15.11.2002

Schnell, mobil und tödlich

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Schnell, mobil und tödlich

Mit der Verabschiedung der Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat haben die USA ihr wichtigstes Ziel nicht aufgegeben. Für den harten Kern der Bush-Rgierung steht ein Irakkrieg auch ohne expliziten UN-Beschluss nach wie vor auf der Tagesordnung. Die Cheney-Rumsfeld-Wolfowitz-Achse sieht ihn als Probelauf ihrer Strategie, Kriege gegen „Schurkenstaaten“ als Teil des Feldzugs gegen den Terrorismus zu legitimieren. Langfristig jedoch verfolgen sie ein anderes Ziel: die globale Hegemonie der USA mittels einer neuen Generation von Hightech-Waffen abzusichern. Dazu gehört vor allem die Kontrolle der wichtigsten Ölförderregionen, die im Krisenfall durch schlagkräftige und hoch mobile Einsatztruppen geschützt werden sollen.

Von MICHAEL T. KLARE *

SEIT dem 11. September 2001 sind die USA so ausschließlich mit dem Krieg gegen den Terror beschäftigt, dass man leicht zu dem Schluss kommen könnte, die Regierung Bush verfolge keine darüber hinausgehenden außenpolitischen Ziele. Gewiss hat der Präsident des Öfteren geäußert, dass die Durchführung des globalen Feldzugs gegen den Terror seine wichtigste Verpflichtung sei. Seine Regierung betreibt diesen Feldzug zweifellos mit großem Einsatz, doch dieser ist keineswegs ihr einziges und primäres außenpolitische Anliegen.

Seit ihrem Einzug ins Weiße Haus haben Bushs Leute mit gleicher Intensität zwei weitere Prioritäten verfolgt. Zum einen die Modernisierung und Erweiterung des militärischen Potenzials der USA, zum anderen den Import zusätzlicher Rohölmengen. Beide Ziele waren ursprünglich zwar voneinander unabhängig, doch inzwischen sind sie miteinander wie auch mit dem Krieg gegen den Terror so eng verflochten, dass daraus ein einheitliches strategisches Konzept der US-Außenpolitik geworden ist.

Dieses Konzept hat keinen formellen Titel und wurde nie in einer schriftlichen prinzipiellen Erklärung niedergelegt. Es sieht auch nicht so aus, als habe irgendjemand in Washington eine derartige Vision tatsächlich formuliert. Und doch sind diese drei Prioritäten ganz unzweifelhaft miteinander verquickt und bewirken – als integriertes Konzept – einen entscheidenden Wandel im militärischen Auftreten der Vereinigten Staaten.

Um Qualität und Tragweite dieses Wandels voll erfassen zu können, ist es nützlich, sich die jüngsten Aktionen der USA in einigen wichtigen Regionen vor Augen zu führen.

Da ist zunächst die Golfregion. Niemand zweifelt mehr daran, dass die Bush- Regierung eine vollständige Invasion des Irak vorbereitet, die letztlich darauf abzielt, das Regime Saddam Husseins zu beseitigen und eine proamerikanische Regierung in Bagdad zu installieren. Zur Vorbereitung dieses Feldzugs hat das US-Verteidigungsministerium längst begonnen, die große bereits vorhandene Militärpräsenz am Persischen Golf auszubauen. Angeblich besteht das alleinige Ziel der erwarteten Invasion darin, die noch vorhandenen irakischen Kapazitäten für die Produktion nuklearer, chemischer und biologischer Waffensysteme zu zerstören und zu verhindern, dass diese Waffen in die Hände von Terroristen gelangen. Zugleich geht es offenkundig um etwas anderes: In Washington ist man entschlossen, eine Gefährdung der kontinuierlichen Ölversorgung aus der Golfregion – etwa durch den Irak – auf keinen Fall zuzulassen. Zudem wollen die US-Strategen sicherstellen, dass die riesigen Rohölvorkommen des Irak künftig für US-Ölfirmen zugänglich sind und nicht exklusiv von russischen, chinesischen und europäischen Konzernen kontrolliert werden.

Die zweite Region ist Zentralasien und der Kaukasus. Die Verlegung von US-Truppen in diese Region nach dem 11. September 2001 diente nicht allein, wie damals behauptet wurde, dem Ziel, die militärischen Operationen gegen die Taliban in Afghanistan zu unterstützen, sondern erfüllt noch andere Funktionen. Angesichts des erklärten Interesses der USA, einen Zugang zu den riesigen Energievorkommen der Gegend um das Kaspische Meer zu gewinnen, dürfte eine der Funktionen die sein, die Pipelines zu schützen, die das von dort geförderte Erdöl und Erdgas zu den westlichen Märkten bringen. Für diese Einschätzung sprechen auch zwei andere Entwicklungen:

Zum einen haben die USA vor kurzem Militärberater in Georgien stationiert, das ein wichtiges Durchgangsland für die Öl- und Gaspipelines zwischen Kaspischem Meer und Schwarzem bzw. Mittelmeer ist. Zum andern wollen sie eine ehemalige Luftwaffenbasis an der Küste des Kaspischen Meeres in Kasachstan wieder in Betrieb nehmen.

Die dritte wichtige Region ist Kolumbien. Bis vor kurzem diente das militärische Engagement der USA angeblich nur der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels. Doch in den letzten Monaten hat das Weiße Haus zwei weitere Ziele des US-Hilfsprogramms benannt: erstens den Kampf gegen politische Gewalt und terroristische Aktivitäten der wichtigsten kolumbischen Guerillaorganisationen; zweitens den Schutz der Pipelines, die das Rohöl von den Fördergebieten im Landesinneren zu den Ölterminals und Raffinerien an der Küste transportieren. Zur Finanzierung dieser Aktivitäten hat die Bush-Regierung vom Kongress gefordert, die US-Militärhilfe für Kolumbien aufzustocken – darunter 100 Millionen Dollar speziell für den Schutz der Pipelines.

Diese und vergleichbare Entwicklungen in anderen Weltregionen sind kennzeichnend für die neueste Wende in der US-Außenpolitik. Die drei Prioritäten sind noch klar zu erkennen, doch das Neue und Entscheidende ist erkennbar deren Integration in eine einheitliche Strategie. In Zukunft wird man also die Gesamtrichtung der US-Außenpolitik nur verstehen können, wenn man diesen Integrationsprozess in Rechnung stellt. Dazu muss man die drei Prioritäten zunächst getrennt betrachten und dann analysieren, wie sie sich zusammenfügen.

Das erste angestrebte Ziel besteht wie gesagt darin, die militärischen Potenziale der USA auszubauen. George W. Bush hat dieses Ziel seit seinem Wahlkampf im Jahr 2000 zu einer Priorität erhoben. In der Rede vom 23. September 1999 in der „Zitadelle“ (der berühmten Militärakademie von Charleston, North Carolina) erläuterte Bush seine Pläne für eine „Transformation“ des gesamten Militärs. Die Clinton-Regierung habe die Anpassung der US-Militärstrategie an die durch das Ende des Kalten Krieges veränderten Realitäten versäumt, meinte der damalige republikanische Präsidentschaftskandidat, deshalb werde er eine umfassende Revision der US-Strategie vornehmen und die Aufgabe anpacken, die „Armee für das nächste Jahrhundert“ umzubauen.

Revolution des militärischen Denkens

FÜR diesen Umbau nannte er zwei strategische Hauptziele. Erstens sollte er die Unverwundbarkeit der US-Militärmacht sicherstellen, dazu müsse man ein effektives Raketenabwehrsystem herstellen und die Überlegenheit der USA auf dem Gebiet der Hightech-Waffen aufrechterhalten. Zweitens sollte er die Fähigkeit der USA verbessern, regionale Feindstaaten wie Iran, Irak und Nordkorea anzugreifen und zu erobern.

Um das erste Ziel zu erreichen, wollte Bush sich für den Aufbau eines robusten und umfassenden Raketenabwehrsystems einsetzen. Dieses so genannte National Missile Defense (NMD) Program sollte alle 50 US-Bundesstaaten gegen einen feindlichen Raketenangriff schützen können. Bush machte sich auch das Konzept einer „Revolution militärischen Denkens“ zu Eigen, das auf der systematischen Verwendung von Computern, verbesserten sensorischen Instrumenten, „unsichtbar“ machenden Materialien und anderen Hightech-Elementen beruht. Dies würde, so Bush, die militärische Überlegenheit der USA „bis in die ferne Zukunft hinein“ garantieren.

Um das zweite Ziel zu erreichen, forderte Bush den substanziellen Ausbau der Fähigkeit zur power projection, das heißt: massive Kontingente von US-Streitkräften in weit entfernte Kampfzonen zu entsenden, die in der Lage sind, jeden potenziellen Feind zu besiegen. Dazu müsse man einige neue Hightech-Waffen wie verbesserte Sensorsysteme und unbemannte Flugkörper entwickeln, aber auch vorhandene Kampfeinheiten verschlanken, um sie schneller verlegen zu können. Nach Bush sollten die US-Streitkräfte „im kommenden Jahrhundert agil, tödlich und mobil sein, und das setzt ein Minimum logistischer Unterstützung voraus. Wir müssen in der Lage sein, unser Machtpotenzial über große Entfernungen und innerhalb von Tagen oder Wochen – und nicht Monaten – in Stellung zu bringen. Unsere schweren Streitkräfte zu Lande müssen leichter werden. Unsere leichten Streitkräfte müssen tödlicher werden. Und alle müssen schneller ins Zielgebiet gebracht werden können.“1

Zur Realisierung solch umfassender Ziele forderte Bush eine erhebliche Erhöhung der Militärausgaben und die optimale Nutzung modernster militärischer Technologien. Vor allem diesen letzten Punkt haben die Medien nach der Bush-Rede in der „Zitadelle“ aufgegriffen. Für Bush selbst war der Knackpunkt jedoch die Betonung der Mobilität und der power projection. Entsprechend hat er sofort nach seiner Amtsübernahme das Pentagon angewiesen, sich an die Umsetzung seines angekündigten Programms zu machen. „Ich habe Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein umfassendes Mandat erteilt, eine neue Architektur für die Verteidigung Amerikas und unserer Alliierten zu entwerfen und dabei den Status quo in Frage zu stellen“, erklärte Bush und verwies dabei auf die in der Zitadellen-Rede formulierten Ziele.2

Diese Ziele haben inzwischen ihren Niederschlag in den langfristigen Budgetansätzen des Pentagon gefunden. Bei der Vorstellung des Verteidigungsetats für das Haushaltsjahr 2003 (der mit 379 Milliarden Dollar die Ansätze für 2002 um 4 Milliarden übersteigt) erklärte Verteidigungsminister Rumsfeld: „Wir brauchen schnell einsetzbare, voll integrierte kombinierte Streitkräfte, die in der Lage sind, weit entfernte Kriegsschauplätze schnell zu erreichen und im Zusammenwirken mit unseren Luft- und Seestreitkräften den Gegner schnell, erfolgreich und mit vernichtender Wirkung zu treffen.“3 Zwar sind die zusätzlichen Etatmittel auch für das Raketenabwehrsystem NMD und den Kampf gegen den Terror vorgesehen, aber zweifellos werden die Rüstungsausgaben der USA und die Entwicklung der Streitkräfte die power projection entscheidend bestimmen.

Nach dem 11. September hat die Regierung ein weiteres Element in ihr Strategiekonzept aufgenommen: die Annahme, dass die Vereinigten Staaten fähig sein müssten, militärische Gewalt auch präventiv einzusetzen, um feindliche Mächte am Einsatz von Massenvernichtungswaffen (MVW) zu hindern. Nach der Argumentation des Weißen Hauses könnten solche Präventivaktionen nötig werden, weil der US-amerikanischen Zivilbevölkerung eine große Gefahr droht: der mögliche Einsatz von MVW durch „Schurkenstaaten“, die sich durch das militärische Vergeltungspotenzial der USA nicht abschrecken lassen. Diese Annahme wurde zwar zu Recht als eine bedeutsame Wende im strategischen Denken der USA interpretiert, aber sie ist zugleich mit den beiden anderen verteidigungspolitischen Zielen der Bush-Regierung voll vereinbar: mit dem Ziel, die Unverwundbarkeit der USA gegenüber feindlichen Angriffen sicherzustellen, wie mit dem Ziel, das Potenzial der USA für die Eroberung und Besetzung eines feindlichen Staates zu stärken.

Die zweite außenpolitische Priorität der Bush-Regierung ist die Sicherung zusätzlicher Erdöllieferungen aus ausländischen Quellen. Dieses Ziel wurde erstmals in einem am 16. Mai 2001 von der National Energy Policy Development Group vorgelegten Bericht formuliert. Zentraler Inhalt dieses nach seinem Hauptverfasser so genannten Cheney-Reports ist ein umfassendes Konzept zur Sicherung des wachsenden Energiebedarfs der USA über die nächsten 25 Jahre. Zwar sind darin auch einige Maßnahmen zur verstärkten Schonung von Energiequellen aufgeführt, aber die meisten Vorschläge des Cheney-Reports zielen darauf, die Energieimporte in die Vereinigten Staaten insgesamt auszuweiten.

Dieser Report hat heftige Kontroversen ausgelöst, weil er Ölbohrungen im arktischen Naturpark von Alaska befürwortet und weil seine Verfasser während der Ausarbeitung ihrer Empfehlungen einen regen Gedankenaustausch mit Managern des Energiekonzerns Enron pflegten, der mittlerweile unter skandalösen Umständen zusammengebrochen ist. Doch leider hat diese Kontroverse von einigen anderen Aspekten des Reports abgelenkt – vor allem auch von den Implikationen für die internationale Energiepolitik. Tatsächlich erhellt erst das letzte Kapitel mit dem Titel „Strengthening Global Alliances“ die eigentliche Bedeutung des Cheney-Reports: Hier erfahren wir von den Plänen, das drohende Energiedefizit der USA durch wesentlich erhöhte Öllieferungen aus dem Ausland auszugleichen.

Dem Report zufolge wird der Anteil des importierten Rohöls am Gesamtverbrauch der USA von 2001 bis 2020 von 52 auf schätzungsweise 66 Prozent steigen.4 Weil in diesem Zeitraum der Gesamtverbrauch absolut ebenfalls zunehmen wird, werden damit die Ölimporte der USA im Jahr 2020 um 60 Prozent höher liegen als heute.5 Diese Steigerung setzt freilich voraus, dass man die ausländischen Öllieferanten dazu bringen kann, ihre Produktion zu steigern und einen größeren Anteil ihrer Fördermengen an die USA zu verkaufen. Nun ist es aber so, dass vielen Ölförderländern das Kapital fehlt, um die dafür notwendigen Investitionen in ihre Produktionsanlagen zu tätigen. Auch könnte es sein, dass sie den US-Firmen nicht ohne weiteres eine dominierende Position in ihrem Energiesektor einräumen wollen.

Aus dieser Problematik folgert der Cheney-Report, das Weiße Haus müsse das Streben nach erhöhten Ölimporten zu „einer Priorität unserer Handels- und Außenpolitik“ machen.6 Im Einzelnen werden der Präsident und die zuständigen Regierungsinstanzen aufgefordert, eine Doppelstrategie zu verfolgen, um den wachsenden Rohölbedarf der USA zu befriedigen. Zum einen gelte es, die Importe aus den Ländern der Golfregion zu erhöhen, die zusammen über rund zwei Drittel der bekannten Ölreserven der Welt verfügen. Angesichts der Tatsache, dass die Ölförderung in keiner anderen Region so rasch und massiv erhöht werden kann wie am Persischen Golf, befürwortet der Cheney-Report entschlossene diplomatische Bemühungen der USA, um zu erreichen, dass die Regierungen Saudi-Arabiens und anderer Ölförderländer den US-Unternehmen massive zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur ihrer Länder gestatten.

Zum anderen geht es darum, die Ölimporte der USA geografisch so weit wie möglich zu diversifizieren. Damit soll das ökonomische Risiko reduziert werden, falls es in Zukunft einmal zur Unterbrechung der Ölzufuhr aus dem notorisch unruhigen Nahen Osten kommen sollte. Dazu heißt es in dem Report: „Die Konzentration der Weltölproduktion in einer einzigen Region der Welt trägt potenziell zur Instabilität der Märkte bei“; deshalb müsse man auf „eine größere Diversifizierung der Weltölproduktion“ hinarbeiten.7 Um eine Diversifizierung zu fördern, werden der Präsident und andere Regierungsinstanzen aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den US-Energiekonzernen die Ölimporte aus der Kaspischen Region (insbesondere aus Aserbaidschan und Kasachstan), aus Afrika (insbesondere aus Angola und Nigeria) und aus Lateinamerika (insbesondere aus Kolumbien, Mexiko und Venezuela) zu steigern.

Im Cheney-Report wird nicht offen ausgesprochen, was jeder informierte Leser aus diesem Dokument herauslesen kann: In praktisch allen Gebieten, die als potenzielle Herkunftsregionen zusätzlicher Öllieferungen benannt werden, herrschen seit langem entweder politisch instabile Verhältnisse oder ein ausgeprägter Antiamerikanismus – oder beides. Es stimmt zwar, dass gewisse Eliten in diesen Ländern eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten befürworten, aber andere Teile der Bevölkerung sind – aus nationalistischen, ökonomischen oder ideologischen Beweggründen – dagegen.

Es ist also fast sicher damit zu rechnen, dass die Bemühungen der USA, mehr Öl aus diesen Ländern zu beziehen, politischen Widerstand in dieser oder jener Form provozieren werden – und durchaus auch in Form terroristischer oder anderer gewaltsamer Aktionen. Der Cheney-Report impliziert also sicherheitsrelevante Folgen, die für die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten von erheblicher Bedeutung sind.

Und just in diesem Punkt ergeben sich natürlich ganz auffällige Parallelen zwischen der militärischen Strategie und der Energiepolitik der Bush-Regierung. Ohne zu unterstellen, dass die Regierung diese Parallele bewusst herausarbeiten will, ist doch eines offensichtlich: Eine Energiepolitik, die den verstärkten Zugriff der USA auf Ölvorkommen in chronisch unstabilen Gebieten wie dem Persischen Golf, der Kaspischen Region, Lateinamerika und Schwarzafrika befürwortet, wirkt weitaus realistischer, wenn sie von einer Militärstrategie flankiert ist, die darauf abzielt, das US-amerikanische Potenzial zum militärischen Einsatz in diesen Regionen erheblich aufzustocken.

Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob die hohen politischen Chargen in Washington zu demselben politischen Schluss kommen oder nicht; entscheidend ist die Tatsache, dass hohe US-Militärs ihn bereits gezogen haben. So kann man in einem Beitrag des US-Verteidigungsministeriums in der Quadrennial Defense Review (QDR) vom September 2001 nachlesen: „Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten und Freunde werden auch weiterhin von den Energievorkommen des Nahen Ostens abhängig sein“, wobei es vielfältige militärische Bedrohungsszenarien gebe, die den Zugang zu dieser wichtigen Region gefährden könnten.8

In dem QDR-Beitrag wird weiter dargelegt, welche Waffentypen und militärischen Kräfte die USA benötigen, um ihre Interessen im Nahen Osten und anderen wahrscheinlichen Konfliktzonen zu schützen. Dabei werden exakt jene militärischen Potenziale und Fähigkeiten aufgelistet, die Präsident Bush in seiner Zitadellen-Rede benannt hat. Zusammenfassend heißt es, die Militärstrategie der Vereinigten Staaten beruhe „auf der Annahme, dass die US-Streitkräfte die Fähigkeit besitzen, ihre Machtmittel weltweit einzusetzen. Die Vereinigten Staaten müssen die Fähigkeit bewahren, gut ausgerüstete und logistisch unterstützte Truppen weltweit in kritische Gegenden zu entsenden – im Zweifelsfall auch gegen feindlichen Widerstand …“9

Die dritte Priorität Washingtons, der Kampf gegen den Terrorismus, verdient näheres Hinsehen. In groben Umrissen hat Präsident Bush diesen Kampf in einer Rede erläutert, die er in einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Kongresses am 20. September 2001 gehalten hat, also zehn Tage nach den Terrorangriffen in New York und Washington. Der Kernsatz lautete: „Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit al-Qaida, aber er wird so lange dauern, bis wir jede terroristische Gruppe mit globaler Reichweite aufgespürt, gestoppt und besiegt haben.“ Dieser Feldzug werde keineswegs nach einer Reihe von Strafaktionen oder einer großen Schlacht zu Ende sein. Es handle sich vielmehr um einen „sehr langen Feldzug“ auf vielen Kriegsschauplätzen und in Form offener wie geheimer Aktionen. Und dann folgte die Ankündigung: „Wir werden die Terroristen von ihren Geldmitteln abschneiden, sie gegeneinander aufhetzen, sie von einem Ort zum anderen jagen, bis ihnen kein Zufluchtsort und kein Ruhepunkt mehr bleibt. Und wir werden die Staaten verfolgen, die dem Terrorismus Hilfe leisten oder eine sichere Zuflucht bieten.“10 In späteren Reden hat Präsident Bush dieses Kriegsmandat auf Staaten wie Iran und Irak ausgeweitet, die angeblich eine internationale terroristische Bedrohung darstellen, indem sie atomare, chemische und biologische Waffen herzustellen oder zu erwerben versuchen.

Wie diese Reden und der weitere Gang der Dinge deutlich machen, greift diese Strategie auf zwei Ebenen. Auf der Ebene der nachrichtendienstlichen Aufklärung und Strafverfolgung geht es darum, klandestine Terroristenzellen aufzuspüren und zu zerschlagen; auf der militärischen Ebene hingegen sollen die Schlupfwinkel der Terroristen zerstört und jene Staaten bestraft werden, die ihnen Zuflucht oder andere Formen von Beistand gewähren. Für den Erfolg im Krieg gegen den Terrorismus sind angeblich beide Ebenen entscheidend, doch als die wichtigere Ebene behandeln maßgebliche Akteure der Bush-Regierung die militärische. Es ist kein Zufall, dass gerade dieser Aspekt auch am engsten mit den beiden anderen Strängen der Außen- und Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten verwoben ist. So scheint zum Beispiel in vielen Aspekten des Krieges in Afghanistan genau jenes Modell der power projection auf, das Präsident Bush in seiner Zitadellen-Rede umrissen hat. Zur Vorbereitung des Afghanistanfeldzugs haben die USA per Flugzeug große Mengen von Waffen und militärischer Ausrüstung in befreundete Staaten der Region transportiert und eine mächtige Kriegsflotte im Arabischen Meer stationiert.

Zugang zu den Ölvorkommen

DIE meisten der eigentlichen Kampfeinsätze leisteten leichte Infanterietruppen, die aus der Luft durch mit Präzisionslenkwaffen ausgerüstete Langstreckenbomber unterstützt wurden. Als äußerst wertvoll erwiesen sich dabei die große Beweglichkeit der Kampfeinheiten und der Einsatz moderner elektronischer Überwachungsinstrumente, mit denen man den Feind bei Tag wie bei Nacht lokalisieren konnte.11 Nach allem, was man weiß, spielt dieses Modell auch bei den Planungen des Pentagon für eine Irakinvasion eine Rolle. Bei einer solchen Operation wird man rasch zehntausende US-Soldaten an strategischen Punkten im ganzen Lande absetzen und zugleich permanente Luftangriffe mit Kampfflugzeugen und Raketen führen.

Ein hoher US-Offizier erklärte gegenüber der New York Times, man werde im Vergleich zum Golfkrieg 1991 beweglicher operieren und mehr Luftlandetruppen einsetzen, um bestimmte Ziele einzunehmen; die US-Truppen müssten sich also nicht mehr „Meile um Meile durch die Wüste vorankämpfen“12 . Bei dem geplanten Angriff ist auch vorgesehen, in großem Umfang US-Spezialeinheiten einzusetzen, die wie in Afghanistan mit bewaffneten Dissidentengruppen zusammenarbeiten.

Der Krieg gegen den Terrorismus unterstützt also die Bemühungen, den Zugang zu den entscheidenden Ölvorkommen, vor allem in der Golfregion und am Kaspischen Meer zu sichern. In der Tat kann man den Krieg in Afghanistan als Verlängerung jenes Schattenkrieges sehen, der in Saudi-Arabien zwischen den radikalen Widersachern der saudischen Monarchie und der von den USA unterstützten Königsfamilie im Gange ist. Nachdem König Fahd nach der irakischen Invasion in Kuwait vom August 1990 den USA gestattet hatte, Truppen in seinem Land zu stationieren und sein Territorium als Ausgangsbasis für Angriffe auf den Irak zu nutzen, haben saudische Extremisten unter Führung Ussama Bin Ladens einen Untergrundkrieg begonnen, mit dem sie die Monarchie beseitigen und die Amerikaner aus dem Land treiben wollen.13 Insofern kann man auch das Bemühen der USA, al-Qaida und deren Basis in Afghanistan zu vernichten, als Aktion zum Schutz der saudischen Königsfamilie sehen, die den Zugang zu den saudischen Ölvorkommen garantiert.14

Der Krieg gegen den Terrorismus ist aber auch mit den Absichten der USA verflochten, den Transport von Erdöl und Erdgas aus der Kaspischen Region auf die Märkte des Westens abzusichern. Derartige Bemühungen gab es in bescheidenem Umfang bereits unter der Clinton-Regierung, als das Pentagon erste Kontakte zu den Streitkräften von Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan knüpfte und diesen Ländern Militär- und Ausbildungshilfe zu leisten begann.15 Außerdem wurde vor kurzem beschlossen, in Aserbaidschan mit US-amerikanischer Hilfe ein maritimes Verteidigungspotenzial im Kaspischen Meer aufzubauen, wo es zu Konfrontationen zwischen aserbaidschanischen Ölförderschiffen und iranischen Kanonenbooten gekommen war. Derartige Initiativen der USA sollen angeblich die Beteiligung dieser Länder am Krieg gegen den Terror erleichtern, doch sie hängen auch mit den Bemühungen zusammen, ein sicheres Umfeld für die Förderung und die Transportwege des kaspischen Rohöls zu gewährleisten.16

Was immer die ursprüngliche Intention der US-amerikanischen Politikstrategen gewesen sein mag, die drei Prioritäten der Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons sind inzwischen zu einem einzigen strategischen Projekt verschmolzen. Der Versuch, sie als getrennte Phänomene zu analysieren, wird sich als zunehmend schwierig erweisen, weil die Verflechtung immer enger wird. Will man heute die Hauptrichtung der Sicherheitspolitik der USA exakt beschreiben, muss man also von einer vereinheitlichten Strategie ausgehen, die wesentliche Elemente der drei Ziele kombiniert. Am treffendsten kann man sie als „Krieg um die Vorherrschaft der USA“ bezeichnen.

Wahrscheinlich ist es noch viel zu früh für einen Versuch, die langfristige Bedeutung dieser Fusion strategischer Ziele einzuschätzen. Doch einige vorläufige Beobachtungen sind bereits jetzt möglich. Erstens hat es den Anschein, dass das kombinierte Projekt mehr Kraft und Dynamik entfaltet als jedes seiner einzelnen Bestandteile. Denn es ist offenkundig, dass eine Strategie, die so viele entscheidende Aspekte der nationalen Sicherheit zu einer einzigen Kampagne vereinheitlicht, äußerst schwer zu kritisieren oder in Frage zu stellen ist. Wenn man diese Aspekte getrennt betrachtet, kann man bei einzelnen vielleicht gewisse Beschränkungen durchsetzen. So könnte man etwa dafür plädieren, das Niveau der Militärhilfe zu senken oder die Stationierung von Truppen in fernen Ölfördergebieten zu beschränken. Sind diese Maßnahmen jedoch mit dem Kampf gegen den Terrorismus verknüpft, wird es fast unmöglich, Beschränkungen zu rechtfertigen. Deshalb wird sich diese politische Strategie höchstwahrscheinlich als äußerst erfolgreich darin erweisen, die Zustimmung und langfristige Unterstützung des Kongresses und des US-amerikanischen Volkes zu erhalten.

Allerdings ist das hier geschilderte Unternehmen mit einem erheblichen „Überdehnungs“-Risiko behaftet. Das heißt, es könnte zu einer ganzen Reihe zeitlich unbegrenzter Militäroperationen im Ausland kommen, die mit der Zeit immer komplexer und gefährlicher werden und die den USA laufend neue materielle und personelle Verpflichtungen abfordern. Das wäre natürlich genau die Politik, vor der George W. Bush im Wahlkampf des Jahres 2000 noch gewarnt hatte. Jetzt aber hat er sie offenbar voll übernommen. Das gilt auf jeden Fall für die Golfregion, für Zentralasien und Kolumbien, wo die kombinierte Wirkung der drei strategischen Ziele dafür sorgt, dass für das US-Engagement kaum noch Grenzen gezogen werden können.

Zur Zeit sieht es so aus, als sollte ein Irakfeldzug zum entscheidenden Belastungstest für die Gesamtstruktur der neuen Strategie der Bush-Regierung werden. Der Präsident macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, Saddam Hussein zu stürzen, und das Verteidigungsministerium arbeitet längst an den Plänen für die Invasion. Viele arabische Führer haben Bush wissen lassen, dass sie befürchten, eine solche Invasion werde zu Chaos und Gewalt in der gesamten Nahostregion führen. Auch hohe Vertreter des Pentagon verweisen warnend auf die Kosten und Risiken, die eine massive US-Militärpräsenz im Irak – nach der Beseitigung des Hussein-Regimes – mit sich bringen würde. Aber keine dieser warnenden Stimmen scheint im Weißen Haus auch nur den geringsten Eindruck zu machen. Offenbar ist man zum Angriff auf den Irak entschlossen. Damit wird die hier beschriebene kombinierte Strategie die Tagesordnung in Washington offenbar bis auf weiteres bestimmen.

aus dem Engl. von Niels Kadritzke

* Professor für Friedensforschung und World Security Studies am Hampshire College in Amherst, Mass., Autor u. a. von „Resource Wars. The New Landscape of Global Conflict“, New York (Henry Holt/Metropolitan Books) 2001.

Fußnoten: 1 Rede des damaligen Gouverneurs George W. Bush vom 23. September 1999 in der Zitadelle. 2 Rede des Präsidenten in der Norfolk Naval Air Station, Norfolk, Virginia, vom 13. Februar 2001, zugänglich unter: www.whitehouse.gov/news/releases/text/20010213-1.html. 3 Rede von Donald Rumsfeld in der National Defense University, Washington, D. C., vom 31. Januar 2002, zugänglich unter: www.defenselink.mil/speeches/2002/s20020131-secdef.html. 4 National Energy Policy, vorgelegt von der National Energy Policy Development Group, Washington, D. C., Mai 2001, Kapitel 8, S. 3 (www.whithouse.gov/energy/). 5 In absoluten Zahlen werden die US-Ölimporte von den heutigen rund 10,4 Millionen Barrel pro Tag bis 2020 auf schätzungsweise 16,7 Millionen Barrel pro Tag ansteigen. Siehe U.S. Department of Energy, Energy Information Administration (Hg.), „International Energy Outlook 2002“, Washington, D. C., 2002, S. 183 und 242. 6 National Energy Policy (vgl. Anm.4), Kap. 8, S. 4. 7 Ebd., Kap. 8, S. 6. 8 U.S. Department of Defense, Quadrennial Defense Review Report, Washington, D. C., 30. Sept. 2001., S. 4 (www.defenselink.mil/pubs/qdr2001.pdf). 9 Ebd., S.43. 10 Zitiert nach der Wiedergabe der Bush-Rede in der New York Times vom 21. September 2001. 11 Die Erfolge dieser Strategie wurden vom stellvertretenden Verteidigungsminister Paul. D. Wolfowitz als Beweis für die Vorzüge der neuen Militärkonzeption in Anspruch genommen. Siehe seine Aussage vor dem Unterausschuss für Verteidigung des Senatshaushaltsausschusses vom 27. Februar 2002. 12 New York Times vom 28. April 2002. 13 Bin Laden hat in seinem Videointerview kurz nach dem 11. September erklärt, Amerika werde nicht wieder in Frieden leben, „bevor die gesamte Armee der Ungläubigen das Land Mohammeds verlassen hat“. Zitiert nach New York Times vom 8. Oktober 2001. 14 Diese Überlegung habe ich erstmals formuliert in dem Aufsatz „The Geopolitics of War“, in The Nation vom 5. November 2001. Eine ähnliche Analyse war in The Wall Street Journal vom 4. Oktober 2001 nachzulesen, unter dem Titel: „Line in the Sand: Saudi Role in Alliance Fuels Religious Tension in Oil-Rich Kingdom“. 15 Zum Hintergrund dieser Bemühungen siehe Michael T. Klare, „Resource Wars: The New Landscape of Global Conflict“, New York (Metropolitan Books/Henry Holt) 2001, S. 1–5 und 81–108. 16 U. S. Department of State, „Congressional Budget Justification: Foreign Operations, Fiscal Year 2003“, Washington D. C. 2001, S. 309.

Le Monde diplomatique vom 15.11.2002, von MICHAEL T. KLARE