12.07.2002

Leiser Putsch gegen die Chemiewaffen-Kontrolle

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Leiser Putsch gegen die Chemiewaffen-Kontrolle

Von ANY BOURRIER *

NACH wochenlangem Tauziehen war die US-Regierung am Ziel: Am 22. April musste der Generaldirektor der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW), José Mauricio Bustani, seinen Hut nehmen. Der erfahrene brasilianische Diplomat, ein Experte der UN-Abrüstungskonferenz, hatte die OPCW seit 1997 geleitet, 2001 hatten ihn die 145 Mitgliedstaaten einstimmig wieder gewählt. Jetzt wurde seine Absetzung1 mit „Misswirtschaft“ und einem „Mangel an Transparenz, Verantwortungsgefühl und Urteilsfähigkeit“ begründet. Die USA machten Bustani überdies für die aktuelle Krise der OPCW verantwortlich und kritisierten seine „launischen und willkürlichen Praktiken“.

Der wahre Grund für die Entlassung Bustanis ist jedoch ein anderer: Die USA wollen die OPCW in eine Konfrontation mit Saddam Hussein treiben. In der Tat war Bustani bestrebt, Bagdad zur Unterzeichnung der Chemiewaffenkonvention zu bewegen. Seit seiner Ernennung vor fünf Jahren hat er versucht, den Irak, Syrien und Nordkorea zu überzeugen, der von ihm geleiteten Organisation beizutreten. Als OPCW-Mitglied hätte der Irak Vor-Ort-Inspektionen akzeptieren müssen, wie sie die OPCW regelmäßig in rund 50 Ländern durchführt. Da das Übereinkommen die Signatarstaaten verpflichtet, ihre chemischen Waffen zu vernichten, hätte das irakische Arsenal auf diesem Weg neutralisiert werden können.

Doch die republikanisch geführte US-Administration konnte solche Annäherungsversuche nicht dulden, da Washington nach der Unterschrift des Irak keinen triftigen Grund mehr gehabt hätte, das Bagdader Regime militärisch anzugreifen. Überdies war Bustani sehr auf seine Unabhängigkeit bedacht. Er suchte die OPCW-Mitglieder gegen das Diktat der Großmächte zu schützen und schickte seine Inspektionsteams auch in amerikanische Chemiefabriken, was man in Bushs Umgebung nicht sonderlich goutierte. Außerdem initiierte der brasilianische Diplomat ein OPCW-Kooperationsprogramm für arme Länder, die keine Chemieindustrie und deshalb auch keinen Grund zur Unterzeichnung der Konvention haben. Das Programm vergab jährlich zwölf Universitätsstipendien an Ingenieure aus der Dritten Welt, die in Großbritannien das nötige Wissen erwerben konnten, um in ihrem Land eine Chemieindustrie aufzubauen.

Die amerikanischen Parlamentarier ließen sich reichlich Zeit, das Chemiewaffenübereinkommen zu ratifizieren. Obwohl die USA die Konvention angeregt hatten, lag der Vorgang im Kongress drei Jahre lang auf Eis. Bill Clinton hatte damals sein ganzes Prestige in die Waagschale geworfen, um die Zustimmung seines schärfsten Gegners zu erreichen, des einflussreichen Jesse Helms, Vorsitzender des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Ein Scheitern hätte der US-amerikanischen Diplomatie schwer geschadet, doch schließlich haben die Vereinigten Staaten dann am 24. Apil 1997 das Übereinkommen als 75. Unterzeichnerland ratifiziert. Die Vorbehalte Washingtons gegen die Inspektion amerikanischer Chemiefabriken waren damit allerdings nicht ausgeräumt.

José Bustani erklärte gegenüber der Autorin: „Ich stieß von Anfang an auf Schwierigkeiten. Die Amerikaner akzeptierten nicht, dass die OPCW-Beamten auch bei ihnen Untersuchungen anstellten. Oft wurde den Inspektoren sogar der Zutritt zu den Chemiefabriken verwehrt. Unter diesen Bedingungen war es nicht möglich zu überprüfen, ob dort nur Chemieerzeugnisse für friedliche Zwecke produziert wurden. Das größte Problem war die Untersuchung der Testproben. Es war fast unmöglich, die Untersuchung in anderen als in US-amerikanischen Labors vornehmen zu lassen. Wir hatten also keinerlei Garantie, dass die Ergebnisse nicht verfälscht waren. Außerdem wollten die Amerikaner nicht anerkennen, dass sie bei Inspektionen zu bestimmten Dingen vertraglich verpflichtet sind. Jedes Mal wollten sie die Spielregeln ändern.“

Je mehr Bustanis Inspektoren – für Washington potenzielle Spione – auf Einhaltung der Konvention pochten, desto gereizter reagierten die Vereinigten Staaten. Schon unter Clinton war Bustani auf Unwillen gestoßen, „aber wir konnten immerhin unsere Arbeit tun. Die eigentlichen Probleme begannen Anfang 2001, wenige Wochen nach dem Amtsantritt der republikanischen Administration“.

Zu diesem Zeitpunkt wurde John Bolton im US-Außenministerium zum Vizeaußenminister für internationale Sicherheit und Abrüstung ernannt. Als ehemaliger Berater Ronald Reagans und der Heritage Foundation hatte der konservative Politiker nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm die Mitgliedschaft der USA in multilateralen Organisationen und zumal der UNO, ein Dorn im Auge ist. Ian Williams, Mitarbeiter beim „Institute for Global Communications“, kommentiert: „Bolton zum Abrüstungsexperten zu ernennen, war genauso, als hätte man einen Pyromanen an die Spitze einer Feuerwerkskörperfabrik gesetzt. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie hart er bei den atomaren Abrüstungsverhandlungen mit den Russen auftrat und sich für das Star-Wars-Projekt engagierte.“2

Kurz nach seiner Ernennung griff Bolton zum Telefon und forderte Bustani zum Rücktritt auf. „Er rief mich an, um mir Befehle zu erteilen. Ich solle über die Ergebnisse gewisser Inspektionen hinwegsehen. Er verlangte, amerikanische Vertreter auf bestimmte Posten der Organisation zu setzen, um ihnen mehr Macht zu geben. In meinen sieben Jahren an der Spitze der OPCW habe ich immer wieder Pressionen seitens der Mitgliedstaaten erlebt, etwa von Deutschland, aber ich habe nie nachgegeben. Auch Bolton habe ich keine Zugeständnisse gemacht.“

Nach Aussage Bustanis tauchte Bolton im März 2002 persönlich in Den Haag auf. Seine Botschaft lautete: „Washington verlangt ihren Rücktritt von der OPCW vor der morgigen Versammlung des Leitungsausschusses. Danach verlassen Sie umgehend die Niederlande.“ Als Bustani eine Erklärung verlangte, erwiderte Bolton beißend: „Ihr Managementstil missfällt.“

Die USA spannten sogar den winzigen Pazifikstaat Kiribati für ihren Kreuzzug ein. Mit seinen 30 000, über 3 Millionen Quadratkilometer verstreut liegenden winzigen Inseln hat Kiribati ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von knapp 850 Dollar, das es der Ausfuhr von Bananen, Kokosnüssen und Süßkartoffeln verdankt. Der Archipelstaat hat die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet, aber noch nie Beiträge gezahlt. Nun durfte er den USA beim Absägen von Bustani behilflich sein. Auf der außerordentlichen OPCW-Generalversammlung zahlte Kiribatis Vertreter zunächst die ausstehenden Beiträge, votierte dann gegen den amtierenden Generaldirektor und beklatschte am Ende das Resultat der Kampfabstimmung.

Die Amtsenthebung Bustanis wird wohl kein Einzelfall bleiben. In zahlreichen multilateralen Organisationen steht zu erwarten, dass die Vereinigten Staaten unliebsame Beamte rigoros hinaussäubern werden. Bustani erklärt: „Die Regeln solcher Organisation verbieten den Rücktritt des Generaldirektors, damit er sein Amt mit der gebotenen Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit ausüben kann. Er braucht sich nicht bedroht zu fühlen oder dem Willen der Mitgliedstaaten zu beugen, so mächtig diese auch sein mögen. Er kann seinen Posten nur durch Neuwahlen verlieren.“ Der britische Guardian bezeichnete das Vorgehen der USA gegenüber der OPCW denn auch als „chemischen Putsch“3 . Bis zur Ernennung eines neuen Generaldirektors wird der derzeitige Vizegeneraldirektor John Gee aus Australien Bustanis Amt wahrnehmen.

Laut Williams stehen die Chefs einer ganzen Reihe von internationalen Organisationen auf der Abschussliste des Weißen Hauses, darunter die Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission, Mary Robinson, der Chef der Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der Vereinten Nationen, Hans Blix, der UN-Vermittler bei den Oslo-Gesprächen, Terje Roed Larsen, sowie der Generalkommissar des Hilfswerks der Vereinten Nationen für die Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten, Peter Hansen. Als Abschusskandidaten nennt Williams auch Kofi Annan, dessen Versuche, Ariel Scharon zur Mäßigung zu bewegen, in Washington auf großes Missfallen stießen: „Ich wäre nicht überrascht, wenn die US-Administration eine Kampagne anzettelt, um den Generalsekretär der Vereinten Nationen loszuwerden.“

dt. Bodo Schulze

* Journalistin

Fußnoten: 1 Der Amtsenthebungsantrag der Vereinigten Staaten erreichte mit 48 Jastimmen (darunter Deutschland) und sieben Neinstimmen bei 43 Enthaltungen die erforderliche Zweidrittelmehrheit. 2 „The US Hit List at the United Nations“, Foreign Policy in Focus, Silver City/Washington, 30. April 2002, http://www.foreignpolicy-infocus.org/. 3 The Guardian, 16. April 2002.

Le Monde diplomatique vom 12.07.2002, von ANY BOURRIER