Tansania vermittelt
TANSANIA genießt bei seinen Nachbarländern uneingeschränkten Respekt, und zwar ungeachtet seiner gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Das hat vor allem drei Gründe: die politische Stabilität des Landes, sein Anteil an der Entkolonialisierung des afrikanischen Kontinents und seine Unterstützung des Kampfes gegen die Apartheid. Dank dem politischen und persönlichen Format von Julius Nyerere, dem Vater der Unabhängigkeit Tansanias, genießt Daressalam auch als diplomatischer Vermittler in ganz Afrika hohes Ansehen. Der ehemalige Staatspräsident, der im Oktober 1999 an Leukämie gestorben ist, hatte die Idee einer afrikanischen Lösung von regionalen Konflikten mit Leben erfüllt. So wurde Tansania während der Neunzigerjahre etwa bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in Ruanda und Burundi als Vermittler hinzugezogen.
Nachdem im Oktober 1990 die aufständische Ruandische Patriotische Front (RPF) eine militärische Offensive gestartet hatte, organisierte Tansania die erste Regionalkonferenz zur Lage der ruandischen Flüchtlinge. Auch eine Reihe weiterer Verhandlungen fand in dem Nachbarland von Ruanda statt. Tansania galt im Konflikt zwischen der RPF und der Hutu-Regierung unter Juvénal Habyarimana als neutral. Da der zairische Staatspräsident Mobutu nicht an den Verhandlungen von Arusha teilnehmen wollte, übernahm Tansania die nicht eben leichte Vermittlerrolle. Dabei agierte die tansanische Diplomatie äußerst diskret und griff immer nur dann ein, wenn die Verhandlungen ins Stocken gerieten. Im August 1993 gelang es, die Parteien zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens zu bewegen. Als Regierungschef Habyarimana sich endlich bereit fand, das Abkommen auch umzusetzen, wurde am 6. April 1994 sein Flugzeug in Kigali von unbekannten Tätern abgeschossen. Dieses Ereignis setzte den Völkermord in Gang.
Eine ähnlich chaotische Entwicklung drohte im benachbarten Burundi. Im Osten Zaires, hieß es damals, hätten sich burundische Hutu-Rebellen mit mörderischen Armeekräften verbündet, während Tutsi-Rebellen in der Hauptstadt Bujumbura für „balkanische“ Verhältnisse sorgten. Ausgangspunkt dafür waren bewaffnete Auseinandersetzungen um die nördlichen Stadtviertel zwischen der Tutsi-dominierten Armee und den Rebellen. Der Völkermord von 1994, dem die internationale Völkergemeinschaft ungerührt zugesehen hatte, bestärkte die führenden Politiker der Region in der Überzeugung, dass eine afrikanische Lösung für die Konflikte gefunden werden müsse.
Im Oktober 1993 fiel Melchior Ndadaye, der erste aus der Volksgruppe der Hutu stammende Präsident Burundis, einem Mordanschlag zum Opfer. Daraufhin nahmen die ohnehin starken Spannungen zwischen den Volksgruppen zu, die sich – aufgestachelt durch die Ereignisse in Ruanda – in ganz Burundi gegenseitig abzuschlachten begannen. In dieser Situation wandte sich der ehemalige Staatspräsident Pierre Buyoya an Julius Nyerere, der nach seinem freiwilligen Abschied von der Macht im November 1985 den Nimbus eines „Weisen“ genoss. Der Vermittler Nyerere schaffte es 1996 tatsächlich, die gesamte Region für den Plan einer militärischen Intervention in Burundi zu gewinnen – offiziell zum Schutz der Zivilbevölkerung. Der Plan beschleunigte indessen den Sturz des burundischen Staatspräsidenten Sylvestre Ntibantunganya. Major Buyoya putschte sich an die Macht zurück. Nyerere betrachtete dies als Verrat und erreichte auf einem Gipfeltreffen, dass die Staatschefs der Anrainerstaaten ein Embargo über Burundi verhängten.1
NACH ihrer Vertreibung aus dem Osten des Kongo im Juni 1998 zogen sich die Hutu-Rebellen auf tansanisches Gebiet zurück. Daraufhin warf die burundische Regierung Tansania Parteilichkeit vor. Immer häufiger kam es an der Grenze zwischen den beiden Ländern zu Zwischenfällen. Jetzt standen die Vermittler vor der heiklen Aufgabe, einen politischen Ausgleich zwischen Regierung, Nationalversammlung und den siebzehn burundischen Parteien zu bewerkstelligen. Zugleich sollten sie die Meinungsverschiedenheiten zwischen den diversen Rebellenformationen beilegen. Außerdem wurden die Vermittler hinter den Kulissen von internationalen Beobachtern für ihre angeblich allzu rigide Verhandlungsführung kritisiert und die Kompetenz der hinzugezogenen Experten in Frage gestellt. Die Verhandlungen waren nur schleppend vorangekommen, als im Oktober 1999 Julius Nyerere starb. Er hatte die Hoffnung nie aufgegeben, auf dem Verhandlungswege einen Konflikt beilegen zu können, dessen verhängnisvolle Auswirkungen auf sein Land er immer gefürchtet hatte. Vor allem die Anwesenheit von 350 000 burundischen Flüchtlingen drohte, die öffentliche Meinung und die politische Klasse Tansanias in ein Hutu- und ein Tutsi-Lager zu spalten.
Letzten Endes konnte Tansania bei seinem Vermittlungsversuch auf breite internationale Zustimmung bauen und hat in dieser Rolle auch erhebliche finanzielle Zuwendungen bezogen. Und dennoch markiert dieser Versuch das Scheitern der Formel von der „afrikanischen Lösung“. Zwar wurde am Ende im August 2000 in Arusha ein Friedensabkommen unterzeichnet (wenn auch unter der Ägide von Nelson Mandela). Aber im Lauf dieses Jahres haben sich die Angriffe der Rebellen wieder intensiviert. Und im August 2002 haben in Tansania neue Waffenstillstandsverhandlungen begonnen.
WILLY NINDORERA