Eine Brise von Freiheit und ein Hauch von Angst über der großen Insel
Von PHILIPPE LEYMARIE *
WIR haben nicht das Recht, zu scheitern“, sagte kürzlich der madagassische Präsident Didier Ratsiraka in Bezug auf die Autonomiereform, die im Präsidentschaftswahlkampf Ende des Jahres ganz bestimmt ein heißes Thema wird. Diese Reform beunruhigt die Politiker und einen Teil der öffentlichen Meinung: Was wird aus den Provinzen werden, die jetzt über mehr Autonomie verfügen? Kredite verschlingende Ministaaten in der Hand lokaler Schattenkönige, deren Alleingänge die nationale Einheit bedrohen? Oder neue Entwicklungszentren, Pole einer „ortsnahen“ Verwaltung, wie es sich die Erfinder des Konzepts erträumen?
Antananarivo
RICHTUNG tiefer Süden: 954 Kilometer durch die soeben „autonom“ gewordenen Provinzen Antananarivo, Fianarantsoa und Toliary. Die mit Unterstützung der Coopération chinoise wieder instand gesetzte RN 7 ist eine der wenigen fast durchgehend geteerten Verkehrsadern des Landes.1 Vorbei die Zeit der „Wellblechkisten“ und anderer „Renault-Schaukeln“, die lange den Alltag der chaotischen Straßen und Pisten auf Madagaskar bestimmt haben: Unser Buschtaxi mit der Aufschrift „Wir machen’s besser“ ist ein respektabler Nissan-Minibus, in dem es verboten ist, „seinen Priem auszuspucken, gepantschten Alkohol zu trinken oder Hanf zu rauchen“.
Schwarze Qualmwolken, die von den Ungetümen der indischen Tata-Busse und den unverwüstlichen Mercedes-Lastern ausgestoßen werden, legen sich einem auf die Zunge. „Die Zahl der Lungenkrebserkrankungen verdoppelt sich von Jahr zu Jahr“, erklärt ein Fahrgast mit schicksalsergebener Miene. Antananarivo, „die Stadt der Tausend“, vor vierhundert Jahren von dem großen König Andrianapoinimerina gegründet und im Zuge der französischen Kolonisation zur Großstadt ausgebaut, ist eine durch die Landflucht aufgeblähte Metropole, immer verstopft und praktisch unregierbar: Ein Sechstel der Gesamtbevölkerung der „Großen Insel“ und die Hälfte ihres Fahrzeugparks liefern sich in dieser Enge, zwischen Hügeln, zwei vorsintflutlichen Tunneln und einer sumpfigen Ebene, eine tägliche Schlacht.
Fünfzehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt erkennt man den Palast von Iavoloha: eine „Absurdität“, mit nordkoreanischer Unterstützung als entfernte Kopie des antiken Palasts der Königin gebaut, die sich Präsident Ratsiraka in den Achtzigerjahren geleistet hat. Das Original thront auf der höchsten Erhebung der Hauptstadt, doch Ratsiraka, damals Oberhaupt eines „revolutionären“ Regimes, ließ den ruinösen Gebäudekomplex lieber in der Ebene mitten zwischen Reisfeldern und Hügeln errichten, um dem Zorn der als aufsässig berüchtigten Bevölkerung von Antananarivo zu entgehen. Einer unserer Reisegefährten erzählt, dass er im August 1991 dabei war, als der „Admiral“ (der Präsident) den Protestmarsch von mehreren hunderttausend Personen zum Stillstand brachte, indem er aus einem Hubschrauber Handgranaten auf die Demonstranten werfen ließ: Die Masse, die einem Aufruf der Opposition und der christlichen Kirchen gefolgt war, hatte damals gehofft, „die Mauern von Jericho zum Einsturz zu bringen“.2
In der Ferne kündigt sich die immer gleiche Landschaft des Merina-Gebirges an: eine Abfolge von schimmernden Reisfeldern in den Niederungen, dazwischen große, bucklige Felsen. Auf den Hügeln sieht man Dörfer, kleine Ansammlungen von Häusern aus Strohlehm oder rotem Backstein mit imposanten Kirchen oder Tempeln, in denen sich die Gläubigen zum Chorgesang versammeln. Fast alle Dorfbewohner bewegen sich zu Fuß oder mit Fahrrädern: Die Mitarbeiter des Seecaline-Projekts – eines von USAID3 und der Weltbank finanzierten Ernährungsprogramms für Neugeborene und Schulkinder – mussten mit 500 geländegängigen Suzuki-Motorrädern ausgerüstet werden, um die vielen von der Außenwelt abgeschnittenen Orte überhaupt erreichen zu können.
Auf der RN 7, dem Königsweg nach Süden, verhindert ein ausgetüftelter „Streckenbau“, dass die Straße in Stücke zerfällt: Kleine Arbeiterkolonnen, die an Ort und Stelle rekrutiert werden, kümmern sich um die gewissenhaft numerierten Abschnitte und Unterabschnitte, entfernen mit der Sichel den bozaka (Wildwuchs), erweitern die Abflussrinnen und stopfen die lavaka (Löcher), immer bemüht, mit den durch Regen und Verkehr entstehenden Schäden Schritt zu halten. An der Seite allerdings hat die Vegetation den metrischen Schienenstrang der Eisenbahn überwuchert, die, bevor sie den Geist aufgab, für die 150 Kilometer einen ganzen Tag brauchte. Jetzt haben die Südafrikaner die Linie gekauft und wollen die Dieselmaschinen wieder durch Dampfloks ersetzen. „Das ist der Fortschritt!“, spottet ein Insasse des Nissan. Die gleiche mit Empörung gemischte Belustigung kommt bei der Erwähnung einer anderen „Rückwärtswende der Geschichte“ auf: des Erfolgs altertümlicher, mit Handkurbeln betriebener Radios in den Dörfern, in denen es weder Strom noch Batterien gibt. „Da sieht man doch, wie weit wir es gebracht haben!“
Antsirabe
BEI der Ankunft in der alten kolonialen „Wasserstadt“, die ein wichtiges Industriezentrum geworden ist, ändert sich das Straßenbild: Eine Myriade grellrot gestrichener und amtlich registrierter Rikschas, hierzulande pousse-pousses genannt, ersetzt die von Zebus gezogenen Karren. Anfang des Jahres hat hier die Cholera über 30 Todesopfer gefordert: An einigen Knotenpunkten des Straßenverkehrs waren Gesundheitssperren errichtet worden, um die Hauptstadt zu schützen. Ein Plakat kündigt einen „Verkündigungsabend“ an. Wegweiser führen zum Tempel der protestantischen Sekte Jesosy Mamonjy, in den Achtzigerjahren von einem schwarzen Amerikaner gegründet, der ganz Madagaskar missionierte. La Cotona, eine riesige Textilfabrik im Besitz einer indischen Familie, ist immer noch der erste Arbeitgeber auf der Insel, leidet aber spürbar unter der Invasion von Altkleidern, die in ganzen Schiffsladungen nach Madagaskar importiert werden.
Weiter südlich häufen sich die Brandstellen am Rand der Nationalstraße.4 Vom wilden Holzschlag verstümmelte Eukalyptusstämme, der Jagd auf „Feuerholz“ zum Opfer gefallen, drohen jeden Moment zusammenzubrechen. Es folgt das Unvermeidliche: die Panne. Als Bestandteil jeder Reise, die man auf Madagaskar unternimmt, wird sie schicksalsergeben hingenommen. Dunkelheit legt sich über die unwegsame, häufig von den dahalo (Banditen) heimgesuchte Gegend. Es regnet. Es ist kalt. Unter den Passagieren, allesamt Bewohner der Bergdörfer, barfuß und in Lumpen gehüllt, ist ein junges Mädchen, Marie-Rozette, die etwas Französisch spricht: „Ich bin 15 Jahre alt, habe drei Schwestern und drei Brüder. Ich gehe zur Schule, drei Kilometer von zu Hause entfernt. Mama und Papa bauen Reis an, Hochlanderbsen, Getreide, Bohnen und Mais. Wir haben drei Rinder und zwölf Hühner. Ich schöpfe Wasser, treibe die Zebus ein, stoße den Reis und mache die Wäsche.“ Mit zitternder Stimme beginnt sie, französische Lieder auf Malagasy zu singen, „Alouette“, „Sur le pont du Nord“ und dann sogar „Sur les chemins du monde, j’ai rencontré Jésus“. Eine Kabosy-Gitarre stimmt ein, das Feuer knistert. In der Zwischenzeit haben unsichtbare Hände ein Essen improvisiert, Geflügel geschlachtet und Reis gekocht.
Fianarantsoa
DAS sollte die Schweiz von Madagaskar sein!“ Mit diesen Worten beklagt Charles Angelo Rasolonay, amtierender Minister für das Transportwesen, die ewige Vernachlässigung seiner Provinz. Er rühmt ihren Reichtum an Wasserenergie, ihre Bodenschätze, die noch verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen, die Kaffeeproduktion. Mit der Autonomie, meint er, könne sich die Einheit dieser Provinz – der einzigen an der Grenze zwischen dem Hochland und einer Küstenregion – nur verstärken, „denn es wird mehr interne Abstimmungen geben“. Er träumt von gutem Wein aus Fianar und Ambalavoa – angebaut von madagassischen Bauern, die keinen trinken, und veredelt von Chinesen –, der „die Reise überstehen“ könnte, besonders vor dem Hintergrund einer Partnerschaft mit der französischen Region Champagne-Ardennes; von Handwerksprodukten aus dem Holz von Ambositra, das sich im Ausland besser verkaufen ließe, wenn es „fertig bearbeitet“ wäre; von ätherischen Ölen, Duftstoffen und Heilpflanzen aus den Wäldern im Osten; von Edel- oder Halbedelsteinen, die sich auf wunderbare Weise an dem „geologischen Rückgrat“, das die Provinz durchzieht, abgelagert haben. Aber im Augenblick und angesichts der zunehmenden „Transnationalität“, der Madagaskar sich nicht werde entziehen können, ist der für das Transportwesen zuständige Minister in erster Linie mit der Privatisierung der Luft- und Schifffahrtsgesellschaften, der Häfen und der Flughäfen beschäftigt: Sie stellen eine Last dar, die der Zentralstaat nicht mehr tragen kann – in Zukunft wird er sich damit begnügen, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen, und die Regulierung selbstständigen Organisationen überlassen.
Der von der Provinz gewählte Abgeordnete Pety Rakotoniaina, Mitglied der Oppositionspartei MFM („Madagaskar den Arbeitern“), zweifelt an der Ernsthaftigkeit der laufenden Reform: „Wegen der Aufruhrstimmung im Volk hat Didier Ratsiraka 1991 die Idee von einem „föderalistischen Staat“ in die Welt gesetzt, um seine eigene Haut zu retten und von den Küstenregionen Unterstützung zu bekommen. Die autonomen Provinzen werden vor allem dazu dienen, unzählige Posten für die ‚Freunde‘ zu schaffen: Senatoren, Gouverneure, Provinzberater, Generalbevollmächtigte und was es sonst noch alles gibt.“ Unverhohlen beschuldigt er die Machthaber, den Rinderdiebstahl in seinem Wahlbezirk von langer Hand organisiert zu haben: „Vor 1975 gab es achtmal so viele Zebus wie Einwohner. Nach fünfzehn Jahren Ratsiraka waren es nur noch halb so viele!“ Einen zusätzlichen Beweis sieht er darin, dass der Rinderdiebstahl in den drei Jahren unter Zafy (1993–1996) abgenommen hatte.
Ambalavao
DER große Pilgerstrom der nach Süden drängenden Touristen, die die „historische“ Sonnenfinsternis (am 21. Juni dieses Jahres) beobachten wollten, bot Geschäftsmöglichkeiten, die sich die Bürgermeisterin von Ambalavao, Marie-Zenaïde Ramampy, auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Sie mobilisierte den „Klub lediger Mütter“, um den Durchreisenden Produkte aus einheimischem Anbau anzubieten: die Erzeugnisse der Seidenraupenzucht, der Korbflechterei und aus den Gemüsegärten.
Ein Mitglied des Gemeinderats macht sich Gedanken über die Reform: „Die Schaffung der autonomen Provinzen birgt die Gefahr, dass sich in den verschiedenen Regionen kleine Königreiche bilden. Welcher Gouverneur will nicht sein eigenes Kabinett haben? Also wird es künftig für jede Provinz zwölf Generalbevollmächtigte geben, jeder an der Spitze seines ‚Ministeriums‘. Und am Ende wird das Budget von Ambalavao bluten müssen, um das alles irgendwie finanzieren zu können; und das ausgerechnet jetzt, wo das Budget sich durch den Aufschwung des Zebuhandels in wenigen Jahren verfünffacht hat.“
Jeden Dienstag kommen die Viehhändler in die Stadt. Dicke Bündel Geldscheine wechseln die Besitzer, und am Ende setzt sich eine Herde von siebenhundert Zebus in Richtung Hauptstadt in Bewegung. Am Abend patrouilliert die Polizei, um Diebstähle und „Gelegenheitsprostitution“ zu verhindern.
Tatsächlich verlangsamen zahlreiche Herden die Fahrt nach Süden. Wunderbar wilde Landschaften wechseln einander ab – ebenso wie die Gendarmerie- und Polizeikontrollen: Seit der Hauptstadt ist es mindestens die zwanzigste, jedes Mal verbunden mit dem schüchternen Versuch, ein „business“ zu machen. Ein Hauch von Bitterkeit zieht durch den Minibus: „Die vielen Kontrollen, da weiß man schon, was los ist: Wir kommen aus Tana . . . Die Autonomie fährt mit!“
Ranohira
DAS Isalo-Massiv zeichnet sich in der Ferne ab: Eine Art madagassisches Colorado aus Sandstein. Vor dieser grandiosen Kulisse müssen die Besucher am Tage der Sonnenfinsternis ein echtes Weltuntergangsgefühl erlebt haben. Paul-Ignace Rakotomavo, der Direktor des ersten Nationalparks der Insel, führt durch das luxuriöse, von der EU finanzierte Centre d’interprétation, in dem man die „geologischen Zeitalter“ bis in das Jura (vor 200 Millionen Jahren) zurückverfolgen kann und wo einem die Prinzipien des „Naturschutzes“, des „Ökotourismus“ und der „kooperativen Entwicklung“ erklärt werden. Die Hälfte der Einnahmen aus dem Naturschutzgebiet sind für die Kommune Ranohira und für Investitionen in den umliegenden Dörfern bestimmt. Das Wegenetz, das Dutzenden von Führern für ihre Rundgänge mit Touristen zur Verfügung steht, ist so angelegt, dass eine Annäherung an die in Felsnischen verborgenen Grabstätten der Bara sorgfältig vermieden wird.
Und wie steht es mit den autonomen Provinzen? „Der Nationalpark ist und bleibt ein nationales Gut“, meint Paul-Ignace Rakotomavo. „Aber wir müssen stärker mit den Dorfbewohnern zusammenarbeiten. Die Entscheidungswege sind kürzer. Und auch beim Straßenbau kann die Provinz die regionalen Dringlichkeiten besser einschätzen. Von Tana aus hat man keinen Blick für die ‚Feinheiten‘ des Buschlebens, man weiß nichts von den kleinen Dorfvorstehern, die 25 Kilometer zu Fuß zurücklegen müssen, ehe sie eine einigermaßen befahrbare Straße erreichen.“
Fünfzehn Kilometer unterhalb des Heiligtums von Isalo taucht hinter einer Kurve der RN 7 plötzlich das „Reich des Bösen“ auf: rechts und links der Straße je eine lange Reihe Holzbaracken im Wildweststil, auf die Schnelle gebaut und alle mit dem gleichen Aushängeschild: „Welcome saphir“, „Gem Palace“, „Notre saphir“. In Ilakaka, einer erst drei Jahre alten Stadt – die noch schneller wieder verschwinden könnte –, stehen sogar die Bars unter dem Zeichen des Wundersteins: „Saphir danse“, „Saphir Casino“.
Aus Angst vor den Halsabschneidern von Ilakaka hält der Minibus gar nicht erst an. Es gibt hier alles, vom Friseur über den Doktor bis zum Totengräber. „Ganz am Anfang“, erinnert sich Bolé, „standen da nur drei oder vier Bretterbuden. Ich hatte sie kaum bemerkt. Aber schon ging in der Hauptstadt das Gerücht: Saphire in Hülle und Fülle! Alle wollten runter in den Süden. Manche kamen mit Millionen und neuem Allradwagen wieder. Andere sind nie zurückgekommen – in ihren Löchern haben sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt, sind an Krankheiten gestorben oder Opfer von Racheakten geworden.“ Ungeachtet des anwesenden Militärs hatten Tausende das Gebiet eines regulären Pächters besetzt: Die von den „Eindringlingen“ ausgegrabenen Edelsteine wurden unverzüglich an ausländische Käufer abgegeben, die keinen Finger rührten und nur mit dicken Geldbündeln aufwarteten.
Trotz oder vielleicht wegen dieser Anarchie hat Ilakaka das Wirtschaftsleben der Gegend angekurbelt: Von Fianarantsoa bis Toliary haben die Geschäftsleute daran verdient, alle, die Bier, Treibstoff und Holz verkaufen oder Autos reparieren. Unternehmen wurden gegründet und Arbeitsplätze geschaffen. „Zehntausende strömten herbei, Leute, die aus dem ökonomischen Kreislauf herausgefallen waren und auf ein besseres Leben hofften, das keine Regierung ihnen gewährleisten konnte: ein neues Volk von Madagassen, voller Hoffnung“, unterstreicht Jeankely in seiner Untersuchung über den „Goldrausch“, die Jagd nach Saphiren, Smaragden und Rubinen auf der „Schatzinsel“.5 Nach Ansicht von Minister Charles Rasolonay können im Kontext der neuen autonomen Provinzen Maßnahmen ergriffen werden, um einen Teil der Gewinne, die derzeit in die Taschen zahlloser Hehler wandern, den örtlichen Gemeinden zuzuführen.
Toliary
LÄSSIG wie Cowboys halten die Wachposten vor dem Gefängnis ihre Karabiner. Ein Schild am Eingang verweist auf ein „Beschwerdebuch“, das es nicht gibt. Jean de Dieu Maharante, Ratspräsident von Toliary und kürzlich zum Gouverneur der neuen autonomen Südprovinz gewählt, versichert: „Das darf so nicht weitergehen, da müssen Genehmigungen her, Steuern, die Ausländer müssen kontrolliert werden.“ In seinem geräumigen Büro mit Blick auf den Indischen Ozean, inmitten lebensgroßer Statuen von Mahafaly- und Antandroykriegern, versammelt er häufig seinen „Planungsausschuss für Sicherheitsfragen“ – bestehend aus Polizisten, Militärs und Verwaltungsräten – mit dem er eine „flächendeckende Kontrolle des Gebiets“ organisieren zu können glaubt.
„Ich bin Föderalist, wie Monja Jaona es war“6 , erklärt Jean de Dieu Maharante. „Von der Zentralmacht wird man immer vergessen. Didier Ratsiraka, der selbst kein Föderalist ist, hat halbe-halbe gemacht: Die Autonomie wird uns einen größeren Handlungsspielraum geben und uns erlauben, unsere Ressourcen zu verwerten, während das Dach der nationalen Einheit und Solidarität erhalten bleibt.“ Schon macht er Pläne, Unternehmen anzulocken, dem Mangel an Führungskräften durch den Rückruf abgewanderter Einheimischer abzuhelfen, an der Universität einen Fachbereich für Wirtschaft und Verwaltung einzurichten. Er träumt davon, sich auf die Africa Bill zu stützen – das neue amerikanische Gesetz zur Regelung der Handelsbeziehungen mit Afrika –, um die im Süden produzierte Baumwolle absetzen zu können.
Außerdem möchte er, dass Toliary einen großen Hafen für die Verschiffung von Mineralien bekommt und die Region touristisch erschlossen wird: „1 200 Kilometer Küste, 700 Strände, 330 Tage Sonnenschein!“ Maharante glaubt nicht daran, dass eifersüchtig auf ihre Vorrechte bedachte „Ministaaten“ in einen Grenz-, Kontroll- oder Steuer-„Wahn“ verfallen werden. Wie die meisten Verteidiger der Reform beruft er sich auf die zahlreichen „Pfosten und Leitplanken“, die im System enthalten sind, um jeden nationalistischen Ausrutscher zu verhindern: die Schutzherrschaft des Präsidenten und des einheitlichen Staats, die „nationale“ Berufung der Senatoren oder Abgeordneten, die Anwesenheit von Regierungsvertretern, die Haushaltskontrollen, die interprovinziale Konferenz zur Verteilung der Kredite.
Diese Gelder sollten vorrangig in Straßen und Pisten investiert werden, deren katastrophalen Zustand Jean de Dieu Maharante immer noch als Haupthindernis einer wirklichen Autonomie ansieht. In einem Drittel der madagassischen Departements gibt es Gebiete, die völlig unzugänglich sind; ein weiteres Drittel verfügt über keinerlei Straßenverbindung zum Rest des Landes. Die Provinzen Fianarantsoa und Toliary sind von diesen Missständen am stärksten betroffen. Zurzeit ist die RN 9 – die „Baumwollstraße“ – eine Piste, die man nur mit Allradantrieb oder Lastwagen befahren kann. An der Kreuzung von Ifaty sitzen die Mädchen mitten im Staub, zwischen den schwarzen Schweinen, und flechten sich die Haare. Voriges Jahr wurden in der Gegend mehrere Fälle von Cholera und Aids registriert.
Antananarivo
NACH ihrer täglichen Runde zu den wichtigsten Regionalstädten der Insel landet die wackere 737 der Air Madagascar wieder auf ihrem Stützpunkt in Antananarivo. Beim Volksentscheid von 1998 hatte die Hauptstadtprovinz mit großer Mehrheit gegen die Autonomiereform gestimmt. „Das hat sicher mit Ängsten zu tun, die noch aus den Unruhen Anfang der Siebzigerjahre herrühren. Damals waren die Leute aus dem Hochland in bestimmten Küstenstädten sehr schlecht angesehen, und manchmal wurde ihnen sogar mit Vertreibung gedroht“, erklärt Florette Andriamiarisatrana, die Präsidentin einer Arbeitgeberorganisation. „Aber diese Angst“, versichert sie, „ist jetzt vorbei.“ Bolé, der das Seecaline-Projekt im Hinterland vertritt, meint hingegen, viele Einwohner der Umgebung von Antananarivo fürchteten, dass eine autonome Verwaltung in Zukunft den „eigenen Leuten“ bei der Arbeitssuche Vorrang geben werde, sodass sie im Bedarfsfall Schwierigkeiten hätten, anderweitig Arbeit zu bekommen.
Honoré Rakotomanana, der Vater der Reform, gibt sich zuversichtlich: „Der Prozess geht absichtlich langsam voran.“ Dass die ärmeren Provinzen im Stich gelassen würden, hält er für ausgeschlossen: „Die Übertragung neuer Kompetenzen geht immer mit der Übertragung entsprechender Mittel einher. In der ersten Zeit wird der Zentralstaat weiter für die Bezahlung der Beamten aufkommen. Es gibt Berater, Leitbilder, Vorlagen für Gesetze und Erlasse.“ Er glaubt nicht an die Gefahr einer „Balkanisierung“ des Landes. Er ist im Gegenteil erfreut über das, was sich schon jetzt als gesunder Wettbewerb – fifaninananamasina – ankündigt: Dass jede Provinz versucht, Unternehmen und Investoren anzulocken, ja sogar Vereinbarungen mit ausländischen Gesellschaften zu treffen. Darin sieht er eine Antwort auf die „unvermeidliche Globalisierung“, wobei er glaubt, dass man gerade aufgrund der vorhandenen Unterschiede „gemeinsam standhalten“ kann. Er ist sogar überzeugt, dass die überbevölkerte Hauptstadt eine Chance haben wird, die Landflucht zu bremsen. Aber bis es so weit ist, ruft er – wie mehrere seiner Kollegen – die Beamten auf, eine „intellektuelle Anstrengung“ zu unternehmen und sich auf die neuen regionalen Tatsachen einzulassen.
In dem Wirtschaftsblatt La lettre de Jureco prangert ein ehemaliger hoher Funktionär einen „neuen Feudalismus“ an: „Zweihundert Jahre nach der Französischen Revolution läuft Madagaskar Gefahr, die Konfrontation zwischen zentraler Macht und regionalen Parlamenten am eigenen Leibe zu erproben: Sie wird um so irrationaler sein, je weniger die Begrenzung der meisten Provinzen einer geografischen, ökonomischen oder soziologischen Logik gehorcht.“7
Im vertraulichen Gespräch in einer Botschaft gibt ein Experte zu, die Autonomie der Provinzen sei vor allem gemacht worden, um den Ansprüchen der internationalen Institutionen zu genügen, die eine „gute Regierung“ erwarten und beeindruckt seien von diesem schönen Bemühen um „regionale Demokratie“ – wenn auch unter strenger Kontrolle. Doch diese Entwicklung lasse das System der allgemeinen Korruption unangetastet – jene „Selbstbedienung“ von „40 Familien“, die den Hauptanteil der Einkünfte des Landes abschöpfen. Der Rest der Einkünfte verteilt sich auf 200 000 Personen, die davon leben können, sowie auf eine Million Menschen, die Sekundäreffekte abbekommen, während die übrigen zwölf Millionen Einwohner des Landes „als Nichtkonsumenten außerhalb des Wirtschaftslebens“ bleiben.8
Statt sich mit dem Problem der Korruption zu befassen, kümmert sich der Premierminister Tantely Andrianarivo lieber um eine „gute Regierung“: Erstmals werden sich die Gehälter und Beförderungen mancher hoher Beamter an den tatsächlichen Leistungen orientieren. Darüber hinaus stellt der madagassische Staat nach zehn Jahren administrativer Flaute 4 000 neue Lehrer ein, 1 500 Ärzte oder Krankenschwestern, Finanz- und Zollbeamte, Gendarmen usw. Auch der Minister für Tourismus, Blandin Razafimanjato, tut sein Bestes: Da er zugleich mit der Entwicklung einer „Strategie zur Verringerung der Armut“ beauftragt ist, versucht er, die Grundversorgung der 12 Millionen Ausgeschlossenen zu organisieren: Schulen, medizinische Einrichtungen, Wasserversorgung, Pisten im Hinterland – alles über Investitionen, die nach und nach, sobald die personellen Voraussetzungen gegeben sind, den autonomen Provinzen übertragen werden sollen. Ein Bericht, den seine Behörde im November 2000 vorlegte, stellt dennoch die „verständliche Unzufriedenheit, ja hilflose Entmutigung angesichts der schockierenden Armut“ fest, „die weiterhin besteht, obwohl sich die makroökonomischen Indikatoren deutlich verbessert haben“9 .
dt. Grete Osterwald
* Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit dem Sender Radio France internationale und der Zeitschrift „Reporter“.