Im Namen der Freiheit
Ein Streit um die Religionsfreiheit vergiftet die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Europa. Im Namen der Individualrechte reklamieren die Vereinigten Staaten Straffreiheit für Gruppen, die sich als minoritäre Glaubensgemeinschaften ausgeben, deren Aktivitäten aber wiederholt von den Gerichten beanstandet wurden. Diese Sekten, die sich aus einem Gebräu von „neuer Rechter“, Neokonservativismus und Antikommunismus entwickelt haben, versuchen die ultraliberale Ideologie und ihre Werte in die Köpfe der Menschen zu hämmern und als allgemein verbindliche Grundlage für alle Gesellschaften zu verkünden.
Von BRUNO FOUCHEREAU *
VOR einiger Zeit galt die Sektenfrage lediglich als ein „beunruhigendes Gesellschaftsphänomen“, doch in den letzten Jahren hat sie sich zu einem „vordringlichen Problem der öffentlichen Sicherheit“ entwickelt. Anlass zu dieser Neubewertung waren vor allem einige spektakuläre Ereignisse: die Massenselbstmorde der Sonnentempler 1994 und 1995, der Giftgasanschlag der Aum-Sekte in der U-Bahn von Tokio im März 1995 und der Kollektivselbstmord der Sekte Heaven’s Gate in Los Angeles 1999. Daraufhin verschärften Frankreich, Belgien, Spanien und Deutschland ihre Strafverfolgungsbestimmungen. In den meisten dieser Fälle stützte sich die Entscheidung des Gesetzgebers auf einen parlamentarischen Untersuchungsbericht über die Gefährlichkeit bestimmter Gruppen und die Methoden der Gehirnwäsche, denen ihre Anhänger ausgesetzt sind. Die Vorreiterrolle bei der härteren staatlichen Gangart gegenüber diesen Sekten spielten Frankreich und Deutschland.
Doch fast überall in den europäischen Ländern wurden regierungsamtliche Arbeitsgruppen installiert, um die Sektenszene unter Beobachtung zu halten. Frankreich verabschiedete 1996 eine Reihe von Gesetzen zum verstärkten Schutz von psychisch anfälligen Personen. Die Regierung unter Ministerpräsident Lionel Jospin setzte eine „Interministerielle Mission zur Bekämpfung des Sektenwesens“ (MILS) unter Leitung von Alain Vivien ein. In Deutschland richteten sich die Maßnahmen in erster Linie gegen die Scientology-Organisation. Im Anschluss an einen Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Scientology der Verfassungsschutzämter warnte die Bundesregierung die Bevölkerung nachdrücklich vor dieser Sekte. Bayern verabschiedete sogar einen 15-Punkte-Maßnahmenkatalog, der unter anderem die Überprüfung von Mitarbeitern des öffentlichen Diensts vorsieht, die Beziehungen zu Scientology unterhalten.1 Angesichts dieser härteren Gangart in Europa rechneten alle Beobachter der Szene mit einer Gegenoffensive der Sektenmultis, die allein in Frankreich Vermögenswerte in Höhe von mehreren hundert Millionen Francs besitzen. Die Attacke kam aus den Vereinigten Staaten.2
Am 27. Januar 1997 verurteilte die Regierung in Washington hochoffiziell die Maßnahmen Deutschlands gegen die Scientology-Organisation. Einige Tage später veröffentlichte das dem US-Außenministerium angegliederte „Bureau for Democracy, Human Rights and Labor“ (BDHRL)3 seinen Jahresbericht zur Situation der Menschenrechte in der Welt. Darin wird Deutschland heftig angegriffen und in der Liste der Länder, welche die Religionsfreiheit missachten, gleich hinter China eingestuft. Der Bericht war so getimt, dass er die Öffentlichkeitskampagne der Scientology-Organisation unterstützte, die zum Beispiel in verschiedenen Ländern Demonstrationen organisierte, in der internationalen Presse mit Anzeigen protestierte und die EU-Menschenrechtskommission anrief. Um „die Gemüter zu beruhigen“, ließ das US-Außenministerium im März 1997 verlauten: „Wir haben die Deutschen zwar kritisiert, aber wir unterstützen die Scientology-Kampagne gegen Deutschland nicht.“ Diese Äußerung war das Mindeste, was man von der US-Regierung erwarten konnte.
Als der Kongress 1998 ein neues Gesetz zur Religionsfreiheit in der Welt verabschiedete, richtete das BDHRL eine neue Abteilung ein: das „Office of International Religious Freedom“. Mit einem bevollmächtigten Botschafter an der Spitze, dem fünf Beamte des Außenministeriums zugeordnet sind, besitzt der neue Ausschuss in allen US-Botschaften einen Vertreter. Zum ersten Chef der Behörde wurde Robert A. Seiple ernannt, ein Ex-Marine, dessen Lieblingsspruch lautet: „Die individuellen Freiheitsrechte sind allgemein gültig, weil sie eine Gabe Gottes sind.“4 Gegenüber der Naples Daily News5 erklärte Seiple, wie sehr ihm sein Glaube bei allen persönlichen Prüfungen geholfen habe, namentlich bei seinen 300 Kampfeinsätzen im Vietnamkrieg, in dem er als Offizier der Marineinfanterie gedient hatte.
Seiple erhielt sein Amt allerdings nicht wegen seiner Kriegserfahrung. Elf Jahre lang stand er an der Spitze der ultrakonservativen World Vision Inc., eines finanzstarken christlichen Hilfswerks mit Millionen Mitgliedern in aller Welt, das Entwicklungshilfeprojekte in Lateinamerika und Asien finanziert.6 Im September 1998 erschien der erste Bericht des neuen „Büros für internationale Religionsfreiheit“7 . Darin werden Frankreich, Deutschland, Österreich und Belgien schwer wiegende Verstöße gegen die Religionsfreiheit vorgeworfen. Der Bericht der französischen parlamentarischen Untersuchungskommission von 1995 wird sogar in die Nähe blinder Verfolgungswut gerückt. Den Abgeordneten wird vorgeworfen, sie betrieben eine Politik der religiösen Ausgrenzung, insofern die in dem Bericht genannten Organisationen nicht wegen rechtswidriger Aktivitäten verfolgt würden, sondern allein wegen ihres Glaubens.
Auf Einladung der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veranstaltete die OSZE-Unterorganisation „Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte“ (ODIHR)8 am 22. März 1999 in Wien ein Seminar, auf dem die französische Sektenpolitik heftig attackiert wurde. In Fortsetzung und Zuspitzung der Kritik des US-Außenministeriums schwangen sich die amerikanischen Diplomaten und Senatoren in die Rolle des Anklägers auf. Das hätte fast zu einem diplomatischen Eklat geführt. Dasselbe Szenario lag einer Anhörung der „Commission on Security and Cooperation in Europe“ zugrunde, einer unabhängigen US-Bundesbehörde mit Sitz in Washington. Hier waren drei Zeugen geladen, die Schreckliches enthüllten: Frankreich sei auf dem Weg zu einem neuen Vichy-Staat, der französische Ministerpräsident stehe unter dem Einfluss religionsfeindlicher Organisationen, und Kinder würden ihren Eltern weggenommen. Der im Juni 1999 veröffentlichte Anhörungsbericht zeigt, welch gewaltige Sorgen sich die US-amerikanischen Senatoren um die Grundrechte in Europa machen.9 So beschuldigen sie zum Beispiel die französische Regierung, das Steuerrecht zweckentfremdet als Instrument einer neuen Inquisition einzusetzen.
Die französische Sektenbekämpfungsbehörde MILS und das Pariser Außenministerium haben anhand einer Analyse der Finanzstruktur und der Finanzströme der Scientology-Organisation dargelegt, dass es sich eindeutig um ein privatwirtschaftliches Unternehmen handelt, das kolossale Gewinne erwirtschaftet und deshalb völlig zu Recht der Steuerpflicht zu unterwerfen sei. Der parlamentarische Untersuchungsbericht, an dem Juristen, Sektenspezialisten der Polizei, gemeinnützige Vereine und Professoren mitgewirkt haben, listet 180 angeblich religiöse Organisationen auf, die nach eingehender Untersuchung als totalitär einzuschätzen seien, weil sie ihre Anhänger mit psychologischem Terror bei der Stange halten. Gegen die meisten dieser Organisationen liegen rechtskräftige Urteile vor. Darüber hinaus bemühte sich die französische Regierung, eine Reihe von Missverständnissen und Unwahrheiten auszuräumen. So wird Frankreich etwa vorgeworfen, es verweigere manchen minoritären Gruppen die Anerkennung als Religion. In Wirklichkeit ist es so, dass der französische Staat aufgrund des Gesetzes von 1905, das die Trennung von Kirche und Staat festschrieb, überhaupt keine Religion anerkennt.
Aber trotz all dieser Bemühungen blieb der Dialog fruchtlos. Der am 9. September 1999 veröffentlichte Jahresbericht des US-Büros für internationale Religionsfreiheit griff die europäischen Länder schärfer an als je zuvor. Am 8. Dezember schrieb der französische Außenminister Hubert Védrine an seine amerikanische Amtskollegin Madeleine Albright: „Dass Ihre Regierung die Handlungsweise der französischen Behörden grundlos in Frage stellt, während hohe Beamte Ihrer und meiner Regierung den Dialog fortsetzen, wirft einen Schatten auf die viel versprechenden Ansätze ebendieser Gespräche.“ Kurz darauf wurde der diplomatische Dialog in dieser Frage abgebrochen und bis zum heutigen Tag nicht wieder aufgenommen. Der letzte Bericht des US-Außenministeriums, der am 2. März dieses Jahres veröffentlicht wurde, stellt zwar die französischen Gesetze von 1901 und 1905 in Rechnung und räumt die entsprechenden Irrtümer stillschweigend aus, erhebt aber nach wie vor die schärfsten Anschuldigungen.
Schlüsselfiguren und konzertierte Aktionen
ALLEIN mit der Geschichte und der Verfassung der Vereinigten Staaten lässt sich nicht erklären, weshalb die US-Regierung die diversen Sekten so beharrlich unterstützt. Wie bereits erwähnt, ist das „Büro für internationale Religionsfreiheit“, eine Unterabteilung des „Büros für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit“, beim US-Außenministerium angesiedelt. Zudem gibt es eine „Commission for Religious Freedom“, die in Washington von Mitgliedern des US-Kongresses gegründet wurde. Hinzu kommt drittens die „United States Commission for Religious Freedom“, die unmittelbar dem Weißen Haus untersteht. Nach Auskunft ihres Direktors Steven T. McFarland versteht sich diese Organisation als „Wachhund“, insofern sie „die Arbeit der anderen Kommissionen überwacht, damit sie nicht vom rechten Weg abkommen.“
Die Frage, ob er den Bericht der französischen Nationalversammlung gelesen habe, muss Steve T. McFarland verneinen, da er der französischen Sprache nicht mächtig sei, wie er entschuldigend hinzufügt. Auch die Berichte der französischen Sektenbekämpfungsbehörde MILS, die Informationen des französischen Außenministeriums und die Noten der französischen Botschaft in Washington finden bei den zuständigen Stellen keine Leser. Sämtliche erreichbaren Beamten der drei genannten US-Kommissionen mussten zugeben, dass sie von diesen Texten weder das Original noch übersetzte Fassungen kennen. McFarland entschuldigt dies mit der Versicherung, er halte die Informationen, die ihm die amerikanischen Nachrichtendienste, die Pariser Botschaft, akademische Experten und die frankreichkritischen Nichtregierungsorganisationen übermitteln, für hinreichend glaubwürdig. Konfrontiert man ihn mit einer Reihe von Depeschen der amerikanischen Botschaft in Madrid10 , aus denen klar hervorgeht, dass das „Bureau for Democracy, Human Rights and Labor“ in Spanien interveniert hat, um das Ermittlungsverfahren eines Untersuchungsrichters gegen die Scientology-Organisation zu verzögern, verweigert McFarland jeden Kommentar.
Die Namen der Geheimdienstangehörigen, von denen die US-Kommissionen ihre Informationen beziehen, lassen sich aus nahe liegenden Gründen nicht ermitteln. Umso aufschlussreicher ist ein Blick auf die Internet-Seite der US-Botschaft in Paris. Dort werden zum Beispiel die Dienste von Rechtsanwalt Kay Gaejens empfohlen, der selbst ein bekanntes Mitglied der Scientology-Organisation ist. Und als die Nationalversammlung im Februar 2001 eine öffentliche Anhörung zur Problematik psychologischer Manipulationstechniken abhielt, entsandte die US-Botschaft, obwohl gar nicht geladen, zwei ihrer Mitarbeiter in Begleitung eines führenden Mitglieds der französischen Scientology-Organisation. Auch die Zeugenaussagen, auf die sich die US-Kommissionen stützen, werfen Fragen auf. Der Leiter des Wiener Seminars vom März 1999 war niemand anderer als der italienische Soziologe Massimo Introvigne, einer der Gründer des fundamentalkatholischen „Centro Studi sulle Nuove Religioni“11 , das enge Beziehungen zur neofaschistischen Sekte „Travail Famille Propriété“ in Frankreich unterhält. Massimo Introvigne hat sich in zahlreichen Publikationen der Scientology-Organisation geäußert und ist in einem Prozess gegen die Organisation in Lyon als deren Zeuge aufgetreten.
Eine weitere Schlüsselfigur ist Willy Fautré, seines Zeichens Vorsitzender der belgischen Organisation „Droit de l’Homme sans Frontière“, deren Name nicht zu der Annahme verleiten darf, sie sei von der „Internationalen Föderation der Menschenrechtsvereinigungen“ anerkannt. Fautré war lange Zeit Korrespondent des „News Network International“, einer US-amerikanischen Presseagentur, die für ihre Opposition gegen Abtreibung und für ihren militanten Antikommunismus bekannt ist. Darüber hinaus ist Fautré Mitglied der „Helsinki Federation for Human Rights“ (HFHR), deren Publikationen in den Berichten der US-Kommissionen ausführlich zitiert werden.
Als letzter Kronzeuge für die angeblich von der französischen Regierung orchestrierten Verstöße gegen die Religionsfreiheit sei Pastor Louis Démeo vom „Institut Théologique de Nîmes“ erwähnt. Dieses Institut gehört zur Sekte „Greater Grace“, die ihren Sitz in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland hat. Greater Grace gebietet über 3 000 Missionsfilialen in Lateinamerika, einige hundert in Afrika und eine Handvoll in Osteuropa. Dabei fungiert das Institut von Nîmes als Kaderschmiede für die osteuropäischen Länder. Greater Grace, dessen Methoden auch in den Vereinigten Staaten auf heftige Proteste stoßen, lässt sich durchaus als „Weggefährte“ der Scientology-Organisation beschreiben.
Stacy Brooks, Vorsitzende des „Lisa McPherson Trust“12 , der wichtigsten US-amerikanischen Hilfsorganisation für Scientology-Opfer, war selbst 15 Jahre lang Mitglied der Organisation. Sie arbeitete als Sekretärin von David Miscavidge, dem Erben Ron Hubbards und derzeitigen Scientology-Guru. An den Leiter von Greater Grace, George Robertson, erinnert sie sich genau: „Er steht in engem Kontakt mit den Leitern von Scientology. Wenn die Sekte bei bestimmten Fragen aus Imagegründen nicht selbst intervenieren kann, bittet sie Robertson um Hilfe. Er ist ihr wichtigster Verbindungsmann zur Evangelisten-Bewegung.“ Unter seiner Leitung gelang es Greater Grace und Scientology, die wichtigste Hilfsorganisation für Sektenopfer, das 1970 gegründete „Cult Awareness Network“, in den Ruin zu prozessieren – und anschließend aufzukaufen.13
Der Einfluss, den die Scientology-Bewegung und ihre Adepten in den USA ausüben können, erklärt sich auch aus einem ganz anderen Umstand. Seit 1993 ist die Sekte durch die Einkommensteuerabteilung des US-Finanzministeriums als Religionsgemeinschaft anerkannt und damit von der Steuerpflicht befreit. 25 Jahre lang hatte der Fiskus alle entsprechenden Anträge abgewiesen, was von sämtlichen US-Gerichten, einschließlich des Supreme Court, als rechtmäßig anerkannt wurde. Der Sinneswandel von 1993 ermöglichte der Scientology-Organisation den Zugriff auf Ersparnisse in Millionenhöhe und gab ihr ein hervorragendes PR-Instrument an die Hand, insofern es einen Zugang zur US-Regierung verschaffte.
Die Einzelheiten dieser Kehrtwende enthüllte 1997 die New York Times. Demnach hat die Scientology-Organisation gegen die Steuerbehörde einen regelrechten Krieg eröffnet, und zwar auf juristischer Ebene, indem sie über fünfzig gerichtliche Verfahren anstrengte. Doch damit nicht genug. Sie heuerte auch Detektive an, die das Privatleben hoher Beamter der Steuerbehörde ausschnüffelten. Einer dieser Privatermittler erzählte der New York Times im März 1997, dass er zwischen 1990 und 1992 achtzehn Monate lang für Scientology gearbeitet habe. Von seinem Büro in Maryland aus sammelte er Informationen über Beamte, die Termine verpassten, übermäßig tranken und außereheliche Kontakte pflegten. Die Steuerbefreiung erfolgte auf ausdrückliche Anordnung des Direktors der Einkommensteuerabteilung, unter Umgehung der normalen Entscheidungsgremien.
Jährliche Gewinne in Höhe von 300 Millionen Dollar, ausgefeilte Infiltrations- und Einschüchterungstechniken und schließlich die steuerrechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft verschaffen der Scientology-Organisation Einfluss auf die höchsten Entscheidungsinstanzen des US-amerikanischen Staats. Steven A. Kent vom soziologischen Institut der Universität Alberta (Kanada) hat die Lobby-Strategien diverser religiöser Gruppen und Sekten in Washington untersucht. Seine detaillierte Analyse zeigt, mit welchen Mitteln die Scientologen – wie vor ihnen schon die Mun-Sekte – auf Mitglieder des Kongresses, des Senats und des Weißen Hauses Einfluss nehmen. Die Scientology-Organisation hat zu diesem Zweck ein auf Lobbyarbeit spezialisiertes Public-Relations-Unternehmen angeheuert, das für seine Dienste in den Jahren 1997 und 1998 jeweils 725 000 bzw. 420 000 Dollar bekommen hat.
Eine Reihe von Schauspielern, ausnahmslos Scientology-Mitglieder, spendierten Hillary Clinton für ihren Senatswahlkampf über 70 000 Dollar, Tom Cruise überreichte Albert Gore 5 000 Dollar, und John Travolta veranstaltete gemeinsam mit anderen Scientologen ein Gala-Diner zugunsten der Demokratischen Partei – Eintrittspreis: 25 000 Dollar. Ein Rechtsanwalt der Scientologen schließlich spendete für den demokratischen Wahlkampf 20 000 Dollar. Auch der Einfluss der Mun-Sekte ist bemerkenswert angewachsen. Seit neuestem darf die Demokratin Hillary Clinton in der auflagenstarken und sehr konservativen Washington Time, die der Mun-Sekte gehört, jede Woche eine Glosse schreiben.
Allem Anschein nach haben sich die Mun-Sekte und die Scientology-Organisation seit langem arrangiert. Jedenfalls koordinieren beide Organisationen seit Mitte der Neunzigerjahre ihren Einsatz für Religionsfreiheit in den USA und in Europa. Ihr gemeinsames Vorgehen in Osteuropa wird durch einen im Internet veröffentlichter Briefwechsel zwischen der Führung der Mun-Sekte und der Scientology-Organisation dokumentiert. Dieser Partnerschaft haben sich zudem weitere Sekten mehr oder weniger formell angeschlossen, und auch bei den fundamentalistischen Protestanten der USA finden Mun und Scientology seit einiger Zeit Unterstützung. So engagieren sich in dem vom US-Außenministerium warm empfohlenen „Institute on Religion and Public Policy“14 neben einigen ultrakonservativen Senatoren auch eine Reihe von Mun-Größen sowie Guru Sri Chinmoy von der gleichnamigen Sekte. Das Institut, dessen Zentrale in Washington gleich neben dem Weißen Haus liegt, huldigt nach eigenem Bekunden einem „integralistischen“ Katholizismus und engagiert sich für die Achtung der Rechte der Scientology-Organisation, der Mun-Sekte und anderer so genannter Minderheitenreligionen in Europa.
Schließlich sei noch das ultrakonservative, schwulen- und abtreibungsfeindliche „Institute on Religion and Democracy“ (IRD)15 erwähnt, das seit zwanzig Jahren für eine fundamentalistisch-protestantische Reform der demokratischen Institutionen in aller Welt eintritt. Deshalb wundert es nicht, dass sich IRD-Präsidentin Diane L. Knippers in den Chor der Frankreich-Verleumder einreiht: „Frankreich ist ein Modell für die anderen europäischen Demokratien. Es muss seine religionsfeindliche Politik unbedingt aufgeben und die Garantie für die Freiheit der Glaubensausübung wiederherstellen.“ Doch schon im nächsten Satz bekennt sie unfreiwillig, was diese auf den ersten Blick so unterschiedlichen Gruppen und Sekten verbindet: „Wir setzen uns heute aus demselben Grund für die Religionsfreiheit ein wie damals gegen den Kommunismus. Eine menschliche Gesellschaft kann sich nicht entfalten, wenn sie in der Lüge lebt. Atheismus und Kommunismus können nur Lügen hervorbringen. Spiritualität ist ein Garant der Zivilisation, denn Spiritualität und Glauben bringen ehrliche Menschen hervor. Ohne Ehrlichkeit kein Handel, und ohne Handel keine Zivilisation.“
Der Kampf für eine „Spiritualisierung der Welt“ dient demselben Zweck wie jene Lobbygruppen, die auf dem Wege der Globalisierung versuchen, den amerikanischen Werten zu weltweiter Geltung zu verhelfen.16 Die Globalisierung der Märkte und der amerikanischen Werte, so das „Institute on Religion and Democracy“, sei den Vereinigten Staaten von der Bibel aufgetragen. Diese mystisch-imperiale Weltsicht teilen sämtliche fundamentalistischen Gruppen in den USA; sie sind der ideologische Rahmen all jener Kräfte, die sich zu Verfechtern der Religionsfreiheit berufen fühlen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: John R. Bolton, Mitglied der US-Kommission für Religionsfreiheit, war zuvor Vizepräsident des ultraliberalen „American Enterprise Institute for Policy Research“. In der alten Bush-Regierung diente Bolton im Präsidentenamt als Berater für internationale Handelsfragen. Nina Shea, ebenfalls Mitglied dieser Kommission, verkündet: „Unser Hauptziel besteht in der weltweiten Durchsetzung der neuen liberalen Ordnung.“
Diese Herrschaftslogik, deren Anfänge auf die Reagan-Administration zu Beginn der Achtzigerjahre zurückgehen und die man fast schon als interaktiv bezeichnen könnte, wird auf die Spitze getrieben mit den derzeitigen Versuchen, universell gültige Rechtsnormen durchzusetzen. Damit soll die Globalisierung der Märkte zum Abschluss gebracht werden. Aber noch rührt sich dagegen Widerstand. Das gilt unter anderem für den Bildungsmarkt, wo den Sekten und Kommunikationskonzernen ein gemeinsamer Feind entgegentritt: die in Europa weit verbreitete ideologische Grundposition, die ihre historischen Wurzeln in Frankreich hat – das Prinzip der Laizität. Die Angriffe auf die französische Sektenpolitik zielen also auf etwas viel Prinzipielleres: auf den laizistischen Charakter der Französischen Republik.
Was die Sekten mit diesem Kampf erreichen wollen, liegt auf der Hand. Wenn es ihnen gelingt, im europäischen Bildungswesen Fuß zu fassen, wenn sie das Recht erlangen, wie in den Vereinigten Staaten eigene Schulen zu betreiben, die jeder staatlichen Kontrolle entzogen sind, hätten sie sich eine umfassendere und stabilere Rekrutierungsbasis gesichert. Denn diese Institutionen wären dann unmittelbar an der kulturellen und psychologischen Prägung des Individuums beteiligt.
Vor dem Hintergrund dieses kulturpolitischen Ziels kann man zwar nicht von einer regelrechten Einheitsfront mit den Konzernen der Kommunikationsindustrie sprechen, doch lassen sich eindeutig weit gehende Verflechtungen etwa mit den Geräteherstellern oder den Produzenten von Inhalten und Programmen, der Computer- oder der Filmindustrie nachweisen. Dass ABC, CNN und Konsorten enge Beziehungen zu den fundamentalistischen Lobbygruppen unterhalten, ist bekannt.
Abschließend sei noch auf einige bemerkenswerte Zufälle verwiesen: Bill Gates’ erster Biograf David Ichbia ist Scientologe, dasselbe gilt für Guy Jensen, einen seiner engsten Mitarbeiter, und „Executive Software“, ein Schlüsselunternehmen des Microsoft-Imperiums, bezeichnet sich offen als scientologisch orientiert. Wer weiß: Vielleicht kommt uns demnächst Big Brother via Bildschirm ins Haus.
dt. Bodo Schulze
* Journalist