11.05.2001

Ein König für die Demokratie

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Ein König für die Demokratie

Von DAVID HIRST *

„Ihr wollt Demokratie? Dann legt euch einen König zu“, war unlängst in der US-Zeitschrift Middle East Quarterly1 zu lesen. Der Satz bringt einen erstaunlichen Zug der aktuellen politischen Szene der arabischen Welt auf den Punkt. In einer Region, die lange Zeit gegen den weltweiten Trend, die „Macht des Volkes“ zu stärken, resistent gewesen ist, haben sich neuerdings auf Vererbung basierende Herrschaftssysteme – und nicht etwa Republiken – durchgesetzt. Das gilt vor allem für die Golfstaaten, von denen demokratische Reformen bislang am allerwenigsten zu erwarten waren. Nachdem in Oman, in Katar und sogar im erzkonservativen Saudi-Arabien Fortschritte in der Verfassungsentwicklung zu verzeichnen waren, hat sich nunmehr Bahrain an die Spitze der Reformbewegung gesetzt.

In dem winzigen Inselstaat ist Scheich Hamad Ibn Isa Al-Chalifa mit dem Tod seines Vaters im März 1999 neuer Emir geworden. Der jüngste Spross einer seit 1783 regierenden Dynastie hatte seine Amtszeit nicht sehr verheißungsvoll begonnen, doch inzwischen hat er die kühnsten Hoffnungen auf demokratischen Fortschritt, die nahezu von der ganzen Bevölkerung geteilt werden, sogar noch übertroffen. „Das sieht eher wie eine Revolution aus“, meint ein Aktivist für Menschenrechte. „Wir haben über Nacht die Phase des Pessimismus hinter uns gelassen und blicken optimistisch in die Zukunft.“ Seinen Höhepunkt erreichte der Optimismus im Februar 2001, als in einem Referendum 94,8 Prozent der abgegebenen Stimmen (bei 88 Prozent Wahlbeteiligung) für eine neue Nationalcharta votierten. Dabei handelte es sich nach Meinung eines Anwalts der Opposition um „eine echte Abstimmung, nicht eine manipulierte Sache im Stile von Assad, Saddam oder Mubarak“.

Die neue Charta ist einerseits unverhüllt traditionalistisch, ja sogar rückschrittlich, insofern der Emir künftig ein richtiger Monarch sein wird. Sie ist andererseits aber fortschrittlich, weil sie ein parlamentarisches System mit zwei Kammern vorsieht: Die eine ist eine Neuauflage der alten, gewählten Nationalversammlung, die zweite soll als neu geschaffener Konsultativrat (genannt Madschlis al-Schura) funktionieren.

Anlässlich des Referendums wurden alle politischen Gefangenen freigelassen, den politische Exilanten ein Rückkehrrecht gewährt, die drakonischen Notstandsgesetze abgeschafft und die Rede- und Meinungsfreiheit deutlich erweitert. Scheich Hamad und sein Sohn Salman – ein Cambridge-Absolvent – sind mit dem Referendum auf einen Schlag so populär geworden, dass sie heute in den Hochburgen der Opposition, in die sich bislang nur die bewaffnete Bereitschaftspolizei vorgewagt hatte, von einer begeisterten Menschenmenge fast erdrückt werden.

Wir haben es wohlgemerkt mit einer Demokratie zu tun, die von einem Autokraten verordnet wurde. Aber ebenso eindeutig handelt es sich um eine Reaktion auf den erklärten Willen des Volkes. Für Abd al-Nabi al-Akri, der nach 27 Jahren Exil im Triumph nach Bahrain zurückkehren konnte, ist das Referendum „die Frucht eines entschlossenen Kampfes und großer Opfer“ – und man könnte hinzufügen: auch das Ergebnis eines langjährigen politischen Aktivismus, den es so nur in Bahrain gegeben hat. Aus diversen Gründen waren die Bahrainer, was die Herausbildung eines modernen sozialen und politischen Bewusstseins betrifft, den anderen Golfstaatenbewohnern schon immer voraus. In dem Inselstaat drängt das Volk seit den Zwanzigerjahren auf politischen Wandel, auf eine verfassungsmäßige Ordnung und eine repräsentative Regierungsform, die eine auf Vererbung basierende patriarchalische Obrigkeit ablösen sollte. Die wollte von ihrer Macht aber nichts abgeben. Im Jahre 2000 endlich war dieser Konflikt für die herrschende Chalifa-Dynastie in politischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht derart kostspielig geworden, dass die Dynastie selbst Gefahr lief, über kurz oder lang daran zu zerbrechen.

Die Probleme der jüngsten Epoche haben ihren Ursprung in den Ereignissen des Jahres 1975, die einen gewaltigen Rückschlag für die demokratische Entwicklung bedeuten. Nach der 1973 erlangten Unabhängigkeit von Großbritannien erließen die Chalifas eine Verfassung, die als wichtigstes Verfassungsorgan eine Nationalversammlung aus 30 gewählten Mitgliedern und 14 Ministern etablierte. Doch der damalige Emir löste die neu geschaffene Nationalversammlung schon 1975 wieder auf, als diese sich den Ambitionen der Herrscherfamilie in zwei Punkten widersetzte: Sie votierte erstens gegen die Pläne, die bescheidenen Ölvorräte und den öffentlichen Grund und Boden für die Dynastie zu reservieren, und sie entwickelte heftigen Widerstand gegen ein Gesetz zur Staatssicherheit, dem zufolge jeder Bürger ohne Prozess drei Jahre im Gefängnis festgehalten werden konnte, und dies mehrmals hintereinander. Es folgten 25 Jahre, in denen der allgemeine Missmut über die Folgen der verfassungswidrigen Willkürherrschaft ständig wuchs.

Innerhalb der Opposition gab es mehrere Strömungen. Eine von ihnen kam aus der säkular-modernistischen Bewegung (mit insgesamt panarabischer und sozialistischer Ausrichtung), die schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine führende Rolle im Kampf für eine repräsentative Regierungsform gespielt hatte. Die Mitglieder dieser Oppositionsgruppen waren, wie die Chalifas selbst, vornehmlich orthodoxe sunnitische Muslime. Die Sunniten sind in Bahrain zwar nur eine Minderheit (von weniger als 40 Prozent der Bevölkerung), dominieren aber traditionell das politische Leben der Insel.

Die zweite oppositionelle Strömung hat sich erst in jüngerer Zeit herausgebildet. Sie wird angeführt von einer schiitischen Geistlichkeit, die stark durch den religiös-politischen Aktivismus der iranischen Revolution beeinflusst wurde. Die Schiiten waren schon immer die ärmere, eher bäuerlich geprägte und weniger gebildete Schicht, entsprechend sind bei ihnen moderne berufliche Fertigkeiten seltener anzutreffen als unter den Sunniten. Aber sie hatten auch unter einer staatlich geförderten religiösen Diskriminierung zu leiden. Beide oppositionellen Strömungen vertraten zwar häufig unterschiedliche Forderungen, aber da sie beide eine Rückkehr zur parlamentarischen Verfassung forderten, überschnitten sich ihre praktischen Aktivitäten und verstärkten sich damit gegenseitig. Am Ende waren die schiitischen Islamisten – dank ihrer größeren und militanteren Gefolgschaft – der entscheidende Faktor für den Erfolg der von den säkularisierten Sunniten begonnenen Reformkampagne.

Neuen Auftrieb erhielt diese Kampagne im Gefolge des Golfkrieges, der das Prestige der auf Vererbung basierenden Herrschaftssysteme erschütterte. Die Reformkräfte setzten nunmehr auf die traditionelle und im Grunde sehr ehrerbietige Methode, sich mit Petitionen an den Emir zu wenden. Für solche Eingaben sammelten sie im Einzelfall bis zu 25 000 Unterschriften. Aber der Emir setzte sich über den Volkswillen hinweg und berief lediglich einen machtlosen Konsultativrat ein. Die Folge war, dass sich die Opposition zu einer breiten Bewegung entwickelte, die auch Intifada genannt wurde.2 Obwohl es sich um eine unbewaffnete und im Wesentlichen auf Gewaltfreiheit setzende Bewegung handelte, reagierte das Regime mit den gewohnten Methoden: mit brutaler Gewalt und umfassender Überwachung.

Man schätzt, dass bis zu 25 000 Menschen (bei einer einheimischen Bevölkerung von insgesamt 400 000) zeitweise im Gefängnis waren. Etwa 30 Demonstranten kamen bei Zusammenstößen auf den Straßen ums Leben. Sechs Oppositionelle wurden zu Tode gefoltert, einer von ihnen war der 16-jährige Said Iskafi, den die Polizei aus seinem Haus in dem schiitischen Dorf Sanabis abgeholt hatte und dessen Leichnam sie nach einigen Tagen an seine Familie zurückschickte. An die 200 führende Oppositionelle wurden ins Exil gezwungen.

In dieser Zeit verschärfte das Regime seine einseitig religiöse Orientierung drastisch. Obwohl die Petitionsbewegung von sunnitischen wie schiitischen Oppositionellen inspiriert war, konzentrierte sich die Repression auf die Schiiten. Zugleich wurde auch die Diskriminierung gegen die Schiiten stärker, insofern sie jetzt von der Armee, von den Sicherheitsorganen und anderen „sensiblen“ Institutionen völlig ausgeschlossen wurden. Selbst an der Universität wurden nach 1995 keine Schiiten mehr in den Lehrkörper aufgenommen oder befördert, obwohl sie häufig besser qualifiziert waren.

All das verstärkte natürlich die Unzufriedenheit der Schiiten und ließ sie immer militanter werden. Dies wiederum machte es dem Regime leichter, von dem wahren Charakter der Intifada abzulenken, die ja im Wesentlichen eine beide Religionsgruppen übergreifende Kampagne für eine repräsentative Regierungsform war. Stattdessen wurde sie von den Herrschenden als eine spezifisch schiitische, fundamentalistische, aus dem Iran kommende Revolte dargestellt, die angeblich die sunnitisch dominierte regionale Ordnung insgesamt bedrohte und auch die auswärtigen Mächte, die diese Ordnung unterstützen.

Söldner gehen brutal gegen Einheimische vor

FÜR seine Repression rekrutierte das Regime auch ausländische Söldner, und zwar aus arabischen wie aus nichtarabischen Ländern. Aber egal ob sie aus dem Sudan oder aus Jemen, aus Jordanien, Syrien oder Pakistan stammten – sie waren durchweg Sunniten. Damit wollte man auf Kosten der Schiiten ein „demografisches Gleichgewicht“ herstellen. Als Ausländer hatten sie keine Hemmungen, die einheimische Bevölkerung brutal zu attackieren und dabei die Häuser, die sie durchsuchten, auch noch zu verwüsten und zu plündern. Eine große Söldnertruppe aus Syrien – Beduinen, von denen viele Analphabeten waren – erwarb sich einen besonders üblen Ruf. Einheimische Sunniten wie Schiiten schreiben dieser Truppe alle nur erdenklichen Gräueltaten zu, wobei die Erbitterung gegenüber diesen Leuten noch durch die Tatsache verschärft wurde, dass sie samt ihren Familien von der Regierung sogar die bahrainische Staatsbürgerschaft verliehen bekamen, während zur selben Zeit Bahrainer, die im Lande geboren und aufgewachsen waren, ihre Staatsbürgerschaft aus politischen Gründen verloren. Diese Beduinen bekamen sogar billige, staatlich subventionierte Wohnungen zugeteilt, ehe die eigentlichen Bahrainer zum Zuge kamen, für die die Wohnungen ursprünglich gebaut worden waren.

Dies war nur einer der besonders drastischen Fälle von Amtsmissbrauch, die sich die von keinem Parlament kontrollierte Chalifa-Dynastie leistete. Hinzu kam eine gigantische Korruption. In dieser Hinsicht war Bahrain immer einer der „saubersten“ Golfstaaten gewesen. Der Großvater des neuen Emir hatte den Mitgliedern seiner Familie generell verboten, Geschäfte zu betreiben, weil er der Auffassung war, dies lasse sich mit ihrem Status und ihren Stammesgebräuchen nicht in Einklang bringen. Heute ist das ganz anders, berichtet ein Geschäftsmann: „Meine ausländischen Freunde sagen, dass wir jetzt Verhältnisse wie in Nigeria haben.“

Die Chalifa-Dynastie hat mindestens 3 000 Mitglieder und ist damit, relativ zur Gesamtbevölkerung, viel größer als die saudische Königsfamilie. Die Familienmitglieder werden Zeit ihres Lebens mit Staatsgeldern ausgehalten. Aber zusätzlich sahnen sie, mittels ihrer Verbindungen und des ganzen Systems der Vetternwirtschaft, die besten Geschäfte im privaten Wirtschaftssektor ab. An der Spitze des komplexen, verzweigten Gefüges von öffentlichen Belangen und privaten Geschäften steht der Onkel des Emirs, Scheich Chalifa Ibn Salman. Da er als Ministerpräsident bereits seit 1961 amtiert, hat er seine Schützlinge im Regierungsapparat untergebracht (unter anderem acht Minister im Kabinett), aber auch in vielen anderen Positionen. „Er betreibt die Regierung wie sein Privatgeschäft“, kommentiert ein oppositioneller Volkswirtschaftler.

Das wichtigste Objekt dieser Bereicherungsgier ist Grund und Boden. Die führenden Mitglieder der Familie schlagen sich um riesige Flächen ungenutzten Landes, die längst dem Staat zugefallen wären, wenn ein Parlament in Bahrain etwas zu sagen hätte. Einige der 33 Inseln des kleinen und kompakten Archipels haben sich diese Herrschaften ganz unter den Nagel gerissen. Und auch das dem Meer abgerungene Land verkaufen sie an Bürger, die darüber hinaus noch dem Staat die Kosten der Landgewinnung erstatten müssen.

Ein weiteres Bereicherungspotenzial sind die berüchtigten „freien Visa“. Mitglieder der Chalifa-Familie (bzw. ihre Partner) „betreuen“ den Import der ausländischen Arbeitskräfte, wobei sie von jedem dieser Arbeiter pro Jahr bis zu 1 500 Dollar kassieren – eine gewaltige Summe, gemessen an dem prospektiven Verdienst dieser Arbeitskräfte. Aber die angeblichen Arbeitgeber beschäftigen diese Leute gar nicht selbst, sondern werfen sie völlig unabhängig von der aktuellen Nachfrage auf den offenen Arbeitsmarkt.

Der Mittelstand ist hoch verschuldet

DIE 200 000 ausländischen Arbeitskräfte, die es in Bahrain gibt (sie sind zur Hälfte Inder) machen etwa 70 Prozent aller Beschäftigten aus. Diese ausländischen Arbeiter konkurrieren direkt mit den einheimischen, die sich – anders als in den übrigen ölreichen Golfstaaten – durchaus zu manueller Tätigkeit bereit finden. Die importierten Arbeitskräfte sind also ein Faktor, der erheblich zur Arbeitslosigkeit der Einheimischen beiträgt. Diese dürfte insgesamt vielleicht 30 Prozent betragen, liegt aber bei der schiitischen Volksgruppe ganz sicher noch höher. Ein bahrainischer Volkswirt meint, das Leben in gewissen schiitischen Dörfern in seinem Lande sei „durchaus mit den Verhältnissen in Bangladesch vergleichbar“.

Inzwischen ist die ständig schrumpfende Mittelklasse hoch verschuldet, da sie oft Kredite aufnehmen muss, etwa für den Kauf eines Hauses oder die Ausbildung der Kinder. Der alte Mittelstand leidet unter dem wirtschaftlichen Niedergang, den die vor allem auf dem Dienstleistungssektor basierende Volkswirtschaft Bahrains erlebt hat, nachdem die jahrelangen politischen Turbulenzen viele ausländische Firmen und das Investitionskapital außer Landes getrieben haben.

Mit dieser Misswirtschaft wird die wiederbelebte Nationalversammlung aufräumen müssen. Dabei steht jedoch noch nicht fest, wie diese Institution genau beschaffen sein wird. Sie wird in jedem Fall noch weitgehend vom persönlichen Willen eines Herrschers abhängen, der sein Amt nicht durch Wahlen, sondern auf Grund der Erbfolge legitimiert. Scheich Hamad ist allerdings, darin sind sich alle einig, viel weiter gegangen, als man je erwarten konnte. „Er hat Mut bewiesen“, meint al-Akri, „aber die eigentliche Aufgabe, einen demokratischen Staat aufzubauen, hat er noch nicht in Angriff genommen.“ Beim Versuch, diese Aufgabe anzupacken, wird er ganz sicher hin- und hergerissen sein zwischen seinen alten, stammesmäßig und patriarchalisch geprägten Instinkten und den neu entdeckten demokratischen Vorstellungen, zwischen der fortdauernden Abhängigkeit von einem loyalistischen Staatsapparat und dem Wunsch, sich mit der Gesellschaft zu versöhnen. Der Konflikt scheint auf einen gnadenlosen Showdown zwischen zwei unvereinbaren Positionen hinauszulaufen – und er wird sich nicht nur in seinem Inneren abspielen. Er wird auch auf einen Kampf zwischen dem Kronprinzen und der „alten Garde“ hinauslaufen, die unter Führung des Ministerpräsidenten bereits ein verkapptes Gefecht gegen die Reformen begonnen hat.

Im ursprünglichen Entwurf sollte die nationale Charta über die Verfassung stehen und nicht nur die gewählte Nationalversammlung, sondern auch der neu geschaffene Konsultativrat gesetzgeberische Kompetenzen bekommen. Erst als der Emir im Laufe erbitterter Verhandlungen vor dem Referendum zugestanden hatte, dass – anders als es die ursprüngliche Charta vorsah – die Verfassung die oberste Autorität und das Parlament die einzige legislative Macht darstellen müsse, forderten die Oppositionsführer ihre Anhänger auf, der Charta zuzustimmen. Aber als wenige Tage später ein „Komitee zur Veränderung der Verfassung“ neu gebildet wurde, das weitgehend aus Leuten aus dem Umkreis des Ministerpräsidenten bestand, sah die Opposition dies als böses Omen an. Ein führender Oppositioneller meinte damals: „Er versucht ganz eindeutig, uns ein Vertretungsorgan anzudrehen, das noch weniger Macht hat als vor 25 Jahren. Wie können wir eine Reform erreichen, ohne die Leute loszuwerden, die für alles verantwortlich sind, was wir reformieren müssen?“

Selbst wenn Scheich Hamad – in seiner neuen populistischen Identität – die Notwendigkeit einer solchen Säuberung anerkennen sollte, hat er in seiner alten, patriarchalischen Identität offenbar noch große Hemmungen, entsprechende personelle Veränderungen auch durchzusetzen. Der zum König designierte Emir orientiert sich noch immer an dem obersten dynastischen Interesse, die Würde und den Zusammenhalt der Herrscherfamilie zu wahren. Bislang beschränkt er sich auf eine subtile Zermürbungstaktik gegen die reformfeindlichen Kräfte, zum Beispiel indem er seinen Kronprinzen dazu bestimmt hat, an der Seite des Ministerpräsidenten den Kabinettssitzungen beizuwohnen.

Aber selbst wenn er zum Showdown bereit ist, geht er offensichtlich davon aus, dass die aktuelle Machtbalance es ihm noch nicht erlaubt, die große Machtprobe zu riskieren. Die könnte vielmehr einen regelrechten Gegenputsch der „alten Garde“ provozieren, solange diese noch den Eindruck hat, über die institutionelle Machtbasis für einen solchen Putsch zu verfügen. Denn die alte Garde hat Angst, meint ein Menschenrechtsaktivist: „Wenn die Untersuchungen über Menschenrechtsverletzungen und Korruption erst einmal in Gang kommen, weiß kein Mensch, wo das hinführen wird. Auch wir haben unsere Miloševićs und Pinochets, und einige von uns wollen, dass sie bestraft werden.“

Derzeit haben in den Reihen der Opposition die moderaten Kräfte noch das Sagen. Und sie werden in dem Maße noch stärker werden, als sie überzeugende Beweise dafür sehen, dass der Emir das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigt und seinen Teil des vereinbarten Quidproquo tatsächlichlich einlösen wird. Und dieses Quidproquo lautet: Ja zu einem König für ein Ja zu einem wirklichen Parlament.

Die moderaten Kräfte gehen davon aus, dass dem Emir letzten Endes gar keine andere Wahl bleibt. Natürlich hat er die Reformen angeboten, aber im Grunde wurde er zu diesem Angebot durch die Intifada des Volkes genötigt. Sollten die Menschen sich in Zukunft zu einer neuen Intifada gezwungen sehen, meint ein oppositioneller Journalist, „dann werden sie nicht nur ein Parlament und eine Verfassung wollen, sondern auch die Abschaffung der Chalifa-Dynastie“.

aus dem Engl. von Niels Kadritzke

* Journalist, Korrespondent der britischen Tageszeitung „The Guardian“ in Beirut.

Fußnoten: 1 Piscataway, New Jersey, Nr. 4, Dezember 2000. 2 Siehe Joe Stork, „Der Emir bittet in die Zitadelle“, Le Monde diplomatique, Juli 1996.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2001, von DAVID HIRST