Krisenregion Horn von Afrika
IN Washington laufen die Planungen für eine „Phase II im Weltkrieg gegen den Terrorismus“. Als mögliches Zielgebiet ist das Horn von Afrika im Visier. Ein Krieg in der Region würde die Mission der 4 200 Blauhelmsoldaten berühren, die – von der Weltöffentlichkeit fast unbeachtet – den Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Äthiopien einzudämmen versuchen. Wahrscheinlichstes Ziel für das US-Militär wären jedoch islamistische Kräfte in Somalia, wobei sich das Regime in Addis Abeba als Hilfskraft anbieten könnte. Außer Gefahr scheint das sudanesische Regime, das inzwischen mit den USA kooperiert.
Von JEAN-LOUIS PÉNINOU *
Die Vereinten Nationen ließen sich bei ihrem Einsatz im Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea zu der Hoffnung auf eine erfolgreiche Friedensmission verleiten. Dafür schien es ideale Voraussetzungen zu geben: zwei disziplinierte Armeen und ein breiter internationaler Konsens über die Beendigung eines „absurden Krieges“ zwischen zwei Regimen, die beide aus dem gemeinsamen „historischen“ Kampf gegen Kaiser Haile Selassie und später gegen Oberst Mengistu Haile Mariam hervorgegangen waren. Auch gab es einen Waffenstillstand, dem kurz darauf das „gerechte“ Friedensabkommen von Algier folgte.1 Zudem sicherten die beiden Konfliktparteien zu, das Urteil einer internationalen Schiedskommission über den Verlauf der umstrittenen „Grenze“ anzuerkennen. Bis dahin sollten die UN-Truppen den Frieden sichern. Alles sah also nach einer „geglückten Mission“ aus.
In den ersten Monaten schien sich dieser Optimismus zu bestätigen, zumal die Vereinten Nationen die Mission großzügig finanzierten, ein erfahrenes Leitungsteam und erstmals auch ihre schnelle Eingreiftruppe (Shirbrig) abstellten. Entlang der Grenzlinie wurden gut ausgerüstete Truppen aus den Niederlanden, aus Kanada und Dänemark stationiert, aber auch zwei Bataillone aus Kenia und Jordanien.
Die Einsatzbedingungen vor Ort erwiesen sich als schwierig. Und das politische Klima blieb feindselig, weil die innenpolitischen Verwicklungen in beiden Ländern immer wieder neue Probleme erzeugten. Zu den ersten Zwischenfällen kam es bei der Festlegung einer „temporären Sicherheitszone“ auf eritreischem Gebiet, entlang der 1 000 Kilometer langen Grenze. Bis zur Entscheidung der Schiedskommission galt als Südgrenze der Pufferzone der Grenzverlauf vom 6. Mai 1998, also vor Ausbruch des Krieges.2 Während des Krieges hatten es allerdings beide Parteien sorgfältig vermieden, sich auf einen exakten Verlauf dieser „Linie vom 6. Mai 1998“ festzulegen.
Nach widersprüchlichen Erklärungen aus beiden Lagern schlug die UN-Mission in Äthiopien und Eritrea (UNMEE) – um die Truppenstationierung zu beschleunigen – im Januar 2001 einen „Goodwill-Grenzverlauf“ vor. Als die Konfliktparteien diese Linie am 6. Februar offiziell akzeptierten, konnten die Blauhelme endlich einrücken.
Allerdings konnten sich die UN-Militärs bei dieser eiligen Entscheidung fast nur auf die halbwegs exakten Angaben der äthiopischen Seite stützen. Eritrea hatte aus unbekannten Gründen nur sehr ungenaue Karten eingereicht. Zudem war den äthiopischen Generälen in ihren Verhandlungen mit der Unmee ein peinlicher Fehler unterlaufen, den sie erst im letzten Moment bemerkten: Die Pufferzone umfasste auch das gesamte Gebiet von Irob, einem der Hauptstreitpunkte im Konflikt. Die von Äthiopien verwaltete Zone war am 31. Mai 1998 von den Eritreern besetzt worden, die sich im Juni 2000 wieder zurückziehen mussten. Die Vermutung liegt nahe, dass Eritrea die Goodwill-Grenzlinie der Unmee nur deshalb akzeptiert hat, weil man die Einbeziehung von Irob in die Pufferzone bereits als Erfolg betrachtete.
Damit hätte eigentlich Ruhe einkehren können, doch das ließ die Innenpolitik beider Länder nicht zu. In der Volksfront für die Befreiung von Tigré (TPLF), die seit 1991 in Äthiopien an der Macht ist, formierten sich die Gegner von Ministerpräsident Meles Zenawi. Sie warfen ihm vor, den Krieg zu früh beendet und sich auf einen fragwürdigen Friedensvertrag mit internationalem Schiedsspruch eingelassen zu haben. Zu den Kritikern gehörten fast alle alten Führungsfiguren der TPLF – die Leute also, die den Krieg gegen Eritrea angezettelt und dann immer wieder ihre harte Linie durchgesetzt hatten. Für diese Fraktion war der Verlust von Irob untragbar. Aber Ministerpräsident Meles konnte sich eine Kraftprobe innenpolitisch nicht leisten. Deshalb teilte er der UNMEE mit, die „Goodwill-Linie“ müsse korrigiert werden.
Im Generalstab der UNMEE wollte man die Mission nicht weiter auf die lange Bank schieben, aber auch die geschlossene Vereinbarung nicht nachträglich in Frage stellen. Deshalb kam man auf die Idee einer „Umsetzung in eine vorläufige Gebietskarte“, in der Irob wieder auf äthiopischer Seite liegen sollte. Dem stimmte Eritrea nicht zu. Es entstand ein Streit um die „vorläufige Karte“. Als die äthiopische Armee sich gemäß dem Vertrag von Algier von eritreischem Gebiet zurückzog, stoppte sie genau an den Linien, die in der „vorläufigen Karte“ mit der UNMEE vereinbart waren. Eritrea protestierte gegen den „unvollständigen“ Rückzug. Mitte März nutzte Äthiopien die allgemeine Verwirrung, um die „vorläufige Karte“ im Bereich von Irob einseitig zu „korrigieren“, was bei der UNMEE große Verärgerung auslöste.
Dass die Beziehungen zu Eritrea den Kern des innenpolitischen Konflikts in Äthiopien bildeten, zeigte sich, als die Kritiker am 20. März 2000 aus dem Zentralkomite der TPLF ausgeschlossen und verhaftet wurden. Die UNMEE sah in dem Schlag gegen die „Kriegshetzer“ einen Fortschritt und beschloss, über die „Korrektur“ der Grenzlinie hinwegzusehen. Die eritreische Führung, die jetzt ein Überborden des inneräthiopischen Konflikts befürchtete, setzte den Truppenabzug aus dem Grenzgebiet fort. Damit konnte die UN am 18. April die offizielle Einrichtung einer Pufferzone verkünden. Die Proteste beider Seiten gegen die Grenzlinie nahm man dabei auf die leichte Schulter, weil es bis zum Beschluss der Schiedskommission nur noch 18 Monate waren.
Doch hatte niemand mit der politischen Krise in Eritrea gerechnet. Als im August 2000 die wichtigsten politischen Entscheidungsgremien des Landes – das Zentralkomitee der Einheitspartei PFDJ und das Parlament – erstmals nach dem Krieg wieder zusammentraten, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Eine starke Fraktion unter den verdienten Führern der Volksfront für die Befreiung Eritreas (EPLF), dem alten Kern der PFDJ, warf Präsident Isaias Afewerki vor, sich anfangs einer diplomatischen Lösung verweigert und anschließend als militärischer Führer versagt zu haben. Die Kritik am zunehmend diktatorischen Regierungsstil Afewerkis, die 1998 angesichts der Bedrohung durch Äthiopien verstummt war, trat erneut zutage und wurde jetzt öffentlich ausgetragen. Am 25. April forderten 15 prominente Mitglieder des ZK in einem offenen Brief, die Regierung müsse Rechenschaft vor dem Parlament ablegen – das der Präsident seit September 2000 nicht mehr einberufen hatte. Damit war die eritreische Führung in die schwerste Krise seit den Siebzigerjahren geraten.
Der erfahrene Afewerki ließ die Revolte voll zur Entfaltung kommen, bevor er zuschlug. Im August und September 2001 wurden die Dissidenten verhaftet, alle unabhängigen Zeitungen verboten und die Studentenproteste in Asmara gewaltsam unterdrückt. Das Politbüro der Partei, in dem die Anhänger des Präsidenten die Mehrheit hatten, beschloss den Ausschluss der „Verräter“, denen man Kollaboration mit dem Feind Äthiopien vorwarf.
Die politischen Krisen in beiden Ländern unterschieden sich in einem wichtigen Punkt: In Asmara wurden, anders als in Addis Abeba, die Verfechter einer raschen Rückkehr zum Frieden verfolgt. Tatsächlich wehrte Präsident Isaias Afewerki die Forderungen nach Demokratisierung seines Regimes auch mit der Behauptung ab, der Krieg könne jederzeit wieder ausbrechen. Während die Machthaber die von den Soldaten wie der Bevölkerung ersehnte „Demobilisierung“ mehrfach verschoben, sorgten sie bewusst für kleine Reibereien mit der Unmee. Im Frühling und Sommer 2001 kam es immer häufiger zu Spannungen: Die Eritreer stoppten Konvois der Unmee innerhalb der Pufferzone, die rechtliche Stellung der UN-Truppe blieb ungeklärt, und die Polizeikräfte, die Eritrea nach dem Vertrag von Algier in der Pufferzone unterhalten darf, ließen sich nicht kontrollieren. Der UN-Sondergesandte Legwaila J. Legwaila zeigte sich jedoch ungerührt und wiederholte immer nur, dass beide Seiten den Waffenstillstand einhielten.
Riskantes Muskelspiel
FÜR Präsident Afewerki war diese Situation innenpolitisch von Vorteil, außenpolitisch jedoch brachte ihn das nationalistische Muskelspiel in Schwierigkeiten. Die verstärkten sich, als er im September 2001 den italienischen Botschafter Antonio Bandini des Landes verwies, nachdem dieser sich mit Regierungskritikern getroffen und sich anschließend besorgt über deren Verhaftung geäußert hatte. Da Bandini zugleich der Repräsentant der EU (der wichtigsten Kreditquelle des Regimes) in Eritrea war, beriefen alle EU-Staaten ihre diplomatischen Vertreter zurück.
In dieser gespannten, aber noch kontrollierbaren Lage drohen nun im Zeichen des weltweiten „Kriegs gegen den Terrorismus“, den die USA nach dem 11. September 2001 ausgerufen haben, ganz neue Entwicklungen. Dass Ussama Bin Laden und al-Qaida seit langem Verbindungen zu den Ländern am Horn von Afrika unterhalten, vor allem in Sudan und in Somalia, ist bekannt, wenn auch im Einzelnen nicht aufgeklärt. Angesichts der internationalen Sanktionen gegen das Telekommunikationsunternehmen al-Barakat (siehe Kasten), der Vorwürfe gegen die islamische Bank al-Schamal in Khartoum und der von den USA vorgelegten Liste terroristischer Organisationen sieht es so aus, als ob diese Region für Washington als das (nach Mittelasien) wichtigste Hinterland der al-Qaida gilt. Die Regierungen der Region müssen sich also auf die Möglichkeit einer US-Militäraktion gefasst machen.
Dabei ist in den vergangenen Jahren der Einfluss radikaler Islamisten, vor allem der international organisierten terroristischen Gruppen, merklich zurückgegangen. In Südsudan spielt al-Ittihad heute eine deutlich geringere Rolle als noch vor fünf Jahren,3 die Nationale Islamische Front hat sich gespalten, ihr „gemäßigter“ Flügel wurde in die Regierung eingebunden. Insgesamt ist die Entwicklung in der Region seit einem Jahrzehnt vor allem durch den wachsenden Einfluss von Warlords gekennzeichnet, deren wechselnde Bündnisse kaum von ideologischen Überzeugungen bestimmt sind. Das gilt in erster Linie für Somalia, teilweise für Sudan und in geringerem Maße für Äthiopien.
So wie sich die Lage nach dem 11. September darstellt, könnte es am Horn von Afrika zwei Sieger geben, Sudan und Äthiopien, aber auch zwei Verlierer, Somalia und Eritrea. In Sudan, das seit kurzem zu den Erdöl exportierenden Ländern gehört, scheint Staatspräsident Omar al-Baschir ein ähnliches Kunststück zu gelingen wie seinem pakistanischen Kollegen. Er hat nicht nur die Vertreter der US-Agentur zur Terrorbekämpfung ins Land gelassen, sondern sich auch mit dem einstigen Islamistenführer Hassan al-Turabi ausgesöhnt und einen Teil der Oppositionskräfte im Norden vom bewaffneten Kampf abgebracht. Und angesichts der Fruchtlosigkeit ihrer langjährigen Sudanstrategie waren auch die USA schon lange vor den Anschlägen in New York und Washington um eine faktische Normalisierung mit dem Regime in Khartoum bemüht.
Das brachte ihnen auch den ungeteilten Beifall der Europäer ein, die sich in dieser Frage ausnahmsweise einig waren. Um diesen neuen Kurs zu sichern, musste Präsident al-Baschir nur einige symbolische Zugeständnisse machen. Am 29. September 2001 hat der UN-Sicherheitsrat die seit 1996 bestehenden Sanktionen gegen Sudan aufgehoben. Damit schwanden alle Hoffnungen, dass es demnächst zu ernsthaften Verhandlungen über die Beendigung des Krieges in Südsudan oder zu einer Einigung mit den nichtreligiösen Fraktionen des bewaffneten Widerstands kommen könnte.
In Äthiopien hat sich das Regime unter Meles Zenawi eilfertig erboten, einen Feldzug gegen die islamistische Bewegung al-Ittihad zu beginnen, die vor allem im Süden Somalias und in der äthiopischen Provinz Ogaden aktiv ist. Hier zeigt sich exemplarisch der zwiespältige Charakter des globalen „Kriegs gegen den Terrorismus“. Ein Krieg gegen Somalia käme den Machthabern in Äthiopien gerade recht: Sie könnten, ohne militärisch viel zu riskieren, international auf allgemeine Zustimmung rechnen. Innenpolitisch wäre eine Operation gegen somalisches Gebiet ein Geschenk des Himmels, zumal das Regime im Ausland weit mehr Anerkennung genießt als zu Hause. Zudem würde ein solches Unternehmen perfekt zu der seit zehn Jahren verfolgten Politik der Aufspaltung Somalias in drei oder vier ethnisch bestimmte Kleinstaaten passen.
Sollten die USA auch bei einer Intervention am Horn von Afrika auf die militärische Rolle einer Regionalmacht setzen, würde zu ihren Verbündeten wahrscheinlich auch Hussein Mohammed Aidid gehören – der Erzfeind der Amerikaner von 1993. Der mächtigste somalische Warlord war einst mit al-Ittihad verbündet, hat sich inzwischen aber auf die Seite der Äthiopier geschlagen. Denn wie Addis Abeba erkennt er die „Nationale Übergangsregierung“ von Präsident Salat Hassan nicht an, die mit Unterstützung der UNO, der OAU und der EU im August 2000 im dschibutischen Atra aus der Taufe gehoben wurde.4
Bei einer solchen Entwicklung dürfte Eritrea, unter dem Regime von Präsident Afewerki bis vor kurzem noch ein Bollwerk des Kampfs gegen die Islamisten, noch weiter ins Abseits geraten. Die Splittergruppe Eritreischer Dschihad wird offenbar von al-Qaida unterstützt, aber sie ist kaum aktiv und hat innerhalb des traditionellen Oppositionsbündnisses nur noch wenig Einfluss. Die Allianz der Regimegegner hat überhaupt an Bedeutung verloren, seit den Machthabern eine starke Opposition aus den eigenen Reihen erwachsen ist. In Asmara musste man kürzlich erfahren, dass Eritrea unter den 25 muslimischen Staaten aufgeführt ist, deren Bürgern die USA nur noch beschränkte Einreiseerlaubnis erteilen wollen. Mit seinem markig nationalistischen Auftreten wird das Regime, das trotz der Rekordernte von 2001 vor einen wirtschaftlichen Desaster steht, vorerst wohl kaum zu den Nutznießern des neuen amerikanischen Kreuzzugs gehören.
dt. Edgar Peinelt
* Journalist