunächst Burundi4 und später vielleicht auch Ruanda destabilisiert werden sollen.
Auch für Simbabwe und Angola, die Verbündeten des verstorbenen Präsidenten Kabila, hat sich der Krieg im Kongo als negativ erwiesen, trotz aller unmittelbaren wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Vorteile, die beide Länder zunächst daraus ziehen konnten. So hat das Engagement Robert Mugabes aufseiten der Demokratischen Republik Kongo den Niedergang seines eigenen Regimes beschleunigt, nachdem die Opposition dieses Thema zum Hauptargument in ihrer Wahlkampagne gemacht hatte.
Simbabwe hatte im Kongo auch kommerzielle Interessen. Präsident Mugabe hatte 200 Millionen Dollar zur Finanzierung des ersten Kriegs investiert und sich im zweiten engagiert, um die Integrität des Landes zu verteidigen und seinen alten Freund Kabila zu unterstützen, aber auch um seine Investitionen zu schützen. Seitdem ist die simbabwische Armee als militärischer wie als Wirtschaftsfaktor im Kongo präsent: Die Zimbabwe Defense Force (ZDF) hat zahlreiche Verträge über ihre Firma Zidco abgeschlossen, deren Schlüsselfiguren zwei enge Freunde Mugabes sind: Emmerson Mnangagwa, ehemaliger Justizminister und Schatzmeister der Partei Zanu-PF, sowie General Vitalis Zvinavashe, Inhaber eines Transportunternehmens. Für Simbabwe hat sich dieses Engagement kräftig ausgezahlt, und zwar in Form militärischer Lieferverträge (unter anderem über chinesische Waffen), einer Konzession über eine halbe Million Hektar Land in Katanga für die Rural Development Authority und in Form von Stromlieferungen über die Grenze.
Am offensichtlichsten – und umstrittensten – war jedoch die Rolle Simbabwes im Bergbausektor. So hat Kabila im September 1998 Billy Rautenbach, dem Chef von Wheels of Africa, die Leitung des Unternehmens Gecamines und die Nutzung mehrerer bedeutender Konzessionen übertragen5 . Auch über das Unternehmen Osleg (Operation Sovereign Legitimacy) ist Simbabwe an der Ausbeutung der Diamantvorkommen von Mbuji Mayi beteiligt.
Von solchen Geschäftsbeteiligungen dürften zwar manche Bonzen des Regimes profitiert haben, doch dem Land selbst brachten sie überhaupt keinen Nutzen. Die internationalen Finanzinstitutionen haben Simbabwe mit Verweis auf den Krieg im Kongo mit Sanktionen belegt und etwa einen Kredit von 240 Millionen Dollar eingefroren. Das Regime steckt heute in einer schweren Krise.
Lediglich Angola als wichtigste Militärmacht der Region hat sein Engagement im Demokratischen Kongo relativ unbeschadet überstanden, ohne dass es allerdings gelungen wäre, die Nationalunion für die völlige Unabhängigkeit Angolas (Unita) definitiv zu neutralisieren. Vorrangiges Interesse der Machthaber von Luanda bleibt die Sicherheit des Landes, denn auch die Erfolge, die man in jüngster Zeit gegen Jonas Savimbi errang, sind noch keineswegs irreversibel.
Eine Niederlage ist der Krieg im Demokratischen Kongo auch für die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die sich trotz vielfältiger diplomatischer Aktivitäten auf multilateraler Ebene und trotz der Ernennung des sambischen Präsidenten Frederik Chiluba zum Vermittler unfähig gezeigt hat, einen Ausweg aus Afrikas „Erstem Weltkrieg“ zu finden. Und auch die Vereinten Nationen haben versagt. Das 5 537 Mann starke Blauhelm-Kontingent, das in einem Land von der vierfachen Größe Frankreichs die Waffenruhe überwachen soll, wurde gerade auf 3 000 Mann reduziert.
Diese Unentschlossenheit, die mit der Blockadepolitik des Kongo und fehlenden Geldmitteln, aber auch damit zusammenhängt, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates nicht den nötigen politischen Willen aufbrachten, hat das Ansehen der UNO in der Region nicht gerade aufgebessert. Die Weltorganisation hat noch immer daran zu tragen, dass sie 1994 Ruanda im Stich gelassen hat, aber auch an der Tatsache, dass die Aufrechterhaltung von Flüchtlingslagern ruandischer Hutu in Tansania und vor allem in Kivu die Kriegsfolgen perpetuiert und den Keim für den neuerlichen Konflikt gelegt hat. Dies gilt umso mehr, als sich weder internationale noch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Lage gezeigt haben, die Flüchtlinge im kongolesischen Urwald zu schützen.
Für die Menschen im Kongo stellt dieser Konflikt – dessen Ursachen sie nie verstanden haben – eine echte Tragödie dar. Nach Schätzung des International Rescue Committee, einer amerikanischen NGO, sind im Osten des Landes 1,7 Millionen Bewohner zu Opfern von Kriegsfolgen geworden, wobei 200 000 Tote nachweislich Opfer unmittelbarer Gewalttätigkeiten geworden sind. Bei ihrem Auftritt vor dem Weltsicherheitsrat am 28. November 2000 erläuterte die Koordinatorin der UN-Notprogramme, Caroline McAskie, die Bilanz der Kriegsfolgen: 16 Millionen Kongolesen (das heißt ein Drittel der Gesamtbevölkerung) leiden unter Nahrungsdefiziten, 2 Millionen sind zu Binnenflüchtlingen geworden und 300 000 in Nachbarländer geflohen.
In Kinshasa ist die Bevölkerung aufgrund von Treibstoffmangel und fehlenden öffentlichen Transportmitteln gezwungen, stundenlang durch eine Stadt zu laufen, die von einem Ende zum anderen vierzig Kilometer misst. Die Familien haben sich inzwischen daran gewöhnt, ihre Mahlzeiten abwechselnd einzunehmen – an geraden Tagen die Erwachsenen, an ungeraden die Kinder. Dass die Flüsse – als lebenswichtige Verkehrsadern in einem Land ohne jede Kommunikationswege – für die zivile Schifffahrt gesperrt sind, hat für die Bewohner des Landesinnern dramatische Konsequenzen. In Städten wie Aketi oder Bumba in der Äquatorprovinz verderben die früher für Kinshasa bestimmten Kaffee-, Maniok- und Reisernten vor Ort, oder sie werden nach Uganda gebracht. Zugleich fehlt es der Bevölkerung an Medikamenten, an Kleidung, ja sogar an Salz, das die Händler aus dem über tausend Kilometer entfernten Kisangani besorgen müssen – per Fahrrad durch den tropischen Regenwald. Und über die Mitglieder der verschiedenen bewaffneten Gruppen werden Cholera, Tuberkulose, hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber, Schlafkrankheit und Aids verbreitet.6 Auf dem gesamten Territorium des Kongo grassieren heute wieder alle großen Infektionskrankheiten und dezimieren die Bevölkerung.
Und dennoch begreifen sich die Kongolesen offenbar mehr denn je als Bürger ein und desselben Landes. Überall, im Demokratischen Kongo wie im Ausland, gibt es Konferenzen, Seminare und Begegnungen, die auf Initiative der Kirchen, der Bürgergesellschaft oder ausländischer NGOs stattfinden. Dabei kommt es jedes Mal zu einem intensiven Austausch von Meinungen und Nachrichten, die vom Widerstand der Kongolesen gegen die Besetzung, gegen die Aufspaltung ihres Landes und gegen die Bevormundung durch das Ausland zeugen.
Das ungebrochene Nationalgefühl und die radikale politische Mobilisierung der Bevölkerung sollten Anlass genug sein, den Kongo nicht mehr zu gängeln und nicht mehr über sein Schicksal zu diskutieren, als handele es sich um ein unbewohntes Stück Erde – um „herrenloses Gut“, wie man es zur Zeit Leopolds II. nannte. Ein starker Kongo ist der beste Trumpf für die Stabilität der Region.
dt. Matthias Wolf
* Journalistin bei „Le Soir“ (Brüssel)