13.07.2001

Yizo Yizo

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Yizo Yizo

Von JEAN-CHRISTOPHE SERVANT *

SÜDAFRIKA, 13. März 2001, 20.30 Uhr. Die 3 159 520 Zuschauer der Serie „Yizo Yizo“ trauen ihren Augen nicht. Erstmals werden im öffentlichen Fernsehsender SABC zwei Männer beim Liebesakt gezeigt. Die Szene spielt im Gefängnis, und Chester, einer der bösen Buben, muss einem Bandenboss zu Willen zu sein, um sich dessen Schutz zu erhalten.

Zwei Tage nach der Ausstrahlung setzte der Sowetan, die vorwiegend von Schwarzen gelesene Tageszeitung, das Thema auf die Seite eins und forderte die Absetzung der Serie, was bei ihrer Leserschaft auf einhellige Zustimmung stieß. Die „Affäre Yizo Yizo“ wurde sogar Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage.

Die mit einem Budget von 5 Millionen Rand (ca. 0,7 Millionen Euro) gedrehte Serie „Yizo Yizo“ („So ist es“), die seit dem 20. Februar 2001 in der zweiten Staffel läuft, hat seit ihrer ersten Ausstrahlung im Frühjahr 1999 ununterbrochen für Konfliktstoff gesorgt. Von der Firma The Bomb Shelter für die 15- bis 25-Jährigen und insbesondere für die 11 Millionen schulpflichtigen schwarzen Südafrikaner produziert, zeigt „Yizo Yizo“ unverblümt den Alltag von Abiturienten in der „Supastella High School“, einem fiktiven Gymnasium in einem Johannesburger Township. Behandelt werden alle Probleme, mit denen die 19 Millionen Schwarzen unter 20 Jahren der „Regenbogennation“ tagtäglich zu tun haben: Drogen, Spannungen zwischen Lehrern und Schülern, Gewalt, Prügelstrafe, Vergewaltigung und Schulversagen – aber auch die Rolle der Eltern und die angelaufenen Schulreformen. Die Serie hat eine Einschaltquote von bis zu 57 Prozent, bei Jugendlichen zwischen 7 und 15 Jahren sogar bis 74 Prozent. Im Jahr 2000 wurde sie mit dem angesehenen Avanti Award ausgezeichnet.

Ein Teil der neuen schwarzen Elite kritisiert die Serie wegen ihrer „negativen und übertriebenen“ Darstellung des Lebens in den Townships. „Mit unseren Kindern so etwas anzusehen, das erlaubt uns unsere Kultur eigentlich nicht, und es ist auch kaum ein positiver Beitrag zu der Gesellschaft, die wir aufbauen möchten“, echauffiert sich ein Sprecher des African National Congress (ANC).

Dabei wird „Yizo Yizo“ eigentlich im Auftrag des Staates produziert. 1996, im zweiten Jahr von Nelson Mandelas Präsidentschaft, gründete der öffentliche Fernsehsender das „SABC-Education-TV“. Das Programm, das „zur Entwicklung der Nation auf formlose und unterhaltsame Weise beitragen“ will, soll sich „der Form des Dramas bedienen, um jenen schwarzen Jugendlichen Bildung zukommen zu lassen, deren Wissensdurst sich mit didaktischen und schulmeisterlichen Tönen nicht verträgt“. In Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium und verschiedenen NGOs wurde eine Studie über die Bedürfnisse der Jugendlichen durchgeführt, danach konnten die unabhängigen Produktionsfirmen des Landes an einer Ausschreibung des Projekts teilnehmen.

Die Apartheid hat im Bildungssektor wahrlich ein schweres Erbe hinterlassen: 1999 gab es 2 800 000 Analphabeten schwarzer Hautfarbe (gegenüber 16 000 weißen); 12 Prozent der unter 20-Jährigen hatten keinerlei Schule absolviert. Im Jahr 2000 kamen im ganzen Land sechs schwarze Arbeitslose auf einen weißen. Die Arbeitslosenrate beträgt 30 Prozent. Während der letzten Jahre der alten Regierung waren die Schulen, als mutmaßliches Instrument weißer Dominanz, von einer ganzen Generation boykottiert worden, die vom politischen Kampf zu Verbrechen und Gangstertum übergegangen war. Für das neue Südafrika war es also vordringlich, das Lernbedürfnis wieder anzuregen.

„Yizo Yizo“ bedient sich des Realismus der Township-Sprache (die Serie ist englisch untertitelt) und der schnellen Schnitte des Videoclips. Damit knüpft sie an die kulturellen Vorlieben der ersten Nach-Apartheid-Generation an, zu denen auch die äußerst populäre Kwaito-Musik gehört. Doch die Initiatoren der Serie wissen sehr wohl, dass „es nicht allein in der Hand der Regierung liegt, das Bildungswesen zu verbessern“. In der vor Beginn der Ausstrahlung an den Schulen verteilten Broschüre schreiben sie: „Es ist ebenso Aufgabe der Lehrer, Eltern, ja: der Allgemeinheit, soziale Veränderungen zu erzielen.“

Um dies zu erreichen, verfolgt die Serie das Schicksal von Charakteren aus drei Generationen. Die werden von erfahrenen und routinierten Schauspielern wie auch von jungen, im Ghetto rekrutierten Darstellern verkörpert. Gedreht wurde in dem Johannesburger Daveyton Lyceum, das in Supastella High School umgetauft wurde. Im Mittelpunkt der Serie stand von Anfang an die ungeschminkte Hassliebe zwischen den Generationen – ein tiefer Graben, der die gegen Ende der Apartheid geborene Jugend von den Älteren trennt, die den „Befreiungskrieg“ miterlebt haben. Gleichwohl empfanden 85 Prozent der Eltern und 95 Prozent der Lehrer, die sich die Folgen der ersten Staffel ansahen, die Serie als „Bereicherung, als anregend für den Dialog über Themen, die bislang unter den Tisch fielen“.

Issac Shongwe, Executive Producer bei der Firma The Bomb Shelter, die als „Brutkasten“ kommerzieller Projekte „mit sozialem Auftrag“ fungiert, meint dazu: „Die Polemik um ,Yizo Yizo‘ entzündet sich heute eher an gesellschaftlichen Fragen und weniger an der Rassenproblematik. Viele Schwarze der neuen Elite sehen die Dinge etwas verengt. Sie vergessen allzu leicht, wo sie herkommen: aus dem Township. Und genau dort passieren diese Dinge ja leider tatsächlich.“ Zwar mögen manche die Darstellung der Jugendlichen in den Ghettos als übertrieben empfinden oder meinen, „Yizo Yizo“ gäbe ein schlechtes Beispiel ab (einige Gangs schmücken sich bereits mit dem Namen), doch die Wirklichkeit ist oftmals noch bitterer, als es die Serie zeigen kann.

Der Erziehungsminister Kader Asmal, seit 1999 im Amt, musste letztes Jahr eingestehen, dass der Zustand von 30 Prozent der Schulen gesundheitsschädigend ist und dass 40 Prozent aller Schulen weder über Wasser noch über Strom verfügen. Für eine Million Schüler gibt es weder Tisch noch Stuhl, und der Schulbetrieb wird kontinuierlich durch Lehrerstreiks und Schülerboykotte beeinträchtigt. Für Mandela Raphele, ehemalige Vizepräsidentin der University of Cape Town und heute bei der Weltbank angestellt, ist Gewalt „für die meisten Kinder hier eine tägliche Realität“. Andererseits geht die Tageszeitung Star so weit, in der Ausgabe vom 24. März 2001 ihre Warnung vor dem wachsenden Einfluss von Jugendgangs mit Fotos aus „Yizo Yizo“ zu untermauern.

„Die meisten Leute nahmen an, die zweite Staffel der Serie werde gemäßigter ausfallen als die erste, aber im Gespräch mit unseren Partnern hatten wir bereits beschlossen, wieder härtere Themen aufzugreifen. Unsere Partner glauben an das, was wir tun, auch wenn ihnen bei der Sache nicht immer ganz wohl ist. Aber auch sie müssen zugeben, dass die Serie die Realität an den Schulen widerspiegelt“, sagt Teboho Mahlatsi, der Schöpfer der Serie. Mahlatsi ist ein erklärtes Kind des „Neokolonialismus“, der mit Fernsehserien wie „Homicide“ oder Filmen wie „La Haîne“ (Frankreich 1995) und Pasolinis „Accatone“ (1961) aufwuchs – „zwei Filme, in denen man erkennt, dass das Ghetto ein universelles Problem ist“. Er musste sich harsche Kritiken anhören, wie etwa die, er wolle „die Schwarzen töten“. Als Schöpfer von „Yizo Yizo“ hat er es „oft nicht leicht“, aber er weigert sich, klein beizugeben. Für die zweite Staffel hat der in Soweto aufgewachsene Cineast die Psychologie seiner Hauptfiguren verfeinert und den Realismus weitergetrieben. Die homosexuelle Szene im Gefängnis resultiert aus langen Gesprächen mit Inhaftierten und einem Dreh in einem echten Gefängnis im Norden Johannesburgs. In seinen Augen zeigt sie „die unverfälschte Wirklichkeit. Wir wollten ganz klar zeigen, dass im Gegensatz zu den Vorstellungen vieler Ghettokinder das Gefängnis weder Spielplatz noch Initiationsort ist. Aber bitte, es hat sich herausgestellt, dass unsere Gesellschaft im Kern immer noch homophob ist. Das erklärt auch die heftigen Reaktionen auf diese Szene. Doch um die Debatte anzukurbeln, darf man nicht vor Provokation zurückschrecken.“

Bis zum Ende der Staffel wird die Serie noch verschiedene brisante Themen behandeln: das Misstrauen der Gesellschaft gegenüber der Polizei, die schwarzen Selbstschutzmilizen, die Schule als Drogenumschlagplatz, die Ungleichheit zwischen Schulen der Townships und der Vororte und nicht zuletzt die finanziellen Probleme der Lehrer. Eher düstere Themen also, die jedoch mit dem der Straße eigenen Witz und Humor behandelt werden und von dem Willen durchdrungen sind, zu zeigen, dass es auch in den Ghettos Hoffnung und die Chance auf Erneuerung gibt. „Erfreulich ist immerhin, dass sich die Nation durch die Serie mit sich selbst auseinander setzt“, bekräftigt der junge Filmemacher.

Das Team von „Yizo Yizo“ will diese Auseinandersetzung vorantreiben. In diesem Zusammenhang wurde mit Unterstützung des Erziehungsministers eine große Tournee durch die Schulen des Landes gestartet, 300 000 Exemplare einer Broschüre wurden verteilt, in der die Schauspieler der Serie ihr Publikum direkt ansprechen: Mit Slogans wie „Sei du selbst“, mit Ratschlägen über den Umgang mit Lehrern und über die Notwendigkeit, auch mal ein Schulbuch aufzuschlagen, mit Hinweisen auf Organisationen, die gegen Gewalt an Schulen kämpfen. Höhepunkt dieser Aktion sind nicht autorisierte Berichte mehrerer Hauptdarsteller, die selbst schon mit der Polizei in Konflikt geraten sind.

Als Paradebeispiel einer neuen Welle von Fernsehserien – dazu gehören „Soul City“, „Soul Buddyz“, „Khulukhela“ oder „Take Five“ – ist „Yizo Yizo“ sicherlich ein historisches Ereignis für eine Nation, die eine Revolution zwar eingeleitet, aber noch längst nicht durchgestanden hat. Blessing Manale, die für Medienfragen in der Jugendabteilung des ANC verantwortlich ist, bringt es auf den Punkt: „Die Serie zu verbieten wäre nicht das Richtige. Ganz im Gegenteil, wir sollten SABC dafür danken, dass uns endlich gezeigt wird, wie unsere Jugendlichen wirklich leben. Ihre Situation wird sich allerdings nicht dadurch verbessern, dass wir über die Programmplanung von ,Yizo Yizo‘ diskutieren. Die Medien, die politischen Parteien und die Gesellschaft müssen sich intensiver darum bemühen, in Sachen Aids, Drogen und Gewalt klare Signale zu setzen. Es geht um die Millionen talentierter junger Südafrikaner, die nach ihrem Schulabschluss unweigerlich auf der Straße landen.“

dt. Elisabeth Wellershaus

* Journalist

Le Monde diplomatique vom 13.07.2001, von JEAN-CHRISTOPHE SERVANT