17.05.2002

Abkühlung in Riad

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Abkühlung in Riad

DER Brief war typisch für den politischen Stil des saudischen Kronprinzen: Keine diplomatischen Floskeln, es ging darum, mit den „amerikanischen Freunden“ Klartext zu reden. Abdallah Ibn Abdel Asis hatte bereits einen für Juni 2001 geplanten Staatsbesuch in den USA abgesagt, in seinem Schreiben von Anfang September desselben Jahres kritisierte er die proisraelische Haltung der US-Regierung und kam zu dem Schluss: „Von nun an werden Sie Ihre Interessen verfolgen und wir die unseren.“ Er wies darauf hin, dass er den saudischen Generalstabschef, der mit einer Delegation von vierzig ranghohen Offizieren zu einer Sitzung der saudisch-amerikanischen Militärkommission im Pentagon angereist war, am 31. August angewiesen habe, die Konferenz sofort zu verlassen. Präsident Bush zeigte sich beeindruckt. In seinem Antwortschreiben versicherte er, die USA setzten sich nach wie vor für eine Lösung der Nahostkrise durch Gründung eines Palästinenserstaates an der Seite Israels ein und er wolle das auch vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen vertreten.1

Nach den Anschlägen vom 11. September kam es dazu nicht mehr. Doch was die Anerkennung des Rechts der Palästinenser auf einen eigenen Staat angeht, so hat die Regierung Bush Wort gehalten. Die Kontroverse ist beigelegt – es fragt sich nur, für wie lange. In Saudi-Arabien hält die Empörung über das proisraelische Engagement der USA an: Eine Umfrage der Tageszeitung Al Watan ergab, dass 60 Prozent der Befragten die USA verabscheuen; drei Viertel nannten als Grund die Haltung der US-Regierung im Palästinakonflikt.2 Im April 2002 kam es in Saudi-Arabien erstmals zu propalästinensischen Demonstrationen, die jedoch sofort verboten wurden. Neuerdings gibt es auch saudische Geschäftsleute, die zum Dollarboykott aufrufen.

Von einer ernsten Krise in der strategischen Allianz zwischen den USA und Saudi-Arabien kann dennoch nicht die Rede sein. Die Stabilität dieses Bündnisses beruht auf elementaren gemeinsamen Interessen: Für den herrschenden Clan der al-Saud ist der US-militärische Schutzschild unverzichtbar, und die USA brauchen die saudischen Ölquellen, um die Ölversorgung des Westens zu einem „vernünftigen“ Preis zu sichern. Beide Seiten bemühten sich folglich, die Spannungen abzubauen. Präsident Bush hat sich mehrfach von der Verteufelung Saudi-Arabiens in den US-Medien distanziert, und er sorgte für die Verabschiedung einer Reihe von Palästina-Resolutionen im UN-Sicherheitsrat, die den saudischen Forderungen Rechnung trugen.

Die saudische Herrscherfamilie revanchierte sich, indem sie ab dem 12. September die Förderquote erhöhte, um nach den Anschlägen eine drohende Ölkrise zu verhindern. Und im April 2002 stellte sie sich gegen die Initiative des Irak, das Erdöl als „politische Waffe“ einzusetzen. Außerdem zeigte sich Saudi-Arabien bereit, die UN-Beschlüsse zu beachten und bei den Nachforschungen über das Al-Qaida-Netzwerk – vor allem über dessen Finanzierung – mit den USA zusammenzuarbeiten. Inzwischen müssen islamische Wohlfahrtsstiftungen in Saudi-Arabien jede geplante Aktivität im Ausland beim Außenministerium anmelden.3

Die Stationierung von etwa 5 000 US-Soldaten auf US-Militärstützpunkten in Saudi-Arabien sorgt jedoch immer noch für Spannungen. „Wir sind das einzige Land der Welt, das für die amerikanischen Militärbasen auf seinem Territorium auch noch zahlt“, lautet der sarkastische Kommentar eines hohen Beamten im Außenministerium. Gerüchte, die USA planten die Verlagerung dieser Stützpunkte – vor allem nach Katar – sind von saudischer wie amerikanischer Seite allerdings wiederholt dementiert worden. „Keine Minute länger als nötig“ wolle man die eigenen Truppen auf der arabischen Halbinsel stationiert lassen, hatte Richard Cheney 1990 erklärt. Damals war er allerdings noch Verteidigungsminister und nicht Vizepräsident der USA. Saudis wie Amerikaner wissen natürlich, dass die Anwesenheit des US-Militärs auf heftige Ablehnung in der Bevölkerung stößt. 1995 und 1996 starben US-Soldaten bei Bombenanschlägen. Es spricht also einiges für den Abzug der Truppen, allerdings erst nach einer Friedensregelung in der Region – und vielleicht erst nach einem amerikanischen Militärschlag gegen das Regime im Irak.

In diesem Zusammenhang muss man die Friedensinitiative des saudischen Kronprinzen sehen.4 Ihre Grundidee ist ganz einfach: Normalisierung aller Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten im Austausch gegen den vollständigen Rückzug Israels aus den seit Juni 1967 besetzten arabischen Gebieten. „Für uns ist es keine Kleinigkeit, Israel anzuerkennen“, erklärt ein Berater des Kronprinzen im privaten Gespräch. „In unserem Land hat der Prophet Mohammed den Koran gepredigt, hier liegen Mekka und Medina, heilige Stätten des Islam. Können Sie sich vorstellen, was es bedeuten würde, in diesem Land eine israelische Botschaft zu eröffnen? Wir gehören nicht zu den Frontstaaten in diesem Konflikt, aber wir wollen, dass er endlich beigelegt wird.“ Beim arabischen Gipfel am 27. und 28. März in Beirut fand der saudische Vorschlag Unterstützung, und Prinz Abdallah hatte seinen großen Auftritt: In einer mitreißenden Rede appellierte er an das israelische Volk, in Frieden mit seinen Nachbarn zu leben. Der israelische Ministerpräsident Scharon reagierte: mit Krieg.

Kronprinz Abdallah, der am 25. April in Texas mit Präsident Bush zusammentraf, hat seine Strategie der „konstruktiven Vorschläge“ an die amerikanische Regierung nicht aufgegeben. Wenn er damit scheitert, wenn sich die Situation in den Palästinensergebieten weiter verschärft, wenn Washington sich am Ende auf das militärische Abenteuer einer Intervention im Irak einlässt – dann könnte das Königreich Saudi-Arabien harten Zeiten entgegengehen. Aber vielleicht hat er den richtigen Weg gewählt, weil es einfach keinen besseren gibt.

A. G.

Fußnoten: 1 Die saudische Sichtweise dieser Kontroverse wird in Al Hayat (London) vom 6. November 2001 dargestellt, die amerikanische Position in der International Herald Tribune (Paris) vom 11. Februar 2002. 2 Al Watan (Abha), 8. April 2002. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup: 64 Prozent der Saudis haben eine schlechte, nur 16 Prozent eine gute Meinung von den USA. Siehe USA Today, 27. Februar 2002. 3 Al Watan, 21. März 2002. 4 Erste Umrisse dieses Friedensplans wurden in einem Artikel des amerikanischen Journalisten Thomas Friedman vorgestellt: „An Intriguing Signal From the Saudi Crown Prince“, New York Times, 17. Februar 2002.

Le Monde diplomatique vom 17.05.2002, von A. G.