Die Doulas von Albuquerque

Laienhebammen, Aktivist:innen und die Gouverneurin von New Mexico helfen ungewollt Schwangeren, die in Texas nicht mehr abtreiben dürfen

von Amy Littlefield

 

Kundgebung für das Recht auf Abtreibung

Kundgebung für das Recht auf Abtreibung, Washington, D.C., Oktober 2021
picture alliance / zz/STRF/STAR MAX/IPx | zz/STRF/STAR MAX/IPx


Einmal in der Woche zieht Reverend Erika Ferguson Leggings und Sweatshirt an, stopft sich das Haar unter ein Baseballcap und fährt zu einem Flughafen in Nordtexas, wo sie mit Menschen verabredet ist, die eine Abtreibung brauchen. Sie geleitet sie durch die Sicherheitskontrolle zu einem kurzen Flug nach Albuquerque, New Mexico. Dort werden sie den Tag in einer Abtreibungsklinik verbringen, sich danach etwas ausruhen und am Abend wieder zurück nach Texas fliegen.

Die Frauen, die Ferguson begleitet, bilden einen Querschnitt der texanischen Gesellschaft: Afroamerikanerinnen, Latinas, Asiatinnen, Weiße. Sie sind Vergewaltigungsopfer, Teenager oder Mütter, die kein weiteres Kind wollen. »Ich habe Frauen aus allen Gesellschaftsschichten und allen Altersgruppen begleitet«, sagt Ferguson.

Eine Pastorin als Vorbild

Zur Begrüßung erzählt sie der Gruppe, warum sie hier ist. Seit sie vor mehr als 30 Jahren selbst zwei Abtreibungen hatte, eine mit 14, eine mit 18, ist ihr die Fürsorge, mit der sie damals betreut wurde, immer noch Ansporn, Personen in ähnlichen Notsituationen zu helfen.

Reverend Ferguson ist 53 Jahre alt, sie hat ein strahlendes Lächeln und spricht im eindringlichen Ton einer Pastorin, selbst wenn sie nicht auf der Kanzel steht. Doch mit den Frauen, die sie begleitet, redet sie nicht über Gott. »Als Erstes sage ich ihnen: ›Ich weiß, wie Sie sich fühlen – ich hab das selbst durchgemacht. Ich verspreche Ihnen, alles wird gut gehen, Sie sind in guten Händen.‹«

Ferguson wird den ganze Tag mit den Frauen verbringen, doch erst als sie New Mexico wieder verlassen, spricht Ferguson das Risiko an, das sie selbst eingeht. Nirgends werden Abtreibungshelfer:innen so streng verfolgt wie in Texas. Ferguson steht in ständiger Gefahr, festgenommen zu werden – insbesondere als Afroamerikanerin. Vor dem Rückflug weist sie die Gruppe daraufhin, dass sie nach der Landung in Texas für den Fall, dass sie verhaftet wird, so tun sollen, als würden sie sie nicht kennen. »Bevor wir wieder in den Flieger steigen, sage ich zu ihnen: ›Hier verabschieden wir uns von einander. Ihr habt es erst einmal hinter euch.‹«



Eine weitläufige Landschaft mit kleinen Städtchen, Pinyon-Kiefern und Kreosot-Büschen liegt zwischen New Mexico und Texas. Texas gehört zu mehr als einem Dutzend Bundesstaaten, die Abtreibungen in allen Stadien der Schwangerschaft verboten haben, nachdem der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 das seit 1973 landesweit geltende Recht auf Abtreibung formell aufgehoben hat.¹

In Texas wohnen vierzehnmal so viele Menschen wie in New Mexico. Im Jahr 2020 wurden in Texas über 58 000 Abtreibungen vorgenommen, in New Mexico hingegen nur knapp 6000. Nachdem Texas im September 2021 den Heartbeat Act verabschiedet hatte, der Schwangerschaftsabbrüche ab dem Zeitpunkt, zu dem die Herztöne des Fötus festgestellt werden können, verbietet (etwa ab der 6. Woche), sank die Zahl der Abtreibungen in Texas um die Hälfte. Mehr als ein Viertel der Frauen, die sich außerhalb des Bundesstaats um eine Abtreibung bemühten, gingen nach New Mexico. Nach dem Urteil des Supreme Court stieg die Zahl der Abtreibungen in New Mexico noch einmal stark an, die jüngsten Daten von Februar 2024 gehen von 1700 Abbrüchen pro Monat aus.

Kliniken ziehen nach New Mexiko um

Um dem steil ansteigenden Bedarf gerecht zu werden, sind einige Kliniken aus den Bundesstaaten, in denen Abtreibungen mittlerweile verboten sind, ihren Patientinnen nach New Mexico gefolgt. Die Dr. Alan Braids Alamo Women’s Clinic schloss ihre Standorte in San Antonio (Texas) und Tulsa (Oklahoma) und eröffnete Häuser in Albuquerque und Carbondale (Illinois). Die einzige in Mississippi verbliebene Klinik, die Abtreibungen anbot – betrieben von der Jackson Women’s Health Organization – zog nach Las Cruces in New Mexico.

Auch die Regierung von New Mexico trägt dazu bei, dass der Bundesstaat zum Zufluchtsort für Frauen geworden ist, die abtreiben wollen. Nur Tage nach dem Urteil des Supreme Court untersagte die demokratische Gouverneurin Michelle Lujan Grisham allen staatlichen Behörden per Dekret, anderen Bundesstaaten bei Ermittlungen in Sachen Abtreibung Amtshilfe zu leisten. Zwei Monate später stellte sie per außerordentlicher Verfügung 10 Millionen US-Dollar für den Bau einer neuen Klinik unweit der mexikanischen Grenze bereit.

Doch trotz der Bemühungen New Mexicos gibt es zahlreiche Hindernisse für Schwangere aus anderen Bundesstaaten. Im Rio Grande Valley etwa, am südlichsten Zipfel Texas, leben viele Menschen ohne Papiere, sie riskieren es meist nicht, das Valley zu verlassen und womöglich in eine Kontrolle der Grenzpolizei zu geraten. Außerdem gibt es eine unbekannte Zahl an Schwangeren, die zu jung und arm sind oder keine Zeit haben zu reisen. Eine Beraterin in einer Klinik in Austin erzählt, dass sie eine 19-Jährige erst darüber informieren musste, dass Texas nach dem Urteil des Supreme Court keine Abtreibungen mehr erlaubt. »Ihre Reaktion war: ›Hm, dann werd ich dieses Kind wohl kriegen.‹ Eine andere Option sah sie nicht.«

Abtreibungspille per Post

Damit stand die junge Frau nicht allein. In den ersten sechs Monaten nach dem Grundsatzurteil führten Klinikärzt:innen US-weit monatlich durchschnittlich über 5000 Abtreibungen weniger durch als vor dem Urteil. Schaut man allerdings auf die ersten zwölf Monate, dann stieg die Zahl der Abtreibungen insgesamt leicht.² Der Anstieg ist auf verbesserten Zugang zu Telemedizin, Informationskampagnen und die ehrenamtlich organisierten Reisen in Staaten wie New Mexico zu erklären.

Mehr als die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche in den USA werden inzwischen medikamentös durchgeführt. Meistens handelt es sich dabei um eine Kombination aus Mifepriston und Misoprostol, abgekürzt Mife/Miso. Auch wenn sie nicht in den offiziellen Statistiken erfasst werden, spielen Organisationen wie Aid Access und Peer-to-peer-Netzwerke für die Bereitstellung dieser Medikamente an Hilfesuchende eine wichtige Rolle. »Wir nehmen an, dass alternative Netzwerke in den ersten sechs Monaten nach dem Urteil mindestens 40 000 Dosen Mife/Miso versendet haben, und das ist eine sehr vorsichtige Schätzung«, berichtet Elisa Wells, Mitgründerin der Organisation Plan C Pills.

Seit Sommer 2023 sind in mehreren liberalen Bundesstaaten Gesetze in Kraft, die dort ansässige Aid-Access-Anbieter schützen, die Abtreibungspillen in andere Bundesstaaten versenden, in denen Schwangerschaftsabbrüche verboten sind. Mussten Patientinnen früher wochenlang auf Pillen aus dem Ausland warten, werden sie ihnen jetzt innerhalb von drei bis fünf Tagen geliefert.

Abtreibungsgegner machen mobil

Der gesetzliche Flickenteppich sorgt also für einen regen Grenzverkehr – Abtreibungspillen werden in die konservativen »Red States« versendet, Patientinnen suchen Zuflucht in liberalen »Blue States«. Doch auch die Abtreibungsgegner mobilisieren über Bundesgrenzen hinweg. So hat der texanische Pastor und Abtreibungsgegner Mark Lee Dickson mehrere Städte und Counties im konservativen Südosten New Mexicos dazu gebracht, Verordnungen gegen Schwangerschaftsabbrüche zu erlassen. Sie bezeichnen sich als »Zufluchtsstädte für das ungeborene Leben« (»sanctuary city for the unborn«). Dickson hofft, dass die Klagen, die darauf folgen werden, den Obersten Gerichtshof veranlassen könnten, Schwangerschaftsabbrüche selbst in den Bundesstaaten zu verbieten, die das Recht auf Abtreibung derzeit noch schützen.

Hierfür kramte Dickson zusammen mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt (Solicitor General) von Texas, Jonathan Mitchell, der mittlerweile eine eigene Kanzlei betreibt, ein 150 Jahre altes Gesetz hervor: den Comstock Act von 1873. Benannt nach dem New Yorker Sittenwächter Anthony Comstock diente das Gesetz einst dazu, tausende Menschen wegen »unmoralischen Handelns« wie der Verbreitung pornografischer Zeichnungen oder Informationen zu Verhütung hinter Gitter zu bringen. Obgleich eine Reihe von Gerichtsurteilen in den 1930er Jahren dazu führten, dass es nicht mehr zur Anwendung kam, ist es niemals ganz abgeschafft worden.

Abtreibungsgegner Mark Lee Dickson, Amarillo, Texas, Januar 2024
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Dickson reiste durch den Südosten New Mexicos und traf sich mit gleichgesinnten Pastor:innen und Stadtoberen. Die Verordnungen, die er vorschlug, verbieten Abtreibung nicht expressis verbis, sondern fordern Institutionen in der Stadt oder im Bezirk auf, sich die wörtliche Lesart des Comstock Act zu eigen zu machen. Demnach dürfte man keine Abtreibungsmedikamente und -hilfsmittel für einen Schwangerschaftsabbruch mehr per Post verschicken oder empfangen. Zahlreiche Rechtsexpert:innen haben vorgebracht, es sei grotesk, ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert wieder hervorzuholen. Doch Leute wie Dickson und Mitchell spekulieren darauf, dass der Oberste Gerichtshof anderer Meinung sein könnte. Und sie sind damit nicht allein. Im November 2022 strengten Abtreibungsgegner:innen einen Prozess an, in dem sie die seit über 20 Jahren gültige Zulassung von Mifepriston durch die US-Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) anfochten. Das Urteil des Supreme Court wird im Sommer 2024 erwartet.

Amy Hagstrom Miller machen die Verordnungen à la Comstock keine Angst. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Whole Woman’s Health, die in New Mexico und drei weiteren Bundesstaaten gynäkologische Kliniken betreibt, in denen auch Abtreibungen vorgenommen werden. Sie hat reichlich Übung, ihre Kliniken vor Gericht zu verteidigen. Als Texas zum Versuchslabor für radikale Antiabtreibungsmaßnahmen wurde, betrieb Whole Woman’s Health dort mehrere Kliniken. Insgesamt elfmal zog das Unternehmen gegen den Staat Texas vor Gericht.

Hier ist nicht Texas

Angst macht Hagstrom Miller allerdings die Atmosphäre, die Dickson und seine Verbündeten in Kleinstädten im Osten New Mexicos schüren. Nachdem Whole Woman’s Health nach dem Urteil des Supreme Court und der Umsetzung des Abtreibungsverbots in Texas ihre Kliniken dort schließen musste, suchte Hagstrom Miller zunächst nach einem Standort in New Mexico kurz hinter der Grenze, um Patientinnen aus Texas eine möglichste kurze Anreise zu er- möglichen. Sie fand ein passendes Gebäude in Hobbs, einer 40 000- Einwohner-Stadt, die um eine Öl- und Gasproduktionsanlage gewachsen ist.

Doch von Dickson animiert, verbreiteten militante Abtreibungsgegner:innen Posts in den sozialen Medien, in denen sie ankündigten, Menschen »zu observieren und zu verfolgen, Steckbriefe anzufertigen und Leute an der Grenze anzuhalten und zu befragen, warum sie über die Grenze kommen«. Die Patientinnen von Hagstorm Miller sind überwiegend Women of Color. Dasselbe gilt für ihre Angestellten, einige von ihnen sorgten sich um ihre Sicherheit und auch Pro-Choice-Aktivist:innen versuchten Hagstrom Miller zu überzeugen, ihre Klinik lieber an einem anderen Standort mit mehr politischem Rückhalt zu eröffnen.

Nachdem die Städte Hobbs und Clovis sowie die Counties Roosevelt und Lea Antiabtreibungsverordnungen erlassen hatten, ergriffen Amtsträger:innen und Verantwortliche in New Mexico Gegenmaßnahmen. Im März 2023 unterzeichnete Gouverneurin Lujan Grisham ein Gesetz, das Counties und Städten untersagt, Verordnungen zu erlassen, die im Widerspruch zu der staatlichen Absicherung des Rechts auf Abtreibung stehen. Der Generalbundesanwalt von New Mexico, Raúl Torrez, verklagte die beiden Städte und Bezirke vor dem Obersten Gericht des Bundesstaats. »Hier ist nicht Texas«, sagte er in einer Presseerklärung. »Die Verfassung unseres Staats erlaubt es Städten, Counties oder Privatpersonen nicht, die reproduktiven Rechte von Frauen einzuschränken.«

Ende März 2023 unterband das Oberste Gericht von New Mexico die Durchsetzung der Verordnungen. Doch im April strengte Jonathan Mitchell im Auftrag von Eunice, einer Stadt in Lea County, eine erneute Klage an. In der Zwischenzeit zeitigt der Abschreckungseffekt Wirkung. Whole Woman’s Health ließ sich nicht in der Grenzstadt Hobbs nieder, sondern eröffnete im fünf Stunden entfernten Albuquerque eine Klinik.

Verständnis und Fürsorge

In der größten Stadt New Mexicos hat auch die 1978 gegründete New Mexico Religious Coalition for Reproductive Choice (NM RCRC) in einem alten Bürogebäude in der Innenstadt mehrere Büroräume. In einem Zimmer mit Liegen ruhen sich die von Erika Ferguson begleiteten Texanerinnen nach dem Besuch einer Klinik aus. Sie werden von Doulas – Laienhebammen, die die Frauen emotional unterstützen – und Masseur:innen umsorgt. Es gibt Tee und selbstgebackene Kekse. Im Regal stehen Filmen wie das Roadmovie »Thelma & Louise« oder die Highschoolkomödie »Girls Club«. Freiwillige haben den Frauen kleine Briefchen geschrieben und sie mit rosa Schmucksteinen dekoriert. »Ich hoffe, eure Reisen waren nicht zu beschwerlich«, ist da zu lesen. »Bitte, vergesst nicht: Fürsorgliche Menschen im ganzen Land unterstützen euch und eure, warum auch immer getroffenen, Entscheidungen.«

»In Texas vermittelt man den Frauen, dass sie der Fürsorge nicht wert sind«, sagt Joan Lamunyon Sanford, die Geschäftsführerin der Religious Coalition. »Wir widersprechen und sagen: ›Ihr verdient es sehr wohl, dass man sich liebevoll und umfassend um euch kümmert.‹« In den ersten sechs Monaten nach dem Supreme-Court-Urteil ist die Organisation enorm gewachsen, um die steil ansteigende Zahl von Hilfesuchenden aus Texas betreuen zu können und sie finanziell zu unterstützen. Eine Abtreibung kann mehrere hundert Dollar kosten, hinzu kommen die Kosten für Reise und Unterkunft. 2020 übernahm NM RCRC für 216 Frauen die Reisekosten. 2022 waren es 1041, und die Flugtickets für Frauen aus Texas sind dabei nicht einmal inbegriffen.

Früher hat Lamunyon Sanford die Organisation von ihrem heimischen Arbeitszimmer aus geleitet. Jetzt stellt sie Leute ein, kauft ergonomische Stühle und neue Schreibtische. Ein Raum auf der anderen Seite des Flurs wird frisch gestrichen. Seitdem viele Bundesstaaten Abtreibungen verbieten, ist es leichter geworden, Mittel für all das zu sammeln. »Ich bin zwar sehr dankbar für das Geld«, sagt Lamunyon Sanford, »aber auch enttäuscht, dass es für manche zu spät kommt.«

Sie möchte, dass alle, die eine Abtreibung brauchen, eine ähnlich gute Erfahrung machen wie sie selbst mit 21. Ihre Mutter, eine Krankenpflegerin, die nebenbei ehrenamtlich bei Planned Parenthood arbeitete, erriet, dass ihre Tochter schwanger war. Lamunyon Sanfords Eltern unterstützten ihre Entscheidung abzutreiben. Die Krankenversicherung bezahlte den Eingriff. Als der Arzt sie nach ihrer Religionszugehörigkeit fragte und sie erwiderte, sie sei methodistisch erzogen worden, sagte er: »Ich kann Ihnen versichern, dass die Methodistische Kirche hinter Ihrer Entscheidung steht.« Später wurde sie Teil eines Netzwerks von Menschen, die sich als gläubige Christen verstanden und trotzdem für die reproduktiven Rechte von Frauen eintraten.

Doch mit der Zeit entfremdete sie sich von ihrer Kirche. Als Lamunyon Sanford sich von ihrem Mann scheiden ließ und sich in eine Frau verliebte, begann die United Methodist Church gerade Pastoren zu entlassen, die gleichgeschlechtliche Paare trauten, und propagierte »die Unantastbarkeit des ungeborenen menschlichen Lebens«. Lamunyon Sanford ging nicht mehr in den Gottesdienst. »Vielleicht ist die Arbeit meine Kirche geworden«, sagt sie.

Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung

Albuquerque, das liberale Zentrum New Mexicos und außerhalb der Reichweite von texanischen Politiker:innen und Abtreibungsgegner:innen, macht es einem leicht, darauf zu vertrauen, unbehelligt abtreiben zu können. Doch im März 2023 unternahm Jonathan Mitchell einen neuen juristischen Vorstoß und strengte zusammen mit der Thomas Moore Society, einer konservativ-katholischen Anwaltskanzlei mit Sitz in Chicago, einen Prozess an. Sie bezichtigten drei Texanerinnen gegen das texanischen Gesetz zur widerrechtlichen Tötung verstoßen zu haben, weil sie einer Freundin zu Abtreibungspillen verholfen hatten. Mitchell vertritt den Ex-Mann der Frau, der verlangt, dass ihm ihre Freundinnen jeweils mehr als 1 Million US-Dollar Schadenersatz zahlen. Textnachrichten, die in dem Prozess zitiert wurden, zeigen, dass die Frau sich sorgte, dass ihr damals Noch-Ehemann die Schwangerschaft gegen sie benutzen könnte. In dem Prozess spielt auch ein Foto der drei Freundinnen in Halloweenverkleidung eine Rolle. Sie wurden beschuldigt, sich als Figuren aus Margaret Atwoods dystopischem Roman »Der Report der Magd« verkleidet zu haben, um »den Mord« an dem Embryo zu feiern.

Reverend Erika Ferguson lässt sich von solchen Geschichten nicht beirren. »Es zeigt nur die reale Gefahr, die diese Arbeit für mein persönliches Leben darstellt«, erklärte sie, kurz nachdem die Klage eingereicht worden war. »Aber es hält mich in keiner Weise von meinem Tun ab, auch in Zukunft nicht.«

Wenn es einen Schwachpunkt in den Plänen der Abtreibungsgegner:innen gibt, dann sind es Menschen wie Erika Ferguson, die sich von deren Kampagnen nicht einschüchtern lassen und sich trotz der Gefahren für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung engagieren. Die Abtreibungsgegner:innen müssen also weiter auf ein Verbot sinnen, das nicht mit einem Flug oder einer Autofahrt umgangen werden kann oder von jemandem, der einer Freundin ein paar kleine weiße Pillen in die Hand drückt.

Jede Woche, wenn das Flugzeug in Texas landet, beschwichtigt ich Ferguson mit dem Satz: »Egal was geschieht, mir passiert schon nichts.« Und sie bestärkt sich selbst damit, dass es für eine erfolgreiche Bewegung immer Menschen braucht, die ihr eigenes Leben und Wohlergehen für etwas Größeres riskieren.


Die neue Edition können Sie hier bestellen
 

 

1). 1973 räumte der Supreme Court in einem Grundsatzurteil (Roe v. Wade) ein weitgehendes Recht auf Abtreibung ein. Am 24. Juni 2022 kippte das mittlerweile konservativ dominierte Gericht dieses Recht wieder (Dobbs v. Jackson Women's Health Organization).

 

2). Society of Family Planning, »#WeCount Report April 2022 to December 2022«, 11. April 2023; sowie »#WeCount Report April 2022 to June 2023«, 24. Oktober 2023.


Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
Dieser Beitrag ist eine Veröffentlichung aus der neuen LMd-Edition No.35 "USA. Die zerrissene Supermacht"
© 2023 The Nation; für die deutsche Übersetzung © 2024 Le Monde diplomatique, Berlin
Amy Littlefield ist Journalistin.

 

Edition N° 21 Israel und Palästina

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