15.06.2001

Krise in Indonesien und auf den Philippinen

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Krise in Indonesien und auf den Philippinen

BEI den Parlaments- und Regionalwahlen vom 14. Mai kam es in Indonesien zu Unregelmäßigkeiten und gewalttätigen Zusammenstößen, in deren Verlauf 79 Menschen zu Tode kamen. Die Wahlen sollten Gloria M. Arroyo als Nachfolgerin von Joseph Estrada im Amt bestätigen. Estrada wurde im Januar 2001 als Präsident der Philippinen seines Amtes enthoben und steht derzeit unter Anklage wegen Korruption. Die Handlungsunfähigkeit der philippinischen Institutionen ist symptomatisch für die Krise der jungen südostasiatischen Demokratien. Indonesien droht unter dem Druck separatistischer Bewegungen zu zerfallen. Thailand hat unter einer andauernden wirtschaftlichen Krise zu leiden. Zu den hausgemachten Problemen kommt das inkonsequente Verhalten der internationalen Gemeinschaft, das wenig zur politischen Stabilisierung der Region beiträgt. Von FRANÇOIS GODEMENT *

Zwischen dem Sturz des philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos 1986 und der Absetzung des indonesischen Staatschefs General Suharto 1998 haben nicht weniger als fünf asiatische Länder den Übergang zur Demokratie vollzogen. Doch die aus der „dritten Welle der Demokratisierung“ (Samuel Huntington) hervorgegangenen Regime sehen sich vier Jahre nach dem Zusammenbruch der regionalen Finanzmärkte angesichts der inneren Spannungen in einer tiefen politischen Krise. In einigen der Länder zeichnet sich sogar ein Ende der kurzen Demokratisierungsphase ab. Das gilt vor allem für Indonesien, das von ethnischen Konflikten heimgesucht wird und wo der Islamismus an Boden gewinnt. Das politische System des Archipels zerfällt zusehends, sodass eine erneute Machtübernahme durch das Militär nicht mehr ausgeschlossen scheint. Ähnlich kritisch ist die Situation auch auf den Philippinen, wo die oligarchischen und militärischen Eliten wieder an Einfluss gewinnen, seit eine als „People Power“ auftretende Koalition den Demagogen „Erap“ Estrada gestürzt hat.

Kaum günstiger, wenn auch weniger dramatisch, sieht die Lage in Nordostasien aus. Der taiwanesische Staatspräsident Chen Shui-Bian, der der jahrzehntelangen Kuomintang-Herrschaft ein Ende bereitete, muss sich mit einer Parlamentsmehrheit herumschlagen, die sogar seine Legitimität anzweifelt. Die Popularität des international hoch anerkannten südkoreanischen Staatschefs Kim Dae Jung ist seit der neuerlichen Finanzkrise und dem Zusammenbruch der Chaebols (Großkonzerne) geschwunden. Darüber hinaus stößt seine Politik der Öffnung gegenüber Nordkorea zunehmend auf Skepsis. In Japan schließlich erlebt die Demokratie ihre schwierigste Phase seit 1945.

Anders als in Südostasien, wo jede Staatskrise unmittelbar die gesamte Gesellschaft bedroht, haben die nordostasiatischen Länder allerdings ein Entwicklungsniveau erreicht, das mit Hilfe eines festgefügten Verwaltungsapparats eine gewisse Grundstabilität garantiert – ein Sachverhalt, der in Japan mitunter als Selbststeuerung bezeichnet wird.

Die derzeitigen Erschütterungen auf den Philippinen hingegen zeigen deutlich, dass die politisch-administrativen Institutionen angesichts des nachlassenden Wirtschaftswachstums und der unüberwindlichen Kluft zwischen den urbanen Eliten und der übrigen Bevölkerung völlig zerrüttet sind. Die Ablösung Joseph Estradas, die angesichts des dramatischen Verfalls seiner Glaubwürdigkeit unabweisbar geworden war, erfolgte nicht auf verfassungsgemäßem Wege. Der 1997 gewählte ehemalige Filmschauspieler und begnadete Volkstribun verfügte in seiner Partei und bei den Gewerkschaften über keinerlei Rückhalt. Er verstand es aber, mit seinem instinktsicheren „Peronismus“ die Unzufriedenheit einer Bevölkerung zu formulieren, die gerade eine lange IWF-Diät hinter sich hatte, als die Finanzkrise über die Region hereinbrach. Estrada versprach, die Korruption zu bekämpfen und den Polizeibeamten das Handwerk zu legen, die im Verdacht standen, mit örtlichen Verbrecherbanden unter einer Decke zu stecken. In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit ergriff er jedoch nicht eine einzige sozialpolitische Maßnahme, wohl aber schaffte er es, den labilen Frieden zu zerstören, den seine Vorgänger mit den diversen islamischen Gruppen ausgehandelt hatten.

Auch Estradas Vorgänger Corazon Aquino und Fidel Ramos hatten es nicht vermocht, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen: Ungleichheit, Korruption, die Selbstherrlichkeit der Land besitzenden und industriellen Oligarchien, deren bewaffnete Milizen der Mafia durchaus das Wasser reichen können. Doch im Gegensatz zu Estrada war es ihnen zumindest gelungen, Frieden zwischen den verschiedenen politischen Akteuren zu etablieren, die kommunistischen und islamistischen Rebellen eingeschlossen. Mit Letzteren wurde zwar keine wirkliche politische Einigung, aber immerhin ein Interessenausgleich erreicht, indem man sie beispielsweise in die Verwaltung integrierte. So ermöglichten die demokratischen Institutionen, obwohl sie insgesamt im Sinne der großen Oligarchen-Familien funktionieren, eine Art historischen Kompromiss: vor Ort wurden Macht und Einfluss gelegentlich geteilt, um allzu aufmüpfigen Protest zu ersticken.

Estrada brach die Stillhalteabkommen mit den Rebellengruppen und favorisierte militärische Lösungen, für die er freilich nicht die Mittel besaß. Nach dem Debakel in der Geiselaffäre von Jolo1 – ineffiziente Militäraktionen, Verdacht auf Lösegeldzahlung, wachsender außenpolitischer Druck – bekamen Estradas Rivalen innerhalb des Establishments Oberwasser. Als Erster äußerte sich der ehemalige Präsident Fidel Ramos, einige Militärs um Generalstabschef Angelo Reyes zogen nach, und auch Vizepräsidentin Gloria Macapagal Arroyo, Tochter des früheren Staatspräsidenten Diosdalo Macapagal, hielt sich mit Kritik nicht zurück. So geriet die kleine handybewehrte Politikerwelt von Manila-Makati in Bewegung und organisierte Kundgebungen, die am 20. Januar 2001 den Rücktritt Estradas erzwangen und schließlich zu seiner Anklage wegen Korruption führten.

Zwar kann von einem militärischen Komplott nicht die Rede sein, aber es bleibt festzuhalten, dass die Absetzung Estradas ohne die militärischen Verbindungen von Expräsident Ramos und Militärchef Reyes nicht möglich gewesen wäre. Die Anhänger der neuen Staatspräsidentin Gloria Arroyo wollen in den Ereignissen eine Neuauflage der „People Power“-Revolution von 1986 sehen. Die Armee votierte für eine Lösung ohne Gewalt gegen die Rebellen und die Protestbewegung in Manila. Anlässlich der Unruhen, die am 1. Mai dieses Jahres in der Hauptstadt sechs Todesopfer und über hundert Verletzte forderten, bekundete sie abermals ihre uneingeschränkte Unterstützung der neuen Präsidentin, die das gewaltsame Vorgehen der Estrada-Anhänger als „versuchten Staatsstreich“ bezeichnete.2

Viel tragischer muten die ersten Unternehmungen der noch jungen indonesischen Demokratie an. Die verschiedenen Regionen des Inselreichs, die durch die nationale Revolution militärisch zusammengezwungen und durch die Diktatur Suhartos politisch zusammengehalten wurden, müssen heute lernen, ohne Zwang zusammenzuleben, freilich auch ohne die finanziellen Ressourcen, die der Zentralregierung in Jakarta unter Suharto zur Verfügung standen. Einstweilen stehen die politischen Machthaber und die militärischen Kräfte vor der Alternative, Gewaltmittel einzusetzen oder den Zerfall zu dulden. Das galt im Fall Osttimor, und das gilt heute für die Molukken, die Provinz Aceh und die Insel Irian Jaya.

Die unter Suharto praktizierte Umsiedlungspolitik, die der bevölkerungspolitischen Entlastung Javas ebenso wie der Stärkung der Zentralgewalt vor Ort dienen sollte, schlägt heute auf ihre Anstifter zurück. Auf Borneo vertreiben die Dayaks die muslimischen Einwanderer von der Insel Madura3 , die islamischen Gruppierungen auf den Molukken dagegen setzen sich für eine massive Ausweitung der Einwanderung ein, um das demografische Gleichgewicht zu ihren Gunsten zu verändern. Auf Irian Jaya ist dies bereits geschehen. Doch hier bestehen die autochthonen Papuas darauf, dass Souveränität in der geheiligten Erde gründet, und nicht auf der Anzahl der Bewohner beruht. Die von der Regierung Abdurrahman Wahid – Gus Dur, Bruder Dur, nennen ihn seine Landsleute – beschlossenen Dezentralisierungsgesetze stärken die Distrikte und autonomen Regionen erheblich und sprechen ihnen den Großteil der Einnahmen aus der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu (Erdöl in Aceh, Bergbau auf Irian Jaya).

Das würde sich negativ auf den Kassenstand des Zentralstaats auswirken, der mehr denn je um die Zahlung seiner Auslandsschulden besorgt ist. Hinzu kommt, dass die Dezentralisierungsmaßnahmen den Drang nach Unabhängigkeit bei einigen der beteiligten Akteure nicht stillen werden: Ihnen schwebt Osttimor als leuchtendes Beispiel vor.

Nach der Ära des Hauses „Bapak“ Suharto ist mit dem Antritt der neuen Regierung die Exekutive in Indonesien auch aufgrund ihrer Doppelköpfigkeit geschwächt. Es bestehen kaum Gemeinsamkeiten zwischen dem gebildeten Sufi-Mystiker Abdurrahman Wahid, der unter dem Druck der Ereignisse zu jedem Gespräch bereit ist, wenn es dazu beitragen kann, eine Krise zu entschärfen, und Megawati Sukarnoputri. Die Vizepräsidentin, die allein mit ihrem Familienerbe glänzen kann4 , hat sich nach kurzen demokratischen Anwandlungen als eher nationalistische und den Militärs zugeneigte Politikerin herausgestellt.

Dilemmata der Demokratie

IN Jakarta, aber auch in einigen Provinzen, über die die Dezentralisierungsgesetze ihr finanzielles Füllhorn ausschütten, herrscht Versammlungsdemokratie, die lokalen Interessengruppen, zwielichtigen Politiker und aufstrebenden Straßenorganisationen vornehmlich islamischer Provenienz ein Forum gibt. Der demokratische Frühling Indonesiens fasziniert durch seine schillernde Meinungsvielfalt, bleibt aber geprägt von politischen Sitten, die Suharto nur am augenfälligsten verkörperte.

Die indonesischen Streitkräfte schließlich, denen man alles zutrauen konnte, haben sich als Ausbund von Unentschlossenheit erwiesen und setzen damit ein weiteres Beispiel postautoritärer Katastrophen. Keiner ihrer Generäle versteht das Zepter in die Hand zu nehmen, keine ihrer Interventionen erwies sich als situationsentscheidend, nur ihr Rückzug aus Timor bleibt als historisches Ereignis zu verbuchen. Während ihr illegale Geschäfte aller Art vorgeworfen werden, fehlt es ihr zugleich an Geld und moderner Ausrüstung – und das alles angesichts einer sich dramatisch zuspitzenden Situation.

Die Fürsprecher der Armen und der sozialen Bewegung beklagen, dass die junge indonesische Demokratie für ihre zersplitterte Verwaltung mehr Geld ausgebe, als sie an die breite Masse der Bevölkerung umverteile. Und in der Tat ging es diesen Schichten zu Suhartos Zeiten besser als heute. Nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der ausländischen Gläubiger Indonesiens zeigt sich die öffentliche Hand überhaupt zu freigebig und lässt es bei der Umstrukturierung angeschlagener Banken und Unternehmen an der nötigen Härte fehlen. Der Widerspruch ist praktisch nicht auflösbar. Denn Umstrukturierungen setzen potenzielle Käufer voraus, und die ausländischen – beziehungsweise sinoindonesischen – Investoren haben sich zurückgezogen. Seit 1998 kommen als Kaufinteressenten nur noch die alteingesessenen Großgrundbesitzer in Frage, die einen Großteil ihrer Gewinne in Singapur und anderen Finanzhäfen in Sicherheit gebracht haben.

Die Armee steht vor ganz ähnlichen Dilemmata. Wenn sie es nicht verhindern kann, dass weiterhin islamistische Elemente auf den Molukken landen, macht sie sich der Komplizenschaft verdächtig. Wenn sie in der Region Aceh hingegen den Kampf gegen bewaffnete Rebellen wieder aufnimmt, wird ihr vorgeworfen, die Friedensbemühungen zu sabotieren. Während die Weltöffentlichkeit die Regierung auffordert, den Provinzen alle möglichen Autonomierechte einzuräumen, bemängeln die internationalen Finanzorganisationen Ressourcentransfers, ohne die die selbständigen Regionen weder ökonomisch noch politisch lebensfähig wären. Als die örtlichen Behörden auf Bantam und Irian Jaya mit finanziellen Forderungen an die dort produzierenden multinationalen Konzerne herantraten, erging an die Zentralregierung prompt die Anweisung, derartige Versuche in Zukunft zu unterbinden.

Am 30. April rügte das Abgeordnetenhaus Präsident Wahid wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in zwei Finanzskandale und drohte mit einem Amtsenthebungsverfahren, das inzwischen auch eingeleitet wurde. Wahids Führungsqualitäten an der Spitze der bedeutendsten islamischen Liga Indonesiens, seine mitunter paradox wirkenden ökumenischen Positionen – etwa die Annäherung an Israel – sein Redetalent und seine taktische Virtuosität – etwa die endlose Geschichte im Rechtsstreit mit dem Suharto-Clan – können gewährleisten, dass es nicht zu einem Bürgerkrieg kommt. Wahid mag in seiner alltäglichen Amtsausübung unberechenbar und politisch unkorrekt verfahren. Er gehört aber zu den interessantesten Persönlichkeiten der islamischen Welt und scheint noch am ehesten in der Lage, Eintracht zwischen den auseinander strebenden Gemeinschaften des Landes zu stiften. Die in den Augen der internationalen Gemeinschaft solidere Vizepräsidentin Megawati hingegen wäre nicht im Stande, den radikalen Islamismus im Zaum zu halten, der auch als Reaktion auf den drohenden Zerfall der indonesischen Nation zu verstehen ist. Megawati Sukarnoputri, die sich eher dem zentralistischen und nationalistischen Erbe Indonesiens verbunden fühlt, würde unter den gegebenen Bedingungen schnell zum Spielball der Armee.

Die internationale Staatengemeinschaft kann sich nicht zu einer konsequenten Haltung durchringen. Indonesien hat den Übergang zur Demokratie unter wirtschaftlich äußerst schwierigen Voraussetzungen in Angriff genommen und hätte daher finanzielle Unterstützung und konsequente humanitäre Hilfe benötigt. Obgleich sich der IWF diesen Standpunkt seit Juni 1998 anscheinend zu eigen gemacht hat, rückte er von seinen strengen Auflagen keinen Fingerbreit ab. Dies veranschaulicht die wiederholte Einstellung der Kreditzahlungen – seit Februar dieses Jahres fließt wieder einmal kein Geld. Dabei sind die Korruptionsaffären, die der neuen Regierung und Präsident Wahid angelastet werden – etwa der Skandal um den ehemaligen staatlichen Holzmonopolisten Bulog (siehe Kasten) – oder die schleppende Umstrukturierung des Bankensektors wahrlich keine Besonderheit Indonesiens, und sie sind im Übrigen lange nicht so dramatisch wie unter seinem Vorgänger Suharto.

Die internationalen Finanzorganisationen befürchten, dass sie die Kosten der dezentralisierten Demokratie zu tragen haben: Durch das Dezentralisierungsgesetz sind mehr als 300 Regionalregierungen und -parlamente entstanden, denen ein beachtlicher Teil der Steuereinnahmen zusteht, insbesondere aus der Erschließung von Bodenschätzen. Ohne drastische finanzielle Einbußen kann ein solches demokratisches Experiment, das sich auf halbem Wege zwischen der alten jakobinischen Republik und der Abspaltung einzelner Regionen befindet, jedoch unmöglich gelingen. Die Ölpreiserhöhungen im vorigen Jahr ermöglichten zwar einen ausgeglichenen Staatshaushalt, aber das politisch unsichere Klima schreckt potenzielle Auslandsinvestoren weiterhin ab.

Ohne politisch motivierte Finanzhilfe läuft das indonesische Experiment Gefahr zu scheitern. Angesichts des nationalistischen Potenzials, der Schwäche führender Politiker und einer überwiegend muslimischen Bevölkerung würde in Indonesien wohl kaum eine politisch korrekte und den internationalen Finanzkriterien genügende Demokratie den Sieg davontragen. Wird man dann nicht allseits bedauern, dass diese junge Demokratie so sehr unter Druck gesetzt wurde, in kürzester Zeit überaus heikle Reformen in Angriff zu nehmen?

dt. Bodo Schulze

* Professor am Institut Nationale des Langues et Civilisations Orientales (Inalco) und Dozent am Institut Français des Relations Internationales (IFRI), Autor von „Dragon de feu, dragon de papier. L’Asie a-t-elle un avenir?“, Paris (Flammarion) 1998.

Fußnoten: 1 Dazu Solomon Kane und Laurent Passicousset, „Rebellion gegen das koloniale Erbe“, Le Monde diplomatique, Juli 2000. 2 Le Monde, 2. Mai 2001. 3 Dazu Frédéric Durand, „Das Erbe des General Suharto“, Le Monde diplomatique, April 2001. 4 Megawati ist die Tochter Sukarnos, der die ehemalige niederländische Kolonie in die Unabhängigkeit geführt hat.

Le Monde diplomatique vom 15.06.2001, von Von FRANÇOIS GODEMENT