08.02.2008

Konterrevolution zur See

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Konterrevolution zur See

Was amerikanische Konservative auf Kreuzfahrt einander erzählen von Johann Hari

Da stehe ich nun, bis zur Hüfte vom Pazifischen Ozean umspült, und lasse das höfliche Geplauder, wie es US-Amerikaner im Urlaub so lieben, über mich ergehen. Auf einem Felsen am nahen Ufer sitzt eine reizende ältere Dame aus Los Angeles, die mir ganz versonnen von ihrem Sohn erzählt. „Ist er Ihr einziges Kind?“, frage ich. „Ja“, bestätigt sie und fragt zurück: „Haben Sie ein Kind, drüben in England?“ Als ich verneine, macht sie ein strenges Gesicht. „Dann wird es aber Zeit. Die Moslems pflanzen sich unentwegt fort. Bald werden sie ganz Europa haben.“

Solche Momente gibt es auf dieser Reise immer wieder: Wenn ein jovialer Plausch auf einmal umschlägt in – ich kann nicht genau sagen, in was. Ich befinde mich auf einem strahlend weißen Kreuzfahrtschiff mit zwei Restaurants, fünf Bars und 500 Lesern der Zeitschrift National Review. Hier an Bord ist der Irakkrieg „ein toller Erfolg“. Die globale Erwärmung findet nicht statt. Europa wird ein neues Kalifat. Und ich kann nicht weg.

Von Zeit zu Zeit organisiert die National Review, die Bibel des amerikanischen Konservatismus, eine Kreuzfahrt für ihre Leser. Letzten November war ich mit von der Partie, für 1 200 Dollar. Zuvor hatte ich mir ein paar simple Regeln verordnet: Wenn mich einer der konservativen Kreuzfahrtgäste fragen sollte, wer ich bin, würde ich ehrlich sagen: Ich bin Journalist. Aber meistens versuchte ich nur, nicht aufzufallen und herauszufinden, was konservative Leute von sich geben, wenn sie glauben, dass sie unter sich sind.

An einem Samstagnachmittag treffe ich im Hafen von San Diego ein und bestaune vom Kai aus die „Oosterdam“, auf der wir sieben Tage reisen würden. Wir Passagiere sollen uns, lautet die Anweisung, zu einem Cocktailempfang auf einem der oberen Decks des Schiffs einfinden. Bei dieser Zusammenkunft gibt es keine großen Umarmungen oder herzlichen Küsschen. Hier findet nur ein steifes Miteinanderbekanntmachen statt. Männer treten aufeinander zu, mit geschwellter Brust und kräftigem Händedruck. Die Frauen belassen es bei einem einzigen Kuss auf die Wange. Auf keinen Fall mehr, sonst wäre es wie bei den Franzosen.

Ich halte mich daran und trete auf den nächsten Mann zu, um ihn förmlich zu begrüßen. Er ist Richter, erzählt er mir mit dem rauen selbstgefälligen Charme, der sich mit der Zeit jeden Richters bemächtigt. Er ist aus Kanada, bekennt er (jetzt schon etwas defensiver), und Gründungspräsident der Organisation „Kanadier gegen Selbstmordattentate“. Ich frage ihn, ob eine Gruppe namens „Kanadier für Selbstmordattentate“ wohl Chancen auf viele Mitglieder hätte. Er schaut leicht entsetzt und meint dann: Ja, ja, durchaus.

Irgendwo ertönt eine Glocke, man bittet uns zu Tisch. Die Plätze sind nach dem Zufallsprinzip zugeteilt und sollen jeden Abend wechseln. So wird jeder von uns, so versprechen die PR-Fritzen, mindestens einmal während der Reise einen der Gastredner der National Review am Tisch haben.

Zu meiner Linken sitzt ein Mann mittleren Alters aus Florida mit adrett getrimmtem Bart. Zu meiner Rechten habe ich es mit zwei älteren Damen aus New York zu tun. Sie sehen aus und klingen wie die späte Dorothy Parker, abzüglich der Alkoholvergiftung. Sie wohnen in der Park Avenue, erläutern sie im präzisen Tonfall der Nordstaatlerinnen. „Da müssen Sie ganz in der Nähe des UN-Gebäudes wohnen“, meint der Mann aus Florida zu einer der Damen, als die Vorspeisen serviert sind. Die bestätigt den Verdacht, begleitet von einem missbilligenden Kopfschütteln. „Da sollten sie mal einen Selbstmordbomber reinschicken“, sagt der Mann. Alle kichern leise.

Die Unterhaltung mündet wieder in freundliches Geplauder. „Sie sind also Europäer“, meint eine der Park-Avenue-Damen und bietet sofort ein paar geistreiche Kommentare zu den Städten, die sie besucht hat. Ihrer Begleiterin fällt auch etwas dazu ein: „Ich war mal in Paris, und es war einfach wundervoll.“ Dann verdüstert sich ihr Gesicht: „Aber dann machst du dir klar: Es ist von Moslems umzingelt.“ Die erste Dame nickt: „Sie lauern da draußen, und sie werden kommen.“

Das bringt den bärtigen Mann aus Florida in Fahrt. Er erklärt mit erhobenem Finger: „Wenn es so weit ist, werden wir die Franzosen nicht noch einmal raushauen.“ Und er hebt ein unsichtbares Telefon ab und schreit hinein: „Ich hör dich schlecht, Jacques! Was ist los? Die Moslems tun euch – was? Ich kann dich nicht hören!“

Alle sind sich einig, dass die Moslems die Franzosen verschlingen werden, und alle finden das amüsant. Nachdem diese Tabuschranke gefallen ist, nimmt man rasch die üblichen Verdächtigen ins Visier: Jimmy Carter ist „beinahe ein Verräter“. John McCain ist „verrückt“, weil er „all diese Foltergeschichten“ aufs Tapet bringt. Eine der Park-Avenue-Damen erklärt, dass sie jeden Tag auf die Knie sinkt, um „Gott für die ‚Fox News‘ zu danken“. Als der Wein bei dem Mann aus Florida ankommt, lehnt er sich zurück und verkündet: „Diese Kreuzfahrt ist das Beste, wofür ich je mein Geld hingelegt habe.“

Am nächsten Morgen begebe ich mich etwas zögernd in die Vista Lounge, die auch eine Halle in Las Vegas sein könnte. Hier soll das erste der Seminare stattfinden. In einer Diskussion will man die konservative Leiche einer Autopsie unterziehen, um herauszufinden, was die Todesursache war – in jener rabenschwarzen Nacht des 7. November 2006, als die Demokraten die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus eroberten.

Es ist etwas Seltsames an dieser Diskussion, und mir geht erst nach einiger Zeit auf, was es ist. Auf diesem strahlend weißen Schiff inmitten des weiten Ozeans nimmt man sich begeistert all die Standardbehauptungen vor, die Konservative in der Öffentlichkeit strikt von sich weisen: zum Beispiel, dass der Irakkrieg ein neues Vietnam ist oder dass Bush einen Klassenkampf zugunsten der Reichen führt.

Ja, geben sie zu, wir führen einen neuen Vietnamkrieg – und dieses Mal werden wir nicht zulassen, dass die liberalen Weicheier den wieder verlieren. „Da wird immer wieder behauptet, wir hätten den Vietnamkrieg verloren, aber wer ist ‚wir‘?“, fragt der Referent Dinesh D’Souza verbittert. „Die Linke hat deshalb gewonnen, weil sie die Erniedrigung Amerikas verlangt hat.“ Auf diesem Schiff kommt der Vietcong nicht vor, und auch keine drei Millionen Toten. Es gibt nur den Verrat der Liberalen. Jawohl, sagt D’Souza mit einem flinken Sprung in die Innenpolitik, „natürlich“ hat die Politik der Republikaner „mit der Klasse zu tun. Die Republikaner sind die Partei der Gewinner, die Demokraten die Partei der Verlierer.“

Sämtliche Köpfe auf dem Podium nicken, aber noch wollen die Referenten nicht vom Thema Irak ablassen. Robert Bork, den Ronald Reagan einmal für den Supreme Court vorgeschlagen hatte, mümmelt unter seinen Hängebacken hervor: „Die Berichterstattung über diesen Krieg ist unglaublich. Sogar in den ‚Fox News‘. Man könnte meinen, Leichen gibt es nur auf unserer Seite. Die Verluste des Feindes werden nicht erwähnt. Dabei sind wir hervorragend im Töten von Feinden.“

Dann läuft die Diskussion kurzzeitig aus dem Ruder. Rich Lowry, 38, der im typischen Privatschulchic gekleidete, gut aussehende Redakteur der National Review verkündet, es sei gar nicht irrational, „wenn die Amerikaner glauben, dass wir im Irak verlieren; sie schauen nur auf die kalten, harten Fakten“. Die Vista Lounge ist auf einmal höchst verwirrt. Aber Lowry insistiert: „Ich wünschte, es stimmte, dass wir gar nicht verlieren können, weil wir eine Supermacht sind. Aber es so ist es nicht.“

Niemand legt sich mit ihm an. Sie sehen einfach weg, so wie Leute wegsehen, wenn an der Bushaltestelle ein Verrückter herumschreit. Dann kehren sie zu ihrem Lieblingsthema zurück und bezichtigen Leute wie ihren Chefredakteur des Hochverrats. Der ergraute Historiker und Nahostexperte Bernard Lewis erklärt, dass die Bin-Laden-Anhänger „die Wahlen in den USA als einen Sieg betrachten, der nur mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vergleichbar ist. Wie sollten vorbereitet sein, was auch immer da auf uns zukommt.“ Für so etwas haben die Gäste bis zu 6 000 Dollar bezahlt. Dafür sind sie gekommen. Sie gewähren ihm eine aufatmende, dankbare Ovation, dann ist Kaffeepause.

Danach tut sich, direkt vor meinen Augen, in den schlichten Gewissheiten des amerikanischen Konservatismus eine feine Bruchlinie auf. Nach der Kaffeepause beginnt ein Streitgespräch zwischen Norman Podhoretz und William Buckley – den beiden großen alten Männern der Grand Old Party, wie sich die Republikaner gern nennen. Podhoretz beginnt zu reden und hört gar nicht mehr auf: „Ich habe scharenweise Exfreunde bei der Linken; demnächst werde ich offenbar auch ein paar Exfreunde auf der Rechten haben“, schwadroniert er, und Buckley meint zum Diskussionsleiter: „Nimm ihm einfach das Mikrofon weg, anders ist er nicht zu stoppen.“ Er sagt dies mit einem Lächeln, aber ernsten Augen.

Podhoretz und Buckley repräsentieren heute zwei entgegengesetzte Pole innerhalb des konservativen Lagers nach 9/11. Und ihr Blick auf den Irak ist völlig unterschiedlich. Podhoretz ist der in Brooklyn aufgewachsene Straßenjunge, der sich nach einer langen linksliberalen Phase zu dem kämpferischen Glauben bekehrt hat, Amerika habe die Macht, die Welt zu erlösen. Bombe für Bombe. Heute ist er ein wutschnaubendes, graues Aggressionspaket, mit der Mission, seinem Publikum zu verkünden, dass der Irakkrieg „ein erstaunlicher Erfolg“ ist.

Mit der Faust fuchtelnd ruft er aus: „Die Massenvernichtungswaffen hat es gegeben, und sie wurden nach Syrien geschafft.“ Das Bild, das man heute vom Irak habe, „von einem Land im totalen Chaos und ohne jede Sicherheit“, das sei völlig falsch: „Es ist ein Triumph. Es hätte nicht besser laufen können.“ Er fordert mehr Kriege, und zwar möglichst schnell. Er ist sich „gewiss“, dass Bush den Iran bombardieren wird, und „Gott sei Dank“ dafür.

Buckley ist ein weltmännischer alter Reaktionär, den inzwischen viele Zweifel plagen. Als er 1955 die National Review gründete, galt eine konservative Haltung in der besseren Gesellschaft als eine Art geistiges Gebrechen. Appelle an „das Volk“ waren Buckley stets verdächtig, er vertraute eher auf die ewigen, von oben offenbarten Gewissheiten des katholischen Glaubens. Mit Podhoretz gemeinsam war ihm der Hass auf den gottlosen Kommunismus. Aber inzwischen hat sich der gebeugte Mittachtziger eine Weltsicht angeeignet, die für den Feldzug, der die Demokratie in die muslimische Welt tragen soll, ungeeignet ist. Zu Beginn der Kreuzfahrt war er geistergleich aufgetaucht, immer nur kurz, um ein paar Hände zu schüttelnd. Aber jetzt ist er voll da und kampflustig.

„Ist es Ihnen nicht peinlich, dass es diese Waffen nicht gibt?“, fragt Buckley schneidend. Er hat gerade erklärt, dass er trotz seiner Bedenken für den Krieg war, weil Dick Cheney ihm eingeredet hatte, dass Saddam Hussein tatsächlich Massenvernichtungswaffen habe, die er nur abzufeuern bräuchte. „Nein“, sagt Podhoretz: „Wie ich schon gesagt habe, die hat man nach Syrien verschoben. Während des ersten Golfkriegs war die gesamte irakische Luftwaffe in den Wüsten des Iran versteckt.“ Dieser neue „Defätismus bei der Rechten bricht mir das Herz“, fährt er fort, und dann, völlig unvermittelt: „Es gab keinen Besseren als Don Rumsfeld. Dieses defätistische Gerede verstärkt nur den Eindruck, das wir verlieren. Dabei glaube ich, dass wir gewinnen.“

Das Publikum jubelt Podhoretz zu. Die abwägenden Zweifel Bill Buckleys hat er nur verwirrt. Klingt er nicht wie die liberalen Medien? Einen „Feigling“ nennt ihn später, beim Dinner, mein Tischnachbar aus Denver. Seine Gattin nickt und meint: „Buckley ist ein alter Mann.“ Sie tippt sich mit dem Finger an den Kopf, um Demenz anzudeuten.

Ich beschließe, mich an Buckley und Podhoretz getrennt heranzumachen, und bitte sie um Interviews. Bill Buckley sitzt verloren in seiner Kabine und kritzelt etwas in sein Notizbuch. Als die National Review 2005 ihren 50. Geburtstag beging, hat Präsident Bush in einer Feierstunde die heutigen Konservativen der Vereinigten Staaten als „Bills Kinder“ bezeichnet. Ich frage diesen Bill, ob er sich jetzt wie ein Vater fühlt, dessen Kinder zu Serienkillern herangewachsen sind. Er lächelt kaum merklich, und seine blauen Augen scheinen zu blinzeln. Dann seufzt er: „Meine Antwort ist nein. Denn was die echten Konservativen 40 Jahre lang umgetrieben hat, das war die sowjetische Bedrohung und dazu der Aufstieg des dogmatischen Sozialismus. Das ist endgültig vorbei.“

Das klingt nicht gerade wie eine optimistische Verteidigung seiner Brut, aber es ist das Thema, auf das er immer wieder zurückkommt: Die großen Schlachten seines Leben, die sind längst gewonnen. Und doch grübelt er immer noch über die Frage nach, was sein alter Freund Ronald Reagan im Fall Irak getan hätte. „Der bedächtige Reagan hätte sich das gut überlegt, und der vorsichtige Reagan hätte uns eine Situation wie die, in der wir uns heute befinden, glaube ich, erspart … Ich meine, er hätte versucht, irgendwie dafür zu sorgen, dass wir nicht vor einer Herausforderung stehen, deren Dimensionen wir nicht übersehen können.“ Und um es den Liberalen nicht zu leicht zu machen, den Expräsidenten nachträglich für sich zu reklamieren, meint er mit abschließender Zustimmung: Reagan hätte „einen starken Mann vor Ort“ gefunden, um den Irak zu beherrschen.

Ein paar Flure weiter erzählt mir Podhoretz, dass ihm die Stimme wegbleibt, „was einige Leute glücklich machen wird“. Dann krächzt er den Standardspruch von Wolfowitz zum Thema Irak: Nach dem 11. September habe Washington die Demokratie im Nahen Osten einführen müssen, um die politische Kultur zu verändern, die solche Massenmörder hervorbringt. Für jemanden, dessen erklärtes Ziel die Demokratie ist, lässt ihn die Tatsache, dass nach neueren Umfragen 80 Prozent der Iraker den Abzug der US-Truppen aus ihrem Lande wünschen, bemerkenswert kalt: „Das ist mir ziemlich egal“ – damit ist die Frage für ihn erledigt. Dann besteht er darauf, dass „in Abu Ghraib oder in Guantánamo niemand gefoltert wurde“ und dass Bush „ein Held“ ist. Im Übrigen glaubt er wie die meisten Teilnehmer dieser Kreuzfahrt ganz sicher, dass die Bush-Regierung den Iran angreifen wird.

„Ich sage den Leuten immer, wir befinden uns im Vierten Weltkrieg“, erklärt Podhoretz. Seine Wut richtet sich gegen Leute wie Buckley, George Will und andere abtrünnige Konservative, die das nicht begreifen wollen. Die USA seien im Irak die Sieger, behauptet er abermals. Und für einen Moment ist es hier in der lauen mexikanischen Brise so, als ob das tausende Kilometer entfernte Bagdad gar nicht blute.

Beim Herumschlendern auf dem Schiff begegnen mir noch andere Gespenster des Konservatismus. Im Pool dümpelnd erblicke ich John O’Sullivan, den früheren Herausgeber der National Review, der auch einmal Berater von Margaret Thatcher war. Und bei einem morgendlichen Deckspaziergang kommt mir der Kenneth Starr entgegen. Der Clinton-Ankläger sieht aus, als sei er gerade einer Wochenschau der fernen 1990er-Jahre entsprungen. Mit seinem runden, faltenlosen Gesicht sieht er aus wie ein immenses, zufriedenes Baby. Ich starre ihn an. In meinem Innern kommt die mühsam zurückgehaltene Empörung hoch, und ich frage: „Mr. Starr, schämen Sie sich eigentlich dafür, dass Sie, während Ussama Bin Laden an dem Plan arbeitete, 3 000 amerikanische Bürger zu ermorden, wegen ein paar einvernehmlicher Blowjobs die Regierung lahmgelegt haben?“

Starr lächelt durch seine Zähne und sagt mit weicher, somnambuler Stimme: „Ich habe mir im Zusammenhang mit diesem Prozess überhaupt nichts vorzuwerfen. Das Repräsentantenhaus ist nach seinem Wusch vorgegangen, der Senat ist nach seinem Wunsch vorgegangen, der Vorsitzende Richter des Supreme Court der Vereinigten Staaten hat der Jury vorgesessen. Das verfassungsmäßige Verfahren hat auf bewundernswerte Weise funktioniert.“ Es ist eine merkwürdig lahme Rechtfertigung, und je mehr ich ihn provoziere, desto legalistischer fallen seine Antworten aus, lauter Variationen zu dem Spruch: „Meine Schuld war’s nicht.“

Mehrere Tage später geht die Konterrevolution zur See im mexikanischen Hafen Puerto Vallarta vor Anker. Die Passagiere klettern von Bord und betreten ein Land, das sie mit einem tausend Meilen langen Zaun abriegeln wollen. Als ich erwähne, dass ich einen mexikanischen Jungen auf der Straße finden will, der mich herumführen soll, schreit ein Mitpassagier auf, von Horrorvisionen geplagt: „Sind Sie lebensmüde!?“ Die allgemeine Stimmung bringt D’Souza auf den Punkt, indem er den „D’Souza’schen Lehrsatz zur Einwanderung“ vorstellt, wie er ihn in aller Bescheidenheit nennt. Danach verhält sich die Qualität eines Einwanderers „proportional zu der Entfernung, die er zurückgelegt hat, um in die USA zu gelangen“. Oder kürzer: Asiaten sind besser als Latinos.

Von meinem Gang durch Pureto Vallarta kehre ich körperlich unversehrt an Bord zurück und finde mich beim anschließenden Dinner am Tisch mit dem Ehrengast der National Review. Es handelt sich um Kate O’Beirne, eine unfassbar große Blondine mit der Stimme eines Comedy-Stars von 1930 und den Argumenten eines viktorianischen Familienpatriarchen von 1890. Mit allerlei Spitzen und Sticheleien zieht sie über den Feminismus her und über „Frauen, die die Welt schlechter machen“. Am Tisch sitzen lauter Fans, die sie zusammen mit ihrem Gatten Jim anhimmeln, der sich mitzuteilen beeilt, dass er persönlicher Berater von Donald Rumsfeld ist. „Ich werde ständig gefragt, was ich hier noch tue“, sagt Jim O’Beirne, „jetzt, nachdem er aus der Regierung geflogen ist und alles. Aber diese Kreuzfahrt war ja schon lange geplant.“

Die vertraute Dinnerroutine – Vorstellungsgeplauder, gefolgt vom echohaften Austauschen aggressiv rechter Sprüche – kommt immer schneller in Fahrt. Heute wird einem faschistischen Diktator schon ausdrückliches Lob gespendet, bevor die Vorspeisen auf dem Tisch stehen. Ich steuere die Information bei, dass es in Deutschland Bestrebungen gibt, die Auslieferung Rumsfelds zu beantragen, um ihn wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen. Ein Mann mit rotem Gesicht, das wie ein Ei mit angeklebtem Schnurrbart aussieht, knurrt zurück: „Diese Deutschen glauben, sie können für die ganzen Welt Verantwortung übernehmen. Deutsche Gerichte sind mir egal. Die gehören bombardiert.“ Als ich anfange, auf den Präzedenzfall Pinochet hinzuweisen, faucht Kate O’Beirne: „Don Rumsfeld wie Pinochet zu behandeln, ist abscheulich.“ Der eiförmige Mann haut mit der Faust auf den Tisch: „Es ist abscheulich, Pinochet so zu behandeln. Pinochet ist ein Held. Er hat Chile gerettet.“ – „Genau“, erklärt Kate O’Beirnes Gatte. „Außerdem hat er die Sozialversicherung privatisiert.“

Feierliches Nicken der Tischgesellschaft, bevor man das Thema Nummer eins ansteuert: die Milliardenhorden von Moslems, die kurz davor sind, die Welt zu übernehmen. Die Vorstellung, dass Europa „übernommen wird“, ist das Thema dieser Seereise, das alle begeistert. Es gibt Menschen, die Kreuzfahrten für Singles mitmachen, andere gehen auf Gesellschaftstanz-Kreuzfahrt. Dies hier ist die „Die Moslems kommen“-Kreuzfahrt. Alle glauben es. Alle wissen es. Und der Mann, der für die Verbreitung dieser Kenntnis am meisten getan hat, sitzt nur ein paar Tische weiter. Mark Steyn trägt eine ins Haar hochgeschobene Sonnenbrille und ein strahlend weißes Hemd. In seinem neuen Buch „America Alone“ verbreitet er die schlichte These: Die „europäischen Rassen“, gemeint sind die Weißen, vernachlässigen ihre Fortpflanzung, „weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind“; die Moslems dagegen vermehren sich wie die Karnickel. Das unvermeidliche Resultat sind „umfassende Evakuierungsoperationen etwa bis 2015“, wenn Europa an die al-Qaida fällt und „Großfrankreich sich unerbittlich zu einem Großbosnien entwickelt“. Als Beweis fuhrwerkt er mit irgendwelchen zweifelhaften demografischen Zahlen herum: Irgendwie muss er, um seine Ansicht zu untermauern, aus 20 Millionen europäischen Muslimen innerhalb von neun Jahren 150 Millionen machen, dazu braucht es einer Menge Vögelei.

Doch Fakten, Zahlen, Zweifel stehen bei dieser Kreuzfahrt nicht auf dem Reiseplan. Mit Ausnahme von ein, zwei Teilnehmern sprechen die Passagiere von „den Moslems“ wie von einem homogenen, schariabesessenen Block, der Europa schon fast vollständig unter Kontrolle hat. Im Lauf der Woche werde ich neunmal gefragt (ich habe mitgezählt!), wann ich vor der unaufhaltsamen Ausbreitung der europäischen Moslems in die Sicherheit der Vereinigten Staaten fliehen werde.

In einem der Seminare erläutert einer der Referenten, wie der Antiamerikanismus aus zwei Richtungen vorrückt, in einer Art Zangenangriff: „Die Moslems verdammen uns, weil wir dekadent seien; die Europäer verdammen uns, weil wir nicht dekadent genug sind.“ Midge Decter, die Gattin von Norman Podhoretz, zetert dazwischen: „Die Moslems haben recht, die Europäer haben unrecht!“ Doch der Moderator Jay Nordlinger, Chefredakteur der National Review, klärt sie unverzüglich auf: „Leider sind viele der Europäer moslemisch, liebe Midge.“ Das Publikum jubelt. Jemand ruft: „Sag’s ihnen, Jay!“

Er sagt’s ihnen. Decter sagt’s ihnen. Steyn sagt’s ihnen. Jeder auf dieser Kreuzfahrt sagt’s ihnen, und natürlich mir, weil ich einen europäischen Pass habe. Und es ist, welche Überraschung!, auch das Letzte, was ich am Ende der Reise zu hören bekomme. Als wir wieder im Hafen von San Diego angelegt haben, beobachte ich die rastlosen Champions der Nichtzukurzgekommenen, wie sie von Bord gehen und sich steif voneinander verabschieden. Als ich dem Schiff endgültig den Rücken kehre, legt sich ein Arm zartfühlend um meine Schultern. „Wir haben Großbritannien an die Moslems verloren“, sagt der Richter aus Kanada, der meine erste Bekanntschaft war. „Kommen Sie nach Amerika.“

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Johann Hari ist Kolumnist der Londoner Tageszeitung The Independent.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2008, von Johann Hari