15.11.2002

Hawala und Tansanit

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Hawala und Tansanit

MITTE Oktober hat der Council on Foreign Relations einen Bericht über die „Finanzierung des Terrorismus“ vorgelegt. Darin werden schwere Beschuldigungen gegen Riad erhoben: „Seit Jahren wurde al-Qaida von einflussreichen saudischen Persönlichkeiten massiv unterstützt, und seit Jahren haben die offiziellen Stellen in Saudi-Arabien dieses Problem ignoriert.“ Dieser Bericht belegt nicht nur, wie sehr die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien gestört sind. Er zeigt auch, wie schwer der Terrorismus finanziell auszutrocknen ist. Gruppen wie al-Qaida haben ihre eigenen Geldkanäle. Aber sie sind auch mit den Techniken klandestiner Geldbewegungen vertraut, in die sie von ihren früheren Partnern bei den US-amerikanischen und britischen Geheimdiensten eingeweiht wurden.

Von JOHN K. COOLEY *

Im August dieses Jahres haben über 500 Personen eine zivilrechtliche Entschädigungsklage eingereicht: Überlebende des Attentats vom 11. September gemeinsam mit Angehörigen von Opfern. Diese Privatinitiative, bei der es um mehrere Milliarden Dollar geht, gehört zwar nicht offiziell zu den rastlosen Bemühungen der Regierung von Präsident Bush, dem Netzwerk von al-Qaida finanziell das Wasser abzugraben, doch sie ist ein ergänzender und nicht unwichtiger Beitrag. Und sie zeigt zugleich an, welchen Tiefpunkt die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur arabischen Welt erreicht haben – vor allem zu ihrem langjährigen Verbündeten Saudi-Arabien.

Die Privatklage richtet sich gegen sieben internationale Banken, gegen acht islamische Stiftungen oder Wohltätigkeitsvereine und deren Filialen, gegen einzelne Geldgeber aus dem Nahen Osten, gegen die saudische Firmengruppe Bin Ladens, drei hochrangige saudische Prinzen und die sudanesische Regierung. Sie alle werden beschuldigt, Ussama Bin Laden, al-Qaida und die Taliban finanziert zu haben. Verfasst wurde die Klage der Familien und der Heerschar teurer US-amerikanischer Anwälte in einer „patriotischen“ und triumphalistischen Sprache, die an die Rhetorik von Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld erinnert. Da heißt es etwa, man müsse „die dunkle Unterseite der grausamen Akte des 11. September aufdecken, damit die Übeltäter sich nirgends verstecken und ihrer Verantwortung entziehen können“. Oder man gelobt großspurig: „Wir werden die finanzielle Pipeline kappen, durch die der Terrorismus hierzulande und in der ganzen Welt seine Gelder bezieht.“1

Die Liste der angeklagten Individuen und Institutionen stammt offenbar im Wesentlichen aus einem Bericht vom Juli 2001, den der Pariser Anwalt Jean-Charles Brisard für die französischen Geheimdienste angefertigt hat.2 Sie war in den westlichen Ländern vor und nach dem 11. September durchgesickert. Brisard geht davon aus, dass al-Qaida direkt oder indirekt durch ein weltweites Netz von über 400 Einzelpersonen und 500 Firmen und Organisationen unterstützt wird. Die interessantesten Namen, die nun auf der Liste der New Yorker Kläger neu auftauchen, sind die von Prinz Turki al-Faisal al-Saud (ehemaliger Chef des saudischen Geheimdienstes) und Sultan bin Abdul Asis al-Saud (saudischer Luftfahrt- und Verteidigungsminister). Beide spielten eine Schlüsselrolle bei der massiven Hilfe, mit der die saudische Königsfamilie, zwischen 1979 und 1989 (in enger Zusammenarbeit mit Pakistan und der CIA) den Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan unterstützt hat.

Die von den USA und Pakistan ausgebildeten Veteranen dieses Dschihad, wie auch der Kämpfer, die von ihnen ausgebildet wurden, verstreuten sich in den Neunzigerjahren nach dem Sieg über die Sowjetunion über die gesamte islamische und westliche Welt und entwickelten sich zur ersten Generation des islamistischen Terrorismus. Die Klage unterstellt eine Verbindung zwischen den beiden saudischen Prinzen und den afghanischen Gotteskriegern und folglich auch zu al-Qaida. So habe Prinz Turki – dessen Geheimdienst parallel zur CIA die antisowjetischen Islamisten unterstützte – 1998 sein Plazet gegeben, Ussama Bin Laden und andere Al-Qaida-Mitglieder nicht aus Afghanistan auszuliefern.

6 Millionen Dollar für al-Qaida

ZUDEM habe er den Taliban großzügige Unterstützung gewährt und dafür von Bin Laden die Zusicherung erhalten, seine Organisation werde das saudische Regime nicht angreifen. Dem zweiten Beschuldigten, Prinz Sultan, wird vorgeworfen, seit 1994 an vier wohltätige Stiftungen, die al-Qaida finanzieren, mindestens 6 Millionen gespendet zu haben.

Die öffentliche Ankündigung dieser Privatklage hat die saudisch-amerikanischen Beziehungen deutlich belastet, zumal nur zwei Tage zuvor der Inhalt eines Papieres (briefing paper) bekannt geworden war, das ein Mitarbeiter der Rand Corporation für das Pentagon verfasst hatte. Saudi-Arabien – das in der für die Bush-Ära typischen manichäischen Rhetorik „als Kern des Übels“ beschrieben wird – habe seine Position diametral verändert, weshalb die US-Regierung die erreichbaren saudischen Geldguthaben zu beschlagnahmen und die volle Kontrolle über das saudische Öl zu übernehmen habe. Seine Begründung: Das saudische Regime habe sich aus einem Verbündeten in einen „Feind“ Washingtons verwandelt.3

Trotz eines Dementis aus dem Weißen Haus wurde in der saudischen Presse die Befürchtung laut, die Guthaben des Königreiches in den USA, die sich auf mehrere hundert Milliarden Dollar belaufen dürften, könnten eingefroren oder konfisziert werden. Nach Aussagen von Yussef Ibrahim, Mitarbeiter des Council on Foreign Relations, hat die Durchleuchtung der Bankkonten dutzender saudischer Firmen und Personen, die man als Finanziers von al-Qaida verdächtigte, die saudischen Kaufleute und Banker derart alarmiert, dass sie in den letzten Monaten mindestens 200 Milliarden Dollar aus den USA abgezogen haben. Und Ibrahim prophezeite, dass die Milliardenklage in den USA bei saudischen und anderen arabischen Investoren die Neigung verstärken werde, ihre Gelder und Anlagen in Banken, Aktien, Staatspapieren und Immobilien nach Europa zu verlagern.

Viele Analysten haben da ihre Zweifel. Steve Englander von der Citibank meint: „Wir glauben das eigentlich nicht. Man hört von gewaltigen Summen, fast in Höhe des halben US-Zahlungsbilanzdefizits. Wenn das so gewesen wäre, stünde der Dollar heute nicht beim Kurs von 98 Cents zum Euro.“ Prinz al-Walid ibn Talil, der größte private saudische Investor in US- Unternehmen, versichert zum Beispiel, er werde an all seinen Investitionen in den USA festhalten. Dagegen meint Bishr Bakheet, Chef der Beratungsfirma Bakheet Financial Advisors, dass sich „eine ganze Menge Geld“ von den USA nach Europa, Japan und in den Nahen Osten verlagert habe. Davon zeugen auch die beträchtlichen Umsätze, die in jüngster Zeit auf dem Immobilienmarkt insbesondere in Saudi-Arabien getätigt wurden.

Der Brisard-Bericht macht deutlich, was auch aus vielen offiziellen und privaten Ermittlungen und Gerichtsentscheidungen seit dem 11. September hervorgeht: Die finanzielle Infrastruktur von al-Qaida ähnelt einer „Holdinggesellschaft“ US-amerikanischen oder europäischen Zuschnitts. Es gibt offenbar ein zentrales Management mit hunderten von Filialen und noch weit mehr Subunternehmen, die über die ganze Welt verstreut sind. Und die Liste der Beteiligten reicht von fanatischen Islamisten bis hin zu prominenten Bankern und anderen seriösen Geschäftsleuten und Firmen.

Am 24. September 2001 führte Präsident Bush, wie er es selbst formulierte, „einen Schlag gegen das finanzielle Fundament des globalen Terrornetzes“. Er verkündete das Einfrieren der Guthaben von 27 Organisationen und Personen, die der Verbindung zu Bin Laden verdächtigt wurden. Diese Liste ist mittlerweile noch länger geworden als die ursprüngliche des Brisard-Reports. Auf Drängen der USA verabschiedete der UN-Sicherheitsrat mehrere Resolutionen, die alle Staaten verpflichten, mutmaßlichen Terrornetzen jede finanzielle und logistische Unterstützung zu entziehen. Im Oktober 2001 verabschiedete der Kongress in Washington den so genannten USA Patriot Act. Dieses Gesetz erleichtert es dem FBI und anderen polizeilichen Agenturen, Telefone abzuhören, Verdächtige festzuhalten und Anwälte zu überwachen. Diese und andere Beschränkungen der Grund- und Bürgerrechte werden vor allem damit gerechtfertigt, dass man die Geldquellen von al- Qaida aufdecken müsse. Die finanziellen Bestimmungen dieses Allzweckgesetzes enthalten auch das Verbot von anonymen Bankkonten auf dem Gebiet, das der Jurisdiktion der USA unterliegt. Außerdem dürfen US-Banken und Maklerfirmen kein Geld von „Briefkastenbanken“ akzeptieren, die auf Offshore-Territorium gegründet werden zu dem einzigen Zweck, dem Klienten den direkten Kontakt mit staatlich kontrollierten Banken zu ersparen und ihn vor allen offiziellen Nachforschungen zu schützen.

Ende 2001 hatten die Behörden in den USA und anderswo Guthaben im Gesamtwert von 112 Millionen Dollar eingefroren. Aus einem UN-Report vom August 2002 ergibt sich jedoch, dass seit Anfang 2002 nur weitere knapp 10 Millionen Dollar aufgespürt und eingefroren wurden, obwohl die UNO im Januar 2002 Resolution 1 390 verabschiedet hat, mit der die Aktionen gegen al-Qaida auf die ganze Welt ausgedehnt wurden. Die Autoren des UN-Berichts fanden heraus, dass die multinationale Financial Action Task Force (FATF), die 1989 im Kampf gegen die internationale Geldwäsche jeglicher Art entstanden war und die nach dem 11. September auf Verlangen der USA reaktiviert wurde, nicht genügend unternahm, um die Al-Qaida-Vermögenswerte zu identifizieren und zu beschlagnahmen. Bin-Laden-Leute in Nordafrika, im Nahen Osten und in Asien hielten nach wie vor mindestens 30 Millionen Dollar für al-Qaida (einige Experten gehen sogar von bis zu 300 Millionen Dollar aus). Laut dem UN-Bericht befinden sich diese Guthaben und Vermögenswerte in Mauritius, Singapur, Malaysia, auf den Philippinen und in Panama. Weitere Bankkonten wurden unter falschen Namen in Dubai, Hongkong, London und Wien eröffnet. Der UN-Bericht schätzt aber, dass „Spenden“ in Höhe von rund 16 Millionen Dollar bei den weltweiten Kontroll- und Beschlagnahmungsaktionen unentdeckt blieben.4

Ein weiteres Problem wird in den offiziellen Berichten nur allgemein benannt, von professionellen Rechercheuren aber unter vier Augen bestätigt: Die Jagd nach den Al-Qaida-Geldern unter Anleitung des FBI und des US-Finanzministeriums kommt aus zwei Gründen nicht so schnell voran: Erstens haben die Terroristen ihre Bargeldbestände in leicht zu schmuggelnde Wertgegenstände wie Gold oder Edelsteine umgewandelt; zweitens machen sie sich ihr traditionelles Geldtransfersystem zunutze, das man hawala nennt (bzw. hundi in Pakistan und Afghanistan und chop in China). Dabei werden kleine oder große Summen per Telefon mit Hilfe eines vereinbarten Codeworts transferiert, man hinterlässt also weder schriftliche noch elektronische Spuren. Die Beteiligten gleichen dann etwa monatlich ihre Konten aus, ohne die einzelnen Summen dokumentieren zu müssen.

Anfang September 2002 berichtete die Washington Post, dass Al-Qaida- und Taliban-Führer Gold von Pakistan über den Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate in den Sudan geschafft hätten. Den Transport hätten arabische Dhaus oder andere kleine Schiffe besorgt, die auf der traditionellen Schmuggelroute zwischen Karatschi und dem Persischen Golf verkehren; von dort sei es mit gecharterten Flugzeugen nach Khartoum weitergeleitet worden. Bin Laden soll zum Sudan, wo er zwischen 1991 und 1996 gelebt, gearbeitet und Ausbildungslager für Terroristen betrieben hat, noch immer viele geschäftliche Kontakte unterhalten. Zwar wird die somalische Küste und die gesamte Region um das Rote Meer von westlichen Geheimdiensten und Militäreinheiten scharf überwacht, unter anderem von mehreren hundert Mitgliedern einer US-amerikanischen Spezialtruppe (aber auch von Schiffen der deutschen Bundesmarine), doch Transaktionen in den Sudan sind sehr viel schwerer zu kontrollieren.

Daneben gibt es Berichte darüber, dass Opium aus Afghanistan in Gold umgetauscht werde. Der Mohnanbau und der Opiumhandel wurde während des Afghanistankriegs (1979–1989) von der CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI gefördert. Damit verfolgte man zwei Ziele: den Krieg zu finanzieren und die sowjetischen Truppen durch den Kontakt mit den Drogen zu schwächen. In den 1990er-Jahren ging dieses Geschäft an al-Qaida und die Taliban über, die – nach Aussagen pakistanischer Geschäftsleute – von Karatschi aus große Mengen Gold verschickten, das sie für Opium- und Heroinlieferungen an Drogengroßhändler in Zentralasien eingelöst hatten. Aus europäischen Geheimdienstquellen verlautet, einige der gecharterten Flugzeuge, mit denen das Gold und andere Waren für die Taliban und al-Qaida transportiert wurden, habe dem Waffenhändler Wiktor But gehört. Dieser Russe, der angeblich mehr als 50 Privatflugzeuge in den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen hat, wird von US-Experten häufig als „der größte Waffenhändler der Welt“ bezeichnet. Angeblich hat er für die Taliban bereits in der Zeit, als diese noch in Afghanistan an der Macht waren, umfangreiche Waffen- und Medikamententransporte abgewickelt.5

Im August 2002 kündigte die UN-Überwachungsgruppe an, sie werde „Staaten in der Golfregion und in Südasien aufsuchen, um […] Mittel and Wege zu erörtern, wie die Regelungen und Kontrollen in solchen Gegenden umzusetzen sind, in denen ein unreglementierter Gold- und Diamantenhandel existiert“6 . Nach Informationen aus großen Juwelen-Handelsunternehmen wie Zale Corporation und Tiffany & Co. ist inzwischen eine ganz besondere Ware quasi zur Al-Qaida-Währung geworden: ein blauer Edelstein namens Tansanit, der so wertvoll ist wie Diamant und nur in der Gegend des Kilimandscharo in Tansania gefunden wird.

Das Geheimnis der blauen Steine

DARAUFHIN hat die Zale Corporation Anfang 2002 beschlossen, den Stein aus ihren Geschäften zurückzuziehen; andere Firmen taten dasselbe. Don Christian vom Finanzprüfungsunternehmen Price Waterhouse Coopers schätzt, dass „90 Prozent des in Tansania abgebauten Tansanits außer Landes geschmuggelt wird und auf Edelsteinmärkten und in Freihandelszonen wie Dubai, Hongkong, Bangkok und so weiter landet“. Für Christian ist dieser Handel offenbar eine „Finanzierungsquelle mit Verbindungen zu Firmen, die dem Al-Qaida-Netz angehören oder zugeschrieben werden“.7

Erst jüngst stießen die westlichen Nachforschungen auf den zweiten Hauptkanal für Al-Qaida-Gelder, das oben beschriebene hawala-System. Im März 2002 reiste US-Finanzminister Paul O‘Neil mit etwa 30 Experten der US-Geheimdienste und der Finanzpolizei in die Golfstaaten, um herauszufinden, welche Rolle das hawala-System, das Dubai mit Südasien und dem Rest der Welt verbindet, bei der Finanzierung der Attentate vom 11. September und bei anderen Operationen von al-Qaida gespielt haben könnte. Aber natürlich fanden sie in den Suks und den Banken oder anderen Finanzinstitutionen von Dubai nicht einen einzigen Menschen, der zugegeben hätte, dass er weiß, wie hawala funktioniert – geschweige denn, dass er selbst an dem System beteiligt ist.

Die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten haben Washington zugesichert, eine gesetzliche Regelung für den Bereich des „informellen Geldtransfers“ zu verabschieden. Dubai und andere haben dies auch getan. Andere Staaten, allen voran Kuwait, haben schärfere Kontrollen für Überweisungen eingeführt, die über Geldwechselbüros von und zu islamischen Stiftungen laufen, aber auch nach dem O‘Neil-Besuch wurde kaum etwas getan, um diese schärferen Regeln offensiv durchzusetzen. Tatsächlich gibt es so wenige hawala-Experten, dass einer von ihnen – ein ehemaliger britischer Polizeibeamter, der jetzt als Privatdetektiv arbeitet – dreimal nach Washington eingeladen wurde, um die US-Ermittler über das System zu informieren.

Die internationale FATF und ihre US-amerikanischen Helfer konnten vor allem dort lokale Erfolge erzielen, wo Gelder von al-Qaida über Bankkonten gelaufen waren oder elektronische Spuren hinterlassen hatten. Vor kurzem wurden etwa Israel und die karibische Steueroase St. Kitts and Nevis, aber auch der Libanon von der FATF für „sauber“ erklärt. Dagegen gab es für die Russen eine Enttäuschung, als Sergei Osipow, Vizechef der russischen Finanzaufsichtsbehörde, am 18. September 2002 beschieden wurde, man könne Russland noch nicht von der FATF-Liste für „verstärkte Überwachung“ streichen.

Doch am 11. Oktober erfolgte eine überraschende – und bedeutsame – Kehrtwende. Während im UN-Sicherheitsrat noch heftig darüber gestritten wurde, ob die USA einseitig zu einem Irakkrieg ermächtigt seien, erhielt Russland – das als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats ein Vetorecht besitzt – von der FATF die ersehnte Unbedenklichkeitsbescheinigung.8 Außer Russland wurden auch Domenica, Niue und die Marshallinseln entlastet. Auf der „grauen Liste“ der FATF stehen im Oktober 2002 noch folgende Länder: Ägypten, die Cookinseln, Grenada, St. Vincent und die Grenadinen, Guatemala, Birma, Nauru, Nigeria, die Philippinen, die Ukraine und Indonesien, wo zumal nach dem Attentat von Bali zahlreiche mutmaßliche oder tatsächliche Terroristen oder Al-Qaida-Helfer verhaftet wurden.

Noch im September jedoch wurde die Suche nach Al-Qaida-Geldern gebremst durch einen Disput zwischen der FATF und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der die Konkurrenz fürchtet, da er selber schon eigene Ermittlungen betreibt. Obwohl der IWF formell wie informell mit der FATF zusammenarbeitet, behaupteten mehrere IWF-Direktoren, der UN-Report mache erneut deutlich, dass die FATF mit ihrer Überwachungsliste speziell arme Länder treffen wolle, während sie reichere Staaten wie zum Beispiel die Schweiz in Ruhe lasse. Besonders beunruhigt waren die Agenten des FBI und des US-Finanzministeriums, als der IWF ankündigte, er werde der FATF nur dann Hilfe leisten, wenn diese ein Jahr lang kein zusätzliches Land auf die Überwachungsliste setzen würde. Außerdem wurde der Vorwurf laut, der IWF versuche die FATF daran zu hindern, seine Untersuchungen in den Ländern, die bekanntermaßen oder mutmaßlich Verbindungen zu al-Qaida unterhalten, auch auf die Strukturen von Polizei und Justiz auszuweiten.9

Bei den Nachforschungen über al-Qaida gibt es gleichwohl seit Sommer dieses Jahres einige Fortschritte. Im Juli fassten US-Zollbeamte in Detroit einen in Jordanien geborenen Tschetschenen mit amerikanischem Pass namens Omar Shishani, der aus Indonesien kommend 12 Millionen Dollar in professionell gefälschten Zahlungsschecks bei sich trug. Kurz darauf verhaftete die pakistanische Polizei in Karatschi mehrere mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder. Darunter war der Sudanese Sheik Ahmed Saleem, der seit dem Aufenthalt Bin Ladens in Khartoum als dessen Finanzberater fungieren soll.

Weit bedeutsamer für die Nachforschungen war jedoch ein Rechtsstreit, der in London anhängig ist. Im Juni wies das oberste britische Gericht das Finanzministerium an, geheime Dokumente der Bank of England freizugeben, die sich auf den 1991 erfolgten Bankrott der Bank Credit and Commerce International (BCCI) beziehen. Bis Ende Oktober hat sich die Bank of England zu dieser Forderung noch nicht öffentlich geäußert.

Hintergrund der Schweigetaktik ist, dass die zu Teilen sicher bedeutende Rolle der BBCI bei der Finanzierung der Taliban immer noch nicht völlig offen gelegt ist. (Der Feldzug der Taliban wurde von der CIA, dem pakistanischen ISI und dem saudischen Geheimdienst betreut.) Der Gründer der BBCI, der aus Pakistan stammende Hassan Agha Abedi, war mit westlichen Staatsmännern wie US-Präsident Jimmy Carter befreundet, dessen Regierung den Startschuss für den Dschihad gegeben hatte. Gute Kontakte hatte er auch mit Margaret Thatcher, die den Krieg der Taliban ebenso begeistert unterstützt hatte, wie ihr Nachfolger Tony Blair heute den Feldzug der Bush-Regierung gegen den Irak befürwortet. Die Verbindung zwischen den Taliban und Abedi wurde damals von Reagans erstem CIA-Chef William Casey gestiftet. Dessen Nachfolger Robert Gates hat die BCCI einige Jahre später mit dem treffenden Namen „Bank of Crooks and Criminals International“ belegt.

Lange Zeit unterhielt die CIA Geheimkonten bei dubiosen Auslandsbanken. Auf diesen Konten deponierte die saudische Regierung schon vor dem afghanischen Dschihad Geheimgelder, die bevorzugten Kunden wie den Contras in Nicaragua und der Unita in Angola zugute kamen. Inzwischen haben Time und Newsweek, aber auch die „ABC News“ Belege zutage gefördert, wonach Gelder über eine BCCI-Filiale in London und andere Filialen in Pakistan an Informanten und andere „Mitarbeiter“ geflossen sind, von denen etliche direkt mit dem afghanischen Dschihad und den „Paten“ späterer Taliban- und Al-Qaida-Operationen zu tun hatten. In Washington wie in London muss man also befürchten, am Ende könnten sich aus den geheimen Dokumenten neue Beweise für sehr frühe finanzielle Verbindungen zu hohen Al-Qaida-Mitgliedern ergeben – auch zu der Zeit, da Bin Laden seine afghanischen Lager, Bunker und Höhlenquartiere ausbaute, die dann die USA in ihrem „Antiterrorkrieg“ bombardierten.

1993 wurde zur Erleichterung aller Beteiligten der 85-jährige Clark Clifford, Berater aller US-Präsidenten seit Truman, mitsamt seinem Anwaltspartner Robert Altman von der Anklage der Bestechung und verschwörerischer Handlungen freigesprochen, die mit der BCCI und deren US-Filiale First American Bankshares zusammenhingen. Die Untersuchung hat freilich die beiden hochgestellten Amerikaner ebenso wenig diskreditiert wie ihre Dschihad- und Al-Qaida-Verbindungen, die sich vielleicht aus den Dokumenten der Bank of England belegen lassen.

Das aktuelle Dilemma der Bush-Regierung liegt auf der Hand. Während ihr Kampf gegen den Al-Qaida-Terrorismus an der Geldfront stagniert, riskiert sie mit einer effektiven Durchleuchtung von Banken und Finanzinstitutionen in vorwiegend islamischen Ländern, gerade die Regierungen im Nahen Osten vor den Kopf zu stoßen, deren Informationen und Militärstützpunkte sie für die Verfolgung der al-Qaida wie für den Feldzug gegen Saddam Hussein so dringend benötigt.

Der demokratische US-Senator Paul Sarbanes, der dem Bankenausschuss des Senats vorsteht, stellte nach der Verabschiedung des USA Patriot Act fest, dass die beschlossenen restriktiven Bestimmungen noch immer gravierende Schlupflöcher offen lassen. Nach den Regeln des US-Finanzministeriums ist es Banken gestattet, Einzahlungen von einer Offshore-Bank zu akzeptieren, wenn bei Letzterer eine echte Bank auch nur zu einem Viertel beteiligt ist. Nach Sarbanes ist dieses Schlupfloch so groß, dass auch noch ganze Firmen oder zumindest ihre Offshore-Filialen durchschlüpfen können.10

Die Suche der Gelddetektive nach den Schätzen von al-Qaida und ähnlichen Gruppen wird sich wahrscheinlich noch endlos hinziehen. In jedem Fall wird sie länger dauern als die Amtszeit des derzeitigen US-Präsidenten. Aber wie werden die Vorgesetzten der Ermittler in Washington reagieren, wenn sie bei ihrer Suche plötzlich auf einen proamerikanischen Diktator stoßen oder auf einen Elder Statesman vom Kaliber eines Clark Clifford, oder auf eine in Ehren ergraute Parteigröße der Republikaner?

aus dem Engl. von Niels Kadritzke

* Journalist und Schriftsteller. Autor von „Unholy Wars: Afghanistan, America and International Terrorism“, mit einem Vorwort von Edward W. Said, London (Pluto Press) 2002.

Fußnoten: 1 So Thomas E. Burnett, der Vater eines der Passagiere des Fluges United Airlines 93, der mit dem Absturz in Pennsylvania endete, nachdem einige Passagiere versucht hatten, die Flugzeugentführer zu überwältigen. Zitiert nach PR Newswire, United Business Media, New York, vom 15. August 2002. 2 Siehe Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasqué, „Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden“, Zürich (Pendo) 2002. 3 The New York Times, 23. September 2002. 4 The Financial Times, 20. August 2002. 5 Diese Informationen basieren auf einem Bericht von AFP (Washington) vom 3. September 2002 und persönlichen Gesprächen mit dem Autor im Sommer 2002. 6 American Metal Market, 30. Mai 2002, S. 5. 7 „Business Unusual“, Sendung von CNN vom 15. Januar und vom 3. September 2002. 8 Allerdings hat Russland, das schon vor dem terroristischen Überfall auf das Musicaltheater immer wieder Verbindungen zwischen al-Qaida und den Aufständischen in Tschetschenien behauptet hatte, im Februar 2002 eine neue Finanzüberwachungsgruppe etabliert, die seitdem in hunderten von Fällen mit vermutetem terroristischem Hintergrund ermittelt hat. 9 Der IWF ist bereits dabei, diese Systeme zu evaluieren. Siehe dazu „US terror fund drive stalls“, BBC online vom 3. September 2002. 10 Lawrence Malkin und Yuval Eilizur, „Terrorism‘s Money Trail“, World Policy Journal, Cambridge (USA) März 2000.

Le Monde diplomatique vom 15.11.2002, von JOHN K. COOLEY