13.09.2002

Kein Frieden vor der Ankunft des Messias

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Kein Frieden vor der Ankunft des Messias

Von IBRAHIM WARDE *

DER Gott des Islam ist nicht unser Gott, und der Islam ist eine sehr schädliche und schändliche Religion.“ So äußerte sich Reverend Franklin Graham im Oktober 2001. Durch Zufall erfuhr das Publikum einige Wochen später, dass sein Vater, der zweifellos angesehenste Prediger des Landes, Reverend Billy Graham, gewöhnlich ebenso unfreundliche Reden führte, allerdings wetterte er gegen die Juden. Die Aufzeichnung eines privaten Gesprächs, das er 1972 im Oval Office des Weißen Hauses mit Richard Nixon geführt hatte, war soeben publik geworden. Der Pastor - seit den Fünfzigerjahren Vertrauter und geistiger Berater aller Präsidenten - beschwerte sich (unter anderem) über den maßgeblichen Einfluss der Juden auf die Medien. „Diesem Einfluss muss ein Ende gesetzt werden, sonst ist dieses Land erledigt.“ Billy Graham äußerte dann sein „aufrichtiges Bedauern“ über Worte, die keinesfalls seinem Denken entsprächen, und erinnerte daran, dass er den Staat Israel stets entschieden unterstützt habe. Der Erbe seines Predigerimperiums dagegen hat niemals versucht, seine antiislamischen Äußerungen zurückzunehmen. Im Gegenteil, er hat sie noch verstärkt.

Der Wandel vom Antisemitismus zum Hass auf den Islam ist bei Pastor Pat Robertson noch frappierender. In einem 1990 veröffentlichten Werk klagte er die „liberalen Juden“ an, „die es sich in den letzten vierzig Jahren zur Aufgabe gemacht haben, den christlichen Einfluss im öffentlichen Leben Amerikas zu mindern“. Seither wettert der berühmte Fernsehprediger vor allem gegen die Muslime: „Sie wollen so lange mit uns zusammenleben, bis sie uns kontrollieren, beherrschen und dann wenn nötig zerstören können.“ Im Juli 2002 erhielt derselbe Pat Robertson den von der Zionistischen Organisation Amerikas vergebenen Preis der Freunde Israels.1

Dieses Interesse am Nahen Osten ist nicht neu. Die Region war seit dem 19. Jahrhundert Missionsgebiet für zahlreiche protestantische Kirchen, von denen einige die Schaffung des Staates Israel mit Argwohn verfolgten. Nur die fundamentalistischen Gruppen - die die heiligen Schriften wörtlich auslegten - sahen in der Schaffung Israels die Erfüllung biblischer Prophezeiungen. Und wie im Falle des Predigers Billy Graham konnte der „christliche Zionismus“ gelassen mit dem Antisemitismus koexistieren, von dem er sich zuweilen nährte. Der Konflikt im Nahen Osten war aber bestimmt nicht das, was die Pastoren und ihre Schäflein in erster Linie beschäftigte.

Man muss bis zum Ende der Siebzigerjahre zurückgehen, um den Machtzuwachs der christlichen Rechten und ihre Allianz mit Israel zu begreifen. Die sozialen, politischen und ökonomischen Umwälzungen jener Zeit schufen einen fruchtbaren Boden für reaktionäre religiöse Gruppierungen wie die der Moralischen Mehrheit (Moral Majority) des Pastors Jerry Falwell. In Israel war der Likud, Verfechter der “Rückkehr“ in das gesamte biblische Land Israel (Eretz Israel), schließlich an die Macht gekommen. Reverend Falwell hatte sich auf Einladung des Premierministers Menachem Begin 1978 und 1979 in das Heilige Land begeben. Die beiden verstanden sich so gut, dass der Pastor 1980 mit der Wladimir-Jabotinsky-Medaille ausgezeichnet wurde (die nach dem Begründer des „revisionistischen“ Zionismus benannt ist, dem Mentor von Begin, Jitzhak Schamir und Ariel Scharon).2

Jene Jahre waren auch durch Umwälzungen innerhalb der amerikanischen jüdischen Gemeinde gekennzeichnet. Zwei ihrer Galionsfiguren, Irving Kristol und Norman Podhoretz, brachen mit der (im amerikanischen Sinne progressiven) „liberalen“ Tradition, der sich die jüdischen Intellektuellen lange verbunden gefühlt hatten. Von nun an stimmten sie in zahlreichen Punkten - der Kritik am Sozialstaat, der Rückkehr zu „traditionellen Werten“, dem reinen und harten Antikommunismus und der rückhaltlosen Unterstützung des Likud - mit der christlichen Rechten überein.3

1980 festigte die Wahl Ronald Reagans diese Allianz. Neokonservative bildeten den intellektuellen Hofstaat, während der neue Präsident knallharte Fundamentalisten in sein Kabinett berief. Innenminister James Watt erklärte, dass die Umweltverschmutzung des Planeten keinen Anlass zur Sorge biete, da „die Wiederkehr des Herrn nahe“ sei. Und seine berühmte Rede vom 8. März 1983, in der er die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ bezeichnete, hielt der Präsident vor dem Nationalverband der evangelischen Gruppen.

1989 löste Reverend Falwell seine Moralische Mehrheit auf, indem er seine Mission als „erfüllt“ erklärte. Die fundamentalistischen Kirchen waren im Übrigen durch den Skandal der Fernsehprediger geschwächt, und die israelische Lobby Aipac (American Israel Public Affairs Committee) erlebte eine ihrer seltenen Niederlagen. Präsident Bush weigerte sich, für eine Anleihe über 10 Milliarden Dollar zu garantieren, solange Premierminister Jitzhak Schamir seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten fortsetzte. Darüber hinaus kam den Anhängern der antikommunistischen Bewegungen in Mittelamerika (die bei den Fundamentalisten zahlreich vertreten waren) durch den Sturz des Kommunismus ein wichtiges Argument abhanden, und auch das geostrategische Argument zugunsten Israels (“der einzige demokratische und stabile Staat in einer von der Sowjetunion bedrohten Gegend“) fiel weg. Während der Clinton-Jahre schweißten die Eskapaden des Präsidenten und vor allem der Kampf um das Impeachment die Neokonservativen und die fundamentalistische Rechte in einer großzügig finanzierten und bestens organisierten Tugendliga zusammen.

Das Fieber der Jahrtausendwende und die Präsidentschaftswahl 2000 brachten Gott wieder groß in die politische Debatte. Der republikanische Kandidat George W. Bush erklärte, dass sein politischer Lieblingsphilosoph Jesus Christus sei, während sein Rivale Al Gore verkündete, dass er sich vor jeder schwierigen Entscheidung frage: “Was hätte Jesus getan?“. Indem er Senator Joseph Lieberman, einen für seine moralisierenden Reden bekannten orthodoxen Juden, als Mitkandidaten aufstellte, begeisterte er alle Fundamentalisten.

Was die Neokonservativen und die Fundamentalisten aber vor allem zusammenschmiedete, waren die Attentate des 11. September, als sie aus dem „Kampf der Kulturen“ eine sich selbst erfüllende Prophezeiung machten. Und in der Tat wurde der Islam nun als das neue Reich des Bösen bezeichnet. Die von den Medien unermüdlich eingehämmerte und von praktisch allen amerikanischen Parlamentariern4 wiederholte Sprachregelung übernahm die Thesen der israelischen Regierung: Jassir Arafat sei der „Bin Laden Israels“, und die beiden Länder seien im gleichen Kampf vereint.

Alle führenden Köpfe der christlichen Rechten - Ralph Reed, Gary Bauer, Paul Weyrich und andere - sind, häufig ferngesteuert von Israel, an dem neuen Kreuzzug beteiligt. So hat Rabbi Yechiel Eckstein, der Gründer des International Fellowship of Christians and Jews, auf persönlichen Wunsch Ariel Scharons Ralph Reed, den ehemaligen Präsidenten der christlichen Koalition, angeworben, die Frohe Botschaft zu verkünden: Auf diese Weise haben 250 000 Christen über 60 Millionen Dollar nach Israel geschickt. Ebenso hat die Organisation Christians for Israel/USA die Einwanderung von 65 000 Juden finanziert, um, wie es ihr Präsident, Reverend James Hutchens, formulierte, „Gottes Ruf zu folgen, der darin besteht, dem jüdischen Volk bei der Rückkehr und der Wiederherstellung des Landes Israel zu helfen“.5

Die Rhetorik Präsident Bushs (“Wer nicht auf unserer Seite ist, ist auf der Seite der Terroristen“ usw.) hat einem Schwarz-Weiß-Denken Vorschub geleistet, das mit den Denkmustern der Fundamentalisten übereinstimmt. Nach einer neueren Meinungsumfrage von Time/CNN glauben 59 Prozent der Amerikaner, dass die in der Apokalypse beschriebenen Ereignisse eintreten werden, und 25 Prozent meinen, dass die Attentate vom 11. September von der Bibel6 vorhergesagt wurden. Dies erklärt den phänomenalen Erfolg der Serie „Left Behind“ (50 Millionen verkaufte Exemplare): zehn Bände, die ein Mittelding zwischen Science-Fiction und praktischem Ratgeber für den Weltuntergang sind und behaupten, den Schlüssel zu den Mysterien der Apokalypse zu liefern.7 In gewissen fundamentalistischen Kreisen werden Ariel Scharons Unversöhnlichkeit und seine Kriegslust begeistert aufgenommen. Hat er nicht durch seinen - absolut provokatorischen - Besuch auf dem Tempelberg am 28. September 2000 jenen Zyklus von Gewalttaten ausgelöst, dessen Ende noch nicht abzusehen ist? Der Heiligen Schrift zufolge wird aber gerade an diesem heiligen Ort der Dritte Tempel errichtet werden, was dann die blutigen eschatologischen Kriege nach sich zieht. Unter diesen Voraussetzungen könnten eine friedliche Einigung oder territoriale Konzessionen die Erfüllung der Prophezeiungen in Frage stellen oder verzögern. Pastor Hutchens hat es deutlich gesagt: „Vor der Ankunft des Messias kann es keinen Frieden geben.“

Das Bündnis zwischen israelischen Extremisten und christlichen Fundamentalisten beruht trotz seiner scheinbaren Stabilität auf einem Missverständnis. Die von den Fundamentalisten vorgesehene Chronologie ist tatsächlich ziemlich beunruhigend: zuerst kommen die Plagen, die Leiden und die Kriege; dann folgt der Wiederaufbau des Tempels und die Ankunft des Antichrist; schließlich ereignet sich die zweite Ankunft des Messias und die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse in Jerusalem. Die Gerechten werden darauf „in Ekstase“ in den Himmel überführt. Zwei Drittel der Juden werden bekehrt, die anderen ausgemerzt oder der Verdammnis preisgegeben. Für einige steht der Weltuntergang allerdings schneller bevor, als es den Anschein hat. Reverend Jerry Falwell hat im Januar 1999 erklärt, dass die Ankunft des Messias schon in den nächsten zehn Jahren erfolgen könne. Er behauptete auch, dass der Antichrist bereits unter uns weilt, und er sei “jüdisch und männlich“.

dt. Linde Birk

* Forscher an der Universität Harvard (Boston, USA), Autor von „Islamic Finance in the Global Economy“, Edinburgh (University Press) 2000.

Fußnoten: 1 Pat Robertson, „The New Millennium: 10 trends that will impact you and your family by the year 2000“, Dallas (Word Publishing) 1990, Christian Broadcasting Network, 21. Februar 2002. 2 Grace Halsell, „Prophecy and Politics: The Secret Alliance b5etween Israel and the U.S. Christian Right“, Westport (Lawrence Hill) 1989. 3 Norman Podhoretz „Breaking Ranks: A Political Memoir“, New York (Harper and Row) 1980. 4 Mit 94 zu 2 Stimmen im Senat und mit 352 zu 21 Stimmen im Repräsentantenhaus verkündete der amerikanische Kongress, dass „Israel und die USA gemeinsam gegen den Terrorismus engagiert sind“. 5 Jeffrey L. Sheler, „Evangelicals Support Israel, but Some Jews Are Skeptical“, U.S. News and World Report, 12. August 2002. 6 Time, 23. Juni 2002. 7 The Washington Post, 16. Januar 1999.

Le Monde diplomatique vom 13.09.2002, von IBRAHIM WARDE