12.12.2019

Heilige Orte für den Tibet-Tourismus

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Heilige Orte für den Tibet-Tourismus

In der Autonomen Region Tibet setzt die chinesische Regierung nicht mehr auf offene Repression. Anders als in Xinjiang will Peking die Forderung nach Unabhängigkeit durch mehr kulturelle Freiheiten ersticken.

von Martine Bulard

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Der Buddhismus macht verrückt. Zumindest könnte man das glauben angesichts der Aufregung um die Nachfolge des 14. Dalai Lama. Während der mittlerweile 84 Jahre alte Tenzin Gyatso seit einigen Jahren schon darüber nachdenkt, wie es mit seinem Amt grundsätzlich weitergehen könnte, besteht für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) kein Zweifel: Peking will bestimmen, wer die nächste „Reinkarnation des lebendigen Buddha“ werden und den Platz des verhassten Religionsführers Gyatso einnehmen soll.

Der US-Sonderbotschafter für Religionsfreiheit bei den Vereinten Nationen, Samuel Brownback, verlangt, dass sich die UNO in den Auswahlprozess „einschaltet“. Und die exilierten Tibeter im indischen Dharamsala erklären, dass das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus an jedem beliebigen Ort wiedergeboren werden könne – nur nicht in Tibet.

Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass eine Reportage aus Tibet anders vorbereitet werden muss als ein Waldspaziergang. Man braucht zum Beispiel eine Erlaubnis von Peking – um dann doch nur das zu Gesicht zu bekommen, was die Chinesen bereit sind, einem zu zeigen.

Ende September ist die gesamte Strecke vom Flughafen bis in die Hauptstadt Lhasa mit chinesischen Fahnen und roten Laternen geschmückt – zur Feier des 70. Jahrestags der Volksrepublik China am 1. Oktober 2019. Bei einer solchen Inszenierung wundert man sich auch nicht mehr, dass selbst die Zeichen in Mandarin auf den zweisprachigen Schildern im öffentlichen Raum grundsätzlich größer gesetzt sind als die tibetischen.

Die Ankunft in Lhasa – auf über 3600 Metern Höhe über dem Meeresspiegel – hat immer etwas Magisches. An den Berghängen über der Stadt strahlen die weißen und roten Gebäude des Potala-Palasts, Regierungssitz der früheren Theokratie. Doch Lhasa sei heute verunstaltet, sagen viele, die es noch aus der Zeit vor den 1990er ­Jahren kennen; die neuen Wohnblöcke, die an die ­trostlosen Plattenbauten der Pariser Banlieues erinnern, überlagern die mittelalterliche Architektur. Aber man sei schon dabei, umzudenken, versichert uns ein Führer. Nur ist davon noch nicht viel zu spüren. Die alten Häuser werden nach wie vor schonungslos abgerissen und nicht saniert.

Nur die Altstadt scheint noch intakt – obwohl Puristen sagen, der Jokhang-Tempel, der seit einer kürzlichen Renovierung in neuem Glanz erstrahlt, sei nicht mehr original, sondern schon mehrere Mal zerstört und identisch wieder aufgebaut worden. In China scheint das aber niemanden groß zu stören. Zu Tausenden strömen die Besucher durch die geschäftige Barkhorstraße rund um den Tempel und bewundern das vermeintlich alte Bauwerk und den reich verzierten Buddha Shakyamuni „von der Größe eines zwölfjährigen Kindes“.

Die chinesische Prinzessin Wencheng brachte die Figur im 7. Jahrhundert zu ihrer Hochzeit mit dem tibetischen Herrscher Songtsen Gampo nach Lhasa. Das war Heiratspolitik, doch für Peking ist die arrangierte Ehe der ultimative historische Beweis, dass Tibeter und Chinesen zusammengehören. Am Fuß des Baoping-Bergs wird die mittelalterliche Hochzeit in einem gigantischen Freiluftspektakel 180-mal im Jahr nachgespielt – wobei der historischen Wahrheit nicht viel Bedeutung zugemessen wird.

Obwohl die Touristensaison vorüber war, sahen wir viele Gläubige, die sich im Tempel vor dem Buddha verneigten und kleine Geldscheine hinterließen, in der Hoffnung, ihr Wunsch möge dadurch in Erfüllung gehen. Andere zogen im Uhrzeigersinn um das Kloster, darunter auch ein Mann, der sich alle paar Schritte niederwarf und seinen Kopf auf den Boden schlug.

Später sahen wir weitere Gläubige das gleiche Ritual vollziehen. Beim ersten Mal wunderten wir uns noch darüber, dass die anderen Passanten ungerührt an ihm vorbeiliefen und ihm nicht halfen. Niemand schien an seinem Verhalten Anstoß zu nehmen. Kinder und Erwachsene, Junge und Alte konnten ungehindert beten – egal wie fanatisch sie sich dabei gebärdeten. Nichts erinnerte an die bekannten Bilder von der täglichen Unterdrückung. Stattdessen bot sich uns ein Bild, das die Regierung in Peking gern verbreitet, um zu zeigen, dass sie mitnichten ein Problem mit der Religion hat – unter bestimmten Voraussetzungen, wie man hinzufügen muss.

Tags darauf zeigte man uns das Kloster Yangbajing, 85 Kilometer von Lhasa entfernt. In der großen Bibliothek, die zugleich als Unterrichtsraum dient, staunten wir über die leuchtenden Farben an den Wänden. Die Mönche erzählten, die Regierung habe den Neuanstrich bezahlt, ebenso wie die Renovierung des Tempels und der Unterkünfte der 45 Mönche, die neuerdings auch renten- und krankenversichert seien.

In der Mitte der Bibliothek, direkt zu Füßen eines majestätischen Buddha, lag auf dem Altar ein Buch von Xi Jingping. Ein Mönch registrierte unsere Verwunderung: „Wir studieren alles, was mit den Ideen des Präsidenten Xi und mit der Religion zu tun hat“, erklärte er. „Wir sind Mönche, aber auch Staatsbürger, und die Jungen müssen die patriotischen Prinzipien und die Grundsätze der chinesischen Regierungsführung kennenlernen.“ Im Klartext: Das Geld der kommunistischen Machthaber ist durchaus eine Messe wert – zumindest an drei Tagen im Monat. Seit 2011 müssen die Mönche nämlich mindestens 10 Prozent ihrer Zeit der „legislativen und patriotischen Bildung“ widmen.

In Tibet scheint Peking eine andere Linie zu verfolgen als in der benachbarten Autonomen Region Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren brutal unterdrückt wird:1 Nach der Niederschlagung der Demonstrationen für ein unabhängiges Tibet, die im Frühjahr 2008 weltweite Proteste hervorrief,2 scheint die Zen­tral­gewalt zu einer Strategie der bedingten Toleranz übergegangen zu sein. Die Gläubigen dürfen in den Tempel gehen, beten, die Buddhas verehren und selbst extreme Formen der Religionsausübung praktizieren. Und die Mönche dürfen in die Geheimnisse der Religion einführen und erhalten dafür sogar Subventionen – unter der Bedingung, dass sie keine Forderungen nach Unabhängigkeit oder auch nur Autonomie erheben.

Bei der Begegnung mit einer Familie im Dorf Ke­song in der Nähe von Shannan (der früheren Hauptstadt Lhoka), rund 100 Kilometer südöstlich von Lhasa, erfuhren wir mehr über diesen stillschweigenden Pakt. Kesong ist ein modernes und herausgeputztes Dorf. In einem traditionellen Haus erwartete uns ein etwa 60-jähriges Ehepaar. Sie hatten Tsampa vorbereitet (süße oder salzige Küchlein aus Gerstenmehl) und den unvermeidlichen Tee mit Yakbutter. Der Mann war Kommunist; er erzählte uns die Geschichte seiner Familie, die dank der KPCh „vom Joch des Feudalregimes der Dalai Lamas“ befreit worden sei. Nur wenn er von seinen Geschäften sprach, dem Transport von Menschen und Waren, verzichtete er auf die Parteiphrasen und behauptete, er würde zehnmal mehr verdienen als seine Nachbarn.

Seine Ehefrau war Buddhistin. Manchmal gehe sie mit ihren Eltern in den Tempel, erzählte sie, aber meistens halte sie die Andacht zu Hause in einem Zimmer, das sie zu einer reich dekorierten Gebetskammer umfunktioniert hatte: Mit einem Hausaltar für die Ahnen, einem Ständer für Räucherstäbchen, einer großen Trommel und einem Foto des 11. Penchen Lama Gyeltshen Norbu, des zweithöchsten spirituellen Oberhaupts des tibetischen Buddhismus, der allerdings nur von der chinesischen Regierung anerkannt wird und im Sinne der Partei erzogen wurde.

Vom 14. Dalai Lama gab es im Haus keine Bilder, die sind in Tibet nämlich verboten. Dafür aber ein Foto von Xi Jinping – die perfekte Harmonie, an den Wänden wie zwischen den Eheleuten. „Wir haben unsere Diskussionen“, erzählte Da Wu, der Ehemann, „denn der Glaube ist eine persönliche Angelegenheit“, er dürfe nicht in die Öffentlichkeit getragen werden.

Li Decheng, Forscher und Verwaltungsdirektor am chinesischen Zentrum für Tibetforschung in Peking, den wir gegen Ende unserer Reise trafen, meinte mit einem Lächeln: „Es ist wie in Frankreich, wo nach Ihrem Grundsatz der Laizität die Religion Privatsache ist.“ Mit dem Unterschied, dass in Frankreich trotz der Trennung von Kirche und Staat jeder und jede Gläubige das Recht hat, sich an der politischen Debatte zu beteiligen.

Die Ehe des überzeugten Kommunisten und der bekennenden Buddhistin wurde uns von den Behörden als beispielhaft präsentiert: Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Peking legt großen Wert darauf, die Welt wissen zu lassen, dass die Dinge sich verändern. Das Regime respektiert religiöse Überzeugungen und heilige Orte, vor allem dann, wenn Letztere von touristischem Interesse sind.

Wie zum Beispiel der Namtso-See. Dieser buddhistische Pilgerort ist fünf Stunden Busfahrt von Lhasa entfernt: eine smaragdgrüne Fläche auf 4718 Metern Höhe, umgeben von Bergketten mit verschneiten Spitzen, die je nach Lichteinfall in Weiß bis Orange schimmern, und schier unendliche Weideflächen, auf denen Yaks grasen. Dutzende Menschen standen am Ufer dieser perfekten Postkartenidylle, um sich fotografieren zu lassen. Unsere Begleiterin Ma Wenhui erklärte uns: „Viele posten die Fotos in den sozialen Netzwerken. Auf einmal ist dieser Ort in Mode gekommen, vor allem weil viele touristische Massenziele in China nicht mehr interessant sind. Die Jungen suchen etwas Originelles.“ 2018 kamen fast 34 Millionen Reisende nach Tibet, hauptsächlich Chinesen, ein Anstieg von 31,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch Tibet wird langsam zum Ziel des Massentourismus. Die Frage ist nur, was der Namtso-See und Tibet davon haben.

Auf den ersten 200 Kilometern unserer Reise durch Tibet reihte sich eine Baustelle an die andere – für Straßen, Autobahnen und Eisenbahnstrecken. Auf der Straße entlang der vielen Steinbrüche an den Berghängen rauschten zahllose Lkws an uns vorbei. „Natürlich gefällt das den Alten nicht“, räumte der stellvertretende Generalsekretär der Kommunistischen Partei in Damxung ein. „Aber die Jüngeren sind dadurch nicht mehr so abgeschnitten wie früher. Und wir können unsere Produkte draußen verkaufen und andere Waren einkaufen.“ Selbst auf 5000 Meter Meereshöhe ragen inzwischen die brandneue Masten der Hochspannungsleitung in den Himmel. Hirten, die früher keinen Strom hatten, können jetzt fernsehen oder ein Mobiltelefon nutzen.

Im Zentrum für Tibetforschung in Peking versäumte man nicht, uns mitzuteilen, dass die Baustellen zu 90 Prozent von der chinesischen Regierung bezahlt würden. Das Autonome Gebiet Tibet steht bei den Ausgaben pro Einwohner einsam an der Spitze: 61 567 Yuan (7900 Euro) pro Jahr. „Almosenempfänger!“, liest man in manchen sozialen Netzwerken. Dabei wollen die Tibeter gar nicht so viel: Ihnen wäre es lieber, wenn sie weniger Geld bekämen, aber dafür über ihre Angelegenheiten selbst bestimmen könnten.

Denn autonom ist das Autonome Gebiet nur dem Namen nach. Die Beamten sind in der großen Mehrheit Han-Chinesen (die größte Bevölkerungsgruppe in China). Über Projekte wird meistens in Peking entschieden, das dabei drei Ziele verfolgt: Erstens will die Zentralmacht das Wachstum in der Region ankurbeln – und zwar vor allem in zwei Sektoren, die nur schwer mit­ein­ander vereinbar sind: Tourismus und Bergbau. Der Abbau von Kupfer, Chrom und Silber trägt bereits mehr als ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt der Region bei, aber auf unserer Reise hörten wir nichts darüber, weil die schmutzige Industrie nur schlecht zum umweltfreundlichen Image passt, mit dem sich die Regierung neuerdings schmücken will.

Das zweite Ziel hängt mit dem ersten zusammen: Als Teil der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) soll eine Infrastruktur entstehen, die bis nach Nepal und Indien reicht. Deshalb reiste Xi Jinping am 12. Oktober 2019 auch in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu – wo zuletzt vor 23 Jahren ein chinesischer Staatspräsident zu Besuch war.

Und drittens hofft die Zentralregierung durch solche Maßnahmen auch mehr Tibeter in den Staatsdienst zu integrieren – insbesondere die höher Qualifizierten. Denn obwohl öffentliche Arbeitsplätze in der Region bevorzugt an Tibeter vergeben werden, sind sie dort immer noch unterrepräsentiert.3

Tibet war immer schon eine sehr arme Re­gion. Doch durch die rasante wirtschaftliche Entwicklung (10 Prozent Wachstum im Jahr 2018) ist eine neue und teilweise sogar vermögende Mittelschicht entstanden. Im Umfeld der 70-Jahr-Feier zur Gründung der Volksrepublik gab es in Lhasa Anfang September zum ersten Mal eine Modemesse. An der „Himalayan Fashion“ beteiligten sich Luxusmarken wie die Schweizer Uhren- und Schmuckmanufaktur Chopard, italienische Hersteller wie MaxMara und Brunello Cuccinelli oder das Hongkonger Unternehmen Lane Crawford, das Schuhe, Kleidung und Accessoires produziert.

Dass sich jedoch das tibetische Unabhängigkeitsbestreben angesichts des steigenden Wohlstands in Luft auflösen könnte, wie man in Peking hofft, ist fraglich. Natürlich demonstrierten die freundlichen Organisatoren unserer Reise, dass die Zentralgewalt bestrebt ist, die lokale Kultur zu bewahren: Wir haben die Universität besichtigt, wo die 70 000 Dokumente und buddhistischen Sutras aufbewahrt werden, die belegen, dass „die tibetische Schrift seit 1300 Jahren existiert“; man zeigte uns auch die beeindruckende Fakultät für tibetische Medizin oder tolle Werkstätten für Kunsthandwerk und etliche heilige ­Orte. Was die Tibeter aber fast noch mehr fürchten als die Verfolgung des Dalai Lama, ist der Verlust ihrer Sprache und die Degradierung ihrer Traditionen zu geduldeter Folklore.

Françoise Robin, Tibetologin und Professorin am Nationalen Institut für orientalische Sprachen und Kulturen (Inalco) in Paris, ist Anfang Oktober aus Lhasa zurückgekommen. Sie kennt das tibetische Hochland gut und bestätigt: „Die Angst vor dem Verlust der Sprache ist überall greifbar.“ Auf unserer Reise haben wir oft gehört, dass das an dem schlechten Unterricht liegt. Immer mehr Tibeter schicken ihre Kinder aber wohl vor allem deshalb auf chinesische Schulen und Universitäten, weil sie hoffen, damit deren berufliche Chancen zu verbessern. Mit der Folge, dass sie dann eher dazu neigen, „chinesisch zu werden. In gewisser Weise verlieren sie ihre tibetische Herkunft“, meint Robin.

Der junge Rapper Ludup Gyatso – Dreadlocks, dunkle Sonnenbrille und Motorrad – fordert in seinem Clip „Städter“ seine Zuhörer dazu auf, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Ein Hoffnungsschimmer sei der junge Mann, meint Robin, die erzählt, dass es trotz der Widrigkeiten eine dynamische Intellektuellenszene in Tibet gibt. Zu denen gehört etwa der Historiker Tse­ring Dondrup (Jahrgang 1961), der für seine spitze Feder, seinen schwarzen Humor und seine Ironie geschätzt wird. Er wurde bereits ins Englische („The Handsome Monk and Other Stories“) und von Françoise Robin ins Französische übersetzt.4 Doch sein historischer Roman „Tempête rouge“ über den Aufstand von einer Gruppe Nomaden gegen die chinesische Zentralmacht Ende der 1950er Jahre kam in Peking gar nicht gut an und wurde verboten.

Dondrup verlor sogar seine Beamtenstelle. Aber er schreibe weiter, sagt Robin, „und seine Bücher wie ,Meine beiden Väter‘, eine fiktionale Geschichte mit autobiografischen Zügen über die Zeit von 1970 bis 1990, verkaufen sich gut.“ Tsering Woeser (Jahrgang 1966) hat diese Möglichkeit nicht mehr. Die Dichterin, Bloggerin und Preisträgerin des International Women of Courage Award, deren Werke in mehrere Sprachen übersetzt wurden, unter anderem ins Deutsche,5 darf Peking nicht verlassen.

Ist es unter diesen Umständen angebracht, von einem „kulturellen Genozid“ zu sprechen, wie es manche Tibeter tun? Pema Tseden, der erste tibetische Regisseur, der Filme in seiner Muttersprache gedreht hat, benutzt diesen Begriff nicht. Seine Filme wie „Tharlo“, die Geschichte eines jungen Hirten, der in der Stadt untergeht, oder „Jinpa“, ein Roadmovie quer durch die Steppe6 , dürfen in Tibet gezeigt werden.

„Ich kann nur im Rahmen der Zensur arbeiten“, erzählt Tseden. „Man muss deren Mechanismen kennen, um sie zu umgehen, und bestimmte Themen meiden, vor allem Religion. Die Hürden sind enorm. Und manchmal spüre ich nur eine große Ohnmacht.“ Trotzdem gibt er nicht auf. Er dreht nicht nur weiter Filme, sondern nutzt auch seinen Erfolg, um anderen jungen Filmemachern zu helfen. Und wenn ihre Filme dann so gemacht sind, dass sie in ganz China gezeigt werden können, würden sich auch immer mehr Han-Chinesen für Tibet interessieren. Es ist ein langsamer Prozess auf kleiner Flamme, die Peking nur nicht ersticken darf.

1 Siehe Rémis Castets, „Bleierne Zeit in Xinjiang“, LMd, März 2019.

2 Siehe Mathieu Vernerey, „Wer vertritt die Tibeter?“, LMd, April 2008. Seither sollen sich nach Angaben von Exiltibetern 50 Mönche selbst verbrannt haben.

3 Andrew M. Fischer und Adrian Zenz, „The Limits to Buying Stability in Tibet: Tibetan Representation and Preferentiality in China’s Contemporary Public Employment System“, The China Quarterly, London, Oktober 2017.

4 Tsering Dondrup, „Tempête rouge“, Arles (Éditions Picquier) 2019.

5 Tsering Woeser, „Ihr habt die Gewehre, ich einen Stift. Eine Chronologie der Ereignisse 2008 in Tibet“, Berlin (Lungta Verlag) 2009.

6 Auf dem Festival international des cinémas d’Asie, das vom 11. bis 18. Februar 2020 in Vesoul (Bourgogne-Franche-Comté) stattfindet, werden alle Filme von Tseden gezeigt, der im nächsten Jahr die Jury des Filmfestivals leitet.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Le Monde diplomatique vom 12.12.2019, von Martine Bulard