11.05.2001

Ein Papst, der in Ägypten wohnt

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Ein Papst, der in Ägypten wohnt

Von WENDY KRISTIANASEN *

AM 2. April kam der ägyptische Staatspräsident Husni Mubarak zu seinem ersten Treffen mit US-Präsident George W. Bush nach Washington. Mubarak reist jedes Jahr um diese Zeit in die USA, was dann immer verschiedene Exilorganisationen der ägyptischen Kopten zum Anlass nehmen, lautstark gegen die Verfolgung der christlichen Minderheit in Ägypten zu protestieren. Wie die Organisation „The Pen vs. the Sword“ bekannt gab, demonstrierten am 22. März Kopten „in Washington D.C. für die Rechte der verfolgten Kopten in Ägypten“.1 In diesem Jahr hatten sie Gründe genug, auf die Straße zu gehen. Am 4. Februar sprach ein ägyptisches Gericht alle 96 Angeklagten frei (vier von ihnen wurden wegen geringfügiger Vergehen verurteilt), gegen die wegen Mordverdachts im Zusammenhang mit einem der schlimmsten religiös motivierten Übergriffe in der jüngeren Geschichte des Landes ermittelt worden war: Mindestens zwanzig Christen und ein Muslim waren im Dezember 1999 bei den Auseinandersetzungen in der oberägyptischen Kleinstadt al-Choscheh ums Leben gekommen. Angesichts der Empörung der Kopten über den Richterspruch sah sich der ägyptische Generalstaatsanwalt zu der Ankündigung veranlasst, er werde gegen das Urteil Berufung einlegen.

Am 24. Februar – die Wogen hatten sich noch nicht geglättet – brachte ein weiterer Fall die koptische Gemeinschaft erneut in Harnisch: Die Behörden ließen eine Kirche in einem der ärmsten Stadtrandviertel von Kairo abreißen, weil der zuständige Bischof ein umstrittenes Gesetz missachtet hatte, das den Bau von Kirchen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Staatspräsidenten zulässt.

Und zu allem Überfluss traf am 22. März eine Abordnung des halbstaatlichen US-amerikanischen Office of International Religious Freedom (siehe dazu auch den Artikel von Bruno Foucherau auf den Seiten 1, 20 und 21) in Kairo ein, um eine Untersuchung über religiöse Diskriminierung durchzuführen. Darüber waren die gegnerischen religiösen Lager gleichermaßen empört – wie konnten sich die USA anmaßen, sich in die inneren Angelegenheiten Ägyptens einzumischen? Warum beschäftigten sie sich nicht stattdessen mit den Afroamerikanern, den Kubanern und den Indianern in ihrem eigenen Lande? Dass an der Spitze der Abordnung der frühere Staatssekretär im Außenministerium Elliott Abrams stand, der in Zeitungsartikeln aus seiner Bewunderung für Ariel Scharon keinen Hehl macht, steigerte die Freude über diese Mission auch nicht gerade.

In dieser gespannten Situation sah sich der koptische Patriarch, Papst Schenuda III., zum Eingreifen veranlasst. Schenuda – ein alter politischer Fuchs, der schon in den Achtzigerjahren von Präsident Sadat für vier Jahre in seinem Kloster unter Hausarrest gestellt worden war – gehörte zu den wenigen, die bereit waren, sich mit der US-Delegation zu treffen; ein anderer Repräsentant war das Oberhaupt der muslimischen Geistlichkeit, Scheich Tantawi von der Al-Azhar-Universität. In einem offenen Brief an die Presse2 rief Schenuda die Exilkopten in den USA auf, keine „unklugen Aktionen“ zu unternehmen, die sich nachteilig auf den Besuch des ägyptischen Präsidenten auswirken könnten. Bei dem Urteil im Al-Choscheh-Prozess handele es sich nur um eine juristische Entscheidung, die bereits zur Revision beim Obersten Gerichtshof liege: „Mehr können wir vom Staat nicht verlangen – wir müssen den Ausgang des Verfahrens abwarten.“ Auch zum Abriss der Kirche in Schubra al-Cheima äußerte sich der Patriarch: „Zweifellos gibt es dort Probleme“, erklärte er, „doch sobald der Präsident darüber informiert ist, wird sich eine Lösung finden.“

Dass die so genannte Koptenfrage immer wieder zu einer heiklen Sache wird, rührt von ihren internationalen Dimensionen. Vor allem in den USA und in Kanada, aber auch in Australien und in Europa leben viele Kopten, die aus Ägypten ausgewandert sind. Zwar sind die meisten von ihnen fest in ihre kirchliche Gemeinde eingebunden, aber einige entwickeln doch beunruhigende Aktivitäten. Im australischen Sydney mobilisierte eine Gruppierung am 10. April rund 2 000 Kopten zu eine Demonstration, bei der zwanzig schwarze Särge mit Fotos der „Märtyrer von Choscheh“ mitgeführt wurden. Die Parole lautete: „Stoppt den heimlichen Völkermord!“. Auch in den USA existieren radikale Splitterorganisationen, die den Hass auf die Muslime predigen, etwa „Pen vs. the Sword“ oder die Gruppe um Chawki Karras, der Verbindungen zu zionistischen Organisationen unterhält.

Das sind wahrlich die falschen Freunde, meint Kairos Botschafter in Israel mit Blick auf die Ereignisse der letzten fünf Monate, in denen die Ägypter im Laufe der neuen Intifada schockiert das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser registrieren mussten. Schließlich sei auch das Problem der islamischen Extremisten in Ägypten noch eine schwärende Wunde. Und den Kopten sei ja durchaus klar, dass der Kampf gegen die Islamisten auch von ihnen Opfer fordere: Präsident Mubarak habe die bewaffneten Gruppierungen zerschlagen und tue nun alles, um die Muslimbruderschaft (die gewaltlos, aber mit großem politischem Einfluss agiert) durch Maßnahmen wie Verhaftungen und Prozesse vor Militärgerichten in Schach zu halten. In dieser Situation könne man von ihm natürlich keine besonderen Zugeständnisse an die Kopten erwarten. Die von den Kopten erhofften Reformen sind also nur eine Karte in einem komplizierten Machtspiel zwischen den Islamisten und der ägyptischen Regierung, aber auch zwischen Israel, den USA und Ägypten, wobei Letzteres bei aller Abhängigkeit von amerikanischer Wirtschafts- und Militärhilfe seinen regionalen Einfluss behaupten muss.

Kein Wunder, dass die Erklärung von Papst Schenuda, er werde „Jerusalem nicht besuchen, solange es unter israelischer Besatzung steht“3 , bei den Kopten in Ägypten große Zustimmung gefunden hat. Denn die Kopten fühlen sich vor allem als Ägypter – und zwar als die wahren Ägypter, die Nachfahren der Pharaonen. Zugleich bilden sie die größte christliche Gemeinschaft des Nahen Ostens. Ihren Ursprung datieren sie auf das Jahr 42 n. Chr., als der Apostel Markus die erste Kirche in Alexandria gegründet haben soll. Bis zur Eroberung durch die Araber (640 n. Chr.) wurden alle Bewohner Ägyptens „Kopten“ genannt, nach der griechischen Bezeichnung „aigyptoi“, die sich wiederum vom altägyptischen Namen des Landes ableitete. Die Kopten sind die ursprünglichen Christen Ägyptens, jene Ägypter, die, im Unterschied zur Mehrheit der Bevölkerung, nicht zum Islam konvertierten. Man geht davon aus, dass sie heute etwa 10 Prozent der Bevölkerung von insgesamt 64 Millionen ausmachen. Die meisten von ihnen gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an.4

Diese Vorgeschichte der koptischen Ägypter ist ebenso bedeutsam wie ihre Rolle bei der Entstehung des Nationalstaates: 1919 beteiligten sie sich an der Revolution, in deren Verlauf die Wafd-Partei die Nation gegen die britischen Besatzer einte. Danach stellten sie zwei Premierminister: Butros Ghali Pascha und Jussef Wahba Pascha. Das war ihr „Goldenes Zeitalter“ – das jäh zu Ende ging, als im Juli 1952 die „Freien Offiziere“ unter Gamal Abdel-Nasser die Macht übernahmen. „Die Parole der Ägyptisierung, die sich zunächst gegen die Minderheiten der Griechen und Italiener richtete, ließ die Kopten schon ahnen, dass auch sie an die Reihe kommen würden“, meint Milad Hanna, einer der führenden Köpfe der laizistischen koptischen Gemeinschaft. Von Nassers Nationalpolitik in den Sechzigerjahren hatten die Kopten mehr Nachteile zu erwarten als die Muslime. Muslimischer Religionsunterricht wurde in den Schulen als Pflichtfach eingeführt, und was noch bedeutsamer war: Kopten spielten keine Rolle mehr im Herrschaftsapparat. Doch nach wie vor lebten die Menschen zusammen, luden sich zum Essen ein, begingen gemeinsam Hochzeiten, Begräbnisse und Feiertage. Über Diskriminierung beschwerten sie sich nicht groß, es ging – und geht – den Kopten kaum anders als anderen nationalen Minderheiten in der Welt.

Kleine blaue Kreuze auf den Handgelenken

DABEI ist unter der Sonne und im Staub Ägyptens das Wort „Minderheiten“ eigentlich gar nicht gebräuchlich, und in den besseren Kreisen wird es abgelehnt, unter Kopten wie unter Muslimen. Das musste auch der Soziologe Saadeddin Ibrahim zu seinem eigenen Schaden erfahren, als er 1994 eine Tagung über Minderheiten organisieren wollte. Inzwischen laufen gegen Ibrahim verschiedene Strafverfahren im Zusammenhang mit seinem Eintreten für die Menschenrechte. „Minderheit“ ist in Ägypten ein Wort, das nach Sektierertum und ethnischen Sonderrechten klingt – als würde es irgendwie die grandiose gemeinsame Vergangenheit aller Ägypter in Frage stellen.

Das besondere Problem der Kopten rührt von ihrer historischen Abstammung als Ägypter, die heute – nach den Auswanderungswellen seit Nassers Machtübernahme – durch die Internationalisierung des Problems kompromittiert werden könnte. Aber es kam noch eine weitere Entwicklung hinzu: Präsident Sadat erklärte Ägypten zu einem islamischen Land, womit er eine alte, stillschweigende Übereinkunft aufkündigte. Damit gab er den radikalislamischen Gruppierungen gewissermaßen grünes Licht, was zu den ersten religiös motivierten Auseinandersetzungen im Süden und in Oberägypten führte, und damit zur Stärkung des konservativen Islam. Auf die von den Moscheen ausgehende Offensive reagierten die Kopten, indem sie sich ebenfalls enger um ihre Kirche scharten. Damit wuchs den Gemeinden eine zentrale Bedeutung im Alltagsleben zu. Waren Kinder und Jugendliche beider Glaubensgemeinschaften zuvor vor allem in der Schule zusammengetroffen, so entstanden nun getrennte Vereine und Sportstätten unter Regie der muslimischen und christlichen Geistlichkeit. Ganz wie die Islamisten begannen sich auch die Christen in den Bereichen Schule, Gesundheit und berufliche Ausbildung zu engagieren und umfassende Programme anzubieten. Die Religion wurde zu einer Frage der Identität: Bei den einen kamen Schleier und Vollbart in Mode, die anderen ließen sich kleine blaue Kreuze auf Hand oder Handgelenk tätowieren und gaben ihren Kindern christliche Vornamen.

Die zunehmende Hinwendung zum Glauben, bei Muslimen wie bei Christen, setzt sich bis heute fort. Die Kirchen sind brechend voll. Rechts sitzen die Frauen, links die Männer, viele beten inbrünstig, mit erhobenen Armen und geöffneten Händen. Häufig zeigt die Kuppel über dem Altar auf leuchtend blauem Grund ein großes Christusbild, auf dem der Erlöser seine Arme ausbreitet. Gesänge und Gebete in koptischer Sprache5 tönen durch den von dichten Weihrauchwolken durchzogenen Raum. In der Fastenzeit bleiben die Gläubigen bis drei Uhr nachmittags nüchtern, danach essen sie kein Fleisch, keinen Fisch und keine Milchprodukte. Und sie versammeln sich, ob arm oder reich, in ihrer Kirche.

An diesem Freitagabend sind sie zu Hunderten in die ehemalige St.-Markus-Kathedrale in Kairo gekommen, um mitzuerleben, wie Pater Makari die Dämonen austreibt. Und zu Tausenden sind sie am Donnerstagabend in der riesigen Basilika, die aus dem Felsen der Mokattam-Berge geschlagen ist, um Pater Saman zu hören. In Bussen reisen sie an, in großen und kleinen, alten und neuen. Sie kommen aus der Stadt, vorbei an den üblen Geruchsschwaden, die aus dem Elendsquartier der zebelin aufsteigen, jener Christen, die in Kairo den Müll einsammeln und anschließend sortieren und verwerten. Hier türmen sich die Säcke mit Abfall und weggeworfenen Dingen, die an die Polsterer, Ledermacher und Schneider des Viertels zurückgehen und den zebelin immerhin so viel Piaster einbringen, dass sie abends zum Barbier gehen oder sich eine Wasserpfeife leisten können.

„Wunderheilungen gehören zu unserer Tradition“, erklärt Mary Assad, Psychologin und ehemals stellvertretende Vorsitzende des Weltkirchenrats in Genf, „genauso wie die charismatischen Priester. Unser Papst drückt eben bei Pater Zaman ein Auge zu, weil er mit seiner Arbeit den zebelin hilft.“

Von August 2000 bis zum Januar diesen Jahres konnte sich die St.-Markus-Kirche im oberägyptischen Assiut ihrer eigenen Epiphanie rühmen: „Jede Nacht ist die Jungfrau Maria in einem seltsamen hellen Licht, umschwebt von Tauben, über der Kirche erschienen“, erzählt Pater Zakka. „Wir haben Krankenakten von Menschen, die angesichts dieser Erscheinung auf wunderbare Weise geheilt wurden. Menschen aus aller Welt sind hierher gekommen, so viele, dass wir die Zugangsstraßen absperren mussten, um Männer und Frauen zu trennen.“

Direkt gegenüber liegt das Gotteshaus der ersten protestantischen Kirche. Pfarrer Girgis glaubt nicht an Wunderheilungen. „Über diese Marienerscheinung will ich mich nicht äußern“, erklärt er. Zu seiner Kirche gehört ein Hospital, das kostenlose Behandlung für 35 000 Menschen bietet. Ausgebildete Mediziner leisten hier ihre freiwilligen Dienste. Diese von ausländischen Missionaren gegründete christliche Kirche betreibt vor allem wohltätige Einrichtungen, die für Kopten, Katholiken und Protestanten gleichermaßen offen stehen. Seit den Siebzigerjahren erfährt sie, wie die Kirchen insgesamt, großen Zulauf. „Die Ägypter suchen Gott“ erklärt Rafik Habib, der zwei Bücher über den politischen Auftrag des Christentums verfasst hat. „Das ist ein ganz ähnliches Phänomen wie in der islamischen Bewegung.“

„Das schlimmste Problem in Ägypten sind die religiösen Vorurteile auf beiden Seiten“, meint Habib. „In den letzten fünfundzwanzig Jahren sind sie immer stärker geworden, und es ist keine Besserung in Sicht. Die Kopten müssen das ausbaden, weil sie nun einmal die religiöse Minderheit sind und weil die Regierung unfähig ist, eine Regelung zu finden.“ Besonders deutlich zeigt sich dieses Problem in Assiut, der größten Stadt Oberägyptens, deren 320 000 Einwohner mehrheitlich Christen sind. Der Regierungsbezirk Assiut grenzt an den Bezirk Sohag, zu dem al-Choscheh gehört: In dem am Nilufer gelegenen Städtchen von 25 000 Einwohnern waren am 14. August 1998 zwei Kopten ermordet worden. In der Hoffnung, Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen zu vermeiden, wollte die Polizei die Tat einem Christen anhängen. Zu diesem Zweck verhaftete sie über tausend Kopten und versuchte, durch Prügel und Folter ein Geständnis zu erpressen. Damit war die nächste Katastrophe vorprogrammiert: Am 21. Dezember brachen gewaltsame Unruhen aus, nachdem ein christlicher Ladenbesitzer eine muslimische Frau von der Volksgruppe der Hawara beleidigt hatte.

Das völlig unzureichende Urteil, das die Justiz im Februar bei der Aufarbeitung dieses zweiten bedauerlichen Zwischenfalles fällte, hat dann die Spannungen im benachbarten Assiut aufs Äußerste verschärft. Hier herrschen strenge Sicherheitsbestimmungen, weil man natürlich ein Wiederaufleben der militanten Aktionen der Islamisten befürchtet. „Wir Kopten behalten das Problem für uns, weil wir keine Möglichkeit haben, es öffentlich zur Sprache zu bringen“, meint Hala, die zur koptischen Gemeinschaft gehört. „Hier stellen wir die Mehrheit, aber im Land sind wir eine Minderheit. Seit den Gewaltakten in den Siebzigerjahren sind immer mehr Christen weggezogen. Sie sind nach Kairo oder Alexandria gegangen, oder gleich ausgewandert.“ Und im Flüsterton fügt sie hinzu: „Ihren Grundbesitz verkaufen sie an die Muslime – aber das ist ein ganz heikles Thema.“

„In al-Choscheh sind 85 Prozent der Einwohner Christen“, erzählt Hala. „Ihnen gehört die ganze Stadt, sogar die Straßen haben christliche Namen, die Muslime sind dort bloß Landarbeiter – und genau da liegt das Problem. Der Bezirk Sohag hat natürlich seine Besonderheiten, weil die ethnischen Prägungen dort so stark sind. Generell funktioniert das Zusammenleben am besten in den Dörfern, wo sich die ethnischen Gruppen die Waage halten, wo die Einkommensverhältnisse ausgeglichener sind – und wo es weniger Schulbildung gibt, denn in den Schulen lehren die Muslime Hass und Vorurteile.“ Man muss sich allerdings nur mit dem einen oder anderen christlichen Geistlichen unterhalten, um zu begreifen, dass die Vorurteile nicht die Erfindung der Muslime sind . . .

„Die Kopten in Oberägypten werden von zwei extremistischen Kräften in die Zange genommen“, meint Saadeddin Ibrahim, „auf der einen Seite sind es die Islamisten, von denen sie erpresst werden, und auf der anderen der staatliche Geheimdienst. Für die Kopten ist die Abteilung Sicherheit im Innenministerium zuständig und nicht etwa eine der Abteilungen für Glaubensangelegenheiten. In diesem Klima allgemeiner Paranoia wird jede Forderung nach einer Reform als unmittelbare Bedrohung des Staates aufgefasst.“

Und wie berechtigt sind die Reformforderungen? Der Anteil der Kopten an der ägyptischen Bevölkerung wird auf knapp 10 Prozent geschätzt, im Wirtschaftsleben sind sie mit mehr als 20 Prozent vertreten, aber in den öffentlichen Ämtern nur mit 1,5 Prozent. Vornehmlich auf diese niedrige Quote beziehen sich die Klagen der Kopten. In die höheren Ränge von Armee, Polizei, Geheimdienst, Justiz, Provinzverwaltung usw. können sie nicht aufsteigen. Eine Mathematiklehrerin in Assiut verdient 200 ägyptische Pfund im Monat (etwa 50 Euro), ein Offizier der Sicherheitskräfte, durchaus nicht besser ausgebildet, hat ein Monatseinkommen von 850 Pfund. Manche Formen der Ausgrenzung, etwa in bestimmten Fakultäten an der Universität, bleiben freilich ungreifbar. Und natürlich kann jeder theoretisch gegen die Benachteiligung klagen. Die Erfolgsaussichten gelten allerdings als gering.

Die Situation beginnt sich jedoch ganz allmählich zu ändern. So werden neuerdings zu Weihnachten und Ostern koptische Messen im Fernsehen übertragen. Die koptische Kirche hat fast 900 feddan (ein feddan entspricht 0,42 Hektar) Land zurückerhalten, welche die Verwaltung für den islamischen Gemeindebesitz waqf beschlagnahmt hatte. Und im Geschichtsunterricht an Grundschulen und der Mittelstufe der höheren Schulen werden nun auch die 600 Jahre koptischer Geschichte vor der Ankunft des Islam behandelt. Der Zeitpunkt, dies auch für den Unterricht in der Oberstufe zu fordern, sei noch nicht gekommen, meint Jussef Sidhom, Herausgeber der koptischen Wochenzeitung Watani und Mitglied des Koptischen Obersten Rates: „Der Bildungsminister hat schon genug Ärger mit den Islamisten.“

Zwei weitere Probleme erachtet Sidhom als zu heikel für öffentliche Kampagnen. Weder könne man fordern, die Religionsangabe aus dem Personalausweis zu entfernen, noch, der Zwangskonversion zum Islam ein Ende zu setzen, die bei christlichen Mädchen unter achtzehn Jahren möglich ist, wenn sie eine Beziehung zu einem muslimischen Mann eingehen. Aber solche Fälle, die unter den Exilkopten immer große Aufregung verursachen, sind nach Kenntnis von Sidhom in den letzten sechs Jahren nur drei oder vier Mal vorgekommen. Und ein anderer Beobachter merkt an, im umgekehrten Fall würde ein muslimisches Mädchen verstoßen oder in den Selbstmord getrieben.

Immerhin ist es heute möglich, die „Koptenfrage“ öffentlich zu diskutieren – damit sind die Chancen für weitere Reformen gestiegen. Den Umschwung in den ägyptischen Medien markierte 1999 die Februarausgabe der englischsprachigen Wochenzeitung Cairo Times, in der die Kopten als Schwerpunktthema behandelt wurden. Und im letzten Winter zog eine Fernsehserie die ägyptischen Zuschauer in ihren Bann, in der zum allerersten Mal die Frage der Mischehe thematisiert wurde – für Kopten, selbst für die weltlichen und aufgeklärtesten unter ihnen, immer noch eine völlig undenkbare Sache. In „Zeit der Blumen“, so der Titel der Seifenoper, verliebt sich die junge Christin Rose in einen muslimischen Diplomaten6 – die beiden heiraten und haben eine Tochter, Amal, die wiederum einen Muslim heiratet. Dann wird der kleine Sohn dieses Paares entführt, und im weiteren Verlauf geht es darum, wie die beiden Familien durch die dramatischen Ereignisse zueinander finden.

Konservative Geistliche im christlichen wie im muslimischen Lager waren natürlich empört. Doch der Papst, erzählt Walid Hamid, der (muslimische) Autor der Serie, „hat sich mit den Schauspielern getroffen und sie gefragt, ob Rose denn am Ende ihren Schritt bereue“. Als ihm das bestätigt wurde, erklärte Schenuda: „Dann ist das schon in Ordnung.“ Und die meisten Leute stimmen ihm augenzwinkernd zu. Ihab Gaurd, ein 25-jähriger Kopte aus dem oberägyptischen Dorf Abu Tik, ist freilich anderer Meinung. Die Serie habe ihm schon gefallen, aber sie sei doch „ein bisschen weit hergeholt. Hier gibt es keine Mischehen. Und ich kann mir nicht recht vorstellen, wie eine Christin ihrem Kind beibringt, was der Islam bedeutet. Man hätte besser eine Story gedreht über das, was Christen und Muslime sonst so miteinander machen.“

Ein ernster und ungelöster Fall bleibt die Zerstörung des Kirchenneubaus in Schubra al-Cheima, dem Elendsquartier am Rande Kairos, wo 350 000 Christen mit vier Millionen Muslimen zusammenleben. Während der Bau einer Moschee keiner besonderen Erlaubnis bedarf, müssen die Christen nach wie vor die Genehmigung des Präsidenten einholen, wenn sie eine neue Kirche bauen wollen. Der Präsident hat inzwischen immerhin angeordnet, dass Renovierungsarbeiten an christlichen Kirchen, die bis dato ebenfalls seiner Zustimmung bedurften, auf der Ebene der Regierungsbezirke genehmigt werden können. Bischof Markus, zu dessen Diözese die 28 Kirchen von Schubra al-Cheima gehören, erklärt die Schwierigkeiten: „Vor etwas über einem Jahr begannen wir mit einem Kirchenbau, der auch soziale Einrichtungen beherbergen sollte: eine Kindertagesstätte, eine Krankenstation, einen Versammlungsraum. Das war zwar nicht genehmigt, aber ich konnte gar keine Erlaubnis beantragen, weil die Muslime, sobald sie von so einem Projekt erfahren, in der Nähe eine Wohnung anmieten, in der sie, ohne besondere Genehmigung, eine Gebetsstätte einrichten. Und zwar nur um unser Vorhaben zu vereiteln, denn wenn es in der Nachbarschaft eine Moschee gibt, bekommt man niemals die Genehmigung für einen Kirchenneubau. Außerdem braucht man Dokumente, die den Grundbesitz nachweisen, und die gibt es in der Regel einfach nicht.“

„Am 19. Februar war der Neubau fertig“, berichtet Bischof Markus weiter. „Ich habe die üblichen Genehmigungsanträge gestellt. Fünf Tage später rückten die Polizei und die örtlichen Behörden an und ließen das Gebäude abreißen. Ich habe Beschwerde bei der Bezirksregierung eingelegt und durch Vermittlung unseres Papstes eine Eingabe bei Präsident Mubarak gemacht. Der Staatspräsident hat dann den Wiederaufbau auf Kosten der Bezirksverwaltung angeordnet. Das ist natürlich ein Sieg – aber wer weiß, ob wir das ohne Hilfe der Presse geschafft hätten.“ Am Abend besuchen wir den Gottesdienst, dessen Beginn das Läuten einer Glocke ankündigt. Als wir aus der Kirche treten, erklingt von der nahe gelegenen Moschee der alles übertönende Ruf des Muezzins.

Die Kopten müssen sich politisch mehr engagieren

MUNIR FACHRI ABDENNUR, ein wohlhabender Geschäftsmann und einer von drei koptischen Abgeordneten, die im Herbst letzten Jahres ins ägyptische Parlament einzogen, meint, dass sich „die Kopten stärker im politischen und gesellschaftlichen Leben des Landes engagieren müssten. Und sie müssen dabei die nationalen Belange Ägyptens über die Anliegen der Kopten stellen.“ Dass sie bislang in der Parteipolitik keine Rolle spielen, liegt nicht nur daran, dass die regierende Nationaldemokratische Partei keine Kopten als Kandidaten aufstellt. Die Kopten selber zeigen wenig Interesse, in die Politik zu gehen. Sie sind überdurchschnittlich gebildet, erfolgreich und wohlhabend, sie können sich Auslandsvisa beschaffen und arbeiten häufig in Berufen, die sie auch in anderen Ländern ausüben könnten. In die politischen Spitzenpositionen rücken sie kaum je auf, obwohl es bereits zwei koptische Minister gab. So brachte es der spätere UN-Generalsekretär Butros Butros-Ghali, der für ein hohes Ministeramt bestens qualifiziert war, in Ägypten nur zum Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten (1977-1992).

Viele der in Ägypten lebenden Kopten sind für Dialog und nicht für Konfrontation. Und manchem weltlichen Wortführer wie Jussef Sidhom wäre es lieber, wenn „der Papst eine weniger prominente Rolle spielen würde“. Sidhom verweist auf den vorherigen Patriarchen, Cyril VI., einen „frommen Mann, der sich in die Beziehungen zwischen den koptischen Bürgern und dem Staat nicht eingemischt hat“. Doch nun ist der „Papst der Araber“ im Amt – und Schenuda III., eine viel bewunderte, charismatische Gestalt, führt seine Kirche nicht sehr anders als Mubarak den ägyptischen Staat. Er unterhält so undurchsichtige wie wirksame Kontakte zur Regierung, erlaubt aber zugleich dem in Oberägypten äußerst populären Bischof Wissa, ungeschminkt seine Meinung zu sagen.

Ein Vertreter der radikaleren Richtung unter den Kopten, für die Bischof Wissa steht, ist Rechtsanwalt Mamduh Nachla, dessen „World Centre for Human Rights“ mit Nachdruck für die koptische Sache eintritt. Wie viele Exilorganisationen fordert Nachla, dass die Kopten in allen gesellschaftlichen Führungsbereichen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sein müssen – also auch in der Politik. Für die Mehrheit der Kopten in Ägypten ist das ein völlig inakzeptabler Ansatz. Sie sind, wie Jussef Sidhom, der Meinung, damit würde man nur „die Feindschaft zwischen Kopten und Muslimen schüren, was in Ägypten zu libanesischen Verhältnisse führen könnte“.

Der ruhige Dialog der gemäßigten Kopten im Rahmen der ägyptischen Verhältnisse funktioniert ganz gut – doch die Exilkopten richten ihr Augenmerk stärker auf Bischof Wissa und seine Klagen über das Unrecht in Oberägypten. Und viele ägyptische Kopten äußern privat, dass auch die ägyptische Regierung bei dessen Aussagen aufhorcht – zumal ihr die Emigranten in den USA alles andere als gleichgültig sind.

Hat die ägyptische Regierung ein Konzept für den Umgang mit den Kopten? Mostafa al-Feqqi, ehemaliger Präsidentenberater und stellvertretender Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Internationale Beziehungen, ist einer der wenigen Politiker, die bereit sind, sich zur Koptenfrage zu äußern. Auch er verweist zu Recht auf die positiven Veränderungen. Doch er gibt auch zu bedenken, dass die Regierung mit dem Islamistenproblem konfrontiert war, das sie aus der Zeit von Präsident Sadat geerbt hatte. Deshalb seien die Kopten nur unter dem Aspekt der inneren Sicherheit und im Rahmen ihres Vorgehens gegen die Islamisten gesehen worden. Die Folgen dieser Haltung bekommen vor allem die Kopten im Süden zu spüren. Doch inzwischen gewinnen innerhalb des Regimes auch jüngere Kräfte an Einfluss, die davon überzeugt sind, dass Ägypten sich wirtschaftlich, politisch und kulturell öffnen muss und eine bildungspolitische Offensive gegen Armut, Unwissenheit und Vorurteile braucht. So gesehen ist die Koptenfrage Teil eines gesamtägyptischen Problems.

dt. Edgar Peinelt

* Journalistin, London.

Fußnoten: 1 Siehe http://www.islamreview.com. 2 Siehe Al-Ahram (Kairo), 27. März 2001, und Al-Ahram Weekly (Kairo), 29. März 2001. 3 Al-Mushahid Assiyasi, 26. März 2000, zit. n. Mideast Mirror (London), 23. März 2000. 4 Protestanten und Katholiken machen 15 Prozent der ägyptischen Christen aus. Kirchengeschichtlich gehörten die Kopten im Streit über die Natur Christi zu den „Monophysiten“, die koptische Kirche spaltete sich im Konzil von Chalkedon 451 n. Chr. von der oströmischen Kirche ab. 5 Das Koptische geht auf die altägyptische Sprache zurück, sein Alphabet umfasst 24 griechische Buchstaben (in koptischer Aussprache) und sieben koptische Buchstaben. 6 In einem solchen Fall besteht für eine Christin kein gesetzlicher Zwang, zum Islam überzutreten. Ein Christ dagegen darf keine muslimische Frau heiraten – er müsste konvertieren.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2001, von WENDY KRISTIANASEN