Schwarzer Bildschirm, weiße Bilder
Von NASSER NEGROUCHE *
AUFGRUND einer Initiative des Ministeriums für Arbeit und Soziales wurde in Frankreich erstmals eine Fernsehkampagne gegen die Rassendiskriminierung gestartet, an der sich alle großen französischen Sender (TF 1, France 2, France 3, Canal plus, M 6 und LCI) beteiligten.
Zwischen dem 11. und 20. April strahlten sie drei Kurzfilme von Eric Rochant aus, die typische Situationen alltäglicher Diskriminierung zeigen: ein Vorstellungsgespräch, eine Wohnungsvergabe durch Immobilienmakler, einen Disput am Eingang einer Diskothek. Jeder der drei Spots endet mit dem Slogan: „Ohne Rassendiskriminierung ist Frankreich stärker“.
Nach Aussage der damaligen Arbeitsministerin Elisabeth Guigou zielt die Fernsehserie darauf ab, „der Öffentlichkeit die Folgen der Rassendiskriminierung nicht nur für das Opfer, sondern für die gesamte Gesellschaft bewusst zu machen“. Beabsichtigt sei aber auch eine abschreckende Wirkung, nämlich „potenzielle Täter daran zu erinnern, dass Rassendiskriminierung eine Straftat ist“.
Ein Vertreter ihres Ministeriums erklärt dazu: „Durch die Nutzung der großen Massenmedien wollten wir dafür sorgen, dass sich möglichst viele Menschen des Problems bewusst werden. Es ist klar, dass nur das Fernsehen eine solche Breitenwirkung entfalten kann.“ Keine 24 Stunden nach Ausstrahlung des letzten Spots erreichte Jean-Marie Le Pen die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen.
Wie das Fernsehen Ängste erzeugt und irreale kollektive Vorstellungen hervorbringt – was man bei der Debatte um die innere Sicherheit feststellen konnte –, nährt es auch die Rassendiskriminierung. Die Bilder, die zur besten Sendezeit gezeigt werden, spiegeln die ethnische und kulturelle Vielfalt der französischen Gesellschaft so gut wie gar nicht wider: weder in der Zusammensetzung des Publikums bei Talkshows noch in der Besetzung der Rollen von Fernsehfilmen und Serien; weder bei Nachrichtenmagazinen noch bei Sendungen mit Zuschauerbeteiligung.
Einer Forderung des Collectif Égalité1 nachkommend, das im Dezember 1998 von der Schriftstellerin Calixthe Beyala gegründet wurde, hat der Conseil supérieur de l‘audiovisuel (CSA), also der öffentliche Fernseh- und Rundfunkrat, im Oktober 1999 die erste quantitative Studie durchgeführt, um bei fünf über Antenne zu empfangenden Sendern, TF 1, France 2, France 3, Canal plus und M 6, den Anteil der Mitarbeiter zu ermitteln, die äußerlich als Nichteuropäer erkennbar sind.2
Das Ergebnis lautete: Am Eingang der großen nationalen Sendeanstalten wird nach denselben Kriterien gesiebt wie vor den Diskotheken. Zutritt zu den Studios hat nur, wer die „richtige“ Hautfarbe besitzt. Ganze 6 Prozent der Angestellten, 11 Prozent der Teilnehmer und Gäste und 6 Prozent des Publikums gehören zu einer „erkennbaren Minderheit“, wie es in der offiziellen Sprachregelung heißt. Im Einzelnen hat die Untersuchung ergeben, dass Maghrebiner und Asiaten am meisten unter der Fremdenfeindlichkeit des Fernsehens zu leiden haben.
Dass die Schwarzen besser wegkommen, verdanken sie den US-amerikanischen Film- und Fernsehproduktionen, die vor allem unter den Spielfilmen dominieren. Heute stammen 74 Prozent aller in Frankreich ausgestrahlten Fernsehfilme aus dem Ausland, größtenteils aus Amerika. Nur 7 Prozent aller Schauspieler sind – in französischen wie in ausländischen Filmen – „Maghrebiner/Araber“, wie die einschlägige Gruppe in der CSA-Studie genannt wird. Aber die Mitglieder dieser Gruppe sind auf die „bösen Rollen“ abonniert: Sie verkörpern zumeist Dealer, Terroristen oder frauenfeindliche Nabobs.
Für Jérôme Bourdon, Autor einer Studie über die Fremdenfeindlichkeit des Fernsehens3 und Forscher am Institut national de l‘audiovisuel (INA), ist der „blinde republikanische Universalismus“ der Hauptgrund für die mangelnde Farbigkeit der Fernsehprogramme: „Französische Fernsehfilme sind nach wie vor stark beherrscht von der weißen Mittelschicht. Die Ideologie der Integration verbietet es, zu sehr auf die Eigenheiten fremder Kulturen abzuheben.“
Einige Monate nach der Veröffentlichung dieser Untersuchung musste der CSA im Juni 2000 zugeben, dass „in französischen Fernsehfilmen Maghrebiner praktisch nicht vorkommen, obwohl sie im täglichen Leben der Zuschauer allgegenwärtig sind. Auf diesem Gebiet muss also noch viel getan werden, damit ein Franzose afrikanischer, arabischer oder asiatischer Herkunft in einem französischen Film ebenso selbstverständlich wird wie in einer amerikanischen Serie“4 .
Auch Hervé Bourges schließt sich dieser Einschätzung an: „Die französische Gesellschaft hat offenbar noch große Schwierigkeiten, eine arabische Minderheit in ihrer Mitte zu akzeptieren. Die französischen Fernsehsender jedenfalls tun nichts, um ihr dabei zu helfen.“5 Bourges weiß, wovon er spricht, denn er war sechs Jahre lang Intendant der beiden großen nationalen Fernsehsender und Vorsitzender der CSA.
Und da er seine Zweifel hat, ob die Verantwortlichen bei den öffentlichen wie bei den privaten Sendern lernfähig sind, setzte er vor seinem Ausscheiden bei der CSA im Januar 2001 neue Richtlinien durch. Seitdem müssen die Sendeanstalten „bei allen Sendungen, die über Antenne empfangen werden, die Vielfalt der Herkunftsländer in der nationalen Gemeinschaft berücksichtigen“. Dieser Grundsatz wird künftig bei der Erteilung von Sendelizenzen eine Rolle spielen. Wird er aber auch ausreichen, um den Einfluss der finanzstarken Unternehmen, die mit ihrer Werbung die Sender finanzieren, auf die Gestaltung des Programms einzudämmen?
Im Laufe der Jahre und des immer härter werdenden Konkurrenzkampfs haben die wichtigen öffentlichen und privaten Sender eine Art Reflex ausgebildet, den man als „ethnische Säuberung“ in der Programmplanung bezeichnen kann. Und dies nur, um die legendäre „Hausfrau unter fünfzig Jahren“ mit ihrer – unterstellten – konservativen Haltung nicht zu verärgern. Damit sichert man sich das Wohlwollen der Werbekunden, deren Ausgaben in allen öffentlichen und privaten Fernsehsendern6 im Jahr 2000 auf die Rekordsumme von 4,6 Milliarden Euro angestiegen sind.
Wenn die Attraktivität für die Werbewirtschaft zum einzigen Qualitätskriterium bei der Bewertung eines Programms wird, braucht man zwangsläufig Zuschauer um jeden Preis. Mit ihren Werbespots will die Wirtschaft in erster Linie die junge weiße Mittelklasse erreichen. Also wird genau diese Schicht gehätschelt, und man zeigt ihnen Programme, die angeblich ihren Bedürfnissen entsprechen. Diese Kommerzialisierung der Programmplanung ist unmittelbar für den Ausschluss der kulturellen Vielfalt vom Bildschirm verantwortlich. Selbst die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die schnell dabei sind, die „Entgleisungen“ der rein kommerziellen Sender zu geißeln, tun sich schwer, eine wirklich vielfarbige Programmplanung auf den Weg zu bringen.
„Es gibt ganz unleugbar ein Defizit bei den französischen Fernsehproduktionen: Sie scheitern an der Aufgabe, die zeitgenössische Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen. Es gelingt ihnen nur gelegentlich und marginal. Die Hauptrollen werden praktisch nie mit Vertretern erkennbarer Minderheiten besetzt“, räumt der CSA im Juni 20007 ein und bestätigt damit nur die Diagnose, die das Collectif Égalité schon vor einiger Zeit gestellt hat.
In solchen Versäumnissen muss man nicht gleich ein Anzeichen für willentlichen Rassismus sehen, aber man muss einfach zur Kenntnis nehmen, wie stark ethnische Kriterien die Rollenverteilung auf der Mattscheibe beeinflussen. Auf dem Arbeitsmarkt wird das Repertoire eines Schauspielers offensichtlich durch seine ethnische Abstammung festgelegt. Das komische Fach ist obligatorisch, das ethnische Genre gewünscht. Die Schauspieler Djamel Debbouze, Samy Nacéri oder Nozha Kouadra können ein Lied davon singen. Positiven Helden, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen stammen, wird für das Territorium Fernsehen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Wie lange müssen wir noch auf eine schwarze Serienheldin wie Julie Lescaut oder einen arabischen „Richter Cordier“ warten?
Tatsache ist, dass eine Serie mit einem schwarzen oder arabischen Helden im Mittelpunkt kaum Chancen hätte, von einem großen Sender eingekauft zu werden. „Wir werden für alles verantwortlich gemacht, aber dieselben Leute, die uns anklagen, weigern sich, einen neuen gesetzlichen und finanziellen Rahmen zu schaffen, der es uns ermöglichen würde, mehr zu riskieren und in völliger Unabhängigkeit zu arbeiten“, klagt einer der Programmchefs eines öffentlich-rechtlichen Senders, der diesen Posten seit zwölf Jahren innehat. Nach der Überprüfung des Gesetzes über die öffentlich- rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten im Jahr 2000 hätte man von den Sendern bei der Programmgestaltung durchaus ein bisschen mehr Courage erwarten können. Zumal die eine Milliarde Francs, die zusätzlich in die öffentlichen Sendeanstalten geflossen ist, aus den Taschen von Fernsehzuschauern stammt, die keineswegs alle weiße Hausfrauen unter fünfzig sind.
Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat in ihrem Bericht über Frankreich kritisch auf diese Diskrepanzen verwiesen: „Sich voll und ganz als eine multikulturelle Gesellschaft wahrzunehmen und anzuerkennen ist eine der Schwierigkeiten, die von der französischen Gesellschaft noch gemeistert werden müssen. In diesem Zusammenhang spielen Rundfunk und Fernsehen eine entscheidende Rolle […]. Leider scheint es bis heute einen großen Unterschied zu geben zwischen der gesellschaftlichen Realität und dem Bild, das die Medien von der französischen Gesellschaft vermitteln. Das zeigt sich in der bisweilen zu einfachen und stereotypen Darstellung gesellschaftlicher Minderheiten, aber auch in einem Mangel an Sendungen, die den tatsächlichen Beitrag dieser Minderheiten zum nationalen Kulturerbe verdeutlichen.“8
Trotz aller Kritik wurde bis heute keine einzige einschneidende Maßnahme ergriffen. Enttäuscht wenden sich zahlreiche Zuschauer den ethnisch orientierten Sendern zu, um sich mit ihrer kulturellen Identität stärker respektiert und abgebildet zu sehen. Das ist einer der Gründe für die ungeheure Menge von Satellitenschüsseln auf den Häusern der Arbeiterviertel in den französischen Großstädten und in deren Vororten, wo hauptsächlich Einwandererfamilien wohnen.
Offensichtlich erzielen die Sender, die gezielt bestimmte ethnische Gruppen ansprechen, ziemlich große Publikumserfolge. Das gilt sowohl für solche Programme, die Sender der Herkunftsländer (Algerien, Marokko, Tunesien, Türkei usw.) speziell für ihre Diaspora zusammenstellen, wie auch für einheimische Programme, die von spezialisierten Produktionsfirmen (BRTV für die Berber, ATV für Zuschauer von den französischen Antillen etc.) gemacht werden.
Zu diesen Pioniersendern wird sich demnächst Beur TV gesellen, das ein Programm für die Maghrebiner in Frankreich anbietet. „Es ist eine klare Sache: Die Fernsehsender sind nicht in der Lage, den Reichtum und die Vielfalt der nationalen Gemeinschaft darzustellen“, erklärt Nacer Kettane, der künftige Chef von Beur TV. Kettane ist zugleich Chef des nationalen Radiosenders Beur FM und Mitglied des Integrationsrats (Haut Conseil à l‘Intégration). Verschiedene Partner aus Industrie und Wirtschaft haben sich schon bereit erklärt, an einem runden Tisch über dieses Thema mitzuwirken.
Abzuwarten bleibt allerdings, ob es sich um eine erfolgreiche Bürgerinitiative handelt oder um ein neues Anzeichen für die Aufspaltung der französischen Gesellschaft in einzelne ethnische Gemeinschaften.
dt. Holger Fock
* Journalist