FMLN gegen FMLN
SAN SALVADOR, am 15. September 2001. Salvador Sánchez Cerén, Vorsitzender der Parlamentsfraktion der FMLN, beteiligt sich an einem Protestmarsch verschiedener Aktionsgruppen. Die Demonstration artet aus. Israelische und amerikanische Fahnen werden verbrannt, der Terror vom 11. September bejubelt. Graffiti an den Hauswänden der Innenstadt verkünden: „Ussama, wir stehen dir bei!“ Arena-Partei und rechte Presse stürzen sich auf die Affäre. Cerén wird beschuldigt, die Entgleisungen gesteuert zu haben. Die FMLN, heißt es, sei nichts als eine Bande von Terroristen. Innerhalb der Front sind die Reaktionen, je nach politischer Richtung, unterschiedlich. Ob Revolutionäre Sozialisten (CRS, auch „Orthodoxe“ genannt), Erneuerer oder Unionisten (der Einheit der Front verpflichtet), der Name ist immer Programm. So können sich CRS und ihr Führungsmitglied Cerén nicht durchringen, den Zorn der FMLN-Basis zu verurteilen. Wie sollten sie auch vergessen, dass die Vereinigten Staaten auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs täglich eine Million Dollar in die Kriegskassen schleusten? Doch Reformer und Unionisten in der FMLN kritisieren Cerén für diese Haltung scharf. Sie verurteilen sein „unverantwortliches Verhalten, das die Partei insgesamt kompromittiert hat“.
Fabio Castillo, der frühere Oberste Koordinator der FMLN, behauptet dennoch, dass „die drei ideologischen Strömungen bedrohte Spezies“ seien. „Ein gemeinsames Bewusstsein“ entstehe innerhalb der Partei. Zweifel daran kommen auf, als nach den ersten Direktwahlen der FMLN-Generalkoordination am 25. November 2001 Cerén die Führung der Partei übernimmt. Shafick Hándal, ebenfalls prominenter Vertreter des revolutionär-sozialistischen Flügels, folgt ihm als Leiter der FMLN-Fraktion im Parlament. Dieser Personalwechsel demonstriert nicht nur Uneinigkeit – einige Vertreter der Reformer und der Unionisten äußern sogar den Verdacht auf Wahlbetrug. Francisco Jovel, ein Abgeordneter und Kandidat für das Amt des Generalkoordinators, erklärt: „Dieser Sieg der Orthodoxen wird einen Sieg der Arena-Partei bei den Präsidentenwahlen im Jahr 2004 begünstigen.“
Zweifel am inneren Zusammenhalt der FMLN werden genährt, als Facundo Guardado, ein enger Mitarbeiter Héctor Silvas im Rathaus von San Salvador und Präsidentschaftsanwärter bei den Wahlen von 1999, von einem Ehrentribunal aus der Partei ausgeschlossen wird. Er habe „der Glaubwürdigkeit und Identität der FMLN geschadet.“ In solchen Konflikten spielen persönliche Animositäten eine große Rolle, und die Protagonisten sind zumeist altgediente Comandantes oder wichtige Funktionäre der ehemaligen Guerilla. Doch die wortereiche Debatte innerhalb der Front tobt schon seit ihrem Wandel zur politischen Partei und ist als solche keine Ausnahmeerscheinung. Denn diese Debatte zieht sich durch die gesamte lateinamerikanische (und sogar europäische) Linke: Soll man sich für eine Politik des radikalen Wandels entscheiden? Soll man eher das Bündnis mit dem politischen Mittelfeld suchen? In El Salvador kann man beide Varianten an den Wahlergebnissen messen: Nach den zweiten Wahlen in der Geschichte der FMLN (27 Sitze) ist die Partei am 16. März 1997 fast so stark wie Arena (28 Sitze). Ihre Politik der Öffnung beschert Héctor Silva das Amt des Bürgermeisters von San Salvador, und sie gewinnt 60 der 262 Gemeinden. Zu dieser Zeit ist die Partei fest in den Händen der „Orthodoxen“.
Sie übergeben die Führung, als der Reformer Facundo Guardado mit Hilfe gemäßigter Funktionäre die Kontrolle der Partei übernimmt. Programm und Diktion orientieren sich nun überwiegend an der Mittelklasse. Anstelle des „Klassenkampfs“ spricht die FMLN nun von einer „staatsbürgerlichen Ethik“. Dies endet bei den Präsidentschaftswahlen vom 7. März 1999 mit einem Stimmenanteil von 29 Prozent – also mit einer schmerzhaften Niederlage. In ihrer Hinwendung zum gemäßigten Spektrum vertritt die Partei mehr oder weniger dieselben Positionen wie der Gegenkandidat Francisco Flores. Damit verunsichert sie die Wähler und nicht zuletzt auch die Aktivisten der FMLN. Denn diese sind zumeist radikaler als ihre Anführer. Der Niederlage folgt eine gründliche Auseinandersetzung mit deren Ursachen. Das erlaubt den „Altsozialisten“ Anfang Mai 1999, erneut die Führung der FMLN zu übernehmen. Nachdem die Partei nun „wieder zu ihren Werten gefunden hat“, triumphiert sie bei den Wahlen am 12. März 2000. Ob diese inneren Grabenkämpfe und der Ausschluss von Guardado nun gerechtfertigt sind oder nicht: sie geschehen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als die Rechte aufgrund ihres wirtschaftlichen und sozialen Scheiterns in Bedrängnis gerät und ihre Reihen um den neuen Arena-Exekutivrat enger schließt. Dessen Führung haben inzwischen Bankiers und Chefs monopolistischer Unternehmen übernommen. Ihre politischen Mittelsmänner haben sie ausgeschaltet.
Das Konzept der Rechten ist ebenso einfach wie effektiv: Erst hat man einer verarmten Bevölkerung und einer zerfallenden „Zivilgesellschaft“ ständig vorgebetet, dass „der Kuchen größer werden muss, bevor man ihn besser verteilen kann“. Nun verkauft man das Image von Unternehmern, die sich im Geschäftsleben behauptet haben. Unterdessen verbittert das interne Gezänk der Opposition die Salvadorianer. Nach dem Ausschluss von Facundo Guardado droht Héctor Silva, dass er mit „einer bestimmten Linken“ brechen werde und nicht bereit sei, für sie zu kämpfen. Während die Front zur wichtigsten politischen Kraft im Land geworden ist – obwohl sie wegen rechter Parteibündnisse keine Mehrheit hat1 – staunen ihre Anhänger: „Viele Abgeordnete der FMLN scheinen sich in der Rolle der Opposition wohler zu fühlen. Man könnte meinen, dass sie am Präsidentenamt gar nicht interessiert sind. Wenn sie die Kontrolle über die Exekutivmacht hätten, müssten sie auch Verantwortung für die Wirtschaftskrise übernehmen. Doch sie sind im Moment nicht in der Lage, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu lösen.“ Immerhin: Die FMLN hat auf ihrem Weg von der Guerilla zur politischen Partei eine enorme Herausforderung bestanden. Aber die Bevölkerung erwartet jetzt deutliche Zeichen der inneren Demokratisierung und den glaubhaften Nachweis ihrer Führer, dass sie ihre ideologischen und politischen Streitigkeiten überwinden können. Bei den Präsidentenwahlen von 2004 kann sich nur die FMLN selbst um den Sieg bringen.
K. B.
Fußnote: 1 Im Parlament erfordert die absolute Mehrheit 56, die einfache Mehrheit 43 Stimmen.