11.10.2002

Wade, Senegals eitler Abendstern

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Wade, Senegals eitler Abendstern

TROTZ des jüngsten Putschversuches im Norden der Elfenbeinküste hat es den Anschein, als ließen sich die Konflikte in Afrika langsam unter Kontrolle bringen. In Angola ist der jahrzehntelange Bürgerkrieg zu Ende gegangen. Und Optimisten glauben, dass auch der Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo, in den ein Dutzend anderer Staaten direkt oder indirekt involviert sind, bis Ende des Jahres beendet sein wird. In Burundi dagegen sind die Vermittlungsbemühungen Tansanias bislang vergeblich geblieben. Doch unverkennbar ist, dass der Wille der Afrikaner wächst, Konflikte auf ihrem Kontinent selbst beizulegen. Damit wächst auch die Rolle der innerafrikanischen Diplomatie. Besonders aktiv haben sich auf dieser Ebene Südafrika und der Senegal engagiert – mit unterschiedlichem Erfolg.

Von ASSANE FALL-DIOP *

Am 1. April 2000 wurde der damals schon über siebzigjährige Abdoulaye Wade als Präsident der Republik Senegal vereidigt. Nach Jahrzehnten in der Opposition hatte der Kandidat der Demokratischen Partei Senegals (PDS) in einer Stichwahl gegen den langjährigen Präsidenten Abdou Diouf die Oberhand behalten (bei einer Wahlbeteiligung von immerhin 61 Prozent). Seitdem hat sich immer wieder gezeigt, dass der neue Präsident der Meinung ist, für sein politisches Gewicht und sein Renommee seien die Grenzen des Senegal, ja des gesamten französischsprachigen Raums viel zu eng. Als angemessene Bühne wähnt er offenbar nichts weniger als die ganze Welt.

„Es ist wie die Geburt eines Sterns im Abend des Alters“, dichtet ein senelagesischer Journalist über den betagten Präsidenten. Alter steht in Afrika gemeinhin für Weisheit und Tugend. Doch Abdoulaye Wade hat, seitdem er Abdou Diouf abgelöst hat, eigentlich keine nennenswerten innenpolitischen Erfolge vorzuweisen.1 Deshalb will er sich vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik auszeichnen. Hier versucht er, die Vision von Größe auszuleben, die er sich im Klub der afrikanischen Staatschefs beimisst.

Von Letzteren sind die meisten außerhalb ihrer Länder gänzlich ohne Einfluss und auch weitgehend unbekannt. Präsident Wade führt mit Vorliebe jenen Mythos im Munde, dem zufolge der Senegal das „älteste Schaufenster der Demokratie in Afrika“ ist. Also bläst er zum „Kreuzzug für die Demokratie“. Das ist neben dem Loblied auf den Wirtschaftsliberalismus das Hauptthema seiner diplomatischen Aktivitäten.

Seine Gefolgsleute sehen in seiner Außenpolitik eine „mutige, neue afrikanische Diplomatie ohne Komplexe“ am Werke. Staatsminister und Präsidialamtsleiter Idrissa Seck rühmte im September 2001 die „außerordentliche Aufwertung des diplomatischen Profils der Republik Senegal und eine klarere Ausrichtung ihrer Politik auf die Probleme des Kontinents und der Welt“. Seine Kritiker dagegen rügen eine „Mediendiplomatie, die unter westlicher Regie betrieben“ werde, und zeigen sich besorgt über die häufigen außenpolitischen Alleingänge des Präsidenten.

Die stärkste Kontroverse löste der senegalesische Präsident im Zusammenhang mit der politischen Krise aus, die durch die Präsidentschaftswahlen auf Madagaskar am 16. Dezember 2001 in Gang gesetzt wurde und bis heute andauert.2 Wades Plädoyer für eine Anerkennung des gewählten madegassischen Präsidenten Marc Ravalomanana, vorgetragen auf dem letzten Gipfeltreffen der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) im Juli 2002 in Durban, wurde von seinen Amtskollegen öffentlich missbilligt. Bei einem Gespräch der Staatschefs hinter verschlossenen Türen kam es zu einem heftigen Disput zwischen dem senegalesischen Präsidenten und Nigerias Staatsoberhaupt Obasanjo. Unter Hinweis auf die Unterstützung, die Ravalomanana durch Länder wie die USA, Japan, Norwegen und Frankreich erfahren habe, forderte Wade dessen Anerkennung durch die Afrikanische Union, die in Dakar gerade gegründet worden war.

In schneidendem Ton stellte ihm Obasanjo daraufhin die Frage, „welches uneingestandene Interesse an Madagaskar“ ihn veranlasse, den Beschluss des Exekutivorgans der OAU vom 21. Juni 2002 in Addis Abeba zu missachten, das beiden Präsidentschaftskandidaten – Marc Ravalomanana und Didier Ratsiraka – die Anerkennung verweigerte und Neuwahlen verlangte. Selbst Omar Bongo, der sonst so besonnene und zurückhaltende Präsident Gabuns, der seit langem enge Beziehungen zu seinem senegalesischen Amtskollegen pflegt, sah sich genötigt, die Resolution der OAU gegen Wade zu unterstützen.

Daraufhin leistete sich Wade im Auditorium des Konferenzzentrums von Durban vor einer völlig perplexen Zuhörerschaft einen beispiellosen Wutausbruch, nicht ohne nebenbei, „mehrere Telefongespräche mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush“ zu erwähnen. Am Schluss seines Redebeitrags ließ er sich zu der wenig diplomatischen Bemerkung hinreißen: „Ich behaupte, dass ich einer der wenigen Staatspräsidenten Afrikas bin, der nach Recht und Gesetz und in einem nachprüfbaren Verfahren gewählt wurde, während sich nicht wenige hier im Saal die Macht in ihrem Land durch einen Putsch verschafft haben.“ Damit schien Wade sich unter seinen Amtskollegen endgültig ins Abseits geredet zu haben. Mit einer letzten Wortmeldung entschuldigte er sich bei den Versammelten für seine Entgleisung. Ohne das Ende des Gipfels abzuwarten, verließ er Durban am nächsten Morgen um sechs Uhr.

An seiner Position hält Wade allerdings fest, indem er behauptet: „In Sachen Madagaskar ist ganz Afrika im Irrtum, aus welchen Gründen auch immer. Die zahlreichen Freunde des früheren Präsidenten von Madagaskar wollten mit ihrer Fehlinterpretation der Erklärung von Algier3 den Ausschluss von Ravalomanana durchsetzen.“

Auch wenn bis dato eine sehr breite Mehrheit unter den afrikanischen Staaten die Rechtmäßigkeit der Amtsübernahme durch Ravalomanana noch nicht anerkannt habe, so seien doch „die Ereignisse uns zuvorgekommen“, schließlich sei der neu gewählte Präsident von UN-Generalsekretär Annan zum Weltgipfel von Johannesburg im August 2002 eingeladen worden.

Dennoch wurde Madagaskar von der neu geschaffenen Afrikanischen Union, die am 9. Juli 2002 in Durban zu ihrer konstituierenden Versammlung zusammentrat, nicht als Vollmitglied aufgenommen. Die Union war der Ansicht, dass die Umstände der Wahl Ravalomananas zum neuen Staatschef keinesfalls demokratischen Regeln entsprachen, und verlangte eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen. Präsident Wade wie auch der Staatschef von Burkina Faso, Blaise Compaoré, reagierten auf diesen Beschluss mit Verärgerung und bestanden gegenüber Gastgeber Mbeki, dem amtierenden Vorsitzenden der Union, auf der umgehenden Aufnahme Madagaskars in die Gemeinschaft.4

„Robert Mugabe, der gegenwärtige Staatschef Simbabwes, sowie einige andere, noch amtierende Staatsoberhäupter – die er wegen ihrer langen Machtausübung Brontokraten zu titulieren beliebt – sind die bevorzugte Zielscheibe für die Urteile und Belehrungen, die Herr Rechtsanwalt Wade in Sachen Demokratie von sich gibt“, spottet ein westafrikanischer Minister.

Tatsächlich war Wade der einzige afrikanische Präsident, der offen den korrekten Ablauf der Wiederwahl des impulsiven und jähzornigen Robert Mugabe 2001 angezweifelt hatte; und die Wahlen in Simbabwe fanden in der Tat unter höchst zweifelhaften Bedingungen statt.5 Aber weder der Südafrikaner Mbeki noch der Nigerianer Obasanjo – die beide offiziell Beobachter zu den Wahlen nach Harare entsandt hatten – zogen das Wahlergebnis in Zweifel. „Das Problem unseres Rechtsgelehrten“, so der erwähnte Minister, „besteht darin, dass er sich als Erbe von Montesquieu und dessen Geist der Gesetze begreift und sich gleichzeitig wie ein Abgesandter von Downing Street und Weißem Haus für Afrika aufführt.“

Der letzte Marxist

AM Rande des G-8-Treffens im Juli 2002 ist Wade sogar so weit gegangen, Mugabe einen Diktator zu nennen. Zu diesen Beschuldigungen erklärte der Außenminister von Simbabwe, Stanislas Mudenge: „Die Position des senegalesischen Präsidenten ist vor allem durch die westlichen Medien beeinflusst, die Simbabwe feindselig gegenüberstehen, weil sie die Partei der weißen englischen Farmer ergreifen.“6 Mit zehn weiteren afrikanischen Ländern habe man auch Dakar aufgefordert, Beobachter nach Simbabwe zu entsenden, der Senegal sei dazu allerdings nicht bereit gewesen. Daraus zieht Mudenge den Schluss, dass „der Präsident des Senegal eine sehr einseitige Position vertritt. Er will das Wohlwollen westlicher Länder – allen voran der Vereinigten Staaten – in Form finanzieller Hilfen erlangen und in Afrika die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus verbreiten, die unseren Ländern seit über zehn Jahren nichts als eine Verschärfung ihrer Probleme gebracht hat.“

Präsident Wade weist die von Mudenge vorgebrachten Beschuldigungen zurück, er stehe in Kontakt mit dem simbabwischen Oppositionsführer Morgan Tsvangirai: „Meine Einstellung in dieser Frage beruht nicht auf Ideologie, auch wenn ich mich im Gegensatz zu Mugabes ideologischen Optionen befinde, der bekanntlich der letzte Marxist in Afrika ist.“

Allein steht Wade auch mit einer anderen Äußerung, die in afrikanischen Führungskreisen für Aufruhr sorgte: Auf dem Weltgipfel gegen den Rassismus in Durban im September 2001 war er der Einzige, der sich öffentlich gegen jegliche Entschädigungsforderung an westliche Länder als Verantwortliche für Sklavenhandel und Kolonialismus aussprach.

Nicht wenige Beobachter sind der Ansicht, dass die damals angerichteten Verheerungen nach wie vor das Schicksal Afrikas bestimmen, auch wenn die handelnden Personen – Weiße wie Schwarze – längst nicht mehr leben. „Ich bin dagegen“, empört sich demgegenüber der senegalesische Präsident. „Wenn andere Entschädigungen verlangen, ist das ihr gutes Recht. Für mich wäre es aber beleidigend, wenn man mich auch nur fragte, wie viel man mir geben müsse, damit ich die Sklaverei vergesse.“7

Diese Entschädigungsdiskussion und der arabische Resolutionsentwurf, in dem Israel als „zionistischer Staat“ bezeichnet wurde, veranlasste bekanntlich die Vereinigten Staaten, den Gipfel von Durban zu boykottieren.

Dass der Senegal nach der Pfeife der Amerikaner tanzt, ist in Afrika gängige Meinung. „Wade spielt lieber im Hof des Weißen Hauses als im Hof des Élysée-Palasts. Das französische Präsidialamt ist ihm nicht wählerisch genug mit seinen Gästen aus Afrika“, sagt dazu der bereits zitierte Minister. Ob man dies nun als Botmäßigkeit gegenüber dem US-Präsidenten bezeichnet oder nicht, jedenfalls decken sich die politischen Positionen des Senegal häufig mit denen Washingtons.

Auf derlei Kritik antwortet der senegalesische Präsident schlicht und einfach, dass ihm seine politische Macht vor allem aus der Legitimität seines Amtes erwachse. „Mein politischer Werdegang steht einzig da, weil ich niemandem etwas schuldig bin; mein Volk hat mich aus freien Stücken und ohne Druck von außen ins Amt gebracht. Dass manch einer, der durch offensichtliche Verfälschung des Volkswillens Präsident geworden ist, das Interesse hat, den Großmächten schöne Augen zu machen, ist durchaus möglich. Aber auf mich trifft das überhaupt nicht zu.“

Präsident Wade scheint besessen von dem Wunsch, seinem Land auf der internationalen Bühne spektakuläre Auftritte zu verschaffen und vielleicht auch, sich selbst mit Ruhm zu bedecken. Das Ansehen Senegals in der Welt ist nicht ganz unbegründet. Es basiert vielmehr, wie uns der Präsident versichert, auf „der Mühelosigkeit, mit der sich unser Land harmonisch in internationale Beziehungen einfügt“. Zum Beweis führt er an, dass er seit seinem Amtsantritt „in kurzer Zeit dreimal von Jacques Chirac empfangen wurde – und zweimal von Präsident Bush, der mich und meine Delegation beim zweiten Besuch im Weißen Haus nicht einfach in ein Büro, sondern in einen intimeren Salon gebeten hat, wo seine engsten Mitarbeiter zugegen waren, darunter auch Colin Powell“.

Aus der engeren Umgebung des senegalesischen Staatsoberhaupts hört man aber Kritik an den Scharen politischer Berater, die ein angesehener Journalist einer in Paris erscheinenden panafrikanischen Zeitung als „Schranzen“ bezeichnet. Ansonsten aber tragen Presse und internationale Medien eher zu Wades Isolation unter seinen Amtskollegen bei, wenn sie sich über seine offenherzige Redeweise in Lob ergehen.

dt. Rolf Schubert

* Journalist bei Radio France International, Paris.

Fußnoten: 1 Vgl. Anne-Cécile Robert, „Le Sénégal attend le grand changement“, Le Monde diplomatique, Februar 2002. 2 Vgl. Jean-Aimé Rakotoarisoa, „Die Revanche der Geschichte“, Le Monde diplomatique, März 2002. 3 Resolution der OAU zur Frage der Legitimität politischer Machtübernahme. 4 Der Beschluss über den einstweiligen Ausschluss Madagaskars traf auch deswegen im Auditorium auf Bedenken, weil UN-Generalsekretär Kofi Annan offen die kaum mit den Menschenrechten zu vereinbarenden politischen Praktiken einiger der in Durban versammelten Staatschefs ansprach. Dazu: Tania Vasconcelos, „Defi continental“, Le Nouvel Afrique-Asie, Nr. 156, September 2002. 5 Vgl. Colette Braeckman, „Günstlingswirtschaft als Landreform“, Le Monde diplomatique, Mai 2002. 6 Mugabe ging gewaltsam gegen Tausende weißer Farmer vor, die nach wie vor über das beste Ackerland in Simbabwe verfügen. Siehe Colette Braeckman, a. a. O. 7 Le Figaro, 31. August 2001.

Le Monde diplomatique vom 11.10.2002, von ASSANE FALL-DIOP