Die Privatisierung des Wassers
Von FRANCK POUPEAU *
WÄHREND die „neoliberale Globalisierung“ zunehmend ins Schussfeld der Kritik gerät, entdecken die multinationalen Konzerne Grundbedarfsgüter wie etwa Wasser als viel versprechende Profitquelle. Die beiden französischen Multis Vivendi-Générale des Eaux und Suez-Lyonnaise des Eaux kontrollieren inzwischen 40 Prozent des Weltwassermarkts und zählen jeweils über 110 Millionen Menschen in 100 (Vivendi) bzw. 130 (Suez-Lyonnaise) Ländern zu ihren Kunden. Möglich wurde diese Entwicklung durch den Abbau der Handelshemmnisse, den die Unternehmen in Kooperation mit internationalen Institutionen und nationalen Regierungen schon seit einigen Jahren vorantreiben. Knapp 85 Prozent der Wasserversorgung in den Großstädten der Welt liegen in den Händen öffentlicher oder staatseigener Betriebe – ein gefundenes Fressen für die Globalisierer.
So haben die beiden französischen Wasser-Multis in den vergangenen 15 Jahren in vielen Ländern äußerst lukrative Privatisierungsverträge abgeschlossen. Angesichts der Erfolge der Suez-Lyonnaise in China, Malaysia, Italien, Thailand, Tschechien, Australien, der Slowakei und den Vereinigten Staaten darf man nicht übersehen, dass auch die ehemalige Compagnie Générale des Eaux (nunmehr Vivendi) keineswegs untätig geblieben ist. In einigen Fällen agierten die beiden Giganten auch als Partner, wie etwa in Buenos Aires 1993. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre eröffnete Vivendi Niederlassungen in Deutschland (Leipzig, Berlin), Tschechien (Pilsen), Korea (Daesan-Komplex), Kasachstan (Almati), auf den Philippinen (Manila), aber auch – mit den Tochterfirmen „Air and Water Technologies“ und „US Filter“ – in den USA.1
Die Wasser-Multis mussten allerdings auch Rückschläge einstecken. In einigen südamerikanischen Ländern blieb ihnen keine andere Wahl, als sich zurückzuziehen und bei den zuständigen internationalen Instanzen auf Entschädigung zu klagen. In der argentinischen Provinz Tucumán weigerte sich die Bevölkerung 1997, die Rechnungen zu bezahlen, nachdem sich die Wasserqualität verschlechtert und die Preise verdoppelt hatten.
In Tucumán hatte die Compagnie Générale des Eaux 1993 die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung übernommen und die Tarife sogleich um durchschnittlich 104 Prozent erhöht. Die Betroffenen reagierten mit zivilem Ungehorsam: „Der Protest begann in den Dörfern im Innern der Provinz, in der Region der Zuckerrohrplantagen, wo die Bevölkerung bereits eine lange Kampferfahrung besitzt. Sieben kleine Dörfer machten den Anfang. Sie bildeten ein Koordinationskomitee und gründeten den Verbraucherschutzverein Tucumán.“2
Als im Leitungswasser Keime entdeckt wurden, nahm sich die Provinzregierung der Sache an und verklagte das Unternehmen. Die Générale des Eaux drohte angesichts des Zahlungsboykotts damit, den Hahn zuzudrehen. Als die Drohung nicht wirkte, versuchte sie neue Bedingungen auszuhandeln. Schließlich zog sich das Unternehmen zurück und weigerte sich, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Überdies verklagte es die Verbraucher beim „Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID), einer Unterorganisation der Weltbank – die jedoch entschied zugunsten der Provinz. Inzwischen hat Tucumán eine neue Provinzregierung, sodass die Verbraucher mit ihrem Zahlungsboykott auf institutionellen Beistand jedenfalls nicht mehr rechnen können.
Die Privatisierung der Wasserversorgung wird meist wegen der ökologischen Folgewirkungen kritisiert, die den Anschluss der lokalen Wirtschaft an einen „einheitlichen Markt“ mit sich bringt. Denn der bedeutet nicht nur eine zunehmende Außenorientierung der Produktion, sondern auch eine intensivierte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Maud Barlow hat aufgezeigt, dass viele „Länder die Gemeindesteuern und Umweltauflagen zurückschrauben, um wettbewerbsfähig zu bleiben. […] Aufgrund des sinkenden Steueraufkommens fehlt Geld für die Abwasserbeseitigung und den Gewässerschutz. Gleichzeitig wird es für die Regierungen immer schwieriger, drohende Verschmutzungen durch präventive Umweltauflagen zu steuern.“3
Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Regierungen der betroffenen Länder aktiv an der Deregulierung der Wasserwirtschaft mitwirken und die internationalen Abkommen im Rahmen von Weltbank, Welthandelsorganisation und Weltwasserrat mittragen. So brachte der WTO-Gipfel in Katar im November 2001 die Privatisierung ein weiteres Stück voran. In der Abschlusserklärung sprachen sich die Konferenzteilnehmer dafür aus, „die tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse im Bereich der Umweltgüter und -dienstleistungen abzubauen oder gegebenenfalls zu beseitigen“ (Artikel 31, Absatz 3). Jeder Versuch, der profitorientierten Ausfuhr von Wasser Einhalt zu gebieten, wäre damit rechtswidrig. Artikel 32 empfiehlt sogar, nichttarifäre staatliche Handelsbarrieren wie etwa Umweltschutzgesetze ganz zu untersagen.
Im Gegensatz zu den ökologischen Konsequenzen haben die sozialen Auswirkungen dieser Politik bislang wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dabei liegt auf der Hand, dass die im Zuge der Privatisierung steigenden Wasserpreise den ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu sauberem Trinkwasser immer mehr erschweren.
Als lehrreiches Beispiel kann die Privatisierung der Wasserversorgung in der bolivianischen Hauptstadt La Paz dienen. In Alto Lima, dem ältesten und ärmsten Viertel von La Paz, quoll im Februar 2002 infolge schwerer Regenfälle schlammiges Schmutzwasser aus den Abwasserkanälen. Auf den ungepflasterten, mit Schlaglöchern übersäten Straßen häuft sich regelmäßig der Abfall, seit die Müllabfuhr ebenso wie die nächtliche Straßenbeleuchtung privatisiert worden ist. Nur eine Nichtregierungsorganisation kümmert sich noch ums Allernötigste. Auf dem Wochenmarkt drängen sich die Verkäufer unter blauen Planen, mit denen sie die Lebensmittel- und Kleidungsstände mehr schlecht als recht gegen das Unwetter schützen.
Antonio lebt seit seiner Kindheit in Alto Lima. Das dicht bewohnte Viertel liegt auf 4 000 Meter Höhe, die Reichen wohnen weiter unten, 3 200 Meter hoch. Alto Lima blickt aufs Stadtzentrum, doch der Weg hinunter dauert über eine Stunde. Auch deshalb geht Antonio selten in die Stadt: Es ist zu weit, auch zu teuer. Antonio ist ratlos. Seit das französische Konsortium Aguas del Illimani (Lyonnaise des Eaux) die Wasserversorgung verwaltet, hat sich der Preis versechsfacht, von 2 auf 12 Bolivianos. Die meisten Einwohner von Alto Lima gehen seither in öffentliche Bäder, weil sie sich die Dusche zu Hause nicht mehr leisten können. In den städtischen Einrichtungen gilt noch der alte Preis.
Vor der Privatisierung waren in den nördlichen Stadtbezirken 18 Techniker damit beschäftigt, allmonatlich knapp 80 000 Wasserzähler abzulesen. Nach der Privatisierung wurde die Hälfte von ihnen aus Kostengründen entlassen, der Rest mit Wartungsarbeiten betraut. Seither werden die Zähler nur noch selten abgelesen. Und auf den Wasserrechnungen steht immer derselbe Betrag, egal wie viel der jeweilige Haushalt verbraucht hat. Als sich das Konsortium um die Konzession bewarb, stellte es besseren Service und den Ausbau des Leitungsnetzes in Aussicht. Die Realität sieht freilich anders aus: Immer häufiger ist die Wasserversorgung wegen unzureichender Wartung unterbrochen und es dauert immer länger, bis der Schaden behoben ist. Manchmal bleibt keine andere Möglichkeit, als die alten Brunnen wieder in Betrieb zu nehmen.
Während sich die Führungskräfte des Wasserkonsortiums eine Gehaltserhöhung von 12 000 auf 65 000 Bolivianos genehmigten, muss sich ein Arbeiter mit durchschnittlich 1 800 Bolivianos zufrieden geben. Für die Einrichtung eines Wasseranschlusses werden seit der Privatisierung 1 100 Bolivianos fällig (rund 150 Euro), zuvor konnte man die Kosten von 730 Bolivianos (knapp 100 Euro) in fünf Jahresraten abstottern. Ein ehemaliger Arbeiter von Aguas del Illimani meint: „Wasser ist in El Alto heute ein Luxus.“ Den kann auch er sich seit seiner Entlassung nicht mehr leisten.
Der französische Chef des Wasserversorgers, Arnaud Bazaire, erklärt dazu: „Wir wollten zeigen, dass sich die Lyonnaise des Eaux auch schwieriger Stadtteile annehmen kann.“ Das Ergebnis ist nicht gerade überzeugend. Ein Wartungsarbeiter: „Sie haben von Neuinstallationen geredet, aber dann haben sie nur die Rohre weiß angestrichen.“ Überdies findet man in der Kanalisation immer häufiger tote Tiere. In anderen Ländern sind private Wasserversorgungsunternehmen bereits verurteilt worden, weil sie die hygienischen Mindeststandards nicht eingehalten haben. Aguas del Illimani wurde bislang nur dafür verurteilt, dass er mehrere Wochen lang die Versorgung kommunaler Institutionen unterbrochen hatte, darunter auch sämtlicher Schulen der Stadt. Der zweite und dritte Bezirk von Alto Lima ist seit mehreren Monaten ohne Wasser. Arnaud Bazaire erklärte dazu im Dezember 2000, die Menschen von Alto seien die „übelsten Kunden“ und „die schlechtesten Verbraucher der Welt“.5
Wascht gefälligst eure Autos!
DER Wasserexperte bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB), Denis Cravel, stimmt in das Klagelied ein: „Die Bevölkerung hat schlechte Angewohnheiten.“ Sie glaube, „der Service müsste kostenlos sein“. Wasser sei aber nicht nur ein „soziales“, sondern auch ein „Wirtschaftsgut“. Nach Ansicht von Alvaro Larrea Alarcon, Ingenieur beim bolivianischen Regionalentwicklungsfonds, könnte die Wasserkonzession durchaus rentabel sein, wenn die Bevölkerung nur mehr verbrauchen würde. „Es ist von allergrößter Wichtigkeit, den Leuten zu vermitteln, dass sie sich daran gewöhnen müssen, ihre Wasserrechnung zu bezahlen. Viele Menschen wachsen hier ohne Wasseranschluss auf. Sie gehen zum Waschen in öffentliche Einrichtungen oder an den Fluss. Sie sind es gewohnt, zu Hause kein Wasser zu haben. Das ist eine Frage der kulturellen Gewohnheiten. Man muss den Leuten beibringen, einmal am Tag zu baden, ihre Pflanzen zu gießen, ihr Auto zu waschen.“ Der Ingenieur scheint keine Ahnung davon zu haben, dass die Bevölkerung der Altiplano-Hochebene fast nur öffentliche Verkehrsmittel benutzt und dass das Andenbecken zunehmend austrocknet.
Warum nehmen die Menschen in diesen Stadtteilen eine so skrupellose Geschäftspolitik mit einer Geduld hin, die schon an Gleichmut grenzt? Weil eben subproletarische Existenzen nicht in der Lage sind, Projekte zu entwerfen, die über die Gegenwart hinausweisen, also auch nicht die Basis für eine kollektive Organisation zustande bringen.6 Hinzu kommt, dass sich von offizieller Seite kein Ansprechpartner anbietet. Dies wiederum liegt nicht nur am Abbau des öffentlichen Sektors, sondern auch an dem tiefer werdenden Graben zwischen politischer Elite und breiter Bevölkerung.
Nur in der bolivianischen Stadt Cochabamba haben die Einwohner mit Unterstützung der im Umland lebenden Bauern Mittel und Wege zur Selbstorganisation gefunden und die Privatisierung der Wasserversorgung rückgängig gemacht.7 Das zur US-amerikanischen Bechtel-Gruppe gehörende Unternehmen Aguas del Tunari, das die Konzession erworben hatte, war in puncto Öffentlichkeitsarbeit allerdings auch nicht so aktiv geworden wie die beiden französischen Wasser-Multis. Und dabei ist deren ökologisches und soziales Sündenregister um einiges länger.
dt. Bodo Schulze
* Soziologe