17.05.2002

Kleine Schritte

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Kleine Schritte

DIE Abschaffung der Anmeldegebühr für den Schulunterricht hat 600 000 Kindern zusätzlich den Zugang zur Bildung ermöglicht. Früher wurde in 20 000 Schulen der Unterricht in zwei Schichten erteilt (für die Hälfte der Schüler morgens, für die andere nachmittags), jetzt können 2 250 von ihnen Ganztagsbetreuung anbieten; bis Ende 2002 sollen weitere 750 Schulen dazukommen. Nie zuvor wurden so viele Sozialwohnungen gebaut, und trotz aller Schwierigkeiten haben sich im Jahre 2001 die Ernährungslage und die Gesundheitsfürsorge leicht verbessert.1 Seit Oktober 1999 hat die „Bank des Volkes“ mehr als 10 000 Kleinkredite mit einem Volumen von 11,84 Milliarden Bolivar vergeben; von Oktober 2001 bis Februar 2002 hat die „Bank der Frauen“ für 6 286 Projekte insgesamt 2,92 Milliarden Bolivar bereitgestellt. Die zuvor Schwindel erregende Inflationsrate konnte auf 13 Prozent gesenkt werden.

Im traditionell sehr militanten Barrio 23 de Enero, einem Betonklotzviertel von Caracas, unterstützt die Coordinadora Simón Bolívar den Präsidenten nicht schematisch, sondern kritisiert sowohl Fehler als auch Korruption, die in gewissen Bereichen immer wieder auftritt. Die Lokalpolitiker dieses Viertels betonen aber, immerhin sei ein Raum für Mitsprache und Beteiligung entstanden, den es bislang nicht gab. „In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden wir brutal unterdrückt, es gab dutzende von Toten und Verhafteten. Seit Chávez an der Macht ist, hat sich das geändert, wir können freier atmen.“

M riesigen Bundesstaat Amazonas, wo neunzehn verschiedene Ethnien leben (oder zwanzig, wenn man die Salesianer-Priester dazuzählt), wurde die indigene Bevölkerung an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beteiligt, die ihre Rechte maßgeblich erweitern soll. Ihre direkte politische Beteiligung hat es ermöglicht, dass sie einen eigenen Vertreter ins nationale Parlament entsenden konnte und dass einer von ihnen auf dem Posten des Provinzgouverneurs und mehrere in den Stadträten sitzen. Inzwischen verfügen 95 Prozent der abgelegenen Gemeinden über Strom. „Für das Jahr 2002 bemühen wir uns nun“, sagt uns Bernabé Arana, autochthoner Bürgermeister von Autama, „um die Trinkwasserversorgung und die Verbesserung der Gesundheitslage“.

Kaum mehr als 1 Prozent der Landbesitzer kontrollieren 60 Prozent der Anbaufläche, von denen große Teile brachliegen, obwohl Venezuela 70 Prozent seiner Nahrungsmittel einführen muss. Hier erfolgte am 13. November 2001 ein wichtiger Einschnitt: Präsident Chávez unterzeichnete 49 Dekrete mit Gesetzeskraft, die es unter anderem ermöglichen, unproduktive Latifundien zu besteuern, ja sogar zu enteignen und das Land an Bauern zu verteilen. Die Produktion dieser Bauern soll in Abstimmung mit Schulkantinen, Krankenhäusern und Kasernen entwickelt werden, um ihnen sichere Absatzmöglichkeiten zu bieten. Das Gesetz über den Fischfang erweitert die Schutzzone vor den Küsten, in der nicht mit Schleppnetzen gefischt werden darf, von drei auf sechs Seemeilen. Damit sollen die Kleinfischer ebenso geschützt werden wie das biologische Gleichgewicht der Gewässer.

M. L.

Fußnote: 1 Programa Venezolano de Educación-Acción en Derechos Humanos (Provea), „Situación de los derechos humanos en Venezuela“, Jahresbericht Okt. 2000/Sept. 2001, Caracas, 2002.

Le Monde diplomatique vom 17.05.2002, von M. L.