12.07.2002

Wolken impfen, Meere düngen

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Wolken impfen, Meere düngen

SEIT einigen Jahren experimentieren Wissenschaftler und Ingenieure in den Vereinigten Staaten und Europa mit neuen Technologien, um das Problem der Treibhausgase in den Griff zu bekommen. Als viel versprechender Ansatz gilt die Stimulierung der Planktonproduktion, da Plankton ein großer Kohlendioxidverbraucher ist. Andere Projekte arbeiten daran, die schädlichen Gase in der Tiefsee zu versenken oder in alten Bergwerken einzulagern. Entsorgung entwickelt sich zum gewinnträchtigen Zukunftsmarkt.

Von PHILIPPE BOVET und FRANÇOIS PLOYÉ *

Auf der letzten Weltklimakonferenz in Marrakesch im November 2001 beschlossen die 167 Teilnehmerstaaten unter anderem, dass bis 2008 ein weltweiter Handel mit Emissionsrechten entstehen soll.1 In den entwickelten Ländern stehen die umweltverschmutzenden Industrien vor der Wahl, ihre schädlichen Emissionen entweder zu reduzieren oder Emissionsrechte zu kaufen. Die Vereinigten Staaten haben das Abkommen allerdings nicht ratifiziert.

Angelockt von hohen Gewinnmargen entwickelte sich mit der Klimatechnologie in den letzten Jahren eine höchst umstrittene Wissenschaft, die sich neben vielen unterschiedlichen technischen Verfahren in erster Linie mit der dauerhaften Einlagerung von Kohlendioxid beschäftigt. Die Forscher stehen unter Druck, denn die Industrie kann oder will ihre Verschmutzungsemissionen nicht reduzieren und braucht dringend Ausweichlösungen. Dies gilt zumal für die multinationalen Konzerne der Erdöl- und Kohlebranche.

Unter den zahlreichen Ansätzen zur Einlagerung von CO2 sind hauptsächlich vier Gegenstand verstärkter Forschung: Da ist zunächst der Versuch, das Kohlendioxid in unterirdische Hohlräume einzusperren, womit bei Öl- und Gasbohrungen schon einige Erfahrung gesammelt wurde. Die norwegische Ölgesellschaft Norsk Hydro wendet das Verfahren bereits an. Total Fina Elf will für die Weiterentwicklung in Kürze mehrere Millionen Euro bereitstellen.2 Entgegen anders lautenden Behauptungen wird das CO2 jedoch nicht aus Umweltschutzgründen in den Boden gepumpt, sondern um durch einen möglichst hohen Druck im Bohrloch die Ausbeute an fossiler Energie zu maximieren.

1999 beauftragte das US-Energieministerium die Universität Berkeley und das Lawrence Livermore National Laboratory damit, als zweite Möglichkeit zu erkunden, wie das Kohlendioxid in der Tiefsee gebunden werden kann. Dabei soll das Gas unmittelbar am Entstehungsort, beispielsweise am Schornstein von Wärmekraftwerken, abgefangen und über Pipelines in 1 500–3 000 Meter Tiefe gepumpt werden, wo es sich unter dem hohen Wasserdruck verflüssigt. Allerdings gibt es keine Sicherheit, dass das Flüssiggas am Meeresboden stabil und am Ort bleibt. Hermann Ott, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zeigt sich besorgt: „Wir wissen nicht, welche Reaktionen dadurch ausgelöst würden. Solche CO2-Depots stellen einen tiefen Eingriff in die Nahrungskette dar.“ Für den Pazifik sollen bereits entsprechende Experimente in Vorbereitung sein3 – Anlass zur Besorgnis um den dortigen Fischbestand und die Korallenriffe.

Eine dritte Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Absorption von Kohlendioxid durch Pflanzen. Angestrebt wird eine Steigerung der Gesamtkapazität durch großflächige Aufforstung und Wiederbewaldung, ein Ansatz, der auf dem Marrakesch-Gipfel breite Zustimmung fand. In den Chefetagen reibt man sich die Hände: Welch hervorragende Gelegenheit, das eigene Image aufzubessern. Toyota soll an genetisch veränderten Baumsorten arbeiten, die ein Höchstmaß an CO2 absorbieren. Das japanische Research Institute of Innovative Technology for the Earth (RITE) arbeitet an genetisch veränderten Pflanzen für den Einsatz in der Wüste, die gegen Wassermangel und extreme Klimaverhältnisse resistent sind.

Noch umstrittener ist die Technik der so genannten Eisenfertilisation. In manchen Meeresregionen setzt der geringe Ammoniak- und Eisengehalt dem Algenwachstum enge Grenzen. Schlaue Köpfe kamen daher auf die Idee, das Oberflächenwasser mit Eisen anzureichern, wodurch sich die Algen in der Tat stark vermehrten. In der britischen Wochenzeitschrift Science vom 12. Oktober 2001 warnten Meeresforscher vor den Risiken einer unkontrollierten Ausweitung solcher kommerziellen Projekte.4

Brennstoffe mit Gütesiegel

DENNOCH fanden mehrere kleinere Versuche – teils mit, teils ohne wissenschaftliche Betreuung – bereits statt, weitere sind in Vorbereitung. So plant die „Ocean Technology Group“ an der Universität Sydney, die chilenischen Küstengewässer mit Ammoniak zu fertilisieren, um die Kohlendioxidabsorption und gleichzeitig die Fischproduktion zu steigern. Die Japaner als große Fischkonsumenten haben schon großes Interesse angemeldet.

Der amerikanische Ingenieur Michael Markels hat bereits zwei Experimente dieser Art durchgeführt und plant mit seiner Firma Greensea Venture in Kürze einen Großversuch auf 10 000 Quadratkilometern. Markels hatte sich zunächst mit der Regierung der Marshall-Inseln über die Nutzung der Küstengewässer geeinigt. Doch dann zog sich die Inselregierung zurück, und Markels wich auf die zu Ecuador gehörenden Galapagos-Inseln aus.5

Nach Auskunft des Unternehmers würde es genügen, 150 000 Quadratkilometer Meeresoberfläche regelmäßig mit 250 000 Tonnen Eisen anzureichern, um die gesamte Kohlenstoffmenge zu binden, die die Vereinigten Staaten durch Verbrennung fossiler Energieträger erzeugen.6 Im Rahmen des Marktes für Emissionsrechte will Markels der Industrie einen Abnahmepreis von zwei Dollar je Tonne Kohlendioxid anbieten, weit weniger als der geschätzte Marktpreis von acht Dollar je Tonne.7 Markels meint: „Die Bergbaugesellschaften könnten daran interessiert sein. Ein Gütezeichen auf ihrem Brennstoff würde darauf hinweisen, dass sie sich verpflichtet haben, der Atmosphäre dieselbe Menge Kohlendioxid zu entziehen, die sie freisetzen.“8

Dies ist kein Einzelfall. Die kalifornische Firma Ocean Science des Ingenieurs Russ George experimentiert ebenfalls mit Eisenfertilisation. Er schlägt vor, Handelsschiffe mit entsprechenden Vorrichtungen auszustatten und dafür zu vergüten, dass sie den „Dünger“ während der Überfahrt an bestimmten Stellen ins Meer kippen. Ohne Zeit zu verlieren und um sein Vorhaben – man höre und staune – „wissenschaftlich zu verifizieren“, vermarktet er so genannte Green Tags zum Stückpreis von 4 Dollar, die je eine Tonne durch Meeresplankton vernichtetes Kohlendioxid repräsentieren. So könne sich der amerikanische Durchschnittshaushalt für nur 60 Dollar von den 15 Tonnen CO2 freikaufen, die er Jahr für Jahr in die Atmosphäre bläst.

Bisher liegen keine Beweise vor, dass die Einlagerung von CO2 im Plankton stabil ist. Stéphane Blain, Meeresforscher an der Universität Brest, äußert sich besorgt: „Alle Meere stehen miteinander in Verbindung, und niemand kann sagen, dass die Auswirkungen lokal begrenzt bleiben. Es wird also außerordentlich schwierig sein, die tatsächlichen Folgen zu messen. Zu berücksichtigen ist auch, dass viele kleine Experimente im Endeffekt ebenso großen Schaden anrichten können wie ein Großversuch. Deshalb müssten solche Experimente unter internationaler Kontrolle stattfinden.“

Der Leiter des Forschungslabors von Greenpeace International im britischen Exeter, Paul Johnston, setzt nach: „Diese Versuche wurden von Ingenieuren ausgeheckt, die jedes Problem möglichst vereinfachen und dann behaupten, sie hätten eine dauerhafte Lösung gefunden. Einseitig ist dieser Standpunkt deshalb, weil er die Sicht der Mikrobiologen und Meeresforscher nicht berücksichtigt. Unzureichend informierte Leute können die globalen Zusammenhänge von Ökosystemen nun einmal nicht verstehen.“ Deutlich wird an dieser Kontroverse die lückenhafte Gesetzeslage. Jenseits der 200-Meilen-Grenze sind die Ozeane herrenlos, und kein Staat besitzt die rechtliche Handhabe, solche Experimente zu verbieten.

Da die Treibhausgase das globale Klima erwärmen, zielt die vierte Technologie auf die Verringerung der Sonneneinstrahlung. Man versprüht in den höheren Schichten der Atmosphäre feine Fest- oder Flüssigpartikel – Aerosole – und schirmt die Erde damit gegen die unerwünschten Strahlen ab. Als Sprüher sollen normale Linienflugzeuge zum Einsatz kommen. In der Natur gelangen Aerosole zum Beispiel bei Vulkanausbrüchen in die Atmosphäre, wobei die Bildung gigantischer Staubwolken zu einer Abkühlung führt. Auch in diesem Bereich hat der Gesetzgeber keinerlei Vorkehrungen getroffen. In vielen Ländern sind die Schichten der Atmosphäre ein rechtsfreier Raum.

Die Idee, den natürlichen Klimakreislauf zu verändern, ist nicht neu. In den Sechzigerjahren kam im Rahmen zahlreicher landwirtschaftlicher Hilfsprojekte die Idee auf, Wolken mit Silberjodidteilchen zu „impfen“, um Regen auszulösen. Man hoffte auch, so die Trockenheit in der Sahelzone zu bekämpfen. In den USA sind in diesem Sektor noch immer Unternehmen tätig, darunter Atmospherics Inc., die Weather Modification Inc. und die TRC North American Weather Consultants. Doch die Wirkung blieb mit einer zusätzlichen Niederschlagsmenge von 10 bis 15 Prozent bescheiden. Auch das Militär meldete Interesse an.

In der heißesten Phase des Vietnamkriegs 1966–1972 versuchten die Amerikaner im Rahmen des so genannten Popeye-Projekts die Monsunzeit zu verlängern, um die vorrückenden nordvietnamesischen Truppen im Schlamm aufzuhalten.9 Mit der Unterzeichnung einer internationalen Konvention über das Verbot von Umweltwaffen10 fanden diese Experimente ein Ende.

Gleichwohl ist die Idee, das Klima für militärische Zwecken zu verändern, noch nicht vom Tisch. Wissenschaftler am Ionosphären-Forschungsinstitut in Alaska erforschen die Auswirkungen hochfrequenter Strahlung auf den Jet-Stream,11 der bekanntlich stark die regionalen Klimaverhältnisse beeinflusst. Ein von der US Air Force in Auftrag gegebener Bericht von 1996 behauptet, dass die amerikanische Luftfahrt unbedingt in der Lage sein müsse, Einfluss auf das lokale Klima zu nehmen – sei es um die Sichtverhältnisse zu verbessern, sei es um zum eigenen Vorteil Unwetter auszulösen.12

Die Experimente mit Klimaveränderungen sind nicht frei von Widersprüchen. Eisenfertilisation bietet technisch kaum Probleme und verursacht geringe Kosten, doch die langfristigen Auswirkungen kann heute niemand abschätzen. Was die Lagerung des Kohlendioxids auf dem Meeresgrund oder in Bergwerksschächten anbelangt, so sind die hierfür nötigen Auffang-, Kompressions-, Transport- und Pumpanlagen sehr energieaufwändig.

Kitsy McMullen, Klimaspezialistin bei Greenpeace USA meint: „Diese Forschungen werden von staatlichen Behörden oder großen Unternehmen finanziert und durchgeführt, die der Auffassung sind, dass sich unsere Probleme nur durch High-Tech lösen lassen. Einfache Lösungen können sie sich gar nicht vorstellen.“

Besser wäre es allemal, die Produktionsmethoden der Industrie und die Konsumgewohnheiten der Verbraucher in den westlichen Ländern in Frage zu stellen. Klimaexperimente verschaffen bestenfalls eine letzte Frist. Früher oder später wird man auf fossile Brennstoffe verzichten und auf erneuerbare Energieträger wie Sonne, Wind und Biomasse umsteigen müssen.

dt. Bodo Schulze

* Philippe Bovet ist Journalist. François Ployé ist beratender Ingenieur.

Fußnoten: 1 Dazu http://unfccc.int/cop7/ sowie Agnès Sinaï, „Le climat, otage des lobbies industriels“, Le Monde diplomatique, Februar 2001. 2 Le Monde, 7. November 2001. 3 Das US-Energieministerium bereitet angeblich eine Reihe kleinerer Experimente vor Hawaii vor. Nach Angaben von Greenpeace sind an dem Projekt auch Australien, Norwegen, die Schweiz, Kanada und Japan beteiligt. 4 Sallie W. Chisholm, Paul G. Falkowski u. John Cullen, „Dis-Crediting Ocean Fertilization“, Science 294, Washington D. C., 12. Oktober 2001. 5 Amanda Onion, „Just Add Iron, Some Suggest Dumping Iron in Oceans May Be Global Warming Fix“, ABCnews.com, 12. Oktober 2000. 6 Michael Markels Jr, „Fishing for markets“, Regulation 18 (3), Washington D. C., Cato Institute, 1995. 7 Nathan Hervé, „167 pays s‘accordent sur le marché de la pollution“, Libération, 12. November 2001. 8 Don Knapp, „Ocean fertilization yields hope, uncertainty for global warming“, Cable News Network, 23. Januar 2001. 9 E. M. Frisby, „Weather-modifcation in Southeast Asia, 1966-1972“, The Journal fo Weather-modification, Fresno, Kalifornien, April 1982. 10 „Convention on the Prohibition of Military and any other Hostile Use fo Environmental Modification Techniques“, 1977. 11 Tim Haines, „Les maîtres de l‘ionosphère“, Dokumentarfilm von 1996. 12 „Weather as a Force Multiplier: Owning the Weather in 2025“, August 1996, http://www.au.af.mil/au/database/research/ay1996/acsc/96-025ag.htm.

Le Monde diplomatique vom 12.07.2002, von PHILIPPE BOVET und FRANÇOIS PLOYÉ