Mbeki, Afrikas zögerlicher Schiedsrichter
Von ANNE DISSEZ und FOUAD SROUJI *
MIT der erfolgreichen Ausrichtung gleich mehrerer Gipfelkonferenzen hat sich das neue Südafrika eindrucksvoll auf dem internationalen Parkett zurückgemeldet: Die Welt-Aids-Konferenz (Juli 2000) und die Antirassismus-Konferenz (September 2002) unter der Ägide der Vereinten Nationen, der Gipfel der Afrikanischen Union (Juli 2002) und der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung vom August 2002 in Johannesburg haben dem Land zu neuem Ansehen verholfen.
Das Ende der Apartheid, die Wahlen vom April 1994 und die Übernahme der politischen Macht durch den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) wurden allgemein als ein Erfolg gemeinsamer internationaler Bemühungen angesehen, die zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit der früheren Kolonialländer von einer breiten weltweiten Koalition getragen wurden, ohne Unterschied von Rasse und Ideologie.
Danach hatten das politisch zerrissene und aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit gedrängte Afrika, aber auch die Europäer und die Vereinigten Staaten unter Präsident Bill Clinton erwartet, die neue Regierung des mächtigsten afrikanischen Staates werde schon bald ein klare und aktive außenpolitische Rolle anstreben. Diese Erwartungen wurden schnell enttäuscht, weil sich die neue Führung des Landes nicht in der Lage sah, über ein paar wohlklingende allgemeine Grundsätze hinaus – die der ANC bereits seit längerem vertreten hatte – auf internationaler Bühne aktiver aufzutreten.
Eine grundlegende Änderung trat erst 1996 ein, als der ANC das Regierungsbündnis mit de Klerks Nationaler Partei aufkündigte und zugleich mit einer politischen Hinwendung zum Wirtschaftsliberalismus die Annäherung an die Vereinigten Staaten suchte. Wesentliche Ziele Pretorias waren dabei eine Stärkung der Präsenz südafrikanischer Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent, eine mit Blick auf das Ausland investitionsfreundliche Wirtschaftspolitik und eine ehrgeizige Sozialpolitik, die über eine nachhaltige Entwicklung finanziert werden sollte.
Diese Ziele standen in engem Zusammenhang mit dem Bemühen der neuen Regierung um eine Schlichtung der regionalen Konflikte, die auch die inzwischen mehr oder weniger handlungsunfähige Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) nicht beilegen konnte. Um sein Negativimage als regional einflussreiche Hegemonialmacht zu überwinden, ging Pretoria zunächst hinter der OAU in Deckung.
Hauptsorge der Politik Südafrikas ist und bleibt die Schaffung eigenständiger afrikanischer Institutionen, die unter Mitwirkung möglichst vieler Staaten auf regionaler wie gesamtafrikanischer Ebene politische Entscheidungsfähigkeit besitzen. Im Sinne dieser Zielsetzung hat sich Präsident Mbeki das vom libyschen Revolutionsführer Gaddafi initiierte Projekt einer Afrikanischen Union zu Eigen gemacht.
Die Gründung dieser neuen Organisation am 9. Juli 2002 in Durban stand im Zeichen eines erbitterten Machtkampfs zwischen einigen Staatschefs und ihrem südafrikanischen Gastgeber. Dadurch sah sich Mbeki genötigt, gegenüber Gaddafi andere Spielregeln durchzusetzen, als dieser sie für das neue Gremium vorgesehen hatte. Zugleich musste er Pläne des nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo konterkarieren, die Nepad (Neue Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung) durch die Etablierung ihrer Verwaltungseinrichtungen auf nigerianischem Staatsgebiet regelrecht als „Geisel zu nehmen“.1 Die Meinungsverschiedenheiten mit Senegals Präsident Abdoulaye Wade, dem anderen Gründungsvater der Nepad, haben mittlerweile den Charakter von persönlichen Animositäten angenommen, die die beiden Männer auch nicht länger zu kaschieren suchen.
Die begeisterte Anteilnahme, die der unblutige Sieg des ANC im April 1994 international erfahren hatte, sowie das Ansehen der südafrikanischen Armee, die als ausgesprochen professionelle Truppe gilt, haben dazu geführt, dass die Republik Südafrika mehrfach um Entsendung von Soldaten in Krisengebiete ersucht wurde, insbesondere in die Region um die Großen Seen.
Mit Ausnahme der Militäroperation in Lesotho vom September 1998, die bei den entsandten Streitkräften ein Trauma hinterlassen hat, und ungeachtet der Tatsache, dass die entsprechenden Gesuche jedes Mal von internationalen Institutionen abgesegnet waren, hat sich Südafrika diesen Bitten stets verschlossen. In der Tat war der Prozess der Überwindung der Apartheid innerhalb der Armee noch nicht abgeschlossen, und es wäre unklug gewesen, weiße Soldaten in afrikanische Krisengebiete zu schicken. Erst im Oktober 2001 wurde, vor allem aufgrund der persönlichen Vermittlung des früheren Präsidenten Nelson Mandela bei der Lösung dieses Konflikts, ein Kontingent von 700 Soldaten nach Burundi entsandt.
In dieser ersten Phase zeigt sich die Außenpolitik Südafrikas als äußerst abhängig von den Vorgaben Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. Im strategischen Konzept beider Staaten hatte Pretoria gleichermaßen die Rolle eines Stabilitätsfaktors für die Region und eines Entwicklungsmotors für das ganze südliche Afrika zu übernehmen. Südafrika hat also einen doppelten Status, der auf dem ganzen Kontinent einzigartig ist: einerseits stellt man ein „modernes“ Land dar, das dank seines „weißen“ Erbes in einer beneidenswerten Lage ist, andererseits eine schwarze Nation im Werden. In diesem Kontext entstand die von Präsident Mbeki formulierte Zielvorstellung einer Wiedergeburt Afrikas. Der südafrikanischen Führungsriege ist es allerdings nicht gelungen, diese Formel politisch umzusetzen.
Zweifellos hatte Pretoria von Beginn an den Anspruch, bei der Weiterentwicklung von Demokratie und Transparenz in den Ländern Afrikas eine aktive Rolle zu spielen. Und doch zeigte man sich nicht in der Lage, im richtigen Augenblick eine eindeutige und nachdrückliche Haltung einzunehmen, mit der das Land sich als glaubwürdige Kraft dargestellt hätte. Im Gegenteil, Südafrika verstrickte sich in Widersprüche, wie sie etwa bei der Behandlung der Krise um Simbabwe deutlich wurden. Die Unterstützung, die Präsident Mbeki, unter Berufung auf die Solidarität unter den ehemaligen „Frontstaaten“ gegen die Apartheid, Robert Mugabe zuteil werden ließ, war zögerlich und einigermaßen zwiespältig. Nach den Vorstellungen seines Präsidenten sollte Südafrika im politischen Kräftespiel Afrikas ein Machtfaktor werden, mit dem jeder rechnen muss, doch Mbeki schaffte es nicht einmal, sein politisches Gewicht vermittelnd in die Verhandlungen zwischen Mugabe und seinem innenpolitischen Gegenspieler Tsvangirai von der Bewegung für einen demokratischen Wandel (MDC) einzubringen.
Ebenso wenig vermochte er der Isolierung seines Landes innerhalb der Entwicklungsgemeinschaft für den Süden Afrikas (SADC) erfolgreich entgegenzuwirken.3 Und schließlich schien ihn auch die Vorstellung zu lähmen, Mugabes Politik gegenüber den weißen Farmern könnte indirekt auch die innenpolitische Stabilität seines eigenen Landes gefährden. Denn auch in Südafrika gibt es eine politische Bewegung, die das potenziell explosive Ziel einer „Umverteilung der Ländereien“ verfolgt.4
Allerdings ist die Unterstützung für Simbabwes Diktatur auch im Kontext der Krise um die Demokratische Republik Kongo (RDC) zu sehen. In der Tat konnte Südafrika im Verlauf des Krieges im Kongo seine politisch dominierende Rolle in der Region der Großen Seen gegenüber den Ambitionen Angolas festigen, das im Hinblick auf sein militärisches Potenzial und seine Erdölreserven als regionaler Machtfaktor gilt. Pretoria hat sich auf alle am Konflikt beteiligten Parteien – Ruanda, Uganda und die Demokratische Republik Kongo – gleichzeitig gestützt. Mugabe wurde auch deshalb mit Samthandschuhen angefasst, weil er im Kongo zeitweilig bis zu 12 000 Mann stationiert hatte, um den Schutz der dortigen Diamantenfelder – für das politische Überleben Kabilas die unabdingbare Einnahmequelle – zu gewährleisten. Doch diese vage südafrikanische Politik hat die strategischen Verbündeten Pretorias wie etwa Ruanda und sogar Uganda veranlasst, mit der Autorität der Vereinigten Staaten im Rücken diskrete Verhandlungen mit Angola aufzunehmen (Friedensabkommen zwischen der RDC und Uganda am 6. September 2002 in Luanda; Abkommen zwischen der RDC und Ruanda am 30. Juli 2002 in Pretoria).
Präsident Thabo Mbeki hat derzeit den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne und möchte diese Rolle für seine Politik des Konfliktmanagements in der Region nutzen. Allerdings muss er dabei in Zukunft mit der Verstimmung der Vereinigten Staaten rechnen, die ihm seine Unentschlossenheit vorwerfen. Nach dem Tod von Joseph Savimbi, dem Führer der angolanischen Rebellenorganisation Unita, hat sich Washington der Regierung in Luanda angenähert, was auf Kosten seiner Beziehungen zu Südafrika geht.
Die regionale politische Strategie Angolas fußt auf dem Bestreben, die Macht der MPLA (Volksbewegung zur Befreiung Angolas) zu erhalten, um gegen eine bewaffnete Rückkehr der einen oder anderen Unita-Fraktion oder das Erstarken der Befreiungsbewegung in der Erdölenklave Cabinda gewappnet zu sein. Solche Erwägungen scheinen ins Konzept der führenden westlichen Länder zu passen, insbesondere in das der Vereinigten Staaten, die im Hinblick auf die Folgen des 11. September die Erdölreserven im Golf von Guinea geschützt sehen wollen.5 Angola spielt für Washington die Rolle einer Regionalmacht auf der Reservebank: Als Gegenleistung für einen militärischen Beistand könnte Angolas starke Armee die Interessen des Westens letztlich effektiver garantieren als ein Südafrika, das noch immer mit der Suche nach sich selbst beschäftigt ist.
Trotz der Bilanz, die sein Land vorzuweisen hat – allein ein Viertel des BIP von ganz Schwarzafrika entfällt auf die Republik Südafrika –, hat der Amtsnachfolger von Nelson Mandela den internationalen Vertrauensvorschuss für sein Land gehörig stapaziert und eine Vielzahl afrikanischer Länder durch arrogante Fehlbeurteilungen vor den Kopf gestoßen. Mbeki hat sich neuerdings Europa und speziell Frankreich zugewandt und versucht, die zwischen den westlichen Ländern aufgetretenen Rivalitäten für sich zu nutzen. Doch diese Politik beruht auf einer falschen Einschätzung der Kräfteverhältnisse und könnte zu neuen Enttäuschungen führen. In jedem Fall wird sich Südafrikas Diplomatie nicht lange auf den Lorbeeren einer gelungenen Durchführung der Mega-Gipfelkonferenzen der Vereinten Nationen ausruhen können.
dt. Rolf Schubert
* Dissez ist Journalistin, Srouji Berater in Johannesburg.