13.07.2001

Marketingstrategien für genetisch veränderte Organismen

zurück

Marketingstrategien für genetisch veränderte Organismen

Von AGNÈS SINAI *

Monsanto im Ausnahmezustand: Nach einer Bombendrohung in der französischen Niederlassung von Peyrehorade, im Departement Landes, zirkulierte im Intranet des weltweit zweitgrößten Saatgutkonzerns eine Sicherheitsanweisung für den Fall von Hacker-Angriffen oder physischer Gewalteinwirkung. Die Beschäftigten sollen jedes verdächtige Verhalten, jeden anonymen Telefonanruf, jede Person ohne ID-Karte umgehend melden, alle Türen verschließen, den Bildschirm per Passwort vor unbefugten Blicken schützen und kein Modem für den Verbindungsaufbau zum Internet benutzen. Interviews mit Journalisten sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung erlaubt. Der derzeitigen Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei Monsanto-France kommt diese Geheimniskrämerei irgendwie bekannt vor: Armelle de Kerros war früher beim französischen Atomkonzern Cogema beschäftigt. Dennoch erklärt Monsanto offizell, um „Transparenz“ bemüht zu sein.

Seit dem Skandal um „Terminator“ – die erste Killerpflanze in der Geschichte der Landwirtschaft1 – schwankt das Unternehmen zwischen defensiver Paranoia und aggressiver Flucht nach vorne. Der Ärger begann mit dem Kauf der Saatgutfirma Delta & Pine Land für eine Summe von 1,8 Milliarden Dollar. Im Zuge dieser Transaktion erwarb Monsanto das Patent auf ein gentechnisches Verfahren, das die Keimfähigkeit von Saatgut aus der Ernte der Erstaussaat verhindert. Angesichts des weltweiten Protests gegen die „Terminator-Technik“ – wie die Nichtregierungsorganisation „Rural Advancement Foundation International“ (RAFI) das Sterilisationsverfahren treffend bezeichnete –, nahm Monsanto-Chef Bob Shapiro das Produkt vom Markt und trat zurück. Der Konzern hat sich inzwischen von seinem ambitionierten Werbeslogan „Ernährung Gesundheit Zukunft“ verabschiedet und ist auf der Suche nach einem neuen Image.

Die Herstellung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) ist ein äußerst risikoreiches Unterfangen, und zwar nicht allein unter Investitionsgesichtspunkten oder mit Blick aufs Firmenimage, sondern vor allem wegen des hohen biologischen Gefahrenpotenzials. Die dezent als Biotechnologie bezeichneten Produkte und Verfahren bedrohen einerseits die Artenvielfalt, bergen aber andererseits auch das Risiko der Entstehung neuer Insektenarten, die resistent sind gegen die Insektizide, die in die transgenen Pflanzen eingebaut werden.2 Die US-Umweltschutzbehörde EPA empfiehlt den amerikanischen Landwirten seit einiger Zeit, mindestens 20 Prozent ihrer Anbaufläche mit herkömmlichen Sorten zu bestellen, damit sich Insekten, die gegen die von vielen transgenen Pflanzen produzierten Proteine von Bacillus Thuringiensis nicht resistent sind, weiterhin entwickeln können.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass bei Unternehmenskäufen, Fusionen und Umstrukturierungen der agrochemische Sektor mit seiner GVO-Abteilung stets getrennt abgewickelt wird, um das transgene Risiko zu isolieren. Aventis zum Beispiel sucht sich derzeit von seinem Agrochemie-Zweig CropScience zu trennen. Diese Firma vermarktete die transgene Maissorte „Starlink“, die beim Menschen allergische Reaktionen hervorrufen kann. Obwohl Starlink ausschließlich zur Tierfütterung vorgesehen war, fanden sich erhebliche Mengen in amerikanischen Chips und Cornflakes sowie in Backwaren der Marke „Homemade Baking“, die in Japan vermarktet wird. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört die im Oktober 2000 vollzogene Fusion des schweizerischen Konzerns Novartis und des britisch-schwedischen Unternehmens Astra-Zeneca zum weltweit größten Agrochemie-Multi Syngenta – mit einem voraussichtlichen Jahresumsatz von 8 Milliarden Euro.

Monsanto konzentriert sich nach der Fusion mit dem Pharma-Konzern Pharmacia & Upjohn ausschließlich auf den Agrarsektor (Jahresumsatz 2000: 5,49 Milliarden Dollar). Der Firmenzweig Pharmacia vermarktet nun „Celebrex“, Monsantos Wundermittel gegen Arthritis, und Monsanto beschränkt sich auf die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut – vor allem gentechnisch manipuliertem Saatgut. Monsanto ist heute nach Pioneer der weltweit zweitgrößte Saatguthersteller, nach Syngenta der zweitgrößte Hersteller von Pflanzenschutzmitteln und mit dem meistverkauften Herbizid Roundup Branchenführer (fast die Hälfte ihres Umsatzes – 2,6 Milliarden Dollar – erzielte die Unternehmensgruppe voriges Jahr durch das Geschäft mit Roundup). Um die Akzeptanz transgener Produkte zu fördern, sucht der Konzern den Verbraucher neuerdings zu überzeugen, der Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel sei weniger schädlich als der Verzehr von Nahrungspflanzen, die mit Herbiziden besprüht wurden. Und um auch die letzten Bedenken auszuräumen, schmückt sich die neue Verkaufsstrategie mit humanitären und ökologischen Versatzstücken.

Auch um „ethische“ Argumente ist Monsanto dabei nicht verlegen. Im Januar 2001 veröffentlichte der Konzern eine neue Charta mit fünf Leitbegriffen: „Dialog“, „Transparenz“, „Respekt“, „Teilen“ und „Nutzen“. Nach Ansicht des Generaldirektors von Monsanto-France, Jean-Pierre Princen, müssen die GVO-skeptischen europäischen Verbraucher begreifen, dass genetisch veränderte Lebensmittel genetisch verbesserte Lebensmittel sind. Daher die neue Botschaft des Konzerns, im internen Sprachgebrauch „Projekt M 2“ genannt: Gentechnisch verändertes Saatgut schont die Umwelt und ist gut für die Gesundheit. Wer daran zweifelt, ist schlecht informiert. Und was die Vergangenheit anbelangt, ziehen wir einen Schlussstrich. Dass Monsanto auch das Entlaubungsmittel Agent Orange herstellte, das die amerikanischen Bomber über den Wäldern Vietnams ausstreuten, soll niemanden mehr interessieren. Heute reisen Konzernbeauftragte nach Ho-Tschi-Minh-Stadt, um ihre Herbizide zu verkaufen und Kontakte zu vietnamesischen Medien, Wissenschaftlern und Regierungsmitgliedern zu knüpfen. Ob auf den Philippinen oder in Argentinien, in allen Teilen der Welt strebt der Konzern grenzenlose Handlungsfreiheit an: „Free to operate“, wie es im hauseigenen Jargon heißt.

Mit Blick auf den nichtamerikanischen Markt betont der Konzern die Umweltverträglichkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen, die er in zwei Varianten vermarktet. Das Bt-Gen aus Bacillus Thuringiensis, das insektentoxische Proteine produziert, wird in eine Reihe von Nutzpflanzen eingebaut und erspart damit zusätzliche Pestizide. Bt-Baumwolle zum Beispiel wird bis zur Ernte nur zweimal besprüht, herkömmliche Baumwolle achtmal. Die Roundup-Ready-Pflanzen wiederum sind gegen das gleichnamige Herbizid resistent, so dass der Landwirt gezwungen ist, mit dem Saatgut auch das dazugehörige Unkrautvernichtungsmittel zu kaufen. Monsanto bewirbt Roundup Ready als biologisch abbaubar, was die französische Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde in Lyon dazu veranlasste, den Konzern wegen unwahrer Werbung zu verklagen.

Nach Schätzungen der US-Umweltschutzbehörde gelangen in den Vereinigten Staaten alljährlich 20 bis 24 Millionen Kilogramm Glyphosat in die Umwelt.3 Massive Verwendung findet die Chemikalie bei der Erzeugung von Soja, Weizen und Heu, auf Viehweiden und auf Brachland. Seit 1998 stieg der Verbrauch Jahr für Jahr um rund 20 Prozent. Glyphosat ist der Hauptbestandteil von Roundup, und Roundup ist das weltweit meistverkaufte Herbizid, es bringt Monsanto alljährlich rund 1,5 Milliarden Dollar in die Kassen. Zwar lief das entsprechende Patent im vergangenen Jahr aus, aber dank der Entwicklung von Glyphosat-resistenten Pflanzenlinien wird der Konzern seine Marktposition weitgehend halten können.

In der Bretagne verursacht Glyphosat regelmäßig große Umweltverschmutzung. Im Elorn-Fluss, der ein Drittel des Finistère mit Trinkwasser versorgt, wurden die Grenzwerte im Oktober 1999 bis zum 172-fachen überschritten. Es sei eine „freche Lüge“, meint Dr. Lylian Le Goff von der Umweltschutzorganisation „France Natur Environnement“, wenn Monsanto behaupte, Roundup sei biologisch abbaubar. Die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser mit Pestiziden, die die gesamte Nahrungskette durchlaufen, hat sich zu einem ernsten Problem der öffentlichen Gesundheit entwickelt, dem die französischen Behörden zu lange keine Beachtung schenkten. Aus diesem Grund, so Le Goff, sei es „in Anwendung des Vorsichtsprinzips unerlässlich, die Anreize zum Einsatz von Pestiziden einer genauen Prüfung zu unterziehen, insbesondere wenn dabei unwahre Werbung im Spiel ist, die glyphosathaltige Erzeugnisse als unbedenklich und biologisch abbaubar hinstellt“.

Sollten die gentechnisch veränderten Pflanzenvarietäten mit ihrem hohen Pestizidgehalt weite Verbreitung finden, so würde der Verbraucher weit mehr dieser Umweltgifte aufnehmen als bisher schon. Pestizide werden vom menschlichen Körper ebenso wenig abgebaut wie Dioxine, und obwohl sie als Verschmutzung nicht wahrnehmbar sind4 , erhöhen sie das Allergie-Risiko, wirken neurotoxisch, verursachen Krebs, führen zu spontanen Erbgutveränderungen und bedrohen die Fruchtbarkeit der Männer. Insgesamt seien diese hormonellen Wirkungen dafür verantwortlich, dass die Häufigkeit der Spermatozoen in den letzten fünfzig Jahren um 50 Prozent sank. Sollte dieser Trend anhalten, könnte sich die Menschheit im Jahr 2060 nur noch durch Klonen fortpflanzen.

Doch nicht nur als biologisch abbaubar präsentiert Monsanto sein Roundup-Herbizid. Die Roundup-Ready-Pflanzen seien auch „klimafreundlich“, da sie die maschinelle Bearbeitung des Bodens und der Pflanzen verringerten. Große Mengen von Kohlendioxid und Methan blieben im Boden gebunden, sodass die Kohlendioxid-Emissionen der Vereinigten Staaten um 30 Prozent abnehmen würden. Fragt sich nur, weshalb der Anbau herkömmlicher Sorten weniger Erfolg verspräche. Eines ist jedenfalls sicher: Die Profite würden sinken, denn traditionelle Sorten brauchen kein Roundup. Dass Monsanto unter seinem neuen „Chef für nachhaltige Entwicklung“ Robert B. Horsch plötzlich ein Faible für angeblich umweltverträgliche Bewirtschaftungsmethoden entdeckt, trifft sich im Übrigen hervorragend mit den Interessen der Anbieter von handelbaren Verschmutzungsrechten – wie jene Großgrundbesitzer aus Montana, die sich zur Montana Carbon Offset Coalition zusammenschlossen, um ihre Emissionszertifikate für Kohlendioxid zu vermarkten.5

Ein weltweiter Propagandafeldzug

SO tolerant, umweltbewusst und dialogbereit Neu-Monsanto sich nach außen hin gibt, so drastisch klingt das strategische Vokabular für den hauseigenen Gebrauch. Vor Führungskräften von Monsanto Lateinamerika umriss der Leiter des Pflanzenentwicklungsprogramms Ted Crosbie im Januar dieses Jahres die „Philosophie“ des Unternehmens mit dem markigen Spruch: „Wir liefern die Pipeline und die Zukunft.“ Im Klartext: Monsanto will alle verfügbaren Anbauflächen mit Genpflanzen überziehen, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Lateinamerika erscheint in dieser Hinsicht als „winning environment“: Allein in Brasilien sieht Monsanto „Entwicklungschancen“ für rund 100 Millionen Hektar.

Leider konnten in Brasilien noch nicht alle Bedenken ausgeräumt werden, wie Nha Hoang und seine Kollegen vom Lateinamerika-Stab bedauern: „Brasilien ist nach den Vereinigten Staaten bereits der zweitgrößte Produzent von transgener Soja und wird ohne Zweifel bald Weltmarktführer sein. Das Land ist die größte Wirtschaftsmacht Lateinamerikas, aber es ist auch das einzige, in dem der Anbau von transgenen Pflanzen noch immer nicht genehmigt ist. Die Gerichte bemängeln Fehler im Zulassungsverfahren für transgene Roundup-Ready-Soja. Es seien keine geeigneten Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt worden, und die Gründung der Regulationsbehörde für Biotechnologie habe gegen geltendes Recht verstoßen.“ Die Entscheidung über den Rechtsstatus dieser Behörde – CNTBio – liegt nun beim brasilianischen Parlament. Ist die „Pipeline“ für die transgene Soja erst geöffnet, hofft man auf diesem Weg die Genehmigung weiterer Genpflanzen zu erreichen. Der Zeitplan sieht vor, 2002 Yieldgard-Mais, Bollgard-Baumwolle und Roundup-Ready-Baumwolle einzuführen, ein Jahr später Roundup-Ready-Mais und 2005 Bt-Soja. Monsanto investiert bereits im Bundesstaat Bahia 550 Millionen Dollar in den Bau einer Produktionsanlage für Roundup-Herbizid.

Im Zentrum der Konzern-Strategie steht „biotech acceptance“ – die Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz von gentechnisch manipulierten Pflanzen. Bevorzugtes Mittel sind groß angelegte Werbekampagnen. Das US-Propagandaorgan des Industriezweigs „Council for Biotechnology Information“ kauft hierfür Sendezeit bei den Fernsehanstalten. Monsanto gehört zu den Mitbegründern dieser Organisation, die einen Informationspool über die „Vorzüge der Biotechnologien“ unterhält. „Das Fernsehen ist ein mächtiges Mittel, um die Akzeptanz der Biotechnologien zu fördern. Achten Sie also auf unsere Werbespots und machen Sie ihre Angehörigen und Freunde darauf aufmerksam“, empfiehlt Tom Helscher, Leiter des Akzeptanzförderungsprogramms am Firmensitz in St. Louis, Missouri. So will man die amerikanischen Landwirte auf Kurs bringen, die vor der Verwendung von transgenem Saatgut zurückschrecken, weil sie um ihre Außenmärkte fürchten.

Anders als in den Vereinigten Staaten konnten sich Aventis Crop Science, BASF, Dow Chemical, DuPont, Monsanto, Novartis und Zeneca Ag Products in Europa noch nicht zu einer solchen massiven Werbekampagne entschließen. In Großbritannien startete Monsanto ein unternehmensinternes Fortbildungsprogramm für seine Verkaufsagenten, Motto: „Plädoyer für die Biotechnologien“. Die Absolventen des Lehrgangs dürfen sich als „Biotech-Experten“ bezeichnen und vor Schülern und Landwirten die Vorzüge transgener Produkte rühmen. „Nichts geht über Kommunikation“, freut sich der Leiter von Monsanto Nordeuropa, Stephen Wilridge.

Die Schulen sind im Krieg um die Köpfe natürlich von strategischer Bedeutung. Im Rahmen des von Monsanto mitfinanzierten Schülerwettbewerbs „Biotechnology Challenge 2000“ schrieben 33 Prozent der irischen Gymnasiasten einen Aufsatz über die Bedeutung der Biotechnologien für die Nahrungserzeugung. Zur Auszeichnung der Preisträger reiste der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz David Byrne an. Er hegt „nicht den geringsten Zweifel, dass die Zurückhaltung der Verbraucher gegenüber den Biotechnologien einem Mangel an seriöser Information geschuldet ist“. Für das nächste Schuljahr erhofft sich der Leiter von Monsanto Irland, Patrick O’Reilly, eine noch größere Teilnahme, denn „diese Schüler sind aufgeklärte Verbraucher und die Entscheider von morgen“.

Langsam, aber sicher lernt der Konzern, die Botschaften und Erwartungen der Öffentlichkeit zu entschlüsseln und für die eigenen Zwecke zu recyceln. Seit einigen Monaten schwankt Monsanto zwischen Dialogbereitschaft und einer tief sitzenden Aversion gegen GVO-kritische Nichtregierungsorganisationen, allen voran Greenpeace. Der Erfinder des Goldenen Reises, Ingo Potrykus, der sein Geld bei Syngenta verdient, warf Greenpeace gar ein „Verbrechen gegen die Menschheit“ vor. Der Goldene Reis – eine transgene Sorte, die mit Beta-Karotin (Vitamin A) angereichert ist – gehört zu den GVOs der zweiten Generation, da er außer seiner Ernährungsfunktion angeblich auch einem medizinischen Zweck dienen soll.

Als erster therapeutisch veredelter Reis wurde er von den Biotech-Firmen sehnsüchtig erwartet – dieses Produkt soll auch die härtnäckigsten Zweifler davon überzeugen, dass die gentechnische Landwirtschaft im Grunde ein wahrer Segen für die Menschheit ist. So avanciert das Vitamin A, per Transgenese in den Reis verpflanzt, zum moralisch korrekten Promotor der transgenen Nahrungsmittelerzeugung. Wer will die Vorzüge genetisch modifizierter Nutzpflanzen in Zweifel ziehen, solange in der Dritten Welt so viele Kinder wegen Beta-Karotin-Mangel erblinden? Und wer wird noch in Abrede stellen, dass sich der Handel mit transgenem Saatgut allein ökologischen, humanitären und Ernährungszwecken verpflichtet weiß?

Ob der Goldene Reis in der Dritten Welt tatsächlich den behaupteten Effekt erzielen würde, bleibt aber durchaus fraglich. Greenpeace und andere haben Mikrogramm für Mikrogramm aufgezeigt, wie absurd die Argumentation der Befürworter ist: Wollte ein Kind mit Goldenem Reis seinen Vitamin-A-Bedarf decken, müsste es Tag für Tag 3,7 Kilogramm Reis in sich hineinstopfen – der Verzehr von zwei Karotten, einer Mango und einer Schüssel Reis würde genügen. Auf einer Pressekonferenz im Februar dieses Jahres in Lyon im Rahmen von „Biovision“ – dem Davos der Biotechnologien – reagierte Ingo Potrykus mit offenen Drohungen: „Sollten Sie die Absicht haben, die Versuchsfelder mit unserem humanitären Zwecken verpflichteten Goldenen Reis zu zerstören, haben Sie eine Anklage wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschheit zu gewärtigen. Wir werden Ihre Aktionen bis ins kleinste Detail zu Protokoll geben, und Sie werden sich für ihre gesetzeswidrigen Handlungen vor einem internationalen Gerichtshof zu verantworten haben.“

Gefahren genetischer Verschmutzung

WER Zweifel anmeldet und Protest erhebt, wird als Verbrecher gegen die Menschheit denunziert. Eine Webseite, die beim Monsanto-Personal hoch im Kurs steht, beschimpft die „Friends of the Earth“ (Freunde der Erde) in einem dümmlichen Wortspiel als „Fiends of the Earth“ (Fanatiker der Erde). Die Dämonisierung des politischen Protests würgt jede Diskussion ab. Dabei verpflichtet sich Monsanto in seinem neuen Verhaltenskodex „zu einem ständigen Dialog mit sämtlichen betroffenen Akteuren, um besser zu verstehen, welche Fragen die Biotechnologien aufwerfen und welche Sorgen und Ängste sie hervorrufen“.

Hinter der zur Schau gestellten Gesprächsbereitschaft ist eine knallharte Verkaufsstrategie am Werk: Zum einen stimmt man das Produktimage nachträglich auf die Erwartungen der Verbraucher ab, zum anderen hämmert man den Verbrauchern durch pausenlose Werbung und intensive Öffentlichkeitsarbeit ein, dass das Produkt tatsächlich den Erwartungen entspricht. Monsanto braucht diese als Ethik sich spreizende Reklame, um sein biopolitisches Weltprojekt zu verwirklichen, und muss dabei natürlich Sorge tragen, sein Vorgehen an unterschiedliche Gegebenheiten anzupassen. Folglich wurde die weltweit agierende Firma für Unternehmenskommunikation Wirthlin Worldwide beauftragt, „geeignete Mittel und Wege zu finden, die Monsanto helfen, die Verbraucher rational zu überzeugen und emotional anzusprechen“.

Das zu diesem Zweck formulierte Projekt „Vista“ sollte die „Wertesysteme der Verbraucher“ ermitteln. Anhand von Meinungsumfragen wurde eine „Karte der Denkweisen“ erstellt, und zwar mit vier Ebenen: „althergebrachte Vorstellungen, Tatsachen, Gefühle und Werte. Die Werbebotschaften, die man in den Vereinigten Staaten auf der Grundlage dieser Studie erarbeitete, erzielten in der breiten Öffentlichkeit eine durchschlagende Wirkung. Das wichtigste Argument zu Gunsten der Biotechnologie war dabei: weniger Pestizide im Essen.“ In Frankreich wurde die Studie nur unter den Beschäftigten von Monsanto durchgeführt. In einem vertraulichen Gespräch sollten sie freimütig äußern, was sie von den Biotechnologien „im Guten wie im Schlechten“ halten. Ziel der Operation: Die Ausbildung von „Unternehmenssprechern, die in der Lage sind, die Öffentlichkeit mit maßgeschneiderten Botschaften zu bedienen“.

Freier Zugang zu genetischen Ressourcen und freier Zugang zu den weltweiten Absatzmärkten markieren die beiden Stoßrichtungen von Monsantos Konzept „Free to operate“. Die Entwicklung einer transgenen Pflanzensorte kostet 200–400 Millionen Dollar und dauert zwischen sieben und zehn Jahren. Damit sich die hohen Investitionskosten rentieren, muss Monsanto seine Erfindungen durch Patente schützen lassen. Folglich kostet jede Aussaat den Landwirt Lizenzgebühren. Dabei bezieht sich der Patentschutz auf alle Varietäten, die in irgendeiner Weise einen genetisch veränderten Organismus enthalten. Nicht von der Hand zu weisen ist daher die Gefahr, dass die großen Saatgutfirmen ein Monopol auf die wichtigsten Pflanzengenome erwerben und in (naher) Zukunft in der Lage sein werden, das gesamte Agrarsystem zu blockieren. Kein Landwirt wird sein Saatgut dann noch selbst züchten können.

Sollte diese irreversible Situation eintreten, geriete Monsanto in Widerspruch zu seiner eigenen Charta. Dort verpflichtet sich das Unternehmen, „die mittellosen Landwirte der Dritten Welt an den Erkenntnissen und Vorteilen aller landwirtschaftlichen Techniken teilhaben zu lassen, um einen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und des Umweltschutzes zu leisten“. Monsanto hat Südafrika denn auch großzügig die Patentgebühren auf eine transgene Sorte der Süßkartoffel erlassen – nicht ohne den Hintergedanken, auf dem schwarzen Kontinent anderweitig Fuß zu fassen. „In Afrika könnten wir unsere Marktstellung in aller Ruhe mit Yield Gard und Roundup-Ready-Mais ausbauen. Parallel hierzu sollten wir ins Auge fassen, die Lizenzgebühren auf unsere Sorten lokaler Anbauprodukte wie die Süßkartoffel oder Maniok zu senken oder ganz abzuschaffen.“

So gibt sich Monsanto großzügig, wo es nur darum geht, neue Märkte zu öffnen, die zwar nicht sehr zahlungskräftig, aber umso leichter abhängig zu machen sind. Eine ähnliche Doppelstrategie verfolgt Syngenta mit dem Goldenen Reis in Thailand: Die kostenlose Nutzung der Sorte erforderte die Freigabe von rund 70 Patenten. In Indien bringt Monsanto die Milchdroge Posilac – ein in der EU verbotenes Hormon zur Steigerung der Milchproduktion von Kühen – kostenlos unter die Leute, um einen lokalen Markt zu erobern, der von Biotechnologie bislang nicht viel wissen will.

Einen anderen Ton schlägt der Konzern dagegen in Kanada an. Dort ließ er den Farmer Percy Schmeiser wegen „Piraterie“ von transgenem Raps jüngst zu einer Geldstrafe von rund 11 000 Euro verurteilen. Der Betroffene schlug zurück und verklagte den Konzern auf Schadenersatz, weil sein mit herkömmlichem Raps bestelltes Feld durch Pollenflug mit Roundup-Ready-Raps verseucht worden sei. Ist ein Gericht in der Lage, die Herkunft einer genetischen Verschmutzung zu klären? Der Fall Schmeiser – der sicherlich kein Einzelfall bleiben wird – verdeutlicht die prinzipielle Schwierigkeit, eine unabsichtliche Verbreitung gentechnisch veränderter Sorten zu verhindern.

In Frankreich schweigt man das Problem schlicht und einfach tot. Im März 2000 wurde in mehreren europäischen Ländern konventioneller Raps der Firma Advanta ausgesät, der mit Gen-Raps eines anderes Herstellers kontaminiert war. Die Pflanzen wurden vernichtet. Im August desselben Jahres stieß die französische Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde bei Kontrollen auf genetisch verseuchtes Winterraps-Saatgut – obwohl in Frankreich noch keine einzige Gen-Rapssorte zur Aussaat oder zum Verbrauch freigegeben ist. Zu häufig sind solche Fälle genetischer Verschmutzung, als dass ein System lückenloser Herkunftsnachweise noch machbar schiene. In einem Lagerhaus in Lodi nahe Mailand entdeckten die italienischen Behörden Soja- und Maissaatgut der Firma Monsanto, das Spuren von genetisch veränderten Sorten aufwies. Mit der Verfütterung von Importsoja anstelle der nunmehr verbotenen Tiermehle wird sich der „Gen-Druck“ auf Europa weiter verstärken, denn ein erheblicher Teil der Weltsojaproduktion besteht schon heute aus transgenen Sorten.

Gentechnikfreies Saatgut – so scheinen die Biotech-Firmen zu kalkulieren – wird wegen der exorbitanten Kosten entsprechender Kontrollen von ganz alleine verschwinden. So steht zu erwarten, dass die Landwirte in den kommenden Jahren vermehrt Schwierigkeiten haben werden, gentechnikfreies Saatgut zu beschaffen. Da sich die weltweite Agrarforschung zunehmend auf die Entwicklung von transgenem Saatgut konzentriert, scheint es durchaus denkbar, dass gentechnikfreie Sorten hinter der allgemeinen Entwicklung der Agrartechnik zurückbleiben und schließlich durchs Raster fallen.

Fragt sich nur, was Monsanto in diesem Zusammenhang unter „Transparenz“ versteht. Dass die Kontrolleure kontrolliert werden? Der Verbraucher jedenfalls muss sich auf die Informationen des Herstellers verlassen. Jede gentechnische Erfindung genießt den Schutz des Patentrechts, und kein Hersteller ist gesetzlich verpflichtet, Testverfahren für Kontrollanalysen zu veröffentlichen. In Frankreich müssen die Hersteller nur bei der Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde DGCCRF eine Beschreibung ihrer gentechnischen Erfindungen vorlegen; nur sie hat daher die Möglichkeit, Analysen durchzuführen. Auftragsarbeit ist ihr untersagt, so dass weder die Verbraucher noch die Industrie den Sachverstand der Behörde in Anspruch nehmen können.

Der Verbraucher wird sich mit der Auskunft zufrieden geben müssen, dass die Firma nur Saatgut vermarktet, das für die menschliche Ernährung zugelassen ist. Er wird einfach glauben müssen, dass sich die Firma an ihre Zusage hält, „die religiösen, kulturellen und ethischen Belange der Menschheit zu respektieren und in [ihren] Agrarprodukten für Mensch und Tier keine menschlichen oder tierischen Gene zu verwenden“. Die kürzliche Ernennung der ehemaligen Monsanto-Mitarbeiterin Linda Fischer zur Chefin der US-Umweltschutzbehörde EPA erweckt jedenfalls den Eindruck, dass sich Neu-Monsanto nicht nur außerhalb der Gesetze wähnt, sondern sie nun auch noch selbst schreiben will.

dt. Bodo Schulze

* Forscherin an der Ecole des hautes études en sciences sociales (EHESS), Paris.

Fußnoten: 1 Jean-Pierre Berlan und Richard C. Lewontin, „Angriff auf das Leben“, Le Monde diplomatique, Dezember 1998. 2 Auf die Gefahr unkontrollierter Ausbreitung wiesen auch José Bové und zwei weitere Bauern hin, um zu begründen, weshalb sie 1999 transgene Reispflanzen in dem Treibhaus eines Forschungszentrums (Cirad) in Montpellier vernichtet hatten. 3 Zahlenangaben nach Caroline Cox, „Glyphosate“, Journal of Pesticide Reform 18 (3), 1998, hrsg. von der Northwest Coalition for Alternatives to Pesticides. 4 Vgl. zu diesem Thema Mohammed Larbi Bouguerra, „La pollution invisible“, Paris (PUF) 1997. 5 http://www.carbonoffset.org.

Le Monde diplomatique vom 13.07.2001, von AGNÈS SINAI