Die Botschaft des Gladiators
Von SYLVESTRE MEININGER *
SEIT der amerikanische Film gegen Ende der Siebzigerjahre eine Renaissance erlebte, ist er vom Erfolg verwöhnt. Um herauszufinden, woran das liegt, bedient sich die europäische Kulturelite eines stumpf gewordenen Instrumentariums. Die einen halten die Filme für Kulturprodukte, die ideologisch neutrale Bedürfnisse bedienen; andere sehen das amerikanische Kino als Spiegel der Gesellschaft und adäquaten Ausdruck des US-Imperialismus.
Bei der Einteilung von Filmen in „gute“ und „schlechte“ gelten diejenigen als „gut“, die ihre Verachtung für die Massenkultur demonstrieren. Diese Haltung prägt mittlerweile auch die Industrieware. Filme wie „Gladiator“ (2000)1 und „Pearl Harbor“ (2001) sind für das breite Publikum produziert, sie dienen der Zerstreuung, wollen Erstaunen wecken, jedenfalls bei den Kindern und jugendlichen Zuschauern. Gleichzeitig verfolgen sie eine ästhetische Doppelstrategie, die sich an die Erwachsenen richtet. Das Geheimnis ihres Erfolges liegt darin, dass es ihnen gelingt, beide Zielgruppen zusammenzubringen.
Wie seinerzeit „Titanic“ erzählt „Pearl Harbor“ eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der unausweichlichen Katastrophe. Die Emotionen werden dadurch geschürt, dass Amerika nicht in der Lage ist, seine Staatsbürger – ob Zivilisten oder Militärangehörige –, die auf einer zum amerikanischen Territorium gehörigen Insel arbeiten, gegen den Überraschungsangriff einer nichtweißen fremden Macht zu schützen. Nachdem sie ihre Unbekümmertheit mit viel Leid und Demütigung bezahlt haben, erheben die USA dank der Entschlossenheit eines starken Präsidenten, der den Luftkrieg gegen den Feind anordnet, wieder ihr Haupt.
„Pearl Harbor“ nimmt zwar weder den 11. September noch die Bombardierung Afghanistans vorweg. Aber die Vorstellung, die hier wachgerufen wird, bezieht sich durchaus auf das heutige Amerika und nicht auf das des Zweiten Weltkriegs. Der japanische Angriff dient als historisches Material für die Ausarbeitung einer aktuellen imperialistischen Fantasie. Eine solche Analyse von „Pearl Harbor“ lässt allerdings die ästhetischen Mittel des Films, seinen Kitsch, die falschen Töne, außen vor. Sofern es hier überhaupt einen historischen Blick gibt, ist er weniger auf die geschilderten Ereignisse gerichtet als auf das Kino der Vierziger- und Fünfzigerjahre, dem der Film eine honigsüße, durch seine Werbeästhetik überhöhte Hommage zuteil werden lässt. Die Schauspielerinnen, zu Statuen geschminkt und frisiert, verkörpern zugleich Lauren Bacall oder Veronika Lake und deren jeweilige Klone, während die männlichen Darsteller in ihren korrekten Uniformen oder Hawaihemden altmodische Repliken von sich geben, ohne uns je vergessen zu lassen, dass sie in die Rollen heroischer Piloten aus Schwarz-Weiß-Filmen geschlüpft sind.
Der zweite Verfremdungseffekt besteht darin, dass „Pearl Harbor“ so tut, als sei es heute möglich, eine Geschichte im Ton eines Comic-Hefts der Vierzigerjahre zu erzählen. Indem er starke Emotionen weckt und den Patriotismus bis zum Äußersten schürt, ohne auch nur die geringste Ernsthaftigkeit erkennen zu lassen, bekommt der Film auch in seiner Infantilität etwas Schwülstiges, das die angeblich wiedergefundene Naivität konterkariert.
Und schließlich ist „Pearl Harbor“ wie alle Megafilme, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten produziert wurden, fasziniert von seinen eigenen technologischen und finanziellen Möglichkeiten. Die Kamera ruft dem Zuschauer ständig die ungeheuerlichen Summen in Erinnerung, die in den originalgetreuen Nachbau und die teils echten, teils computergenerierten Spezialeffekte investiert wurden. So lenkt der Film die Aufmerksamkeit darauf, wie meisterhaft er das Visuelle beherrscht, und rückt somit in die Nähe des hyperrealistischen Gemäldes. Wenn beispielsweise der Weg einer Bombe vom Abwurf bis zum Zieleinschlag in realer Zeit und einer einzigen Einstellung gezeigt wird, lädt dieser Vorgang den Zuschauer ein, in das fiktive Universum einzutauchen („Als wäre man selbst dabei gewesen“), und bringt ihn gleichzeitig dazu, Abstand zu nehmen und die Sequenz zu bewundern („Wie gut das gemacht ist!“).
Die Verbindung dieser drei Verfremdungsmethoden löst beim Zuschauer eine innere Gespaltenheit aus; denn er besetzt zwar die dargestellten Personen emotional, behält dabei aber den Eindruck, etwas zu sehen, was für Kinder bestimmt ist. Hin- und hergerissen zwischen einer gut gemachten Geschichte, regressiver Filmliebhaberei, technologischem Rausch, infantilem Ton und starken Gefühlen, kann der erwachsene Zuschauer sich selbst in dem Film nicht vergessen.
„Gladiator“ treibt die innere Logik dieser Funktionsweise auf die Spitze. Rom, einziger Schutzwall der Zivilisation gegen die Barbarei, benutzt seine erdrückende technologische Überlegenheit, um die internationale Ordnung aufrechtzuerhalten, und bezahlt dafür mit dem Leben seiner Soldaten. Einer von ihnen, der General Maximus, fällt nach einem Staatsstreich in Ungnade. Der neue Kaiser sorgt – psychologisch geschickt – dafür, dass die Plebejer schnell Unterhaltung bekommen: Er führt die Gladiatorenkämpfe wieder ein. Nach einer harten Ausbildung zum Gladiator erhebt Maximus sich gegen den Demagogen und besiegt ihn schließlich in der Arena, das heißt, durch den Gebrauch der einzigen Sprache, die das römische Volk versteht: die Sprache des Schauspiels der Gewalt.
Vor dem Hintergrund einer solchen Fantasie von Amerika als Weltpolizist, die typisch ist für den gegenwärtig von den USA praktizierten Unilateralismus, entwickelt sich ein subtilerer Diskurs. In ästhetischer Hinsicht finden wir eine „Pearl Harbor“ entgegengesetzte Haltung zur Massenkultur: „Gladiator“ bricht mit der Tradition der Hollywood-Monumentalfilme. Inspiriert von der neoklassizistischen Malerei des 19. Jahrhunderts, stehen Fotografie, Ausstattung und Kostüme in krassem Gegensatz zum flittrigen Technicolor der Megaproduktionen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren.2 Aber dieses Bemühen, sich zu unterscheiden, ist nur der visuelle Ausdruck einer faszinierenden Umsetzung des Verhältnisses zwischen der amerikanischen Kulturelite und dem Rest des Volkes.
Der Aufbau des Films von Ridley Scott basiert auf dem Gegensatz zwischen dem Schlachtfeld, wo die militärische Gewalt als authentischer, heroischer Akt der Zivilisation erscheint, und der Kampfarena, in der sich das Volk am inszenierten, sinnlosen und voyeuristischen Schauspiel dieser Gewalt weidet. Wie der neue Kaiser begriffen hat, haben die Römer die wirkliche Gewalt, auf der ihre Macht beruht, vergessen und leben nun in der virtuellen Welt des Massenschauspiels.
Dem Held und den Mitgliedern der aufgeklärten Elite, die sich mit ihm verbünden, geht es nie darum, das Volk aus seiner dumpfen Trägheit herauszureißen. Im Gegenteil, Maximus benutzt die Faszination der Arena, um ein neues Regime zu erzwingen. Indem er sich opfert, um den Usurpator in der Arena zu töten, vollbringt er also einen Staatsstreich, der die Bevölkerung vor sich selbst rettet. Am Ende des Films wissen nur die römische Elite und das Kinopublikum, dass die neue Herrschaft gerechter ist als die vorherige. Das Volk hat mit seinem Applaus einfach den Regierungswechsel gebilligt.
Auf diese Weise versetzt der Film den Zuschauer in eine Position der Überlegenheit gegenüber einem Massenpublikum, das sich vom Schauspiel der Gewalt überwältigen lässt. Doch bei all seinen Prätentionen ist „Gladiator“ selbstverständlich ein Film voller Gewalt. Vor lauter Unbehagen, weil er sein Publikum (das er ja braucht) für dumm verkauft, versucht Ridley Scott, sein eigenes kulturelles Dandytum auf den Zuschauer zu übertragen.
Man könnte meinen, dieses Phänomen sei nur im Hollywoodfilm zu finden und nicht beim amerikanischen „Autorenkino“. Aber es handelt sich hier weniger um eine kommerzielle Strategie als um eine ausgeprägte kulturelle Eigenheit, die sich durch das ganze amerikanische Kino zieht und auch bei Filmemachern finden ist, die es im Lauf der Neunzigerjahre zu Kultstatus gebracht haben: so bei David Lynch in seinem „Blue Velvet“, dem bissigen Porträt der Jugend in den Fünfzigerjahren, in seiner Fernsehserie „Twin Peaks“ oder in „Lost Highway“, der die Filme von Marguerite Duras und Alain Robbe-Grillet sarkastisch parodiert; bei Tim Burton, der sich in „Mars Attacks“ an der Auslöschung des wahren Amerika ergötzt; bei den Brüdern Coen oder Quentin Tarantino, deren Filme auf der virtuosen und verfremdeten Manipulation der Codes des amerikanischen Genrefilms beruhen und eine demonstrative Herablassung gegenüber ihren Mitbürgern zur Schau stellen.
Durch ständige Zitate, Bezüge und das den Kritikern so liebe „Spiel mit den Konventionen“ funktioniert diese Sorte Film nur in Insiderkreisen, die sich freuen, unter sich zu sein, sich wiederzuerkennen und vor allem den anderen, Ungebildeten ausschließen, der die Anspielung nicht begreift, weil er der erzählten Geschichte zu folgen versucht. Hier verlieren das Reale und die Erzählung – die nur im Verhältnis zum Realen existieren kann – ihre Bedeutung zugunsten der ästhetischen Geste, ganz gleich ob in Form von Zitaten, Kitsch, Virtuosität, Verschachtelung oder aller vier Varianten auf einmal. „Pearl Harbor“ und „Gladiator“ gehen nicht so weit, aber beide verfolgen die gleiche Absicht: den Zuschauer auf sich selbst zu lenken – im ersten Fall durch die Lust an der Regression, im zweiten durch das Gefühl der Überlegenheit.
Seit dem 11. September erleben wir in Hollywood eine Rückkehr zur Kultur der unmittelbaren Interessen. An Produktionen wie „Password Swordfish“, „We were Soldiers“ oder „Collateral Damage“ wird deutlich, dass ein großer Teil der amerikanischen Filmindustrie sich ohne Zögern die konservativsten Züge der Außenpolitik der Bush-Administration zu Eigen macht. Auch „Pearl Harbor“ und „Gladiator“ übernehmen die militaristische, unilaterale, rassistische und sexistische Ideologie, die mit großer Wucht wieder Einzug in die amerikanischen Medien gehalten hat. Diese Filme treten für die internationale Herrschaft Amerikas ein, vermitteln das jedoch über Infantilismus und Heuchelei. Nach dem Vietnamkrieg, dem regressiven Individualismus der Reagan-Ära und dem Golfkrieg glauben sie nur noch halbwegs an den Mythos des in einer Interessengemeinschaft und in tugendhaften Werten verankerten Amerika. In diesem Sinne verrät der betont unschuldige Gestus von „Pearl Harbor“, „Star Wars“ oder „Spider Man“ ebenso viel Zweifel wie kommerziellen Opportunismus. Aber die Früchte des Zweifels erschöpfen sich im Zynismus von „Gladiator“, dessen Held sich opfert, um ein verblödetes Volk zu retten.
Formal sind beide Filme Beleg dafür, dass das amerikanische Kino durch die Ticks der Postmoderne (Verfremdung, Hyperrealismus, Faszination und Abscheu gegenüber der Massenkultur, Selbstreferentialität, Verschachtelung etc.) korrumpiert wurde. Der distanzierte Blick auf die Welt erzeugt eine gehobene Apathie, die die Einkommensquellen der Medienindustrie sprudeln lässt, während sich der Intellekt geschmeichelt zur Ruhe begibt. Dieser Verfremdungseffekt steht im Gegensatz zu dem von Bertolt Brecht gemeinten, der den Zuschauer aus der Erzählung hinausstößt, um ihm die Möglichkeit zu geben, die gesellschaftlichen Realitäten hinter der Geschichte aufzudecken. Die genannten Filme bewirken das Gegenteil: Sie schaffen eine Welt der Resignation. Indem sie den Zuschauer in die Position des Dandys versetzen, der sich etwas ansieht, ohne sich je täuschen zu lassen, lösen sie das Gefühl aus, es sei Zeichen peinlicher Naivität, sich für irgendetwas, einen Film oder ein Ideal, zu engagieren. Und was im Kino passiert, ist nur die Luxusversion dessen, was das Fernsehen bietet, sei es in Form von entrealisierten Nachrichten oder der schizophrenen Spirale von Reality-Shows. „Big Brother“ funktioniert v. a. dank dem Wiedererkennungseffekt von Verhaltensweisen, die der Zuschauer zugleich teilt und verachtet.
In diesen neuen Darstellungsweisen sind menschliche Wirklichkeit und Utopie abgelöst worden durch die Regression und das Überlegenheitsgefühl – zwei Ingredienzen, die ein ideales konsumbereites Individuum kennzeichnen: besessen von dem Willen, sich von der Herde abzusondern, der eigenen regressiven Haltung bewusst und zynisch genug, beides auch noch offensiv zu vertreten.
dt. Grete Osterwald
* Forscher