12.07.2002

Aktionsplan für Schwarzafrika

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Aktionsplan für Schwarzafrika

Von SANOU M‘BAYE *

VON allen bisherigen Wirtschaftssystemen trägt der Ausbeutungs- und Verteilungszusammenhang namens Globalisierung den am wenigsten treffenden Titel. Global ist dieses System nur dem Namen nach, denn die massiven Kapitalbewegungen, die es kennzeichnen, finden fast ausschließlich zwischen den Industrieländern statt. Dieser Umstand schadet den Entwicklungsländern insgesamt, seine ausgrenzende Wirkung trifft aber insbesondere Schwarzafrika.

Seit der Krise von 1997 entfallen nur noch 7 Prozent der weltweiten Börsenkapitalisierung auf die emerging markets, obwohl hier 85 Prozent der Weltbevölkerung leben, die 45 Prozent der Güter- und Dienstleistungen produzieren.1 Die Kapitalströme in diesen Regionen sanken um ein Drittel, die Auslandsdirektinvestitionen fielen von 130 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 108 Milliarden Dollar im Folgejahr. Parallel zu diesem Schrumpfungsprozess vollzog sich eine Konzentrationsbewegung. Zwei Drittel der Direktinvestitionen konzentrieren sich auf nur mehr fünf Länder – Argentinien, Brasilien, China mit Hongkong, Mexiko und Südkorea.

Welche Zukunftsperspektiven bleiben unter solchen Umständen für Afrika? Die afrikanischen Länder erfüllen keine der Bedingungen, die als unerlässliche Voraussetzungen für eine Eingliederung in die globalisierte Weltwirtschaft gelten. Der Anteil ihrer Industrieproduktion am Bruttosozialprodukt und am Ausfuhrvolumen ist zu gering, der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten ist ihnen verschlossen, und die ausländischen Investitionen sind kaum der Rede wert. In Afrika sank das industrielle Wachstum von 8 Prozent in den 1960er- auf 1 Prozent in den 1990er-Jahren. Dieser Rückgang erklärt sich teils durch den Verlust von Auslandsmärkten, teils durch höhere Transport-, Versicherungs- und Telekommunikationskosten. Letztere gehören zu den höchsten der Welt, sie untergraben die Wettbewerbsfähigkeit der afrikanischen Industrie und verschlingen im Durchschnitt 15 Prozent der Exporteinnahmen (in den von anderen Ländern umgebenen Staaten bis 25 Prozent, in den übrigen 5,8 Prozent). So sank der Anteil Afrikas am Welthandel, der schon 1990 bei nur 3 Prozent lag, auf 1,7 Prozent im Jahr 2001, wobei fast ausschließlich Rohstoffe und Grunderzeugnisse exportiert wurden.

Mit der ständigen Verletzung der internationalen Handelsregeln durch die Industrieländer, die mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation die Öffnung der afrikanischen Märkte für Industrieprodukte und subventionierte Agrarerzeugnisse erzwingen, werden die afrikanischen Landwirte und Unternehmer in den Ruin getrieben. In den wenigen Ländern, in denen sich eine Industriestruktur ansatzweise entwickeln konnte, wie in Kenia und in Simbabwe, haben die auf den Markt strömenden Billigimporte die ersten Erfolge schon wieder zunichte gemacht.

Auch Finanzierungsmöglichkeiten sind nur begrenzt – wenn überhaupt – vorhanden. Südlich der Sahara haben nur Südafrika, Botswana und Senegal Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. Allen anderen Ländern Schwarzafrikas ist es verwehrt, auf den internationalen Kapitalmärkten Geld aufzunehmen und diese Mittel nach eigenem Gutdünken auszugeben. Denn das Sesam-öffne-dich für diese Märkte wird exklusiv von den privaten Rating-Agenturen2 vergeben. Abgesehen von bilateralen Finanzierungsabkommen bleibt den allermeisten Ländern des schwarzen Kontinents also keine andere Wahl, als ihre Entwicklungsfinanzierung mit den Bretton-Woods-Institutionen3 und der Afrikanischen Entwicklungsbank auszuhandeln. Die von ihnen gewährten Kredite laufen üblicherweise unter dem Titel „Finanzhilfe“.

Solche „Finanzhilfen“ entsprechen dem Entwicklungsbedarf der armen Länder jedoch am allerwenigsten. Und tatsächlich werden diese zweckgebundenen Kredite in erster Linie für den Import von Waren und Dienstleistungen aus den Geberländern genutzt. Sie fließen in Projekte, die auf die Exportbedürfnisse der Kreditgeber abgestimmt sind und die wirklichen Bedürfnisse der Empfängerländer kaum berücksichtigen. Mitunter werden diese Gelder für die Zahlung von Zinsrückständen verwendet, um mittels Umschuldung an weitere Kredite heranzukommen. Resultat dieser diskriminierenden Behandlung war die kolossale Schuldensumme von 335 Milliarden Dollar, wobei Rückzahlung und Zinsendienst für diese Kredite zur Quelle weiterer Verarmung werden.4

Auch die Privatisierungsprogramme, die im Rahmen der Strukturanpassung erzwungen werden, tragen die anmaßende Handschrift der Bürokraten von Weltbank und IWF. Mangels lokaler Börsenmärkte – sie existieren nur in Südafrika, der Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria, Kenia, Namibia, Simbabwe, Uganda, Tansania und auf Mauritius – läuft Privatisierung in den meisten Fällen schlicht auf Liquidierung hinaus. Dies gilt vor allem für die Franc-Zone, wo der Kaufpreis für öffentliche Betriebe durch die Abwertung Anfang 1994 gegen null tendierte. Auf dem Höhepunkt der Privatisierungswelle 1988–1994 brachte der Übergang halbstaatlicher Unternehmen und Versorgungsbetriebe in private Hände ganze 2,4 Milliarden Dollar in die öffentlichen Kassen, während die nicht afrikanischen Entwicklungsländer immerhin 113 Milliarden Dollar erzielten.

Doch diese Art Privatisierung glich nicht nur einem großen Betrug, sie trug – anders als in Asien und Lateinamerika – kaum dazu bei, afrikanisches Kapital aus dem Ausland zurückzulocken. Für 1991 wird geschätzt, dass sich das Fluchtkapital mit 135 Milliarden Dollar5 auf das Fünffache der Gesamtinvestitionen belief, auf das Elffache der Investitionen im Privatsektor und auf das Hundertzwanzigfache der Auslandsdirektinvestitionen. Ein Rückfluss von nur 10 Prozent dieser Summe hätte Schwarzafrika (ohne Südafrika) mehr als das Doppelte der derzeitigen privaten Investitionssumme eingebracht.

Das Volumen ausländischer Privatinvestitionen hängt grundsätzlich davon ab, welche Gewinnmargen die Investoren und zumal die multinationalen Konzerne zu erzielen gedenken. In Afrika erreichten die Profitraten 1995 bis zu 40 Prozent. Obwohl die Region damit die Rangliste der emerging markets anführte,6 zog der schwarze Kontinent im Jahr 2000 nur 1,1 Milliarden an Auslandsdirektinvestitionen an, der Nahe Osten hingegen 1,9 Milliarden Dollar, Südostasien 21 Milliarden Dollar, Lateinamerika 19,9 Milliarden Dollar und Europa 76,9 Milliarden Dollar7 . Zudem flossen diese unzureichenden Gelder nur in wenige Länder – namentlich Nigeria, Angola und Mosambik – und dort ausschließlich in den Rohstoffsektor, insbesondere in den Bergbau und die Erdöl- und Erdgasförderung. Die Abhängigkeit und Ausblutung Afrikas wird also durch die systematische Ausbeutung seiner Naturressourcen perpetuiert, ohne dass produktive Investitionen erfolgen, die Arbeitsplätze und Exportmöglichkeiten schaffen würden.

Diese dramatische und ungerechte Situation macht eine Überarbeitung der Entwicklungs- und Entschuldungsstrategien im Grunde unumgänglich. Ein Rekonstruktionskonzept, das diesen Namen verdiente, müsste folgende Komponenten enthalten: den Transfer von Technologien, den Aufbau von Infrastrukturen, Institutionen und Industrien durch zinsgünstige Kredite sowie die Öffnung der Industrieländer für afrikanische Exporte. Als flankierende Maßnahme müssten die afrikanischen Länder für eine Übergangszeit die Erlaubnis erhalten, ihren Binnenmarkt selektiv abzuschotten. Mit genau diesen Mitteln schaffte Europa seinen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Gelder aus dem Marshallplan flossen und die einheimische Industrie und Landwirtschaft gegen US-Importe geschützt wurde. Genau dasselbe Konzept befolgten einige (ehemalige) Entwicklungsländer wie China, Indien und Südkorea.

Einen solchen Aktionsplan hat die Vollversammlung der Staats- und Regierungschefs der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) bereits 1980 vorgeschlagen. Damals erarbeiteten Experten des schwarzen Kontinents den „Lagos-Plan“ und analysierten dabei sogar die Machbarkeit eines afrikanischen Währungsfonds.8 Doch die Bretton-Woods-Institutionen ignorierten die beiden Initiativen großzügig und verlegten sich lieber darauf, die aus der Kolonialzeit überkommene Wirtschaftsstruktur zu verewigen und zu stärken – zum Wohle des transatlantischen Handels und zum Nachteil der binnenafrikanischen Handelsbeziehungen.9

Ganz auf dieser Linie liegt auch der jüngste Aufbauplan für Afrika, den der OAU-Gipfel von Lusaka (Sambia) am 11. Juli 2001 unter dem Titel „Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ beschlossen hat.10 Im Mittelpunkt steht die Finanzierung von vier Schlüsselbereichen: Infrastruktur, Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit. Den Löwenanteil der dafür benötigten Gelder sollen die internationale Gemeinschaft und ausländische Investoren aufbringen. Damit begibt sich Afrika ins Fahrwasser des Globalisierungsliberalismus und macht eben jene Bretton-Woods-Institutionen zu Bauherren, die nach der Pfeife der multinationalen Konzerne tanzen. Bezeichnenderweise soll Ex-IWF-Chef Michel Camdessus als Koordinator fungieren. Dieser Plan ist wider den gesunden Menschenverstand, denn die afrikanischen Gesellschaften erfüllen keine der Bedingungen, die für eine erfolgreiche Eingliederung in die globalisierte Weltwirtschaft erforderlich sind.

Sogar Südafrika – das einzige Land des Kontinents, dessen Produktionspotenzial auf dem Weltmarkt mithalten kann – dürfte zu den Globalisierungsverlierern gehören. Seit Abschaffung der Apartheid 1989 zogen sich zahlreiche führende Unternehmen – Anglo American, Billiton, AngloGold, South African Breweries, Old Mutual, Dimension Data und Sappi – von der Johannesburger Börse zurück und ließen sich in London oder New York nieder. Die Steuereinnahmen gingen zurück, eine Kapitalflucht setzte ein, und der Rand verlor bis Dezember 2001 gegenüber dem Dollar etwa 40 Prozent seines Wertes.

Es gehört wohl zum guten Ton, von Schuldenerleichterung und Schuldenerlass zu sprechen, aber damit sind die Schwarzen abermals in die Rolle von Bittstellern gedrängt. Und damit gerät auch in Vergessenheit, dass die mit den internationalen Institutionen eingegangenen Verträge nicht eingehalten wurden. Zahllose Post-Evaluierungs-Berichte bestätigen, dass die meisten Projekte, die von multilateralen Banken finanziert wurden, ihr Ziel verfehlt haben.11 Nun ist die Vergabe von Krediten eine Finanztransaktion, und wenn eine Finanztransaktion einem der Vertragspartner zum Nachteil gereicht, so hat er das Recht – und die Pflicht – die im Kreditabkommen festgeschriebene Schiedsklausel geltend zu machen und Entschädigung zu verlangen.

Es mag vermessen erscheinen, von einer Geisel zu verlangen, die Schergen, in deren Hand sie sich ohne Hoffnung auf Befreiung befindet, vor Gericht zu zitieren. Doch würde auch nur ein Land diesen Schritt wagen, wäre damit ein Präzedenzfall geschaffen. Ein afrikanischer Staatsführer, der dazu den Mut aufbringt, müsste allerdings zu jenen Menschen gehören, die den Reichtum ihres Landes als Erbe der Vergangenheit betrachten, das sie zum Wohle kommender Generationen zu pflegen und möglichst zu vermehren haben. Die meisten afrikanischen Staatsmänner belasten die Zukunft ihres Landes und ihrer Bevölkerung jedoch mit schweren Hypotheken, um in den Genuss kurzfristiger Dividenden zu gelangen. Sie schüren ethnische Konflikte, manipulieren die Verfassung, fälschen Wahlergebnisse und halten Improvisation und kurzfristiges Herumlavieren für Regierungskunst. Ihr einziges Anliegen ist es, politisch zu überleben und an der Macht zu bleiben. DieTiefe der Misere lässt sich auch daran ermessen, dass die Probleme, die 40 Jahre nach erreichter Unabhängigkeit die meisten Völker Afrikas noch immer zu „Verdammten dieser Erde“ machen, nach wie vor ungelöst sind – oder sich sogar noch verschärft haben.12

dt. Bodo Schulze

* Ökonom, Senegal.

Fußnoten: 1 Zu den emerging markets gehören vor allem die so genannten Schwellenländer, die nicht nur der „Unterentwicklung“ entwachsen sind, sondern auch eine „Börsenkultur“ entwickelt haben. Klassische Beispiele sind etwa Argentinien, Mexiko, Hongkong, Brasilien, Taiwan, China und Singapur. 2 Siehe Ibrahim Warde, „Private Rating Agenturen evaluieren die Staaten der ganzen Welt“, Le Monde diplomatique, Februar 1997. 3 Das Bretton-Woods-Abkommen wurde am 22. Juli 1944 von den damals 44 UN-Mitgliedern unterzeichnet (darunter also noch nicht die Achsenmächte Deutschland und Japan). Mit Ausnahme der Sowjetunion und der Länder des sozialistischen Blocks wurde das Abkommen von allen Signatarstaaten ratifiziert. So entstanden die beiden „Institutionen von Washington“, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. 4 Dazu Colette Braeckman, „Simbabwe: Günstlingswirtschaft als Landreform“, Le Monde diplomatique, Mai 2002, sowie Eric Toussaint, „Die fatale Schuldenspirale“, Le Monde diplomatique, September 1999. 5 Siehe dazu „Left out in the cold“, Financial Times, 20. Mai 1996. 6 „Reforms catch the eyes“, Financial Times, 20. Mai 1996. 7 HSBC‘s World Economic Watch, 11. Oktober 2001 (ein Informationsdienst der Hongkong and Shanghai Banking Corporation). Der HSBC-Bericht stützt sich auf Statistiken des Bureau of Economic Analysis des Handelsministeriums der USA. 8 Siehe „Un fonds monétaire africain, pour quoi faire?“ Le Monde diplomatique, August 1986. 9 Siehe „Souhaitable union des économies africaines“, Le Monde diplomatique, September 1995. 10 Die Nepad entstand aus der Verschmelzung des „Millennium African Renaissance Programme“ (MAP) der Staatspräsidenten Südafrikas, Algeriens und Nigerias – Thabo Mbeki, Abdelaziz Bouteflika und Olusegun Obasanjo – mit dem Omega-Plan des senegalesischen Präsidenten Aboulaye Wade. 11 Dazu Joseph E. Stiglitz, „Die Schatten der Globalisierung“, Le Monde diplomatique, April 2002. Das gleichnamige Buch bei Siedler (Berlin) 2002. 12 Siehe Aminata Traoré, „Le Viol de l‘imaginaire“, Paris (Actes Sud-Fayard) 2002. Die „Verdammten dieser Erde“ bezieht sich auf das 1959 verfasste gleichnamige Buch von Frantz Fanon, das für die antikoloniale Bewegung große Bedeutung hatte (deutsch: Frankfurt, Suhrkamp, 1981).

Le Monde diplomatique vom 12.07.2002, von SANOU M'BAYE