Jean-Marie Messier – eine neoliberale Karriere
Von FRÉDÉRIC LEBARON *
OFT wird Jean-Marie Messier als Unternehmensboss „à l‘américaine“ beschrieben. Nach dem 11. September gab er sich als besserer New Yorker als die New Yorker.1 Auch steht er als Totengräber des französischen Kulturprotektionismus da, seit er Ende letzten Jahres von seinem New Yorker Wohnsitz aus gegenüber Le Monde die „exception française“ für tot erklärte, was in Frankreich auf scharfe Kritik stieß. Doch vor allem verkörpert er den Prototyp des französischen patron der Achtzigerjahre, der mit dem Mythos vom amerikanischen Selfmademan und Manager nicht mehr viel gemein hat.2
Messier stammt aus den gutbürgerlichen Kreisen von Grenoble. Nach der renommierten Ingenieurshochschule „École Polytechnique“ besuchte er zunächst die „École Nationale d‘Administration“ und begann danach seinen rasanten wirtschaftlichen und politischen Aufstieg. Vier Jahre lang arbeitete er im Wirtschafts- und Finanzministerium als Finanzinspektor. Seine eigentliche Karriere begann 1986. Im Rahmen von Präsident Chiracs Privatisierungsprogramm wurde der 30-Jährige vom zuständigen Minister Camille Cabana zum Abteilungsleiter ernannt und mit der Planung von Privatisierungen betraut. Bald darauf diente er als Berater des damaligen Wirtschaftsministers Edouard Balladur. Der Spitzenmanager Jacques Friedman ist auf Messier angeblich deshalb aufmerksam geworden, weil dieser sich in der „Association pour l‘Étude des Expériences Étrangères“ besonders für Thatchers Großbritannien interessierte.3
Da sich die politisch-administrativen Elitehochschulen seit einiger Zeit immer mehr an der Welt der Wirtschaft orientieren,4 besaß Messier das nötige soziale und politische Rüstzeug, um nach fünfjähriger Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter der Bank „Lazard Frères et Cie“ die Leitung der „Compagnie Générale des Eaux“ zu übernehmen, die sich später in Vivendi und schließlich in Vivendi Universal umbenannte. Ein Finanzinspektor wie Messier, der gewohnt ist, ein Unternehmen von ganz oben zu leiten, der die finanziellen und institutionellen Hebel zu bedienen weiß, muss nicht lange um die allgemeine Anerkennung als „Industriekapitän“ kämpfen, ganz egal ob sich das Unternehmen in der Wasserversorgung oder der Telekommunikation, in Immobilien oder in den Medien engagiert. Messier, der seine wissenschaftliche Ausbildung dem Staat verdankt, konnte im Zuge der neoliberalen Revolution rasch vom Lager der „Privatisierer“ ins Lager der „Profiteure“ der kapitalistischen Konkurrenz übertreten. Diese Revolution ermutigte viele höhere Staatsdiener, besonders unter den Finanzinspektoren, in die freie Wirtschaft zu wechseln. Heute bilden sie die oberste französische Wirtschaftselite, nachdem es ihnen trotz der weitgehenden Deregulierung der Ökonomie gelungen ist, die Fäden in der Hand zu behalten. Nicht zuletzt diesem langen Marsch durch Politik und Verwaltung hat es der Globalisierungsapostel Messier zu verdanken, dass seine öffentlichen Stellungnahmen so aalglatt wirken wie die großbürgerlich geschliffenen Verlautbarungen seines Mentors Edouard Balladur.
Der unternehmerische Habitus, der sich im Zuge der Umwandlung vom keynesianischen zum neoliberalen Staat herausgebildet hat, trägt durchaus „revolutionäre“ Züge. Und genau dieser Habitus bildete die Grundlage aller wesentlichen Entscheidungen, die für die jüngste Umstrukturierung des französischen Kapitalismus prägend waren. Ob Havas und Canal+ von Vivendi übernommen oder Nethold von Canal+ Nethold aufgekauft wurde oder ob Vivendi mit Universal fusionierte – hier wurde wild entschlossen und begeistert die französische Volkswirtschaft entgrenzt und mit dem globalisierten, von den Finanzmärkten und Medien dominierten Kapitalismus verschmolzen.
Als historisches Produkt der neoliberalen Revolution beruht diese Wirtschaftsstrategie auf drei Voraussetzungen. Erstens: Der ökonomische Krieg ist ein Krieg der symbolischen Bilder und politischen Images und ein darwinistischer Kampf um Effizienzsteigerung. Manipulative Kommunikation, öffentlichkeitswirksame Phrasen und ein sicheres Gespür für die Medien gehören inzwischen zum Tätigkeitsprofil des modernen Industriemagnaten. Dieser hat sich vom Bild des paternalistischen, verschlossenen patron ebenso weit entfernt wie von dem des technokratisch bornierten Managers.
Zweitens: Moderne Unternehmensführer brauchen als wesentlichen Bestandteil ihrer Legitimation eine mediale Identität. Die Arbeit an den Symbolen reduziert sich jedoch nicht auf die Präsentation der herkömmlichen Merkmale eines kapitalistischen Unternehmers: Erfolg, Effizienz, Risikobereitschaft, Innovationsfähigkeit, Weitsicht. Vielmehr geht es um die Inszenierung eines „Charakters“ im weitesten Sinne, was unter Umständen eine gewisse Eignung zur Karikatur und die Kombination von Starallüren und mangelndem Charisma einschließt.
Drittens: Ein moderner Manager des globalisierten Medienkapitalismus scheut sich nicht, die üblichen Denkmuster der Manager aufzubrechen. Er ist in der Lage, praktisch jeden Protest – und sei es den gegen den Kapitalismus und die Globalisierung – in abgeschwächter Form zu seinem ureigensten Anliegen zu erklären und sich mit Verve für den Dialog mit der „Zivilgesellschaft“ zu engagieren.5 Da er im Zentrum des neuen politökonomischen Systems steht, hat er es nicht (mehr) nötig, die Argumente der Chicagoer Schule6 oder einer ihrer populärwissenschaftlichen Spielarten zu bemühen, um sich als effizienter Funktionsträger der neoliberalen Ordnung zu positionieren. Er kann sich damit begnügen, als neutraler und wohlwollender Akteur einer höheren Rationalität zu erscheinen, deren Inkarnation seit dem Sturz des keynesianischen Staats das globale Unternehmen ist.
dt. Bodo Schulze
* Soziologe an der Universität Amiens, Mitglied der Gruppe „Raison d‘Agir“.