Günstlingswirtschaft als Landreform
Im März wurde Robert Mugabe erneut zum Staatspräsidenten Simbabwes gewählt. Trotz unzweifelhafter Manipulationen haben die beiden wichtigsten afrikanischen Länder, Südafrika und Nigeria, seine Wiederwahl begrüßt. Die Kritik der internationalen Gemeinschaft hat aus afrikanischer Sicht eine heuchlerische Seite. Denn viele der Kritiker sehen Mugabes „Verbrechen“ nicht in der Wahlmanipulation, sondern in der Umverteilung von Land, das die weißen Farmer seit Kolonialzeiten monopolisieren. Hier tickt eine Zeitbombe, die auch in anderen Ländern Afrikas hochgehen könnte.
Von COLETTE BRAECKMAN *
ALLE Einwände, die im Verlauf der Präsidentschaftswahlen in Simbabwe vorgebracht wurden, sind wahrscheinlich wohl begründet. Bereits Monate vor dem Urnengang hatte Robert Mugabes „Zimbawe African National Union-Patriotic Front“ (Zanu-PF) all jene „Ausländer“ von den Wählerlisten gestrichen, die nicht auf ihre doppelte Staatsangehörigkeit verzichten wollten. Betroffen waren außer der europäischstämmigen Bevölkerung auch die 300 000 Landarbeiter aus Malawi, Mosambik und Sambia, die dem Regime feindlich gegenüberstehen, seit sie im Zuge der Landreform ihre Arbeit bei den einstigen weißen Großgrundbesitzern verloren. Überdies waren die ländlichen Regionen für die Wahlkämpfer der Opposition praktisch abgeriegelt. Insofern war absehbar, dass der Westen einstimmig Protest erheben würde, als Mugabe am 11. März 2002 mit 56,2 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde und sein Herausforderer Morgan Tsvangirai vom „Movement for Democratic Change“ mit 41 Prozent Zweiter blieb.
Die Staatschefs der südafrikaischen Länder hingegen ließen durch ihre Vertreter bei der „Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft“ (SADC) verlauten, dass sie die Zwischenfälle zwar bedauerten, insgesamt jedoch seien die Wahlen „frei und demokratisch“ gewesen. Unter Führung Pretorias plädierten sie für „Versöhnung“ und eine Regierung der nationalen Einheit. Dass der südafrikanische Staatschef Thabo Mbeki und sein nigerianischer Amtskollege Olusegun Obasanjo am Ende dem Beschluss zustimmten, die Mitgliedschaft Simbabwes im Commonwealth für ein Jahr auszusetzen, geht allein auf britischen Druck zurück. Für beide stand die „Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ auf dem Spiel, die Mbekiund Obasanjo gemeinsam mit dem senegalesischen Staatschef Abdoulaye Wade angeregt hatten.
Wie schon die Durban-Konferenz im August 1998 offenbarten die Wahlen in Simbabwe eine tiefgreifende Differenz zwischen dem Westen und Afrika.1 Vor allem die südafrikanischen Länder kritisieren, dass der Westen mit zweierlei Maß messe. In der Tat gibt es am Urnengang in Simbabwe ungeachtet aller Unregelmäßigkeiten nicht mehr auszusetzen als an den jüngsten Wahlen in anderen afrikanischen Ländern, in Sambia, in Madagaskar2 oder auch in der Republik Kongo, wo Staatspräsident Denis Sassou Nguesso am 13. März 2002 ohne Gegenkandidat wiedergewählt wurde. Die ehemaligen Frontstaaten, an deren Spitze ausnahmslos altgediente Befreiungskämpfer stehen – Sam Nujomaa in Namibia, Joaquím Chissan von der Frente de Libertação (Frelimo) in Mosambik, Eduardo dos Santos in Angola –, sie alle haben nicht vergessen, wie viel Nachsicht der Westen im Umgang mit dem sezessionistischen Rhodesien unter Ian Smith an den Tag legte – und bis 1990 auch mit dem Apartheidregime in Südafrika.
Überdies befürchten die Nachbarn Simbabwes nun eine Kettenreaktion: eine Offensive gegen alle aus dem Befreiungskampf hervorgegangenen Regierungen, eine Schwächung der regionalen Wirtschaftskraft – zumal Simbabwe als ökonomisches Zugpferd fungierte – sowie eine generelle Infragestellung der nach der Befreiung erfolgten Landverteilung.3 Nicht wenige Afrikaner sind der Ansicht, dass der Westen an Mugabe in Wirklichkeit etwas anderes auszusetzen hat: erstens, dass er die Plantagen von 4 000 weißen Farmern besetzen ließ, deren Vorfahren das Land vor rund hundert Jahren kolonisiert haben, und zweitens, dass er die Wirtschaft „indigenisiert“, das heißt in die Hände der Einheimischen gelegt hat.
Als der bewaffnete Kampf gegen das Smith-Regime 1980 die Unabhängigkeit brachte, wurde die Landfrage im Lancaster-House-Abkommen für zehn Jahre auf Eis gelegt. Zwanzig Jahre später lässt sich die koloniale Ungerechtigkeit noch immer an der Landschaft ablesen. Über dutzende von Kilometern ziehen sich schnurgerade Straßen durch sorgsam eingehegte Landgüter, auf denen die weißen Farmer Tabak (40 Prozent der Exporteinnahmen), Mais, Blumen und Paprika anbauten und für ausländische Touristen „Naturreservate“ anlegten. Heute wirken die Ländereien leer und verlassen, viele Felder liegen brach. 1980 besaßen 6 000 weiße Farmer 15,5 Millionen Hektar Land, darunter 45 Prozent des ertragreichsten Bodens. Seither ist die Zahl der weißen Farmer auf 4 000 gesunken. Man muss die großen Überlandstraßen verlassen, um am Ende staubiger Sandpisten die „Gemeindeländereien“ zu entdecken, die ehemaligen Reservate, wo 700 000 afrikanische Bauernfamilien auf erodierten, steinübersäten Kleinstparzellen ihr Dasein fristen.
Laut Lancaster-House-Abkommen steht enteigneten Farmern eine Entschädigung zu. Aus diesem Grund konnte die Regierung innerhalb der ersten zehn Jahre nur 71 000 von 162 000 Familien wieder ansiedeln und lediglich 3,5 Millionen Hektar Land verteilen. Das Landerwerbsgesetz von 1991, das ebenfalls Entschädigungszahlungen vorsah, sollte diesen Prozess beschleunigen. Es richtete sich insbesondere gegen (weiße) Großgrundbesitzer, die ihr Land „unterbewirtschaften“, gegen die altbekannten absentee landlords – darunter auch Mitglieder des britischen Oberhauses –, sowie gegen Farmer, die mehrere Ländereien besitzen oder deren Grundeigentum an Gemeindeland grenzt. Doch entgegen ihrer im Lancaster-House-Abkommen eingegangenen Verpflichtung weigerten sich die Regierungen Thatcher und Reagan, den Entschädigungsfonds zu alimentieren, unter dem Vorwand, das Regime verteile das Land auf undurchsichtige Weise an politische Freunde anstatt an qualifizierte schwarze Bauern.
Dass Staatspräsident Mugabe und seine Partei Anfang der Neunzigerjahre die Landverteilung in den Mittelpunkt rückten, war auch ein Versuch, der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung im Zuge der Strukturanpassungspolitik seit 1991 zu begegnen. Zuvor hatte die Regierung eine bemerkenswerte Sozialpolitik verfolgt, die ländlichen Regionen mit Strom und Wasser versorgt, Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut, eine Alphabetisierungsquote von 91 Prozent erreicht. Diese Erfolge und die guten Beziehungen zur weißen Minderheit brachten Mugabe Lob und Anerkennung seitens der internationalen Gemeinschaft ein. Über die gewaltsame Unterdrückung des Aufstands in Matabeleland, die über 10 000 Menschenleben kostete, wurde diskret hinweggesehen.
Allerdings konnte die Regierung ihre fortschrittliche Politik nur durch Kreditaufnahme auf den internationalen Kapitalmärkten finanzieren, sodass die Auslandsschuld bis 1989 auf 2,6 Milliarden Dollar anstieg. Da die ausländischen Geldgeber weitere Kredite von IWF-Hilfen abhängig machten, blieb der Regierung keine andere Wahl, als die Strukturanpassungsvorgaben des Internationalen Währungsfonds zu akzeptieren. Die Löhne wurden dem freien Spiel der Marktkräfte ausgesetzt, die staatseigenen Unternehmen privatisiert, ihre Beschäftigten entlassen, der Staatshaushalt abgespeckt, die kostenlose Krankenversorgung ebenso abgeschafft wie der kostenlose Schulbesuch. 1999 war die Schulbesuchsquote um 20 Prozent gesunken, während die Gesundheitskosten um 150 Prozent gestiegen waren (jeder vierte Erwachsene ist HIV-positiv). Gleichzeitig hatte der Abbau der Handelsbarrieren das produzierende Gewerbe ruiniert, das der harten Konkurrenz aus Südafrika nicht gewachsen war.
Damit war die vergleichsweise hochgradige wirtschaftliche Autonomie Simbabwes am Ende. Die erhofften Investitionen blieben aus, und die Wachstumsrate, die in den Achtzigerjahren 5 Prozent erreicht hatte, fiel auf 1 Prozent. 30 000 Jugendliche strömten alljährlich auf den Arbeitsmarkt, während zehntausende von (Hoch-)Schulabgängern nach Südafrika oder Großbritannien auswanderten – oder sich in die Reihen der Unzufriedenen im Land einreihten. Deren Forderungen wurden vor allem von den Gewerkschaften vertreten, an deren Spitze damals Morgan Tsvangirai stand. Im Dezember 1997 wurden die altgedienten Freiheitskämpfer, die sich um den Lohn ihres Engagements gebracht sahen, mit einer Sonderzuwendung in Höhe von 50 000 Simbabwe-Dollar bedacht – was die monetäre Krise des Landes noch verschäfte. Simbabwe erlebte eine erste Hungerrevolte, die nachlassende Popularität des Regimes wurde offensichtlich.
Abermals versuchte die Regierung die Landfrage in Angriff zu nehmen. Im November 1997 wurde eine erste Gruppe von 9 400 Familien auf die Enteignungsliste gesetzt. Die Militärintervention gegen die Demokratische Republik Kongo war ebenfalls eine Flucht nach vorne. Dabei wollte Harare eigentlich die territoriale Integrität des Kongo wahren, in der Hoffnung, das Land langfristig als Wirtschaftspartner und Absatzmarkt für Industrieprodukte und Bergbau-Know-how zu gewinnen. Doch die Militärintervention war länger und teurer als erwartet. Und die Joint-Ventures im Diamanten- und Holzsektor, mit denen die Entsendung von 11 000 Mann finanziert wurde, kamen eher den privaten Kreisen, die sie betrieben, zugute als der Wirtschaft des Landes.4
Während Ruanda und Uganda mit einer gewissen Toleranz rechnen konnten, verweigerte eine Geldgeberkonferenz im September 1998 Simbabwe die Mittel zur Umsetzung der Agrarreform: Von den geforderten 357 Millionen Dollar erhielt das Land gerade mal eine Million. Seit 1999 ist das einstige Musterland nicht mehr in der Lage, seine Schulden zu begleichen. Das Ausland hat den Geldhahn zugedreht, es herrscht akuter Devisenmangel, die Inflation übersteigt 100 Prozent, und die Brennstoffversorgung ist erst seit kurzem dank libyscher Hilfe wieder gesichert.
Im Februar 2000 sprach sich die Bevölkerung gegen einen Verfassungsentwurf aus, der die Regierung ermächtigt hätte, Großfarmer entschädigungslos zu enteignen – ein deutlicher Hinweis, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung die Wende wünscht. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2000 kam die regierende Zanu-PF nur noch auf 62 Sitze, während die oppositionelle „Bewegung für demokratischen Wandel“ (MDC) 57 Abgeordnete ins Parlament schickte. Und wieder reagierte das Regime mit einer „beschleunigten Agrarreform“, die die Umverteilung von 8,3 der insgesamt 11 Millionen Hektar Plantagenland vorsah. In den Genuss dieser Maßnahmen kamen aber nicht etwa landlose Bauern, sondern Veteranen des Befreiungskriegs – oder solche, die sich dafür ausgaben –, die aber offenbar eher ferngesteuerte Parteikommandos oder regimefreundlicher Politaktivisten waren. Mehrere weiße Farmer wurden zu Opfern gewalttätiger Übergriffe. Im Übrigen produzieren die neuen Eigentümer wegen fehlender Investitionsmittel nur für den Eigenbedarf, so dass immer mehr fruchtbarer Plantagenboden brachliegt.
Obwohl die Landverteilung nach höchst zweifelhaften Kriterien erfolgte und im Wesentlichen politischen Zwecken diente, stärkte sie die Position des Regimes, während die oppositionelle, von weißen Farmern unterstützte MDC zur Landfrage nicht klar Stellung bezog. Im Präsidentschaftswahlkampf zeigte sich der schillernde Charakter der Oppositionsbewegung und ihrer mitunter zweifelhaften Bündnispartner: Sie bezog Geld sowohl von der Westminster Foundation in London als auch von der südafrikanischen Rechten um Anthony Leon sowie aus dem Umfeld der Nichtregierungsorganisationen Simbabwes, von denen etliche Neugründungen sind, die vorwiegend aus europäischen und amerikanischen Quellen finanziert werden. Diese Organisationen haben die Menschenrechtsverletzungen des Regimes – berechtigt, aber einseitig – verurteilt.
Die anderen Länder der Region fürchten nicht nur, in den Strudel der Wirtschaftskrise zu geraten, die in Zimbabwe bereits 550 000 Menschen mit Hunger bedroht. Sie befürchten auch, dass die Idee der Agrarreform ansteckend wirken könnte. Obwohl eine Neuverhandlung der Agrarreform möglich sein sollte – das UN-Entwicklungsprogramm hat sich bereits als Vermittler angeboten –, scheint der Prozess der Neuverteilung prinzipiell irreversibel. Davon können die schwarzen Bauern in Namibia nur träumen. Dort kontrollieren nach wie vor 4 000 weiße Großfarmer die kommerzielle Landwirtschaft. Ganz zu schweigen von Südafrika, wo zwei Drittel des besten Bodens in den Händen von 60 000 Weißen liegt und für 14 Millionen schwarze Kleinbauern alles beim Alten geblieben ist.
dt. Bodo Schulze
* Journalistin, Le Soir (Brüssel).