12.04.2001

Wasser marsch!

zurück

Wasser marsch!

Von SYLVIE PAQUEROT und EMILIE REVIL *

Bis zum Jahr 2005, möglicherweise auch schon 2003, soll die so genannte gesamtamerikanische Freihandelszone (Free Trade Association of the Americas, FTAA) beschlossen sein, mit der für den gesamten amerikanischen Kontinent ein neues Zeitalter beginnen soll. Das Thema FTAA hat bereits zu heftigen Protesten gegen das vom 20. bis 22. April in Quebec anberaumte Gipfeltreffen geführt. Vor allem im Norden Kanadas wachsen die Befürchtungen, die von den Erfahrungen mit dem 1994 geschlossenen nordamerikanischen Freihandelsabkommen zwischen Kanada, den USA und Mexiko (Nafta) herrühren. Denn es hat ganz den Anschein, als solle nunmehr das Nafta-Abkommen zum Modell für die ökonomische Integration des gesamten Kontinents werden. Die Logik der Verhandlungen wird unter anderem bei einem ganz wichtigen Thema deutlich: beim Wasser. Dieses Element, das für den Fortbestand der Ökosysteme und der menschlichen Spezies von existenzieller Bedeutung ist, droht zur reinen Handelsware degradiert zu werden.

Die großen Konzerne konkurrieren bereits um die kommerzielle Ausbeutung dieses so kostbaren wie knappen Gutes. Sie verstehen sich dabei gerne, gemeinsam mit einigen wenigen Ländern, die in reichlichem Maße über diese Ressource verfügen, als die „Opec des Wassers“. Dabei vergessen sie offenbar, dass es sich beim Wasser um eine für das Leben unabdingbare Ressource handelt. Ganz Nordamerika entwickelt einen großen Durst nach Wasser, und auch in den Massenmedien spielt das Thema eine große Rolle. Schon 1991 wurde im Toronto Globe and Mail prophezeit, dass die Privatisierung des Wassers die Megaindustrie des kommenden Jahrzehnts hervorbringen werde. Und das Wall Street Journal verkündete 1998, dass die internationale Konkurrenz demnächst – nach dem Kampf um Telefon-, Strom- und Gasunternehmen – um die Wasserversorgung entbrennen werde!

Während die kanadische Bevölkerung sich über die Auswirkungen der Handelsabkommen vom Typ Nafta auf die heimischen Wasservorräte zunehmend beunruhigt zeigt, warten die großen Wasserversorgungsunternehmen und Transportfirmen in aller Ruhe den Tag ab, an dem sie den weltweiten Wasserhandel übernehmen werden. Für Erdöl und Holz beispielsweise existiert ein weltweiter Handel schon längst. Die Regierung in Ottawa scheut sich bislang noch, eindeutig Stellung zu beziehen. Einerseits hat sie sich bereit erklärt, die Wasserressourcen vor der Ausbeutung zu schützen – wie es die überwiegende Mehrheit der kanadischen Bürger fordert – andererseits zeigt sie sich entschlossen, die Märkte der beiden Amerikas für kanadische Firmen zu öffnen.

Die amerikanischen Regierungen, die sich bereits den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) unterworfen haben, handeln gegenwärtig den Rahmen einer riesigen Freihandelszone aus, in der die Spielregeln des freien Marktes noch stärker zum Tragen kommen werden. Bereits jetzt zwingt die Nafta ihren Mitgliedsländern wesentlich stärkere Einschränkungen auf als die Welthandelsorganisation WTO: Kapitel 11 der Nafta-Vereinbarungen besagt beispielsweise, dass auch Investoren den bis dato den Staaten vorbehaltenen Status von internationalen Rechtssubjekten besitzen – d. h.: Unternehmen können Regierungen direkt verklagen. Wenn sich also ein ausländischer Konzern ungerecht behandelt fühlt, kann er unter Berufung auf die Gleichstellung mit einheimischen Firmen den Staat um Schadenersatz für entgangene Gewinne belangen. Diese Bestimmung enthält auch das im Rahmen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE) erörterte Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), das 1998 (gewiss nur vorübergehend) auf Eis gelegt wurde.

Das besagte Kapitel 111 ermöglicht eine wirtschaftliche „Absicherung“ des Wasserhandels in mehrfacher Hinsicht. Zunächst einmal können kanadische Behörden, wenn sie beschließen sollten, dass die Entnahme großer Wassermengen, der Wasserexport oder auch die allgemeine Wasserversorgung kanadischen Firmen vorbehalten sein sollen, von Unternehmen der anderen Nafta-Mitgliedstaaten gerichtlich belangt und zu Entschädigungszahlungen verpflichtet werden. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass die in Artikel 20 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt, die Vorgängerorganisation der WTO) vorgesehenen Ausnahmen im Rahmen des Kapitels 11 des Nafta-Abkommens keine Geltung haben, was bedeutet, dass die Nafta für die Gesamtheit der Wasserressourcen auf dem amerikanischen Kontinent zuständig ist, also auch für den Zugang zu den ursprünglichen, natürlichen Wasservorkommen.

Nach Einschätzungen kalifornischer Politiker aus dem Jahr 1998 wird dem Bundesstaat Kalifornien bis 2020 ein Wasservolumen fehlen, das der heute verbrauchten Menge entspricht – es sei denn, bis dahin würden irgendwelche neuen Quellen aufgetan. Um welche „neuen Quellen“ mag es sich da wohl handeln? Hier bietet sich der globale Wasserhandel an, sofern die Nachfrage dem Angebot entspricht! Nun verfügt aber Kanada über mehr als ausreichende Wasservorräte, und früher oder später wird es sie mit seinen Nachbarn „teilen“ müssen. Das jedenfalls bestätigte ein Vertreter der kalifornischen Gesellschaft Sun Belt, die die Regierung in Ottawa verklagt hat2 , weil Sun Belt nicht die erhofften großen Wassermengen nach Kalifornien exportieren konnte, was dem Unternehmen schwere Verluste eingebracht hat.

Das Nafta-Abkommen beinhaltet übrigens auch ein Kapitel über Dienstleistungen, das eine Reihe von Ausnahmeregelungen enthält, zu denen das Wasser jedoch nicht gehört. Wasserversorgung und Kläranlagen unterliegen demnach den Nafta-Richtlinien. Somit gilt, wie in Artikel 1202 genauer ausgeführt, die Klausel über die nationale Behandlung des Wassers, die nach Auffassung mancher Juristen das Recht einschließt, entsprechende Versorgungsleistungen auch über die Landesgrenzen hinaus anzubieten.

Das Prinzip der in den Nafta-Statuten vorgesehenen proportionalen Behandlung – auch hier handelt es sich wiederum um eine einzigartige Regelung – bedeutet, dass die kanadische Regierung, wenn erst einmal Wasser (beispielsweise in die USA) exportiert worden ist, gewisse Einschränkungen der Wasserlieferungen nur dann verfügen kann, wenn sie die entsprechenden Einschränkungen auch für Kanada selbst anordnet. Mit anderen Worten: Sobald Kanada Wasser in einen Mitgliedstaat der Nafta liefert, hat dieser das Recht, den entsprechenden Anteil der kanadischen Wasservorräte praktisch auf ewig zu beanspruchen (Art. 315).

Wenn diese Bestimmungen auf die Freihandelszone der drei Amerikas ausgedehnt werden, würde Kanada wie alle anderen amerikanischen Staaten sogar das Recht einbüßen, sich gegen den Export seiner Wasserressourcen in ein Land zu entscheiden, das, wie etwa die USA, mit denselben verschwenderisch umgeht.

Konkret bedeutet dies, dass die Menschen, ist das Wasser einmal kommerzialisiert worden, nicht mehr „direkt und unmittelbar über diese natürliche Ressource“ verfügen können. Durch die FTAA werden alle Völker Amerikas gesetzlich angehalten, für immer einen übermäßigen Wasserverbrauch festzuschreiben und die Verteilung dieser lebensnotwendigen Ressource nicht nach Prinzipien der Gleichheit oder Gerechtigkeit, sondern nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zu regeln.

Die große Masse der Bevölkerung tritt auf dem gigantischen Wassermarkt überhaupt nicht als Konsumenten in Erscheinung, die irgendeine Marktmacht ausüben könnten, denn sie verbrauchen ohnehin nur die allernötigsten Mengen. Nach der Logik des freien Marktes führt der Druck der Nachfrage auf eine knappe Ressource zu einer Verteuerung, im Fall des Wassers also zu einer Preisspirale. Das Wasser wird für diejenigen, die es in großen Mengen und auch an weit entfernten Orten aufkaufen können, zur ewig sprudelnden Geldquelle. Die Ökosysteme und die Bevölkerung brauchen aber gerade dieses Wasser, und zwar ohne die aufgrund der Kommerzialisierung explodierenden Preise bezahlen zu müssen.

An der lebensnotwendigen Ressource Wasser wird bildhaft deutlich, worum es bei der gegenwärtig in Nord- und Südamerika stattfindenden Diskussion im Grunde geht. Wenn das Leben nicht zur reinen Handelsware verkommen soll, ist es dringend geboten, dass wir die Bedeutung des Gemeinguts, des gemeinsamen Erbes der Menschheit wiederentdecken und diesen Reichtum unter keinen Umständen den Gesetzen des Marktes überlassen. In einer Welt, wo die Knappheit den Preis bestimmt, wo der Wert eines Gutes durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage reguliert wird, ist ein Computer womöglich mehr wert als das Leben selbst. Schließlich ist die „Nachfrage“ der Ökosysteme nach Wasser unerschöpflich, genau so wie die von Millionen Menschen, die alle die „gleiche Würde und die gleichen Rechte“ besitzen, wie es noch vor kaum einem halben Jahrhundert in einer feierlichen Erklärung festgehalten wurde.

„Das Wasser muss von allen internationalen Transaktionen, aus dem Zugriff der Welthandelsorganisation und den Abkommen über internationale Investitionen ausgenommen und seine Verteilung auf globaler Ebene organisiert werden“3 – das wäre ein erster wesentlicher und nicht nur symbolisch weit reichender Schritt. Wie das Wasser, so gilt es das Recht auf Leben vor dem Zugriff rein kommerzieller Transaktionen zu schützen – und zwar die Gesamtheit der gemeinschaftlichen Güter, also Bildung, Gesundheit, Wissen und Information. Mit anderen Worten: alles, was uns erst zu Menschen macht.

dt. Andrea Marenzeller

* Vorsitzende der Association québecoise pour le Contrat mondial de l’eau, bzw. Mitglied der Groupe de recherche d’intéret public der Université de Québec in Montréal (UQAM).

Fußnoten: 1 Die kanadische Regierung denkt gegenwärtig über eine Revision dieses Kapitels nach. Siehe „Canada seeks Nafta Chapter 11 review“, The Globe and Mail, 13. Dezember 2000. 2 Siehe Anthony de Palma, „Nafta’s Long Reach: National Laws Are Overturned“, International Herald Tribune, 13. März 2001. 3 Valérie Peugeot, „L’Eau, patrimoine commun“, Transversales Science Culture, Nr. 54, November/Dezember 1998.

Le Monde diplomatique vom 12.04.2001, von SYLVIE PAQUEROT und EMILIE REVIL