Afrika am Netz
AUF der Weltkarte der Datenflüsse existiert Afrika so gut wie nicht. Der gesamte Kontinent hat nicht mehr Telefonleitungen als Tokio oder Manhattan und etwa so viele Internetanschlüsse wie Litauen. Dennoch geht die rasante Veränderung des Telekommunikationswesens auch an Afrika nicht vorüber. Besonders der Mobilfunk, der dem afrikanischen Kommunikationsstil angemessener zu sein scheint, kann die großen Lücken im Festnetz überbrücken. Hier werden auch die raschesten Fortschritte verzeichnet.
Von ANNIE CHÉNEAU-LOQUAY *
Für die meisten Afrikaner ist der Besitz eines Telefons immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. In Senegal sind immerhin bereits 70 Prozent der Bevölkerung telefonisch erreichbar – eine außergewöhnliche Erfolgsquote für den Schwarzen Kontinent. Ermöglicht wurde sie durch das Modell privater Telezentren, das sich die Regierung des Landes 1992 als originelle und einfache Art des Internet- und Telefonzugangs einfallen ließ. Es hat sich nun auch in Staaten wie Niger und Burkina Faso rasch entwickelt. Außerdem wurde dem Käufer der 1997 privatisierten senegalesischen Telefongesellschaft Sonatel der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur zur Auflage gemacht. 10 000 Konzessionen zum Betrieb von Telezentren wurden seither entlang der wichtigsten Verkehrswege vergeben, die als Vorposten einer neuen Kommunikationskultur in dem afrikanischen Land dienen sollen. Abgelegene Regionen, die bis vor kurzem über keinerlei Telefonnetz verfügten, können darüber hinaus mit Mobilfunknetzen versorgt werden.
So sind etwa die Strände nördlich und südlich von Dakar durch Alizé, die Mobilfunktochter von Sonatel, abgedeckt. Wenn die Fischer dort anlegen, können sie jetzt ihre Großhändler direkt über Menge und Qualität der angelandeten Fische informieren. Die Händler erfahren, mit wie vielen Lastwagen sie rechnen müssen und wie viel Eis wo gebraucht wird. So können sie ihre Ressourcen effizienter einsetzen.
Die Nutzung des Internets spiegelt auch in Afrika die Brüche innerhalb der Gesellschaften wider. Mit anderen Worten: Sie beschränkt sich auf eine kleine Elite.1 So sind in Guinea 30 Prozent der Internetanwender Ausländer. In Südafrika „beträgt das Einkommen der Anwender das Siebenfache des landesweiten Durchschnitts“2. Ein derartiges Einkommen ist Grundvoraussetzung, denn Computer, Modems und Telefonanschlüsse sind extrem teuer. Je nach Land fallen dafür 7 bis 15 durchschnittliche Jahresgehälter an. Entsprechend beliebt sind allgemein zugängliche Einrichtungen wie Telezentren und Internetcafés, die sich rasch zu einem afrikanischen Demokratisierungsmodell für das des Internet entwickeln.
Mehr als anderswo bedeutet Internet in Afrika vor allem E-Mail. Afrikaner unterhalten vielfältige Beziehungen ins Ausland. So kommt jeder Telefonkunde im Durchschnitt auf 200 Minuten Auslandsgespräche im Jahr. (In Frankreich waren es 1996 nur 75 Minuten.) Da aber innerhalb Afrikas das Telefonnetz brüchig ist und auch die Kapazitäten der Funknetze zu wünschen übrig lassen, ist die E-Mail oft das einzig taugliche Medium der internationalen Kommunikation.
Weil die Verständigung per E-Mail viele unnötige Reisen erspart, kommunizieren Händler und Unternehmer zunehmend über das Internet mit ihren Geschäftspartnern in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten – oft mit Hilfe von Vermittlern und selbst dann, wenn sie in „informellen“ Sektoren der Wirtschaft tätig sind und keine westlichen Sprachen beherrschen.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung neuer Kommunikationstechniken spielt die afrikanische Diaspora. Eine Region mit langer Auswanderungstradition, etwa das Einzugsgebiet des Senegal-Flusses, ist einerseits seit langem globalisiert und andererseits extrem in lokalen Traditionen verhaftet. Jede neue Entwicklung in der Informationstechnologie kann hier helfen, engere Bande zwischen den Daheimgebliebenen und ihren ausgewanderten Verwandten zu knüpfen. Räumliche und kulturelle Neuorientierung gehen dabei Hand in Hand. Ein anderes Beispiel für diesen scheinbaren Gegensatz zwischen Globalisierung und Partikularismus ist die Religionsgemeinschaft der Muriden in der heiligen Stadt Touba in Senegal. Die Muriden missionieren mittlerweile im Internet. Sie sind dadurch zwar weltweit präsent, dies aber auf eine Art, die ihrem inneren Zusammenhalt und ihrer Abgrenzung nach außen in keiner Weise zuwiderläuft.
Seit Mitte der Neunzigerjahre unterliegen die Telekommunikationsstrukturen in Afrika einem starken Wandel. Noch 1996 hielten die staatseigenen Versorger fast überall ein Monopol. Ende des Jahres 2000 hatten bereits 19 Staaten eine Regulierungsbehörde geschaffen, und die Hälfte davon hatte den Mobilfunkmarkt liberalisiert. 22 afrikanische Telefongesellschaften waren in privater Hand. Dass der Telefon- und Datenverkehr zunehmend internationaler Regelung unterliegt, verstärkt zumindest auf den rentablen Märkten den Einfluss großer Konzerne auf Infrastrukturen und Dienstleistungen. Hinzu kommt, dass bestehende internationale Tarifabkommen demnächst hinfällig werden. Nicht zuletzt beschneidet der relativ geringe materielle Aufwand neuer Technologien die bisherigen Vorrechte der Territorialstaaten.
Der Internationale Telekommunikationsverband (ITU) wurde ursprünglich gegründet, um die Politik der einzelnen Staaten zu koordinieren. Inzwischen arbeitet er an der Liberalisierung der gesamten Branche. So haben im Jahr 1997 13 afrikanische Staaten ein von der Welthandelsorganisation WTO entworfenes Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich zur Gleichbehandlung aller in- und ausländischen Investoren verpflichten.3 Beim G-8-Treffen von Okinawa im Juni 2000 erklärten die reichen Länder ihre Absicht, dem „digitalen Auseinanderbrechen“ der Welt entgegenzuwirken – vor allem durch Ausbildungsprogramme in den ärmsten Ländern der Welt. Seither hat die amerikanische Firma Cisco, weltweit Marktführer bei der Errichtung von Datennetzen, gemeinsam mit dem United Nations Development Programme (UNDP) in Benin und 9 anderen Staaten Zentren zu Ausbildung dringend benötigter qualifizierter Arbeitskräfte errichtet.
Es sind also nicht mehr öffentliche Institutionen, die die Ausbildung in den Spitzenindustrien kontrollieren, sondern private Unternehmen. Damit steigt allerdings auch das Risiko, dass die qualifizierten Kräfte abwandern.
Auch im Bereich der Entwicklungshilfe haben sich die Gewichte verlagert. Während die Organisationen der Vereinten Nationen von den schwindenden Beiträgen ihrer Mitglieder abhängen und sich nach neuen Finanzquellen umsehen müssen, werden aus Institutionen wie der Weltbank globale Entwicklungsagenturen. Hauptsächlich von reichen Ländern finanziert, ist die Weltbank heute das wichtigste multilaterale Instrument der Entwicklungshilfe auf der südlichen Halbkugel.4 Inzwischen dehnt sie ihre Kompetenzen auch auf den kulturellen Bereich aus. Als Teil des Programms „Infodev“ (Information zur Entwicklung) soll das „weltweite Wissen“ zum Thema Entwicklung über ein Internetportal gesammelt werden.
Aus afrikanischer Sicht beschreibt Aminata Traore, die ehemalige Kulturministerin von Mali, wie die Weltbank ihre Daumenschrauben anzieht: „Die Allgegenwart der Bank führt zur Allwissenheit, mit deren Hilfe sie auf jeder Ebene ihren Einfluss geltend machen kann.“5
Ein anderes Beispiel internationaler Einflussnahme auf die afrikanische Telekommunikation: Die Vereinigten Staaten werden demnächst einseitig ein Tarifabkommen kündigen, das die Einkünfte aus Ferngesprächen zu annähernd gleichen Teilen zwischen dem Land des Anrufers und dem des Angerufenen aufteilt. Das bedeutet vor allem für die ärmsten Länder empfindliche Verluste, weil sie mehr Anrufe entgegennehmen, als sie aussenden. „Hier hat sich die Armut einmal gelohnt. Internationale Anrufe zu empfangen ist für manche Länder die wichtigste ‚Exportindustrie‘ gewesen: 1996 nahmen diese Länder etwa 1,5 Milliarden Euro an Devisen ein.“6
Wenn der Markt im Jahr 2002 völlig liberalisiert wird, zahlen die Vereinigten Staaten an Senegal nur mehr 23 Cent pro Telefonminute, anstatt wie bisher 1,8 Dollar. Dabei geht das Defizit der Vereinigten Staaten im Wesentlichen auf das Konto ihrer eigenen Telefongesellschaften. Denn diese bieten ihren Kunden in aller Welt Leistungen an, die in den meisten Ländern verboten sind: darunter das R-Gespräch und die Umleitung des Gesprächs über ein Drittland.
Staatliche Gesellschaften werden überflüssig
SOLCHEN günstigen Angeboten über Transitzentren außerhalb Afrikas können selbst die Regierungen der betroffenen Staaten nicht widerstehen. Sie gefährden damit den Ausbau des innerafrikanischen Netzes Panaftel, das in den Siebzigerjahren mit dem Ziel gegründet wurde, die Länder Afrikas ohne Umweg über andere Kontinente zu verbinden. Auch der Mobilfunk über Satelliten mit niedriger Umlaufbahn und das Telefonieren über Internet (IP, Internet Protocol), Möglichkeiten, denen vor allem in Afrika eine bedeutende Entwicklung bevorsteht, sind auf staatliche Telefongesellschaften nicht mehr angewiesen.
Der Nachteil dabei ist, dass besonders arme, entlegene und dünn besiedelte Länder wie Burkina Faso, Mali oder Mauretanien, die am wenigsten in der Lage sind, die Herausforderung der Privatisierung zu meistern, keine Käufer für ihre staatlichen Gesellschaften finden. Auf der anderen Seite eröffnen Mobilfunknetze und Internetdienstleistungen neue Märkte auch für kleinere Anbieter, seien es nun Neugründungen oder Tochtergesellschaften der großen. Das trägt zur weiteren Deregulierung bei.
Beim Internet spielen die Vereinigten Staaten auch für Afrika die Rolle der globalen Zentrale. Von Providerdiensten bis zu Dienstleistungen für Anwender beherrschen ihre Unternehmen den afrikanischen Markt. Die französische Firma Alcatel ist auf dem Schwarzen Kontinent ebenfalls sehr aktiv und bietet Paketlösungen von internationalen Kabel- oder Satellitenverbänden bis hin zu kleinräumigen Datennetzen und Dienstleistungen für Unternehmen an.7
Weit vor allen anderen Telefongesellschaften engagiert sich in Afrika die France Télécom, vorrangig aber in denjenigen Ländern, in denen sie Außenstände hat: also in Senegal und Elfenbeinküste, wo sie die staatliche Telefongesellschaft übernommen hat, in Madagaskar, in Kamerun und auch in Südafrika. Portugal Telecom hat die Telefongesellschaften von Guinea-Bissau, Kap Verde und São Tomé übernommen. Der Neuling Telecom Malaysia hat sich dagegen aus Guinea wieder zurückgezogen.
Nach diesen Umstrukturierungen ergibt sich eine kontrastreiches Bild: Je nach Land ist der Kommunikationssektor mehr oder weniger polarisiert oder globalisiert. Zwischen den Megastädten, die mit dem global-urbanen Netz verbunden sind, und den entlegenen Peripherien, die über keine modernen Kommunikationsmittel verfügen, existieren zahlreiche Varianten. Das entstehende Netz spiegelt mit seiner Struktur und seinen Lücken nicht nur diePolitik des jeweiligen Staates wider, sondern auch seine gesellschaftlichen Brüche.
22 afrikanische Länder (gegenüber 8 im Jahr 1996) verfügen heute über mehr als 10 Festnetzanschlüsse pro 1 000 Einwohner. Festnetzleitungen gibt es vor allem in den Hauptstädten. In extremen Fällen, etwa in Eritrea, Guinea-Bissau, der Republik Zentralafrika, Sierra Leone, Burundi und in Tschad, konzentrieren sich dort zwischen 80 und 95 Prozent des Festnetzes.
Die rasche Ausbreitung des Mobilfunks hat selbst die kühnsten Hoffnungen der Anbieter übertroffen. Das Handy ist in Afrika kurzfristig viel erfolgreicher als das Internet, weil es an afrikanische Lebensweisen besser angepasst ist: Afrikas soziale Strukturen sind komplex, der Austausch untereinander ist vielfältig, intensiv und erfolgt überwiegend mündlich. 1999 zählte Afrika 7,5 Millionen Mobiltelefonkunden, also etwa ein Gerät pro 100 Einwohner. In Ländern wie Gabun und Elfenbeinküste überbrückt das Handy auch gravierende Lücken im Festnetz. In Südafrika sind dank des Mobiltelefons heute etwa 90 Prozent des Staatsgebietes versorgt. Auf dem Land und in den Armenvierteln wurden öffentliche Funktelefone eingerichtet.
Alle afrikanischen Länder sind an das Internet angeschlossen. Im Juni 2001 wurde die Zahl der mehr oder weniger regelmäßigen Anwender auf 4 Millionen von 800 Millionen Afrikanern geschätzt. Nigeria hat seinen Rückstand inzwischen weitgehend aufgeholt, und Südafrika stellt heute nur noch 50 Prozent der afrikanischen Anwender – nicht wie noch vor zwei Jahren 80 Prozent. In den meisten Ländern ist ein Internetzugang nur in der Hauptstadt möglich. Von 55 Ländern haben bisher nur 18 die landesweite Einwahl ins Internet zum Ortstarif ermöglicht.8
Im Groben lassen sich die Länder zwei Kategorien zuordnen:9 – die sehr gut ausgerüsteten Länder mit mehr als 50 Festnetzleitungen pro 1 000 Einwohner, einem relativ hohen technischen Internetstandard und Funknetzen. Darunter fallen einerseits kleine touristische Inseln oder Handelsplätze wie Réunion, die Seychellen, Mauritius oder Kap Verde, andererseits die entwickelten Küstengebiete des südlichen und nördlichen Afrika – mit Ausnahme Libyens und Algeriens, in denen das Internet verhältnismäßig wenig genutzt wird. – die armen und schlecht ausgestatteten Länder. Dazu gehören die instabilen Staaten Zentralafrikas und die Länder Ostafrikas: Äthiopien, Eritrea, Sudan, Somalia und Madagaskar.
In Westafrika ist die Lage von Land zu Land verschieden. Gabun, Elfenbeinküste, Senegal, Gambia, Ghana, Togo und Benin sind, was die Leitungsdichte, den technischen Standard und den Ausbau der Funknetze betrifft, vergleichsweise weit fortgeschritten.
Von den 33 Ländern, die über weniger als 10 Festnetzleitungen pro 1 000 Einwohner verfügen, weisen nur 3 ein Pro-Kopf-Jahreseinkommen von mehr als 500 Dollar auf: Angola, Kongo und Guinea – also Staaten in kriegerischer Auseinandersetzung, in denen die Regierung das Territorium nur mangelhaft kontrolliert. Für ein großes und sehr armes Land wie Mali, das weniger als 2,5 Festnetzleitungen pro 1 000 Einwohner besitzt, ist die Zahl der Internetanwender relativ hoch.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten hängen mit dem Niveau ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ebenso zusammen wie mit ihrer geostrategischen Lage und dem Zustand der staatlichen Verwaltung. In manchen Ländern übernimmt der Staat seine Rolle als Vermittler und Bereitsteller der Infrastruktur, in anderen nicht. Die mangelhafte Infrastruktur in Guinea (dessen staatliche Struktur marode ist) und das relativ hohe technische Niveau in Senegal sind dafür Beispiele. Doch ob dieser Zusammenhang zwischen einem starken Staat und dem Ausbau der Kommunikationsnetze noch lange bestehen wird, weiß man nicht; denn einerseits bilden sich illegale Systeme der Versorgung mit Kommunikationstechnik heraus, andererseits werden die satellitengestützten Übertragungstechniken zunehmend unabhängig von territorialer Hoheit. Die Staaten üben hier nur noch eine rechtliche Kontrolle aus.10
Offen bleibt vorerst die Frage, ob auch die Kriegsgebiete Afrikas von den neuen Informationstechnologien profitieren. Aus den verwüsteten Landesteilen der Republik Kongo, Angolas, Liberias oder Sierra Leones sind keine Daten über Kommunikationsnetze bekannt. Doch es ist anzunehmen, dass sich der Handel mit Diamanten und anderen Rohstoffen, mit Waffen und Drogen, der einzelne Staaten zu unterlaufen und sogar zu ruinieren droht, auf die am wenigsten materialintensiven Kommunikationsmittel stützt. Denn diese eignen sich wohl am besten für die Zwecke einer ebenso kriminellen wie mächtigen Form der Globalisierung.
dt. Herwig Engelmann
* Forschungsdirektorin am CNRS. Siehe auch www.africanti.org.