11.10.2002

Und der Samen wird köstliche Früchte tragen

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Und der Samen wird köstliche Früchte tragen

Von JUAN GOYTISOLO *

IN den vergangenen sechs Jahren, seit dem Sieg des Partido Popular unter José María Aznar, hat das 1928 gegründete Opus Dei1 allmählich in Spanien die Macht wiedererlangt, die es in den Zeiten seit dem demokratischen Übergang 1975 eingebüßt hatte. Viele Mitglieder und Sympathisanten des Opus Dei bekleiden heute wieder hohe Posten in Wirtschaft und Regierung, weshalb der „Vertrauliche Bericht über die Geheimorganisation Opus Dei“ von 1943 heute auf breites Interesse stößt. Verfasst wurde er von der Falange (der faschistischen Partei Spaniens), die mit dem Opus Dei zu jener Zeit einen erbitterten Kampf um die Macht innerhalb der Franco-Diktatur führte. In diesem Bericht wird der Lebenswandel des Opus-Dei-Gründers, Monsignore Escrivá de Balaguer, als wenig vorbildlich beschrieben, er selbst als verleumderisch, als jemand, der „in Worten und Taten ein doppeltes Spiel“ treibe und sich durch „weinerliche, theatralische Frömmigkeit, mangelnde Natürlichkeit und ein heuchlerisches, verkrampftes Benehmen“ auszeichne. Diese Unterstellungen waren bekanntlich kein Hindernis für die fulminante Karriere, die Monsignore zunächst auf Erden (der Opus-Dei-Gründer hatte von seinem Freund, General Franco, den Titel Marqués de Peralta erhalten), später im Himmel machte: Seine Seligsprechung erfolgte 1982, nur sieben Jahre nach seinem Tod, die Heiligsprechung am 6. Oktober 2002.

Leser, die am Leben des Neuheiligen Escrivá interessiert sind, werden in zahlreichen Büchern2 und in vom Opus Dei herausgegebenen Hagiographien eine Fülle von – freilich einander widersprechenden – Kommentaren zu seinen Worten und Werken finden. Nicht weniger aufschlussreich sind einige filmische Dokumente, die von seiner Person überliefert sind und die etwa sein Erscheinen im schwarzen Cadillac dokumentieren. Meine eigenwillige, in den Roman „Carajicomedia“ („Sakrikomödie“) eingeflossene Interpretation der Maximen des Opus-Dei-Gründers – aus ihnen besteht sein in mehr als vierzig Sprachen übersetztes Hauptwerk „Der Weg“3 – wirft ein neues Licht auf den umstrittenen Monsignore. Nach meinem privaten Kodex der Heiligkeit sind die Beweise und Argumente für seine Heiligsprechung solide und unangreifbar.

Der Begründer des Opus Dei war zweifellos aus dem Holz, aus dem man Heilige schnitzt. Seine Aufzeichnungen „Der Weg“ entstanden während des spanischen Bürgerkriegs (1936–1939). In einer der wenigen autobiografischen Passagen des Buches schwärmt der Autor von den Augenblicken „nobler und frohgemuter Kameraderie“ im Kreis der Offiziere, bei denen er das Lied von einem „Leutnantlein mit braunem Schnauz“ hörte. Darin heißt es: „Geteilte Herzen / die lieb ich nicht / und wenn ich meines schenke / so schenke ich es ganz“ (Maxime 145)3 . In Escrivás Buch spiegelt sich das patriotische Feuer jener Zeit – „Der Krieg ist das größte Hindernis auf dem leichten Weg, aber wir werden ihn schließlich lieben müssen, wie der Gläubige die Geißel“ (311; Hervorhebung J. G.) – , und natürlich seine glühende Verehrung für den „Caudillo“ Franco: „Du … geringschätzig? Gegenüber der Masse …? Du bist nun einmal zum Caudillo geboren!“ (16). Dank der „patriotischen Leidenschaft“ (903) im Kampf gegen den „Voltaireismus in Puderperücke oder die abgehalfterte Freigeisterei des 19. Jahrhunderts“ (849) wird „Spanien zu der früheren Größe seiner Heiligen, seiner Gelehrten und seiner Helden zurückfinden“ (Einleitung vom 19. März 1939).

Während „Der Weg“ jedoch hinsichtlich dieser und einiger anderer Aspekte – etwa seiner hohen Wertschätzung für die Rolle der Frau in der christlichen Gesellschaft: „Die Frauen müssen nicht unbedingt gebildet sein; es reicht, wenn sie geistreich sind“ (946) – längst Gegenstand gelehrter Untersuchungen geworden ist, vermisse ich eine Analyse der, wie man sagen könnte: „Libido“ des Textes, jener heiligen Besonderheit, die dieser Thomas a Kempis der Moderne, wie man Escrivá genannt hat, in Maxime 28 ausgemalt hat: „Während die Nahrungsaufnahme ein Erfordernis jedes Individuums ist, ist die Fortpflanzung ein Erfordernis der Gattung, mit dem sich die besonderen Individuen nicht befassen müssen.“ Wie wir sehen werden, können die „Besonderen“ – die sich nicht mit Fortpflanzung befassen müssen, sondern im Lorca‘schen Sinne „erfassen“ können – in „Der Weg“ die herrlichsten Maximen finden und sich in ihren heiligen Begierden und Eingebungen getröstet fühlen.

Eines ist offenkundig: Der Begründer des Opus Dei schätzt stramme Männlichkeit und äußert offen seine Verachtung für all jene, die dieser entbehren und „zart und zuckersüß sind wie Meringue“. Einige Beispiele: „Lass dieses kindische, frivole Gehampel und Getue. Sei mannhaft“ (3). „Sei kernig. Sei stramm. Sei ein ganzer Mann“ (22). „Schämst du dich nicht, so wenig männlich zu sein, selbst in deinen Schwächen?“ (50).

Die Kraft und Stärke, die der Monsignore predigt, gilt für alle Bereiche des spirituellen wie des Gefühlslebens. „Wer hat dir gesagt, dass es unmännlich sei, die Novenen zu begehen?“ (574). Das Gebet, betont er mehrfach, habe kraftvoll und männlich zu sein (691), und die Tränen bei der Anrufung der himmlischen Heerscharen sollen gleichermaßen mannhaft und feurig fließen (216). Daher ziemt es sich, ein Verhalten an den Tag zu legen, das keinen Anlass zu Gerede bietet. „Wenn du nicht mannhaft bist und … normal“, teilt er mit und grenzt damit das Gebiet der angeratenen „Besonderheit“ ein, „wirst du kein Apostel sein, sondern ein lächerlicher Hanswurst“ (877).

Es ist – bei allen Ermahnungen zur Klugheit – ein schlüpfriges Terrain. Die „Ergüsse der Zärtlichkeit“ und das Gefühl, das der Herr in die mannhafte Brust derer gelegt hat, die auf dem rechten Weg wandeln wollen, müssen an Christus gerichtet sein. Und mit der Weisheit des Einsichtigen und in derlei Anfechtungen Erfahrenen flüstert der Pater seinem Leser ins Ohr: „Wenn du einmal eins der Schlösser deines Herzens – und sieben Schlösser brauchst du – geöffnet hattest, blieb vielleicht an deinem übernatürlichen Horizont ein Wölkchen des Zweifels hängen … und trotz der Reinheit deiner Absichten quält dich jetzt die Frage: Sollte ich zu weit gegangen sein in den äußerlichen Beweisen meiner Zuneigung?“ (161). Da es sich um eine Kongregation handelt, in der strikte Geschlechtertrennung herrscht, ist der Adressat jener Ergüsse und Liebesbeweise unschwer zu erraten. Doch die Sorgen und Ängste, die den „Besonderen“ im Schoße der mannhaften Heerschar des Opus Dei zusetzen, werden endlich von „heiliger Unverschämtheit“ überwunden werden.

Der kundige Leser, insbesondere wenn er „auf dem Gebiet des hinduistischen Tantras bewandert ist“, wird wie ich die „eilfertigen, ausufernden Ergüsse“ in Monsignore Escrivás Maximen genießen. Obwohl seine Prosa erschütternd armselig, nicht selten grobschlächtig und im Denken verblüffend schlicht ist (vom heiligen Johannes vom Kreuz und der heiligen Teresa von Avila sind wir Lichtjahre entfernt), wirkt sein Sermon (für all jene zumindest, die ihn „erfassen“ können) durchaus aufmunternd. Vorausgesetzt, wir halten uns an die – im Überfluss vorhandenen – Stellen, in denen das Unterbewusste des Autors zutage tritt.

Man muss kein Freud-Spezialist und kein geschulter Psychoanalytiker sein, um die sich durch das gesamte Buch ziehenden Metaphern zu würdigen: „Ermanne dich, auf dass mit Gottes Gnade dein Wille ein Stahlsporn sei“ (615), „ein stählerner Schlögel in einem gepolsterten Futteral“ (397) etc. Zärtlich rügt der Pater den Schüler: „Ein armseliges Werkzeug bist du“ (473), und ermahnt ihn, einsichtig und beherrscht zu handeln. „Sei Werkzeug … groß oder klein, fein oder grob: deine Pflicht ist es, Werkzeug zu sein“ (484). Und gibt nachdrücklich zu verstehen: „Die Werkzeuge dürfen nicht rostig sein“ (486).

Die Warnungen und Ratschläge des neuen Heiligen bieten auf Schritt und Tritt eine köstliche, tantrische Lektüre. „Wie willst du ohne Führung die Festung deines Heiligseins errichten?“ (60), fragt er den Schüler. „Du und ich, wir wollen uns geben und geben ohne zu geizen“ (468).

Doch der Weg zur Heiligkeit besteht nicht nur aus Honig und Rosenknospen: „Ein Stich – und noch einer. Und noch einer –. Ertrage sie, Mann! Siehst du nicht, dass du so winzig bist, dass du in deinem Leben – auf deinem kurzen Weg – als Opfergaben nur diese kleinen Kreuze besitzest?“ (885). Die schon in der ersten Maxime angemahnte, vorrangige Bemühung, etwas „anzustauen“, macht es möglich, dass sich das Gebet des Katechumen „in einem stillen und breiten Strom“ (145) ergießt. „Dies ist eine starke und ergiebige Frömmigkeit!“ (585), ruft er aus. Und der Samen, gütiger Himmel, „wird, eifrig begossen, wachsen und köstliche Früchte tragen“ (119).

Wer eingeweiht ist in die Mysterien, die zur Gnade führen, muss die Prüfungen mit männlicher Standhaftigkeit ertragen. „Das schmerzt, nicht wahr? Was denkst du, Mann! Genau darum hat es dich dort getroffen“ (158). Doch die Belohnung folgt auf dem Fuße: „Und alsbald wird der Schmerz freudigem Frieden weichen“ (256). „Man möchte lauthals singen!, sagte eine verliebte Seele beim Anblick der Wunder, die der Herr für ihre Dienste gewirkt hat“ (524).

Selbstverständlich erlaubt ein Werk wie „Der Weg“ eine Vielzahl äußerst ersprießlicher Lesarten, die sich von meiner unterscheiden. Auch wir, die „Besonderen“ dieser Erde, erhalten darin tröstende Hinweise, sodass wir auf unserem mit Rosen und Dornen übersäten Weg nicht fehlgehen. Aus diesem Grund – und in Einklang mit dem Vorschlag der glorreichen Schwestern von der Ewigen Hilfe in meinem Roman – feiern wir am 6. Oktober freudig den Aufstieg von Monsignore Escrivá de Balaguer in die höchsten Sphären des Himmels.

aus dem Span. von Christian Hansen

* Spanischer Schriftsteller. Der Text ist die Überarbeitung einer Rede, die Goytisolo anlässlich der Vorstellung seines Buches „Carajicomedia“ (Barcelona, Seix Barral, 2000) gehalten hat. Im Zentrum des Romans stehen die erotischen Abenteuer von Bruder Bugeo Montesino.

Fußnoten: 1 Im Internet: Die Homepage des Opus Dei, ein Muss für alle am Thema Interessierten (dort heißt Monsignore volksnah Josefmaria E. B.): www.opusdei.org. Sodann die Homepage des Evangelischen Infodienstes: www.relinfo.ch/opusdei/info.html. 2 Vgl. u. a. Peter Hertel, „Schleichende Übernahme. Josemaría Escrivá, sein Opus Dei und die Macht im Vatikan“, Oberursel (Publik Forum Verlag) 2002; Klaus Kienzler, „Der religiöse Fundamentalismus. Christentum – Judentum – Islam, München (C. H. Beck) 1996. 3 Josemaría Escrivá Balaguer, „Der Weg“, Köln (Adamas Buchversand: www.adamasverlag.de) o. J. Die Maximen wurden für diesen Artikel direkt aus dem spanischen Originaltext übersetzt.

Le Monde diplomatique vom 11.10.2002, von JUAN GOYTISOLO