„Operation Condor“ – neue Erkenntnisse über einen schmutzigen Krieg
Von PIERRE ABRAMOVICI *
„Wie andere westliche Länder auch bekämpfen wir Chilenen jegliche Diktatur, ganz gleich welchen Ismus sie sich auf die Fahnen schreibt. Dasselbe gilt für ausländische Agenten, die für unser Land eine Bedrohung darstellen. Gegen sie muss mit allen Mitteln vorgegangen werden. Die stärkste Waffe, über die wir in diesem Zusammenhang verfügen, ist die Zusammenarbeit aller amerikanischen Sicherheitskräfte.“
Bei diesen Worten blickt der als „Señor Castillo vom chilenischen Nachrichtendienst“ eingeführte Sprecher den Zuschauern direkt in die Augen. Der Film heißt „Verbrechen zahlt sich nicht aus“ und wurde während des Zweiten Weltkriegs von Hollywood produziert.1 Damals entstand auf Anregung des FBI eine Reihe patriotischer Kurzfilme unter dem Motto „Für eine gemeinsame Verteidigung“. Sie richteten sich gegen nationalsozialistische Spione in Lateinamerika und sollten einen Einblick in die Zusammenarbeit von Polizei- und Nachrichtendiensten auf kontinentaler Ebene geben.
In dieser Zeit entstanden bestimmte Denkmuster, die auch für die spätere „Operation Condor“ maßgeblich werden sollten. Condor bezeichnete ein groß angelegtes Aufstandsbekämpfungskonzept für den gesamten Kontinent, das von den lateinamerikanischen Diktaturen der Siebziger- und Achtzigerjahre entwickelt wurde. Der Unterschied zu den Vierzigerjahren bestand lediglich in der Farbe des Ismus, der bekämpft werden sollte: Damals war er braun und jetzt eben rot.
Erst die zufällige Entdeckung von zwei Tonnen Aktenmaterial aus der Stroessner-Diktatur hat eine erste Rekonstruktion der kriminellen Machenschaften dieses internationalen Netzwerks ermöglicht. Ende Dezember 1992 wurden sie in einer Polizeistation von Lambaré gefunden, einem Vorort der paraguayischen Hauptstadt Asunción. Auf Grund der Freigabe bis dahin als geheim eingestufter CIA-Dokumente über Chile am 13. November 2000 konnte der Inhalt dieser „Akten des Terrors“ überprüft und präzisiert werden.
Seit der panamerikanischen Konferenz von Chapultepec, die im Februar 1945 in Mexiko stattfand, schwören die USA die südamerikanischen Militärs auf den Kampf gegen den Kommunismus ein. In Chapultepec war beschlossen worden, dass das 1942 geschaffene Inter-American Defense Board (IADB) seine Tätigkeiten weiterführen sollte.
Gegen den Kommunismus
DAS aus Offizieren der Unterzeichnerstaaten zusammengesetzte Gremium sollte nach Möglichkeiten suchen, die im Krieg begonnene militärische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. In seinem Rahmen wurden im Jahr 1951 bilaterale Militärhilfeabkommen unterzeichnet: Demnach sollten die USA Waffen liefern und Kredite zur Verfügung stellen sowie Militärberater in den jeweiligen Ländern stationiert und lateinamerikanische Offiziere in den USA oder in der Escuela de las Américas ausgebildet werden, die sich in der amerikanischen Zone am Panamakanal befand.
Die sozialen und politischen Spannungen verschärften sich, und als 1959 die kubanische Revolution siegte, sorgte dies selbstverständlich für einen Aktivitätsschub in der Bewegung für die „kontinentale Verteidigung gegen den Kommunismus“. Im Jahr 1960 lud General T. F. Bogart, dem das in der Kanalzone von Panama stationierte US Southern Command unterstand, seine lateinamerikanischen Kollegen zu einer „freundschaftlichen“ Unterredung ein, um die gemeinsamen Probleme zu besprechen. Das war die Geburtsstunde der Konferenz der amerikanischen Armeen (Conferencia de Ejércitos Americanos, CEA), die von da an jährlich im panamaischen Fort Amador und ab 1964 in West Point zusammenkam, nach 1965 allerdings nur noch im Zweijahresrhythmus stattfand. In West Point, diesem Symbol des Kalten Krieges mit seiner etwas paranoiden Atmosphäre, aus dem nur wenig je nach außen gedrungen ist, befand sich also das Herz der späteren Operation Condor.
Über die gerne beschworene MIC hinaus (dieses Kürzel, mit dem alle oppositionellen Kräfte unterschiedslos bezeichnet wurden, steht für „Internationale Kommunistische Bewegung“) verband die lateinamerikanischen Militärs noch eine weitere Obsession: die Vernetzung der Geheimdienste. Bereits auf ihrem zweiten Treffen kündigte die CEA an, in der Kanalzone ein ständiges Komitee schaffen zu wollen, „um Informationen und Nachrichten auszutauschen“2 . Zum einen wurde also ein den Kontinent übergreifendes Kommunikationsnetz eingerichtet, zusätzlich aber trafen sich die Nachrichtendienste aus jeweils zwei Ländern unter höchster Geheimhaltung zum bilateralen Austausch (Argentinien/Paraguay, Brasilien/Argentinien, Argentinien/Uruguay, Paraguay/Bolivien etc.).
Darüber hinaus wurde das Netzwerk Agremil aufgebaut (von agregados militares, Militärattachés), über das Nachrichtendossiers aus den verschiedenen Ländern in Umlauf gebracht wurden. Meist wurden diese Papiere vom militärischen Geheimdienst (G-2) ausgegeben, sie konnten aber auch vom polizeilichen Staatsschutz verfasst sein oder von weniger offiziellen Instanzen wie der Organización por la Coordinación de Operaciones Antisubversivas (OCOA). Letztere war eine Todesschwadron des uruguayischen Staatsschutzes, die vor allem in Argentinien an Verhören, Folterungen und Hinrichtungen beteiligt war.3
Auf dem zehnten Treffen der CEA am 3. September 1973 in Caracas konstatierte General Breno Borges Fortes, Generalstabschef der brasilianischen Armee, dass die Entwicklung einer Strategie im Kampf gegen den Kommunismus den Streitkräften eines jeden Landes obliege. „Was den gemeinschaftlichen Aspekt anbelangt, so denken wir, dass hier lediglich der Erfahrungs- und Informationsaustausch sinnvoll ist, sowie technische Hilfe, falls sie angefordert wird.“4 Es wurde beschlossen, „den Informationsaustausch zum Zweck der Terrorismusbekämpfung und der Kontrolle subversiver Elemente zu intensivieren“5 .
Während der lateinamerikanische Subkontinent nach und nach unter die Fuchtel von Militärregimes geriet, die sich am brasilianischen Vorbild orientierten,6 durchlebte Argentinien eine eigentümliche Übergangsphase. Zwischen 1973, als der ehemaligen Diktator Juan Domingo Perón an die Macht zurückkehrte, und dem Putsch von 1976 wandten Polizei und Armee nicht nur immer gewalttätigere Repressionsmethoden an, sondern sie gestatteten auch die Etablierung von Todesschwadronen, wie z. B. der Alianza Anticomunista Argentina (AAA), die sich aus ihren eigenen Reihen rekrutierten. Gleichzeitig war Argentinien das einzige Land des lateinamerikanischen Südens, wo tausende von Flüchtlingen Zuflucht fanden, insbesondere politisch Verfolgte aus Chile und Uruguay.
Anfang März 1974 trafen sich Polizeivertreter aus Chile, Uruguay und Bolivien mit dem stellvertretenden Präsidenten der argentinischen Bundespolizei, Kommissar Alberto Villar, und besprachen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, um gegen den „Subversionsherd“ vorzugehen, den die Anwesenheit tausender so genannter subversiver Ausländer in Argentinien in ihren Augen darstellte. Der Vertreter Chiles, ein General des Grenzschutzes, schlug vor, „in jeder Botschaft einen Sicherheitsagenten von Polizei oder Armee zu akkreditieren, der vor allem die Koordinierung mit den Sicherheitskräften des entsprechenden Landes garantieren müsste“. Der General fügte hinzu: „Wir sollten auch über eine Informationszentrale verfügen, wo wir Daten über marxistische Individuen abfragen könnten, [. . .] sowie Programme austauschen oder Informationen über Persönlichkeiten aus der Politik [. . .]. Wir müssten nach Belieben die bolivianische Grenze passieren können, von dort aus nach Chile und von da wieder nach Argentinien gehen, kurz, wir sollten uns in all diesen Ländern völlig frei bewegen können, ohne dass irgendwelche formalen Anträge und Verfahren erforderlich sind.“7
Kommissar Villar sicherte zu, dass die der argentinischen Bundespolizei unterstehende Ausländerpolizei DAE sich der Ausländer annehmen werde, an denen die benachbarten Juntas Interesse zeigten. Tatsächlich tauchten auf den Müllhalden von Buenos Aires im August desselben Jahres die ersten Leichen von ausländischen, insbesondere bolivianischen Flüchtlingen auf. Am 30. September tötete eine Bombe, die von einem chilenischen Kommando und dem (ehemaligen) CIA-Agenten Michael Towley gelegt worden war, General Carlos Prats, den ehemaligen Oberkommandierenden der chilenischen Streitkräfte aus der Zeit der Unidad Popular, der eine der Speerspitzen der Opposition gegen General Pinochet gewesen war.
Polizei- und Militärkommandos passierten die Grenzen nun völlig unbehelligt. So wurden beispielsweise im Verlauf der Monate März und April 1975 in Buenos Aires über 25 uruguayische Staatsbürger von argentinischen und uruguayischen Polizisten verhaftet. Auch die Verhöre wurden in den Gebäuden der argentinischen Polizei gemeinsam durchgeführt.8 Jorge Isaac Fuentes Alarcón, ein argentinischer Aktivist, wurde an der Grenze nach Paraguay von dortigen Polizeikräften verhaftet. Wie die Retting-Kommission – die Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission Chiles – in ihrem Bericht feststellt, den sie am 8. Februar 1991 Präsident Patricio Aylwin übergab,9 wurde der Gefangene von der paraguayischen Polizei, dem argentinischen Geheimdienst und von Beamten der US-Botschaft in Buenos Aires verhört, wobei Letztere die erpressten Informationen an die chilenische Polizei weiterleiteten. Alarcón wurde anschließend Agenten der chilenischen Dirección de Información Nacional (Dina) übergeben, die sich in Paraguay aufhielten, und nach Chile gebracht.
In Chile war das System unterdessen perfektioniert worden. Nach dem Putsch vom 11. September 1973 – in den US-Präsident Richard Nixon und sein Außenminister Henry Kissinger persönlich verwickelt waren – hatte General Pinochet Oberst Manuel Contreras freie Hand gegeben, um eine Organisation auf die Beine zu stellen, die „das kommunistische Krebsgeschwür“ im Land erfolgreich „ausrotten“ würde. In kürzester Zeit entwickelte sich die Dina zu einem Staat im Staate.
Eines der Hauptprobleme für die chilenische Diktatur bestand in der starken Präsenz von unnachgiebigen Oppositionellen im Ausland. Zwar gelang die Ermordung von General Prats, doch vermasselten die eigens dafür angeworbenen anticastroistischen Kubaner im Februar 1975 den Mordanschlag auf Carlos Altamirano und Volodia Tetelboim, die exilierten Vorsitzenden der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei Chiles. Daraufhin trat Anfang August desselben Jahres Oberst Contreras eine Rundreise an, mit dem Ziel, die Geheimdienste des gesamten Kontinents davon zu überzeugen, eine Spezialeinheit gegen Exilanten auf die Beine zu stellen. Am 25. August bemühte er sich bis in die CIA-Zentrale in Washington, wo er mit Vernon Walters zusammentraf, dem stellvertretenden Direktor der Agency, der für Lateinamerika zuständig war.
Im Dienst der nationalen Sicherheit
ZWEI Tage später besuchte Contreras in Caracas Rafael Rivas Vázquez, ein Mitglied der Leitung des venezolanischen Geheimdienstes Disip: „Er erklärte, er wolle in allen chilenischen Botschaften Agenten stationieren und er bilde bereits Botschaftsangehörige dazu aus, im Bedarfsfall als Agenten zu arbeiten. Er sagte, er habe im Verlauf mehrerer Reisen bereits die Zusagen von verschiedenen lateinamerikanischen Geheimdiensten erhalten. All dies geschah auf der Grundlage mündlicher Absprachen.“10 Rivas zufolge wies die venezolanische Regierung die Disip an, das Anliegen von Oberst Contreras abzulehnen. Dies sollte jedoch das einzige Nein bleiben. Alle anderen Länder (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien) stimmten dem Plan zu.
Parallel dazu wurde in Europa ein Agentennetz aufgebaut, das sich aus dem Umfeld des rechtsextremen Terrorismus in Italien rekrutierte. Da sich Carlos Altamirano, der mit einer bewaffneten Leibgarde in der Bundesrepublik lebte, nicht ohne weiteres aus dem Weg räumen ließ, suchten sich die Auftragskiller Bernardo Leighton aus, den ehemaligen chilenischen Vizepräsidenten und Mitbegründer der Christdemokratischen Partei. Am 6. Oktober 1975 wurden Leighton und seine Frau in Rom von einem faschistischen Kommando angegriffen. Zwar kamen beide mit dem Leben davon, doch blieb Leightons Frau gelähmt. Ungeachtet dieses Fehlschlags traf sich General Pinochet mit dem Chef der italienischen Kommandos, einem gewissen Stefano delle Chiaie, der sich bereit erklärte, den Chilenen weiterhin zur Verfügung zu stehen.
Vom 25. November bis zum ersten Dezember 1975 fand in Santiago de Chile auf Anregung der CEA eine erste Arbeitskonferenz der nationalen Geheimdienste statt, die Oberst Contreras vorbereitet hatte. Sie hatte „streng geheimen Charakter“ und sollte „die Basis für eine exzellente Koordination und mehr Effizienz im Dienst der nationalen Sicherheit unserer jeweiligen Länder abgeben“. Oberst Contreras schlug vor allem die Einrichtung eines Oppositionellenarchivs für den ganzen amerikanischen Kontinent vor, „das ähnlich aufgebaut sein sollte wie das Interpolarchiv in Paris, nur eben spezialisiert auf Subversive“. Dies war, aus chilenischer Perspektive, die Geburtsstunde der Operation Condor.
Nach Angaben der CIA – die vorgibt, von alledem erstmals im Jahr 1976 gehört zu haben11 – sollen drei Mitgliedsländer von Condor, nämlich Chile, Argentinien und Uruguay, „ihr gemeinsames Vorgehen gegen subversive Elemente auf die Ermordung hochrangiger Terroristen im europäischen Exil ausgedehnt“ haben. War bisher davon ausgegangen worden, dass der Informationsaustausch vor allem auf bilateraler Ebene stattfand, „so ging es in einer dritten und streng geheimen Phase der Operation Condor um die Bildung von Spezialeinheiten aus den Mitgliedsländern. Sie sollten Aktionen durchführen, zu denen auch die Ermordung von Terroristen oder Sympathisanten terroristischer Organisationen gehörte. Würde beispielsweise ein Terrorist oder Sympathisant einer terroristischen Organisation in einem der Mitgliedsländer identifiziert, dann sollte eine Spezialeinheit ausgesandt werden, um den Betreffenden aufzuspüren und zu überwachen. Nach erfolgreicher Lokalisierung sollte eine zweite Einheit entsandt werden, um gezielt gegen ihn vorzugehen. Die Spezialeinheit sollte mit falschen Papieren ausgestattet sein, die von den Mitgliedsländern ausgestellt werden würden. Sie könnte sich aus Personen aus einem oder auch aus mehreren der Mitgliedsländer zusammensetzen.“
Der CIA zufolge war Buenos Aires die operationelle Basis dieser „Phase drei“. Dort sei eine Sondereinheit nach dem Modell der US-amerikanischen Special Forces gebildet worden, zusammengesetzt aus einem Arzt, einem Sabotageexperten, einem Verhörspezialisten usw. Gleichzeitig fanden zwischen den verschiedenen Ländern der Südspitze des Kontinents auch weiterhin die bilateralen Treffen der Militärs im Rahmen der CEA statt, deren Auswirkungen nach wie vor brutal waren.12
Im Jahr 1976 häuften sich die Zusammenkünfte der Operation Condor. Meist waren dieselben Personen anwesend wie bei den bilateralen Treffen. Der CIA zufolge „wurde, obwohl die betreffenden Geheim- und Sicherheitsdienste schon seit einiger Zeit kooperierten, [. . .] eine Zusammenarbeit erst Ende Mai 1976 anlässlich einer Condor-Versammlung in Santiago de Chile offiziell vereinbart. Zentrales Thema dieses Treffens war eine langfristig angelegte Zusammenarbeit der Geheimdienste aller Teilnehmerländer, welche weit über den bloßen Austausch von Informationen hinausgehen sollte. Die Condor-Mitglieder gaben sich als Decknamen Nummern: Condor eins, Condor zwei etc.“
Es war ein schreckliches Jahr für die Oppositionellen, die Zuflucht gesucht hatten, wo sie nur konnten. Unter dem Vorwand, gegen „Terroristen“ vorzugehen – also gegen Befürworter des bewaffneten Kampfes – wurden wahllos die unterschiedlichsten Leute aufgegriffen. Sie wurden ermordet oder verschwanden einfach. Die lateinamerikanischen Henker kannten keine Grenzen mehr. Niemand war vor ihnen sicher, nirgendwo. Es war die Zeit, in der Henry Kissinger im Rahmen eines freundschaftlichen Gesprächs am 8. Juni in Santiago zu General Pinochet sagte: „Wir in den USA stehen, wie Sie ja wissen, voll und ganz hinter Ihnen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.“13
Es wurde allmählich schwierig, die zunehmenden Repressionen geheim zu halten. So begannen in der CIA ärgerliche Gerüchte zu kursieren: „Armeeoffiziere, die auf das Thema angesprochen wurden, begannen jetzt offen darüber zu sprechen. Ihr Lieblingswitz war, einer ihrer Kollegen befinde sich außer Landes, weil er fliegen könne wie der Condor.“
Paradoxerweise war es die Politik der gezielten Attentate, wie Oberst Contreras sie eingeführt hatte, die zumindest offiziell der Operation Condor ein Ende setzte. Der chilenische Offizier beging den Fehler, den ehemaligen chilenischen Außenminister Orlando Letelier und seine Mitarbeiterin Ronni Moffitt am 21. September 1976 in Washington ermorden zu lassen.
Eine internationale Antiterrororganisation
DIE USA begannen nach den Auftraggebern dieses Mordanschlags zu fahnden. Der Chef der FBI-Außenstelle in Buenos Aires verfasste im Rahmen dieser Ermittlungen einen Bericht, in dem Condor und seine „Phase drei“ beschrieben waren und den die US-Presse in Auszügen abdruckte. Bald arbeitete eine parlamentarische Enquetekommission zum Thema. In Chile wurde die Dina aufgelöst und unmittelbar neu gegründet, allerdings ohne Oberst Contreras.
Der neue US-Präsident James Carter, ein Liberaler, der die Beachtung der Menschenrechte zu einer Leitlinie seiner Politik erhoben hatte, duldete derartige Aktivitäten nicht. Zumindest wünschte er keine Beteiligung der USA. Es wird allgemein angenommen, dass die US-Regierung von diesem Zeitpunkt an Druck auf die lateinamerikanischen Länder ausübte, Condor zu beenden.
Vom 13. bis 15. Dezember 1976 kamen in Buenos Aires Vertreter aller Condor-Mitgliedsländer zusammen, um ihre Zukunftspläne diesen neuen Ausgangsbedingungen anzupassen. Argentinien nahm nun die Zügel in die Hand und entwickelte gemeinsam mit Paraguay neue Kanäle, die diskreter und sicherer waren.
Im März 1977 tagte in Asunción der dritte Kongress der Antikommunistischen Konföderation Lateinamerikas (CAL). Hier traf sich die „Hautevolee“ der Diktaturen, General Gustavo Leigh, ein Mitglied der chilenischen Junta, und der argentinische Präsident General Jorge Videla, aber auch all die Folterer und Mitglieder von Todesschwadronen, die Lateinamerika aufzubieten hatte. Die CAL war aus einer internationalen Bewegung hervorgegangen, die Verbindungen zu verschiedenen Geheimdiensten unterhielt: der World Anti-Communist League (WACL).
Verschiedene Probleme wurden im Verlauf der Versammlung angesprochen: zum einen die Haltung der USA, die nun darauf ausgerichtet war, in Lateinamerika die Demokratie wiederherzustellen, zum anderen die Entstehung von Guerillabewegungen in Zentralamerika und die Bedrohung, die sich daraus insbesondere für das somozistische Nicaragua ergab, und schließlich auch die Positionen einiger Strömungen innerhalb der katholischen Kirche, die pauschal der internationalen kommunistischen Bewegung zugerechnet wurden.
Diesbezüglich sollte in den Folgejahren ein von Bolivien vorgeschlagener Plan umgesetzt werden, der nach dem bolivianischen Diktator „Plan Banzer“ genannt wurde: Er zielte darauf ab, alle Anhänger der Theologie der Befreiung zu „beseitigen“. Hunderte von Bischöfen, Priestern, Mönchen, Nonnen, Brüdern und Laien aus religiösen Gemeinschaften wurden ermordet, bis die Mordserie in dem Attentat auf Erzbischof Oscar Romero in der salvadorianischen Hauptstadt San Salvador ihren Höhepunkt erreichte.14
Argentinien hatte bei der Repressionspolitik auf dem Kontinent die Vorreiterrolle übernommen und sich damit jeglicher Kontrollinstanz entledigt. Man delegierte die Koordinierung der Repressionsmaßnahmen an die Todesschwadronen, sodass die Aktionen gewissermaßen „privatisiert“ schienen, auch wenn die Todesschwadronen sich aus Militär- und Polizeiangehörigen zusammensetzten.
Sowohl die bilateralen Geheimdiensttreffen als auch die Versammlungen der CEA unter Schirmherrschaft der USA wurden weiter fortgesetzt, wobei die jeweiligen Konferenzorte sich weiter nach Norden verschoben, in Richtung des neuen Konfliktherdes Mittelamerika. So fand das CEA-Treffen von 1977 in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua statt, und das von 1979 im kolumbianischen Bogotá. Argentinien entsandte mehrere Kommandos nach Mittelamerika, um den dortigen Armeen und der politischen Polizei unter die Arme zu greifen. Um von den US-amerikanischen Kriegsschulen unabhängig zu werden, begann man im Frühjahr 1979 in Buenos Aires damit, Übungen für den Kampf gegen subversive Kräfte zu organisieren. Der Sturz der Somoza-Diktatur im Juli desselben Jahres lieferte den lateinamerikanischen Regierungen einen weiteren Anreiz, gemeinsame Standards bei der Terrorismusbekämpfung zu entwickeln.
Auf der vierten CAL-Versammlung, die im September 1980 unter dem Vorsitz des argentinischen Generals Suárez Masón in Buenos Aires stattfand, wurde der Vorschlag diskutiert, die „argentinische Lösung“ auf den gesamten Kontinent auszudehnen. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium gibt an, seit April 1980 darüber informiert gewesen zu sein, dass Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien erneut die Idee einer „Internationalen Antiterrororganisation“ im Sinne der Operation Condor auf die Tagesordnung gesetzt hatten.
In dieser Zeit finden in Zentralamerika weitere Massaker statt, die von der CAL in Auftrag gegeben und koordiniert und von Todesschwadronen und Sicherheitsdiensten ausgeführt wurden. Auch zirkulierten weiterhin „Agremil“-Akten in den Generalstäben, mit den entsprechenden Folgen: grenzübergreifende Festnahmen, Gefangenenaustausch, international zusammengesetzte Folterteams usw.
Im Jahr 1981 versammelte sich die CEA in Washington. Soeben war der Republikaner Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt worden, was eine erneute Wendung des Geschehens mit sich brachte. Die Existenz des sandinistischen Nicaragua gab der Zusammenarbeit neuen Aufwind15 : Neue bilaterale Verträge über einen den „Terrorismus“ betreffenden Informationsaustausch sollten erarbeitet werden; die Einrichtung einer ständigen Dienststelle der CEA in Santiago de Chile wurde beschlossen. Dieser Plan wurde am 24. Mai 1984 in die Tat umgesetzt.
Nachdem Argentinien 1985 wieder zur Demokratie zurückgekehrt war, blieb das von Militärs regierte Chile zusammen mit Paraguay die letzte antikommunistische Bastion in Südamerika. Inzwischen hatte die Reagan-Administration sowohl der CIA als auch dem privaten Sektor und der CAL ihr Konzept für einen Krieg niedriger Intensität in Mittelamerika angedient. Die CEA war ideologisch nach wie vor auf die Bekämpfung des internationalen Kommunismus eingeschworen. Neu war, dass neben linken Oppositionellen und Priestern auch Menschenrechtsorganisationen unter diese Bezeichnung fielen. Je nach Bedarf und Maßgabe landeten auf der Liste auch missliebige Richter, Journalisten, Ankläger der Folterer sowie Widersacher der Korruption, in welche die Militärs tief verstrickt waren.
Offiziell verschwand die Operation Condor im mittelamerikanischen Dschungel, als die USA den Kampf gegen das sandinistische Nicaragua wieder selbst in die Hand nahmen. Im Grunde waren es jedoch das Ende des Kalten Kriegs und die Summe der unter diesem Namen begangenen Exzesse, die der Operation ein Ende machten. Auch wenn auf das Konto der Operation Condor selbst nur einige dutzend oder einige hundert nachgewiesene Opfer gehen, so spricht die Bilanz der Repressionspolitik während dieser Zeit allein im Südteil Lateinamerikas doch für sich: etwa 50 000 Ermordete, 35 000 Verschwundene und 400 000 Gefangene.
Hinrichtungen und institutionalisierte Folter mögen zwar in Lateinamerika kein allgemein verbreitetes Phänomen mehr sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Praktiken heute nicht mehr existieren. Der Machtmissbrauch kolumbianischer Paramilitärs, die mit Teilen der Armee in Verbindung stehen, zeugt vom Gegenteil. Am 8. März 2000 hat die Kommission für Kontinentale Sicherheit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine Chronologie der Zusammenarbeit der süd- und mittelamerikanischen Staaten in den letzten zehn Jahren aufgestellt. Demnach heißt der Feind heute zwar eher „Drogenhändler“ als „Kommunist“, doch ist der Diskurs im Großen und Ganzen derselbe geblieben. Dass hier und da von Menschenrechten die Rede ist, ändert daran nicht viel.
Inzwischen existiert eine Vielzahl von Verträgen, sowohl zwischen süd- und mittelamerikanischen Ländern untereinander als auch zwischen diesen und den USA. Sie alle haben die Intensivierung der bi- oder multilateralen Zusammenarbeit zum Ziel, insbesondere in den Bereichen Terrorismus, Geldwäsche und Drogenhandel. Auf diese Weise wird den Streitkräften heute ein Platz in der Organisation sozialer Kontrolle zugewiesen.
Auch der bilaterale Austausch unter den lateinamerikanischen Ländern nimmt seit Mitte der Neunzigerjahre zu, nach wie vor unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Staaten. Allein im Bereich der Nachrichtendienste existieren dutzende Abkommen, ganz zu schweigen von der jährlichen Konferenz der militärischen Geheimdienste der OAS-Mitgliedstaaten. Auch die CEA kommt weiterhin zusammen, zuletzt 1995 in Argentinien und 1997 in Ecuador. Schließlich organisierte die bolivianische Armee vom 8. bis 10. März 1999 eine multilaterale Militärkonferenz über Nachrichtendienste. Es war die erste seit jener, die Oberst Contreras 1975 einberufen hatte. Anwesend waren in La Paz die argentinische, brasilianische, kolumbianische und ecuadorianische Armee sowie die US-amerikanische (Southern Command), die paraguayische, uruguayische und die venezolanische.
Die „Sicherheit in den Ländern Amerikas“, ein politisches Thema, das für die USA äußerste Priorität besitzt, ist demokratischen Verhältnissen nicht unbedingt zuträglich. Was die Operation Condor ermöglicht hat, kann jederzeit einfach reaktiviert werden.
dt. Miriam Lang
* Journalist