15.02.2002

Aus Berlusconien

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Aus Berlusconien

Von IGNACIO RAMONET

Unter allen Formen der „heimlichen Beeinflussung“ wirkt am unerbittlichsten jene, die schlicht durch die „Ordnung der Dinge“ ausgeübt wird.

Pierre Bourdieu

IN Italien hat „die Ordnung der Dinge“ – wie von unsichtbarer Hand – eine Mehrheit von Wählern zu der Überzeugung gebracht, die Zeit der traditionellen Parteien sei abgelaufen. Diese Überzeugung wurzelt in der kaum bestreitbaren Tatsache, dass sich das politische System seit den Achtzigerjahren in einem beschleunigten Verfallsprozess befindet. Manche Beobachter sprachen von „Zersetzung“ und „Verwesung“. Die Günstlingswirtschaft hat das Land bislang über 75 Milliarden Euro gekostet. Im Zuge der undurchsichtigen Parteienfinanzierung rafften die Führer der großen politischen Parteien, namentlich die der Sozialisten und Christdemokraten, ungeheure private Vermögenswerte zusammen. Indro Montanelli: „Wer Augen im Kopf hatte, konnte die ungeheure Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard der Parteiführer und ihren Einkommenserklärungen nicht übersehen.“1

Bereits 1992 deckte Richter Antonio di Pietro im Rahmen der Operation mani puliti (saubere Hände) zahllose Unregelmäßigkeiten auf. Der damalige Ratspräsident und Sozialistenchef Bettino Craxi musste, nachdem er wegen illegaler Bereicherung angeklagt worden war, unter chaotischen Umständen zurücktreten und beinahe befürchten, von einer aufgebrachten Menge gelyncht zu werden. Giulio Andreotti, ebenfalls Exratspräsident und führender Kopf der Christdemokraten, wurde unter Anklage gestellt, durch den Schmutz gezogen, der „Zusammenarbeit mit der Mafia“ und der „Beihilfe zum Mord“ beschuldigt.

Der Sturz der beiden Giganten brachte das gesamte politische System ins Wanken. Innerhalb weniger Monate sahen sich Hunderte von Abgeordneten, Senatoren und ehemaligen Ministern in peinliche Skandale verwickelt, straf- oder zivilrechtlich verfolgt, von den Medien verhöhnt. Der Vorwurf der umfassenden Bereicherung hat der politischen Klasse gleichsam den Kopf abgeschlagen, sie öffentlich entlarvt und komplett diskreditiert. Eric Joszef schrieb: „Von Panik ergriffen und aus Angst vor einem Machtvakuum befürchten manche sogar einen Staatsstreich.“2

Im Milieu dieser allgemeinen Untergangsstimmung konnte Silvio Berlusconi im Mai 1994 erstmals die Wahlen gewinnen. Dazu brauchte es keinen Staatsstreich, es reichte eine Art televisueller Hypnose, inszeniert von Medienzar Berlusconi, der schon damals mit den Postfaschisten der Alleanza Nazionale und der ausländerfeindlichen Lega Nord verbündet war. Wenige Monate später, im Dezember 1994, war das Experiment gescheitert. Doch dadurch ließ sich der Cavaliere nicht entmutigen. Obwohl ihm auch unlautere Geschäftspraktiken, zwielichtige Machenschaften und Bestechung zur Last gelegt wurden, hatte er noch einpaar Trümpfe mehr auszuspielen.

Es waren genau die Trümpfe, die ihm sein gigantisches Vermögen eingebracht haben, das ihn zum reichsten Mann Italiens macht und ihn auf Rang 14 der Liste der reichsten Leute der Welt hievt.3 Wobei er dieses Vermögen quasi aus dem Nichts zusammengerafft hat, was nur dank der anfänglichen Protektion durch seinen sozialistischen Freund Bettino Craxi möglich war. Seine geschickten Manöver ließen ihn zunächst im Immobiliensektor reüssieren, dann im Großhandel und mit Supermärkten, im Versicherungswesen und in der Werbebranche und schließlich in der Film- und Fernsehproduktion. So avancierte er neben Bertelsmann, Rupert Murdoch, Leo Kirch und Jean-Marie Messier zu einem der Medienzaren Europas.

Berlusconi hat es verstanden, seinen immensen Reichtum ebenso zu nutzen wie den enormen Einfluss, den seine Fernsehsender in der Dimension der symbolischen Gewalt4 ausüben. Er beweist damit, dass zumal im Zeitalter der Globalisierung die simple Gleichung gilt: Wer wirtschaftliche Macht besitzt und die Medien kontrolliert, erringt fast automatisch die politische Macht.5 Bei den Parlamentswahlen am 13. Mai 2001 erhielt Berlusconis „Forza Italia“ fast 30 Prozent der Stimmen und wurde damit zur führenden politischen Kraft Italiens. Der populistische Demagoge Berlusconi hatte keinerlei Skrupel, mit dem Exfaschisten Gianfranco Fini und dem Rassisten Umberto Bossi zu paktieren. Angesichts des grotesken Triumvirats dieser drei Männer kann einem richtiggehend übel werden. Bereits vor den Wahlen schrieb ein britisches Magazin, Berlusconi sei auch wegen der zahlreichen gegen ihn anhängigen Klagen „nicht würdig, Italien zu regieren“, da er „eine Gefahr für die Demokratie“ und eine „Bedrohung des Rechtsstaats“ darstelle.6

Die finsteren Prophezeiungen sollten sich bewahrheiten. Nach dem kläglichen Zerfall der traditionellen politischen Parteien sieht die italienische Gesellschaft ziemlich unbeteiligt zu, wie das politische System in Konfusion versinkt, sich lächerlich macht und gefährliche Zersetzungstendenzen entwickelt. Nur der italienische Film leistet noch Widerstand. Mit seinen groben, marktschreierischen Parolen und mit Hilfe seines Fernsehmonopols ist Berlusconi dabei, ein System zu etablieren, das Dario Fo als „neuen Faschismus“7 bezeichnet. Für Europa stellt sich damit die wichtige Frage, inwieweit dieses „Modell Italien“ auch in anderen Ländern Schule machen könnte.

Fußnoten: 1 Zit. n. Eric Joszef, „Main basse sur l’Italie. La résistible ascension de Silvio Berlusconi“, Paris (Grasset) 2001, S. 37. 2 Ebd., S. 41. 3 Nach Schätzungen der US-Zeitschrift Forbes beläuft sich das Vermögen Berlusconis auf 14,5 Milliarden Euro. 4 „Die symbolische Gewalt ist eine Form der Gewalt, die gegen einen gesellschaftlichen Akteur mit dessen stillschweigender Komplizenschaft ausgeübt wird.“ Pierre Bourdieu (und Loïc J. D. Wacquant), „Réponses“, Paris (Seuil) 1992, S. 142. 5 Ein weiteres Beispiel hierfür ist die politische Karriere des US-Milliardärs Michael Bloomberg. Der Besitzer des weltweiten Wirtschaftsnachrichtensenders Bloomberg TV investierte 77,5 Millionen Euro in seine Wahlkampagne, um sich einen Traum zu erfüllen: Seit 1. Dezember 2001 ist Bloomberg Bürgermeister von New York. 6 The Economist, London, 28. April 2001. 7 Dario Fo, „Le nouveau fascisme est arrivé“, Le Monde, 11. Januar 2002.

Le Monde diplomatique vom 15.02.2002, von IGNACIO RAMONET