15.02.2002

Minderheiten

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Minderheiten

DIE Uiguren sind ein Turkvolk sunnitisch-muslimischer Konfession und stellen mit 8 Millionen Menschen die größte „nationale Minderheit“ in Xinjiang. Auch wenn es nicht ganz so einfach ist, die Zahl der Kulturen und ethnischen Gruppen in China genau anzugeben, haben die Behörden in Peking in Anlehnung an das „positivistisch-stalinistische“ Modell der ethnischen Klassifizierung festgelegt, dass China von 56 „Nationalitäten“ bevölkert ist. Deren wichtigste sind die Han, also die Chinesen, mit 92 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Rest ist eine Art Potpourri aus verschiedenen „Minderheiten“, von den Tibetern über die Mongolen bis hin zu den Miao, Yao und Yi im Südwesten und den Uiguren, Kasachen, Russen, Kirgisen und Tadschiken im Nordwesten.1 Mit einer solchen Einteilung wird ein komplexer und lange währender Prozess, in dessen Verlauf verschiedene Kulturen und Völker aufeinander trafen, schematisch vereinfacht und einer Klassifizierung unterworfen, die nicht sehr viel taugt.

Die „Minderheiten“ werden als lächelnde, gutmütige Wilde dargestellt, die sich dankbar von ihren großen chinesischen Brüdern an die Hand nehmen lassen. Man hat ihnen jede kulturelle Substanz genommen und sie zu einer Art „Disneyland“-Attraktion herabgewürdigt. Eine solche Darstellung mag als überzeichnet erscheinen, doch die Beschreibungen in zahllosen einschlägigen Publikationen bezeugen dies ebenso wie die beiden Themenparks in Peking und Shenzhen, „China en miniature“ und „Minderheiten en miniature“. An diesen Vergnügungsstätten tanzen und singen die Minderheiten in traditioneller Kleidung vor Kulissen, die ihren typischen Gebäuden nachgebildet sind. Damit wurden sie zum folkloristischen Beiwerk von Familienfotos der neuen Mittelklasse herabgewürdigt, die sich über die Lebenssituation dieser Menschen an den Grenzen ihres Landes keinerlei Gedanken macht.

I. M. S.

Fußnote: 1 Ein ausgesprochen weites Feld, auf dem es zahlreiche Untersuchungen gibt. Genannt seien hier nur Frank Dikotter, „The Discourse of Race in Modern China“, London (Hurst & Company) 1992, sowie Colin MacKerras, „China’s Minority Cultures“, Harvard University Press 1995.

Le Monde diplomatique vom 15.02.2002, von I. M. S.