14.06.2002

Zu zehntausenden unterwegs

zurück

Zu zehntausenden unterwegs

DER Verband der Freunde und Familien von Opfern der illegalen Einwanderung (AFVIC)1 wurde am 2. August 2001 in Marokko gegründet. Das Datum der Gründung erinnert an den Tod zweier Guineer, die genau zwei Jahre zuvor in den Radkästen eines Linienflugzeugs am Brüsseler Flughafen erfroren aufgefunden worden waren. AFVIC entstand in Khouribga, einer krisengeschüttelten Bergbauregion in Zentralmarokko. Die Gründer des Verbandes sind sieben Freunde, die nach dem Studium in Casablanca und Rabat in die Heimatstadt zurückkehrten und feststellen mussten, welchen Aderlass die massenhafte Auswanderung für die Region bedeutet.

Die massenhafte illegale Migration prägt inzwischen das Verhältnis von EU und Maghreb, insbesondere das von Marokko, Spanien und Frankreich. Eine regelrechte Mafia ist entstanden, um diese neue Form des Menschenhandels zu organisieren. Laut AFVIC werden allein über die Meerenge von Gibraltar jedes Jahr zwischen 100 000 und 110 000 Menschen geschleust. In der Meerenge kommt es immer wieder zu tragischen Unfällen – ebenso wie in den tückischen Gewässern zwischen Marokko und den Kanarischen Inseln.

Seit dem Schengen-Abkommen ist es für Marokkaner noch schwieriger, ein Einreisevisum für Europa zu erhalten. Zugleich wächst der Strom illegaler Einwanderer nach Spanien ständig an. Von 1991 bis 1999 hat die spanische Polizei insgesamt 32 000 Illegale bei ihrer Ankunft an den Küsten Andalusiens und der Kanarischen Inseln verhaftet. Im Jahr 2000 waren es 15 000, im darauf folgenden Jahr sogar 18 517. Auf den Kanarischen Inseln hat sich die Zahl der Festgenommenen innerhalb eines Jahres verdoppelt.2 Im Jahr 2001 wurden 1 060 pateras (Schnellboote der Schlepper) durchsucht, 362 illegale Einwanderungsnetze aufgedeckt und 1 223 Schlepper bzw. deren Komplizen verhaftet. Die marokkanischen Behörden bestätigen, dass der Strom illegaler Auswanderer anwächst. Im Jahr 2000 haben sie 25 613 Menschen verhaftet, die Marokkos Küsten Richtung Spanien verlassen wollten. Zwischen Januar und August 2001 waren es bereits 21 000 – durchschnittlich 80 Verhaftungen pro Tag allein auf marokkanischer Seite. Von vier illegalen Migranten wird schätzungsweise einer gefasst. Zu diesen Zahlen kommen noch 22 984 Personen, größtenteils Marokkaner, die im Jahr 2001 von spanischen Grenzposten abgewiesen wurden.

Fußnoten: 1 www.afvic.fr.st. 2 Die Zahlen stammen aus der marokkanischen Zeitschrift L‘Opinion vom 27. April 2002. Sie wurden auf der Grundlage eines Rechenschaftsberichts erstellt, den der spanische Premierminister José María Aznar vor dem Unterhaus seines Parlaments am 24. April ablegte.

Le Monde diplomatique vom 14.06.2002