14.09.2001

Die Farbe des Geldes in den Vereinigten Staaten

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Die Farbe des Geldes in den Vereinigten Staaten

Von DALTON CONLEY *

Wenn es eine Statistik gibt, die deutlich macht, dass die Bürgerrechtsbewegung die Rassenschranken in den USA noch lange nicht aufgehoben hat, dann ist es die Statistik über die Nettovermögen. Um sein Nettovermögen zu berechnen, muss man lediglich den Wert der Dinge, die einem gehören (Grundeigentum, Wohnungseinrichtung, Auto, Kunstobjekte, Aktien, Sparguthaben) addieren und davon seine Schulden abziehen. Vergleicht man auf diese Weise die Haushalte der weißen Bevölkerung und die der Minoritäten in den USA, zeigen sich frappierende Unterschiede: Im Durchschnitt beträgt das Nettovermögen einer typischen weißen Familie etwa das Zehnfache einer nichtweißen. Gravierender noch: Seit den viel gerühmten Siegen der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren hat diese Eigentumsungleichheit weiter zugenommen.1

Diese Kluft lässt sich nicht allein durch Einkommensunterschiede erklären. Selbst bei Familien mit gleichem Einkommen zeigen sich große Unterschiede beim Nettovermögen. So liegt am unteren Ende der Einkommensskala (Jahreseinkommen von weniger als 10 000 Dollar) das Nettovermögen einer afroamerikanischen Familie im Durchschnitt bei null. Eine weiße Familie in dieser Kategorie verfügt dagegen über ein Vermögen von 10 000 Dollar. Auch die neue schwarze Mittelschicht, der Inbegriff des viel beschworenen „amerikanischen Traums“, kommt im Vergleich kaum besser weg: Eine typische weiße Familie in der Einkommenskategorie von 40 000 Dollar pro Jahr hat etwa 80 000 Dollar an Werten als Rücklage, die entsprechende afroamerikanische Familie besitzt hingegen nicht einmal die Hälfte.2

Ein Großteil der fortdauernden Rassenunterschiede erklärt sich also durch diese Vermögenskluft. Im Durchschnitt haben Schwarze seltener einen College-Abschluss, verdienen weniger und sind häufiger auf Sozialhilfe angewiesen. Doch bei gleichem Einkommen und gleichem Vermögen haben die Kinder der Afroamerikaner häufiger einen College- und Highschool-Abschluss als die der Weißen. Dass die Schwarzen am unteren Rand der Einkommensskala häufiger Sozialhilfe in Anspruch nehmen, liegt daran, dass sie keine Vermögensrücklagen bilden können.

Slacey Jones, eine Afroamerikanerin aus der Mittelschicht, mit Hochschulabschluss und einem sicheren Job, beschreibt das Dilemma vieler Eltern, die ethnischen Minderheiten angehören: „Ich kann hier in Atlanta keine anständige Schule für meine Kinder finden, wenn ich nicht auf kirchliche Einrichtungen zurückgreifen will. Ein Haus in einer Wohngegend mit guten Schulen geht über meine Verhältnisse. Aber das ist ein Teufelskreis: Durch die hohen Schulgelder, die ich jetzt zahle, kann ich mir erst recht keine bessere Wohngegend leisten.“3

Solche Probleme sind typisch für die wachsende schwarze Mittelschicht, die häufig als Paradebeispiel für die Integrationsfortschritte angeführt wird. Fehlende Rücklagen bedeuten, dass Familien mit ihrem Monatseinkommen gerade über die Runden kommen und darum keine Chance haben, sich einen besseren Job zu suchen oder in ein besseres Viertel zu ziehen. Wer seine Kinder auf ein renommiertes College schicken will, benötigt erhebliche finanzielle Mittel. Das monatliche Einkommen mag ausreichen, die laufenden Ausgaben zu decken, doch in einem Land, in dem gute Schulbildung meist nur von privaten Schulen geboten wird, braucht man Rücklagen, wenn man seinen Kindern den sozialen Aufstieg ermöglichen will.

Für die Armen unter den ethnischen Minderheiten ist die Situation noch schwieriger. Bei unvorhergesehenen Schwierigkeiten (wie Entlassung oder Krankheit) fällt in den nichtweißen Haushalten das Fehlen der durchschnittlich 10 000 Dollar Rücklage, über die eine arme weiße Familie im Schnitt verfügt, stark ins Gewicht – zumal 43 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert sind. Jede Rezession trifft also die Schwarzen weitaus härter als die Weißen. Zudem sind sie durch die fehlende Rücklage abhängiger von Sozialleistungen als Weiße, doch seit der 1996 verabschiedeten Welfare-Reform gilt, dass man Sozialleistungen nur für maximal fünf Jahre (verteilt auf die Lebenszeit) beziehen kann. Familien ethnischer Minderheiten, die in Not geraten und keine finanziellen Rücklagen haben, drohen infolge solcher Regelungen rasch zu zerfallen: Der Zusammenhalt löst sich auf, jeder sieht zu, wie er zurechtkommt.4

Reichtum bietet keineswegs nur finanzielle Vorteile: Als der New Yorker Philanthrop Eugene Lang 1980 eine Schule in der Bronx besucht, war er erschüttert, wie sehr das Viertel, in dem er aufgewachsen ist, heruntergekommen war. Eigentlich wollte er vor den Schülern über Ausbildung und Arbeitsmoral reden, doch angesichts des Elends legte er sein Manuskript beseite und machte den Schülern ein konkretes Angebot: Er wolle jedem, der den Highschool-Abschluss schafft, ein College-Stipendium bezahlen. Er verbesserte also weder das Einkommen noch die Wohnsituation der Eltern, sondern bot deren Kindern eine Garantie – einen Wechsel auf die Zukunft also und eine Nachhilfe für die Schwachen.

Das Ergebnis war erstaunlich: In einer Wohngegend, in der bis dahin die meisten Jugendlichen die Schule abbrachen und kaum jemand das College besuchte, schafften 54 der 61 Schüler den Highschool-Abschluss, und die Hälfte ging ans College.5

Weshalb bestehen die Vermögensunterschiede nicht nur weiter fort, sondern nehmen sogar noch zu? Eine Antwort lautet: Wer hat, dem wird gegeben. Die Weißen verdienen mehr und haben seit jeher höhere Einkommen als die Afroamerikaner – wesentlich höhere. Die Einkommensunterschiede bestimmen wiederum auf lange Sicht die Vermögensunterschiede. Nach Schätzungen einiger Ökonomen stammt das Vermögen, das innerhalb einer Lebensspanne erworben wird, bis zu 80 Prozent aus Zuwendungen früherer Generationen, die innerhalb eines Familienverbunds vergeben wurden; vorsichtigere Kalkulationen kommen auf 50 Prozent. Solche Zuwendungen bestehen darin, dass Eltern ihren Kindern ein Haus kaufen, den Enkeln das College finanzieren oder andere Vermögenswerte vererben. Die anfangs vielleicht kleinen Unterschiede im Familienvermögen zeigen über die Jahre große Wirkung. Und als reichte es nicht, dass die schwarze Bevölkerung seit jeher schlechter entlohnt wurde und weniger Vermögen bilden konnte, war sie lange Zeit auch hinsichtlich des Grund- und Wohnungserwerbs benachteiligt.

Freedman’s Bureau, eine Regierungsstelle, die nach der Aufhebung der Sklaverei damit beauftragt war, die ehemaligen Sklaven in die Welt der Lohnarbeit zu integrieren, versprach den Schwarzen damals „vierzig Morgen Land und ein Maultier“. Den Löwenanteil des im Süden enteigneten Plantagenbesitzes sicherten sich allerdings Weiße aus den Nordstaaten, die dann die ehemaligen Sklaven als Pächter auf diesem Land beschäftigten. Das System des sharecropping (Bezahlung der Pacht durch Abtretung von Ernteanteilen) verhinderte für Jahrzehnte, dass die Schwarzen Rücklagen bilden konnten. Afroamerikaner, die sich dieser Abhängigkeit entziehen und selbstständig machen wollten, erfuhren neue Benachteiligungen: In vielen Südstaaten gab es spezielle black codes, die den Schwarzen exorbitante Gebühren abverlangten, wenn sie sich mit einem Geschäft niederlassen wollten.

Rote Linie für schwarze Wohngegenden

AUCH im 20. Jahrhundert wurde es der schwarzen Bevölkerung nicht leichter gemacht, Vermögen zu bilden. Die Home Owner’s Loan Corporation (HOLC) zum Beispiel, eine Einrichtung, die 1929 in der Weltwirtschaftskrise von der US-Bundesregierung gestiftet wurde, um Hausbesitzern durch Kredite den Zwangsverkauf ihres Eigentums zu ersparen, kam vor allem der verarmten weißen Bevölkerung zugute. Für bestimmte Wohngegenden führte das Amt das so genannte redlining ein (die „rote Linie“ bedeutete, dass die Wohnlage als zu riskant galt, um sie zu beleihen). Natürlich wurden stets die Wohnviertel der Schwarzen damit gekennzeichnet – auch die Banken übernahmen diese Klassifizierung.6

Zugleich hatte die Mehrzahl der schwarzen Lohnarbeiter keine Ansprüche auf Zahlungen aus der staatlichen Pensionskasse und der Sozialhilfe, weil diese Institutionen für die Beschäftigten im Bereich von Landwirtschaft und Dienstleistungen nicht zuständig waren. Die Folge war, dass diese Bevölkerungsgruppe höhere Eigenleistungen erbringen musste, um das Auskommen der Alten zu sichern, und folglich weniger Vermögen an ihre Nachkommen vererben konnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es verschiedene Bundeseinrichtungen (wie die Veteran’s Administration), die Millionen von Amerikanern günstige, langfristige Kredite für den Hauserwerb anboten. Die schwarze Bevölkerung, die überwiegend im Zentrum der Großstädte lebte, bekam davon allerdings kaum etwas ab, denn die Kredite wurden vor allem für neu gebaute Stadtrandsiedlungen vergeben.

Auch die seit den 1960er-Jahren wiederholt eingeführten vermögensbildenden Unterstützungsmaßnahmen für ethnische Minderheiten blieben ohne nachhaltige Wirkung. Denn trotz des Aktienbooms ist der Grundbesitz die wichtigste Form der privaten Vermögensbildung geblieben. Die schwarze Bevölkerung allerdings hat es nicht nur schwerer, ein Haus zu kaufen, sie muss auch die Erfahrung machen, dass Grundstücke in schwarzen Wohngegenden weniger Wertsteigerung erfahren als in weißen Vierteln. Grundbesitz hat die Eigenart, dass sein Wert hochgradig von sozialen Kriterien abhängt. So wie ein Van Gogh, eine seltene Briefmarke oder ein Diamant nur so viel wert ist, wie gerade auf dem Markt geboten wird, hat auch ein Grundstück seinen Marktpreis, der sinkt, wenn der Prozentsatz afroamerikanischer Anwohner in einer Wohngegend steigt – ein Indikator für die Haltung der Gesellschaft gegenüber den „Schwarzen“.7

Zum Teil ist die Abwertung bestimmter Wohngegenden allein in der wirtschaftlichen Verlustangst weißer Eigentümer begründet. Daraus folgt einTeufelskreis: Solange die Weißen, die ja die Bevölkerungsmehrheit darstellen, in der Lage sind, sich zum Wegziehen zu entschließen (white flight), werden sie den wirtschaftlichen Anreiz wahrnehmen, aus den integrierten Vierteln zu fliehen. Dabei zählen allein wirtschaftliche Erwägungen: Ganz gleich, was sie persönlich vom Zusammenleben von Schwarzen und Weißen halten, müssen sie zusehen, dass sie ihr Haus verkaufen, wenn eine Wohngegend „auf der Kippe“ steht. Denn alle beobachten die Entwicklung nach den gleichen Kriterien, und wer zu lange wartet, erzielt einen geringeren Preis.8 Schwarze und Weiße stecken damit in einem gemeinsamen Dilemma: Sie reproduzieren zwangsläufig immer wieder dieselben Strukturen. Der Vorschlag, eine „Rassenintegrationsversicherung“ einzuführen, die den Grundeigentümern Schutz gegen den etwaigen Preisverfall bietet, ist nur schwer umzusetzen. Außerdem stößt die Idee in den afroamerikanischen Gemeinschaften auf politische Widerstände: Die Vorstellung, dass schwarze Anwohner ein Risiko sind, gegen das man sich versichern muss, weckt nicht gerade Begeisterung.

Es geht bei diesen Problemen der ethnischen Mischung in Wohngebieten ja nicht nur um Vermögensunterschiede, sondern ganz grundsätzlich um Fragen der Identität, der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder sozialen Schicht – und um Ausgrenzung. Die Zeiten, als man die Bevölkerung der USA ökonomisch, sozial und politisch vor allem nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Berufen einteilen konnte, sind längst vorbei. Früher bildeten zum Beispiel Arbeiter einer Berufsgruppe grundsätzlich ein gemeinsames Lager: Ein Rohrleger verdiente so viel wie die anderen Rohrleger in seiner Gewerkschaft, von der er erwartete, dass sie für den ganzen Berufsstand um bessere Löhne verhandelte. Heute sind nur noch etwa 10 Prozent der Arbeiter in den Vereinigten Staaten in Gewerkschaften organisiert, und in einer Wirtschaft, die auf Zeitarbeit und unorganisierte Arbeitskräfte setzt, stehen die Beschäftigten zunehmend in Konkurrenz zueinander.

Zugleich ist es teurer geworden, Wohneigentum zu erwerben. Die Vereinigungen, mit denen gemeinsame wirtschaftliche Interessen verfochten werden, sind heute eher die Anwohnervereine in den Wohnvierteln als die Gewerkschaften.9 Was der Nachbar verdient, spielt kaum noch eine Rolle, aber wie sein Haus aussieht und gepflegt wird, hat unmittelbare Auswirkungen auf den Wert des Nachbargrundstücks. Wenn einer sein Haus verfallen lässt oder völlig geschmacklos herrichtet (nach Kriterien, die von der Allgemeinheit und damit vom Markt vorgegeben sind), schadet er auch den Anrainern, weil der ganze Straßenzug an Attraktivität verliert. Die wachsende Bedeutung des Grundbesitzes hat auch unmittelbare politische Folgen: Zum Beispiel bilden sich Interessengruppen, die zu verhindern suchen, dass sich in ihrem Viertel unerwünschte Einrichtungen ansiedeln – eine Rehaklinik, ein Klärwerk etc. Diese Haltung – die in den USA als „Nimby-Bewegung“ („Not in my backyard!“, was so viel heißt wie: „Nicht bei mir!“) firmiert – perpetuiert die Rassenschranken und gibt ihnen eine rationale Basis, denn der hohe Weißenanteil wird zum objektiven Indikator dafür, welchen Wert ein Grundstück hat. Dies gilt dann auch für den afroamerikanischen Grundbesitzer.

Die Regierung Bush zeigt keinerlei Interesse, den Ärmsten bei der Vermögensbildung unter die Arme zu greifen (was vor allem der schwarzen Bevölkerung zu Rücklagen verhelfen würde). Sie hat stattdessen Steuererleichterungen beschlossen. Ein Kernstück ist dabei die Aufhebung der seit 1916 geltenden Bundessteuer auf vererbtes Grundeigentum. Davon sind nur die Reichsten betroffen – die obersten 1,4 Prozent in der Vermögensstatistik. In der Liste der 400 reichsten Amerikaner, die das Magazin Forbes regelmäßig veröffentlicht, finden sich zur Zeit allerdings nur zwei schwarze US-Bürger.

dt. Edgar Peinelt

* Professor für Soziologie am Center for Advanced Social Science Research der New York University. Von ihm erschien zuletzt der autobiografische Bericht „Honky“, Berkeley (University of California Press) 2000.

Fußnoten: 1 Im Juli 1964 wurde in den USA die Rassentrennung offiziell abgeschafft, im August 1965 wurden auch die Einschränkungen des Wahlrechts für Schwarze aufgehoben. Einzelne Bundesstaaten erlaubten sich aber immer wieder Sonderregelungen, die gegen diese Bestimmungen verstießen. 2 Dalton Conley, „Being Black, Living in the Red: Race, Wealth and Social Policy in America“, Berkeley (University of California Press) 1999. 3 In den USA werden die Ausbildungskosten in der Regel nicht an Einrichtungen der Zentralregierung, sondern an die Bundesstaaten bzw. an die Gemeindebezirke (Counties) gezahlt. Je reicher ein County ist (was vor allem von der Grundsteuer abhängt, die sich wiederum nach dem Wert der Anwesen richtet), desto mehr gute Schulen gibt es. 4  Siehe Loïc Wacquant, „Clinton reformiert Armut zu Elend“, Le Monde diplomatique, September 1996. 5 Siehe Robert H. Frank und Philip J. Cook, „The Winner-Take-All Society“, New York (Free Press) 1995. 6 Diese Form der sozialen (und ethnischen, weil die „schwarzen“ Wohnviertel systematisch stigmatisiert wurden) Diskriminierung wurde erst 1977 durch das Community-Reinvestment-Gesetz unterbunden. 7 Zur Frage der gnadenlosen Entwertung von Grundeigentum nach dem Kriterium der ethnisch-sozialen Bevölkerungsstruktur in einer Wohngegend siehe Serge Halimi, „L’Université de Chicago, un petit paradis bien protégé“, Le Monde diplomatique, April 1994, und Douglas Massey, „Regards sur l’Apartheid américain“, Le Monde diplomatique, Februar 1995. 8 Von 1940 bis 1960 sank die Zahl weißer Einwohner der West Side von Chicago von 102 000 auf 11 000, zugleich stieg der Anteil der schwarzen Bevölkerung von 380 auf 114 000. Das heißt: Einst war das Verhältnis von Schwarzen und Weißen 1:268, jetzt ist es 10:1. 9 Siehe Eric Klinenberg, „Gemeinsam Wache stehen“, Le Monde diplomatique, Februar 2001.

Le Monde diplomatique vom 14.09.2001, von DALTON CONLEY