Bin Laden und andere Verdächtige
Verdächtige Transaktionen haben die Vermutung aufkommen lassen, dass die Drahtzieher des Attentats vom 11. September ihre selbstmörderischen Aktionen durch massive Börsenspekulationen versilbert haben. Doch diesbezügliche Nachforschungen haben nur wenig zutage gefördert und scheinen den Verdacht zu entkräften. Ohnehin haben exzessive Deregulierungsmaßnahmen die Möglichkeiten der Finanzpolizei stark beschnitten, und auch die Finanzwelt scheint wenig Interesse daran zu haben, ihre dunklen Zonen auszuleuchten.
Von IBRAHIM WARDE *
HABEN die Attentäter parallel zu ihren Selbstmordanschlägen groß an der Börse spekuliert? Verdächtige Kursbewegungen legen diese Vermutung jedenfalls nahe. Gerade mit Aktien, die am empfindlichsten auf die Tragödie reagieren mussten, wurde in den Tagen vor dem 11. September stark auf Baisse spekuliert, also etwa Flug-, Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaften, aber auch die Geschäftsbanken Morgan Stanley (einer der Hauptmieter im Word Trade Center) und Merrill Lynch, deren Sitz unweit der Zwillingstürme liegt.
Für den italienischen Verteidigungsminister Antonio Martino gibt es keinen Zweifel, dass „hinter dieser Spekulation auf den internationalen Märkten terroristische Staaten und Organisationen stecken“. Die These scheint umso plausibler, als der saudische „Milliardär“ und mutmaßliche Drahtzieher der Attentate, Ussama Bin Ladin, seine Laufbahn als Großfinanzier des afghanischen Widerstands gegen die sowjetischen Besatzer begonnen hat. Martino vermerkt denn auch: „Die Organisatoren der Attentate von New York sind bei all ihrem Wahnsinn helle Köpfe, und wir alle wissen ja: Geld ist Macht.“1
Also begannen die Bösenaufsichtsbehörden in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Japan verdächtige Transaktionen unter die Lupe zu nehmen. Doch schon wenige Tage später erklärten sie die Untersuchung für abgeschlossen: Für eine abgestimmte Spekulation, den Missbrauch von Insiderwissen oder Kursmanipulationen, hätten sich keinerlei Hinweise gefunden.
Und in der Tat gibt es überzeugendere – und weniger makabre – Erklärungen für die spekulativen Kursbewegungen. Eine weitere Eintrübung der Börsenstimmung zeichnete sich schon am Vortag der Attentate ab: Die Analysten sagten der Luftfahrt- und Versicherungsbranche schlechte Resultate voraus, und die Wirtschaftspresse veröffentlichte Details über juristische und finanzielle Schwierigkeiten bei Merrill Lynch und Morgan Stanley.2
Für den raschen Abschluss der Untersuchung gibt es noch weitere Gründe: Zum einen besitzt die Börsenaufsicht nach den Deregulierungsexzessen der letzten Jahre kaum noch Macht, zum anderen hat die Finanzwelt wenig Interesse, ihre dunkleren Ecken auszuleuchten. Theoretisch verfügen die Aufsichtsbehörden zwar über ein umfangreiches Arsenal zur Verfolgung und Unterbindung von Finanzdelikten, doch in der Praxis ist ihr Handlungsspielraum durch das undurchsichtige Finanzsystem stark eingeschränkt. Einfache Transaktionen wie der An- und Verkauf von Aktien durch Privatpersonen sind zwar leicht nachzuverfolgen, aber was die Märkte wirklich anheizt – die hochkomplexen Finanzprodukte, an denen die Spezialisten unablässig tüfteln, allen voran die spekulativen Hedge Fonds –, kann sich dem prüfenden Blick in der Regel entziehen. Im Übrigen zeigt die „Unterwelt“ des Finanzsystems mit ihren Scheinfirmen, Steueroasen und undurchschaubaren Finanzderivaten einen schier unerschöpflichen Einfallsreichtum, um ihre Geheimnisse zu wahren.
Seit Anfang der Achtzigerjahre wurde der Regelkanon, innerhalb dessen sich die Finanzwelt lange Zeit bewegte, Stück um Stück abgebaut. Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung und Marktöffnung sind die Schlüsselwörter einer Entwicklung, die von den USA ausgehend immer weitere Teile der Welt erfasst. Unter dem Vorwand der Schaffung eines effizienten „Kapitalmarkts“ lässt man den Marktakteuren völlige Freiheit; Kapital kann dabei grenzüberschreitend zirkulieren. Das dadurch bewirkte Wachstum der Finanzmärkte ist zwar ohne Beispiel, aber ebenso unbestreitbar sind die Zunahme der Finanzdelikte und die Destabilisierung der Realökonomie, die damit einhergehen.
Die Ausnahme vom Prinzip der Marktliberalisierung war der schrittweise verschärfte Kampf gegen die „Geldwäsche“. Die Reagan-Administration sah darin ein probates Mittel, um den Drogenhandel mit seinen zerstörerischen Folgen für die amerikanischen Städte auszutrocknen, und Reagans Nachfolger Clinton und Bush führten die begonnene Politik intensiviert fort. Rhetorisch untermauert durch die Doktrin der „null Toleranz“, stießen diese Methoden nicht nur an juristische und verfassungsrechtliche Schranken, sondern kollidierten auch mit der ins Maßlose getriebenen Liberalisierungslogik.
Große Jagd mit magerer Beute
MIT der Zeit politisierte sich der Kampf gegen die Geldwäsche und richtete sich verstärkt auch gegen „schmutzige Gelder“ aus Korruption, Terrorismus und ähnlich verdächtigen Geschäftsfeldern. 1989 gründete die G 7 die Arbeitsgruppe „Financial Action Task Force“, die seither in aller Welt nach unsauberen Finanztransaktionen fahndet.
Als Bush jun. mit seiner wirtschaftsfreundlichen Regierungsmannschaft das Staatsruder übernahm, sah es zunächst so aus, als würde der Kampf gegen die Geldwäsche an Priorität verlieren. Der neue US-Finanzminister Paul O’Neill verkündete: „Seit 15 oder 25 Jahren haben wir ein Programm zur Bekämpfung von Geldwäsche, um Kriminelle daran zu hindern, ihre Gelder in der Weltwirtschaft hin- und herzuschieben. Jedes Jahr geben wir dafür über 700 Millionen Dollar aus – ohne durchschlagenden Erfolg. In 25 Jahren ist uns nur ein großer Fisch ins Netz gegangen.“ Warum dann aber die ständige Aufrüstung in diesem Krieg? Weil, so die spöttische Auskunft O’Neills, „jede Aktion als Fortschritt wahrgenommen wird“3 . Die angekündigten Maßnahmen – Arbeitsgruppen und Krisenstäbe werden eingerichtet, Bankkonten eingefroren, Verdächtige verhaftet, schwarze Listen veröffentlicht – erwecken den Eindruck einer groß angelegten Jagd, gleichwohl fällt die Beute mehr als mager aus.
Wie in so vielen anderen Bereichen hat sich nach dem 11. September auch hier alles verändert. Die erste Schlacht in dem „neuen“ Krieg, den die Vereinigten Staaten ankündigen, wurde auf dem Feld der Finanzen geschlagen. Am Sonntag, dem 23. September, verkündete George W. Bush im Beisein von Finanzminister O’Neill und Außenminister Colin Powell: „Wir haben heute eine Aktion gegen die finanziellen Fundamente des weltweiten Terrornetzes gestartet.“
Da sich die Gelder des „Bin-Laden-Netzes“ größtenteils außerhalb der Vereinigten Staaten befinden, warnte Präsident Bush die „Banken und Finanzinstitute der Welt“ in aller Form: „Wir werden mit euren Regierungen zusammenarbeiten und sie bitten, die Konten der Terroristen einzufrieren. Falls ihr euch weigern solltet, uns zu helfen, eure Informationen zur Verfügung zu stellen oder die Konten zu sperren, besitzt das Finanzministerium ab sofort die nötige Machtbefugnis, um eure Aktiva und Transaktionen in den Vereinigten Staaten zu blockieren.“
Ein präsidentieller Erlass setzte 27 Personen und Organisationen auf die schwarze Liste: Bin Laden und seine 11 Unterführer, 11 terroristische Gruppen und 4 Wohlfahrtsorganisationen. Eine Woche später gab Bush die Sperrung von 50 weiteren Konten als „Fortschritt an der Finanzfront“ bekannt.4 Inzwischen wurden neue Listen veröffentlicht, und die Ressourcen der „Financial Action Task Force“ und anderer Kampforgane gegen die Geldwäsche wurden massiv aufgestockt.
Allerdings verkennt dieser Finanzkrieg, der auf der Grundlage geführt wird, dass „der finanzielle Gewinn der Antrieb für das organisierte Verbrechen ist“,5 die Lage. Denn die Attentäter handeln aus einem völlig anderen Motiv als die Akteure im Drogenhandel und anderen Geschäftsbereichen der Mafia. Nach Angaben des FBI kosteten die Operationen der 19 Selbstmordkommandos insgesamt nicht mehr als 200 000 Dollar. Die Luftpiraten lebten bescheiden, einige von ihnen hatten einen Job, andere erhielten Geld von ihrer Familie. Nur die Flugstunden erforderten offenbar finanzielle Unterstützung von außen. Der erste Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993, bei dem sechs Menschen ums Leben kamen und weitere eintausend verletzt wurden, hatte lediglich 20 000 Dollar gekostet.6
Angesichts dieser Zahlen ist es keineswegs ausgemacht, dass ein Austrocknen der Finanzquellen die terroristische Gefahr beseitigt. Wenn hier überhaupt von einem Finanzproblem die Rede sein kann, dann eher im Sinn einer „umgekehrten Geldwäsche“, insofern hier sauberes Geld durch seinen Einsatz für terroristische Zwecke schmutzig wird.
Es wäre daher an der Zeit, die strategische Stoßrichtung der Terrorismusbekämpfung von Grund auf neu zu überdenken. Anstatt sich auf die Geldwäsche zu versteifen, sollte man lieber die Qualität der Nachrichtendienste verbessern und verdächtige Milieus infiltrieren. Die Finanzinstitute waren bislang schon gehalten, alle zweifelhaften Transaktionen zu melden. Nun sollen sie zustimmen, dass ihre Kunden und Partner einer regelrechten Polizeikontrolle unterworfen werden. Dabei werden die großen Institute keine Schwierigkeiten haben, durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen; hängen bleiben werden nur die kleineren Institute und vor allem solche mit Verbindungen zur muslimischen Welt.
Im Übrigen steht nicht nur das herkömmliche Finanzsystem unter Generalverdacht. Seit entdeckt wurde, dass einer der Terroristen drei Überweisungen in Höhe von insgesamt 15 000 Dollar über eine „Hawala-Bank“7 erhalten hatte, nehmen die Geldwäschefahnder auch diese in unterentwickelten Ökonomien verbreiteten Geldinstitute aufs Korn. Darüber hinaus hat die Unterstützung, die der Terrorismus von einigen karitativen Organisationen erhielt, den gesamten muslimischen Wohlfahrtssektor in Verruf gebracht. Gewisse islamfeindliche Kommentatoren wiederholen seit Jahren, der eigentliche Zweck dieser Verbände sei die Finanzierung terroristischer Aktivitäten.8 In Wirklichkeit hängt die Bedeutung dieses Sektors damit zusammen, dass die Armensteuer zakat zu den fünf Pflichten jedes gläubigen Muslims gehört.9
Im derzeit herrschenden psychotischen Klima erstreckt sich die Gleichsetzung Muslim = Islamist = Terrorist auch auf die Finanzsphäre. Jede Geldüberweisung aus der muslimischen Welt gilt für sich schon als verdächtig. Der Finanzkrieg gegen den Terrorismus folgt der zweifelhaften Logik der Sippenhaftung – und Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen.
dt. Bodo Schulze
* Forschungsbeauftragter an der Harvard University, Boston, Massachusetts. Autor von „Islamic Finance in the Global Economy“, Edinburgh UP, 2000.