12.07.2002

Eine Beziehung mit Wenn und Aber

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Eine Beziehung mit Wenn und Aber

Die algerische Führung erhofft sich nach dem 11. September ein besseres Verhältnis zu den USA. Aber zuvor sind noch viele Steine aus dem Weg zu räumen.

Von WILLIAM B. QUANDT *

NOCH vor wenigen Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass der Oberkommandierende der US-amerikanischen 6. Flotte einen offiziellen Besuch in Algier macht. Oder dass Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika zweimal innerhalb von vier Monaten von Präsident George W. Bush im Oval Office des Weißen Hauses empfangen wird. Kann man daraus schließen, dass die USA und Algerien dabei sind, jene „strategische Partnerschaft“ zu entwickeln, die der algerische Staatspräsident des Öfteren im Munde führt?

Obgleich man in Pariser Regierungskreisen schon seit geraumer Zeit argwöhnt, Washington wolle eine führende Rolle in Algier übernehmen, wäre der Schluss voreilig, die USA seien im Begriff, Frankreich als wichtigsten außenpolitischen Partner Algeriens abzulösen. In den letzten Jahren waren die Beziehungen zwischen Washington und Algier sehr unbeständig. Sie entwickeln sich derzeit zwar positiv, doch gibt es Probleme, die einer wirklich engen Beziehung nach wie vor im Wege stehen. Für die US-Regierung haben Ägypten und Saudi-Arabien innerhalb des arabischen Lagers immer noch einen weit höheren Stellenwert als Algerien. Und ein Blick auf die wechselhafte Geschichte der amerikanisch-algerischen Beziehungen zeigt, dass sich diese zwar stetig weiterentwickelt haben, aber nur selten problemlos waren. Auch heute gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass sich die bilateralen Beziehungen in naher Zukunft wesentlich verbessern könnten.

In Algerien wird gern daran erinnert, dass sich John F. Kennedy im Jahre 1957, als er noch Senator von Massachusetts war, für die Unabhängigkeit Algeriens ausgesprochen hat und dass Algeriens erster Präsident Ahmed Ben Bella kurz nach der Unabhängigkeit von Kennedy ins Weiße Haus eingeladen wurde. Aber die symbolische Wirkung dieses Besuchs wurde gleich darauf wieder zunichte gemacht, als Ben Bella unmittelbar vor jenen Ereignissen, die sich zur so genannten Kubakrise ausweiteten, ausgerechnet Castro einen Staatsbesuch abstattete. Für viele US-Amerikaner waren die politischen Ansichten Ben Bellas damals praktisch mit denen Castros identisch. Nach der Ermordung Kennedys im November 1963 fand sich in Washington nicht ein einziger Politiker, der sich für Ben Bella eingesetzt hätte. Und als dieser 1965 stürzte, zeigte sich niemand in Washington schockiert.

Ben Bellas Nachfolger Houari Boumedienne war für die USA aus anderem Grunde ein Problem. Als glühender Verfechter der revolutionären Führungsrolle der Dritten Welt übte er heftige Kritik an der US-Politik in Vietnam und im Nahen Osten; aber er war Pragmatiker genug, um am Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten interessiert zu sein. Es gab also durchaus das Potenzial für ein besseres Verhältnis, das jedoch auf einen Schlag zunichte wurde, als Algerien 1967 wegen des Sechstagekrieges zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarn die diplomatischen Beziehungen zu Washington abbrach. Dennoch gab es weiterhin gemeinsame Interessen und wirtschaftliche Beziehungen, speziell mit dem Ölunternehmen El Paso, das sich an der Ausbeutung der algerischen Gasvorkommen beteiligte. Boumedienne selbst verfügte über private Kanäle zur US-Regierung (über den algerischen Geschäftsmann Raschid Zeghar), die auch weiterhin diskrete Kontakte ermöglichten.

Bis zu Boumediennes frühem Tod Ende 1978 waren die Beziehungen zwischen Algerien und den USA stabil, und es stand zu hoffen, dass sie sich durch die Liberalisierung unter dem neuen Präsidenten Chadli Bendjedid weiter verbessern würden. Hinzu kam, dass Algerien 1980 bei der Freilassung der US-amerikanischen Geiseln, die von Studenten in Teheran festgehalten wurden, eine Rolle spielte. Doch die neue Regierung würdigte diese Hilfe kaum, Reagan setzte vielmehr ganz auf Marokko.

Ende der 1980er-Jahre steckte Algerien in einem erratischen Prozess innenpolitischer Veränderungen. In den USA verfolgte man fasziniert Algeriens schlingernden Demokratiesansatz, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die Amerikaner bei den Ereignissen zwischen 1988 und 1992 irgendwie engagiert hätten. Als die algerische Regierung dann im Januar 1992 die Parlamentswahlen abbrach, standen die USA vor einem Dilemma. Die Entscheidung war eindeutig undemokratisch, aber der wahrscheinliche Wahlsieger, die Islamische Heilsfront (FIS), hatte im Gefolge des Golfkriegs von 1991 explizit antiamerikanische Positionen bezogen. Aus dem Kalkül heraus, die FIS könnte eines Tages dennoch an die Macht kommen, plädierten einige Vertreter der Bush-Administration dafür, die USA sollten sich aus pragmatischen Erwägungen Kanäle zur islamistischen Opposition offen halten, selbst nachdem die FIS von der neuen algerischen Regierung verboten worden war. Denn aus der iranischen Revolution glaubte man die Lehre ziehen zu müssen, dass es sich immer lohne, mit oppositionellen Bewegungen Kontakt zu halten, die eines Tages eine Regierung bilden könnten. Zwischen 1992 und 1995 hielt Washington zur algerischen Regierung eine gewisse Distanz, während sich US-Vertreter mit Repräsentanten der FIS gelegentlich zu diskreten Gesprächen in Europa oder in den USA trafen. Entsprechend unterstützte Washington auch offiziell den Anfang 1995 verkündeten Friedensplan von Sant‘ Egidio,1 der eine Aussöhnung zwischen der algerischen Regierung und der FIS vorsah.

Ende 1995 begann sich die Politik der USA zu ändern. Nach der Wahl von Präsident Liamine Zéroual entschied das Außenministerium, mit der politischen Führung in Algier wieder ins Geschäft zu kommen. Nachdem es in den Jahren zuvor kaum Treffen auf höherer Ebene gegeben hatte, trat jetzt eine schrittweise Annäherung ein. Allerdings war Zéroual ein bestenfalls widerwilliger Reformer, weshalb von Amerikanern, die mit ihm zu tun hatten, nach solchen Gesprächen nicht viel Positives zu hören war.

In den 1990er-Jahren bot Algerien für die Außenwelt ein höchst widersprüchliches und oft undurchsichtiges Bild. Einerseits gab es noch einige Überbleibsel der Demokratisierung: eine relativ freie Presse, ein pluralistisches Parteiensystem, Wahlen mit mehreren Kandidaten und einige Anzeichen für ökonomische Reformen. Andererseits aber hatte die Gewalt ein erschreckendes Ausmaß angenommen, und die Regierung konnte – oder wollte – sie nicht stoppen. Selbst die US-Vertreter, die sich für eine Zusammenarbeit mit Algier einsetzten, mussten zugeben, dass das zivile Gesicht der Regierung im Wesentlichen Fassade war, hinter der sich die wahren Machthaber, die Generäle, verbargen, mit denen es kaum zu Kontakten kam.

Gegen Ende der 1990er-Jahre kam bei den bilateralen Beziehungen ein neues Element ins Spiel – die in Algerien engagierten NGOs. Amnesty und Human Rights Watch begannen die internationale Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen in Algerien aufmerksam zu machen. Und das der Demokratischen Partei nahe stehende National Democratic Institute in Washington versuchte den Demokratisierungsprozess voranzutreiben, indem es nach den Wahlen von 1997 unabhängige algerische Journalisten und Mitglieder der Nationalversammlung unterstützte. Diese bescheidenen Schritte brachten zwar keinen merklichen Wandel, erweiterten aber das Spektrum des US-amerikanischen Engagements und setzten das algerische Regime unter Druck, eine Reihe von Problemen anzupacken, die vielen Amerikanern ein Dorn im Auge waren.

Die wichtigste Veränderung der Beziehungen vollzog sich im Frühjahr 1999 mit der Wahl des neuen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Der Wahlprozess erwies sich zwar als Farce, aber wenigstens hatte Algerien wieder einen Präsidenten, der staatsmännisches Profil besitzt, Englisch spricht und sich um außenpolitische Kontakte bemüht.

Für die US-Regierung war Bouteflika so etwas wie eine bekannte Größe, denn er war von 1963 bis 1978 unter Boumedienne Außenminister gewesen. Damals hatten nur wenige in Washington eine gute Meinung von ihm. Er galt als aggressiv, arrogant und USA-feindlich. Aber die Zeiten ändern sich, und der neue Bouteflika wurde in Washington von gemäßigten arabischen Politikern als ein vernünftiger Mann empfohlen. Während der Feierlichkeiten zum Begräbnis des marokkanischen Königs Hassan II. im Juli 1999 gab es eine informelle Begegnung mit US-Präsident Clinton, der sich positiv beeindruckt zeigte. Dabei tauschte Bouteflika auch einen Händedruck mit dem neuen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak – für viele Amerikaner ein weiteres Zeichen positiven Wandels.

In der Folge hat Clinton die Algerier jedoch maßlos enttäuscht, weil er Bouteflika nie zu einem offiziellen Besuch nach Washington einlud. Um diese Brüskierung auszubügeln, tat die algerische Regierung alles, um der seit Anfang 2001 regierenden Bush-Administration verbindlich zu demonstrieren, dass sie die beschworene „strategische Partnerschaft“ nunmehr substanziell auffüllen wollte. Tatsächlich ist Bouteflika bereits zweimal mit Bush zusammengetroffen, zuerst im Juli, dann noch einmal im November letzten Jahres.

Erdöl und „Kampf gegen den Terror“ sind die Schlüssel zu dieser Wiederannäherung. Bekanntlich unterhält Präsident Bush seit seiner Zeit als Gouverneur von Texas enge Beziehungen zur Ölindustrie. Anadarko, eine Ölfirma mit Sitz in Houston, hat erhebliche Summen in Algerien investiert und ist rasch auf neue Ölvorkommen gestoßen. Nach dem jüngsten Geschäftsbericht hat Anadarko seit 1991 zwölf neue Ölfelder mit Reserven von 2,8 Milliarden Barrel entdeckt. Die Förderung wurde 1998 aufgenommen und dürfte bis Anfang 2003 ein Volumen von täglich einer halben Million Barrel erreichen. Im Vergleich mit den Fördermengen in der Golfregion ist das immer noch wenig, aber für ein unabhängiges US-Ölunternehmen stellt es eine nicht zu vernachlässigende Größe dar.

Der zweite positive Bezugspunkt im aktuellen Verhältnis USA/Algerien ist der so genannte Kampf gegen den Terrorismus. Wie viele andere Staatsführer auch hat Bouteflika nach dem 11. September 2001 sofort seine Unterstützung angeboten. Im Gegenzug erwartete er natürlich, dass die Vereinigten Staaten den Kampf Algeriens gegen die militanten Islamisten als ähnlichen Krieg wie den der USA gegen al-Qaida betrachten würden. Tatsächlich hatte die algerische Regierung seit langem auf die Verbindung zwischen den „afghanischen Arabern“ der al-Qaida und den algerischen Terrornetzen hingewiesen. Eine effektive und enge Kooperation im Krieg gegen den Terror scheint sich zwischen Washington und Algier nicht entwickelt zu haben, aber zumindest sprachlich liegen die beiden Regierungen auf einer Wellenlänge.

Einer vollen Entfaltung der bilateralen Beziehungen stehen noch einige Hindernisse im Wege. Vor allem der israelisch-palästinensische Konflikt stellt ein überaus heikles Thema dar. Die Algerier können eine US-Regierung nicht sehr positiv beurteilen, die dem israelischen Ministerpräsidenten Scharon offenbar einen politischen Blankoscheck ausstellt. Zum Zweiten gibt es nach wie vor den Streit um die Westsahara, bei dem die USA fest an der Seite Marokkos zu stehen scheinen.2 Das dritte kritische Thema ist die Frage der Demokratisierung und die offensichtlichen Defizite, was die Wahrung der Menschenrechte betrifft. Und dann gibt es noch das realpolitische Faktum, dass Frankreich, Marokko, Tunesien und Ägypten von einer plötzlichen Verbesserung der algerisch-amerikanischen Beziehungen nicht begeistert sind. Da diese vier Länder für die US-Außenpolitik eine gewisse Bedeutung haben, will niemand diese Beziehungen dadurch gefährden, dass Washington sich auf eine strategische Partnerschaft mit Algier zubewegt.

Für eine engere Beziehung USA–Algerien gibt es auch keine soziale Basis. US-Bürger kommen selten nach Algerien, das gilt selbst für Geschäftsleute, Touristen, Studenten, Journalisten und Regierungsvertreter. Umgekehrt reisen auch relativ wenige Algerier in die USA. Zwischen Regierungen kann es zwar normale Beziehungen auch ohne engere Bindungen zwischen den Völkern geben, aber nur selten werden sie tiefere Wurzeln schlagen. Insofern bleibt die Beziehung zwischen Washington und Algier eine Verbindung zwischen wenigen Politikern und Ölmanagern. Deren Interessen aber wandeln sich ständig, je nachdem, wohin sich ihre geschäftlichen Schwerpunkte verlagern. Auch diese Beziehungen bleiben also oberflächlich.

Wenn Algerien im Prozess der Demokratisierung deutlich vorankommt, wenn es seine Wirtschaft im Sinne Washingtons reformiert, wenn die Gewalt auf den Straßen ein Ende findet und wenn die Öl- und Gaslieferungen sich positiv entwickeln, könnte es für die algerisch-amerikanischen Beziehungen eine verheißungsvolle Zukunft geben. Aber das sind einfach zu viele Wenns.

aus dem Engl. von Niels Kadritzke

* Ehemaliger Berater des US-Präsidenten Jimmy Carter, Professor an der Universität von Charlottesville, Virginia. Autor von u. a. „The Algerian Crisis. Policy Option für the West“, Washington (Carnegie Endowment for International Peace) 1996.

Fußnoten: 1 Gemeint ist hier die „Plattform von Rom“, ausgearbeitet von einer in dem römischen Vorort Sant‘ Egidio angesiedelten internationalen kirchlich-karitativen Organisation (auch „UNO von Trastevere“ genannt); siehe auch Philippe Leymarie, „Zauberkünstler in Sachen Demokratie“, Le Monde diplomatique, September 2000. 2 Siehe Lahouari Addi, „Die Machthaber im Maghreb pflegen die Völkerfeindschaft“, Le Monde diplomatique, Dezember 1999.

Le Monde diplomatique vom 12.07.2002, von WILLIAM B. QUANDT