Salafisten
Die Tradition der heutigen Salafisten reicht ins späte 19. und beginnende 20. Jahrhundert zurück. Sayyid Jamal al-Din al-Afghani, Muhammad Abduh und Raschid Rida waren die Vordenker einer Erweckungsbewegung, die eine Rückbesinnung auf die Gebräuche in der Epoche des Propheten und der ersten Generation von Muslimen (der „Ahnen“ – al-salaf) forderte. Nach ihrer Auffassung erlebten die Muslime eine Zeit der Schwäche und des Rückschritts, weil sie dem Westen die Umwertung von Grundsätzen, die der wahre Islam ursprünglich aufgestellt hatte, erlaubten. Sie begriffen den Islam nicht nur als spirituelle, sondern auch als politische und soziale Kraft.
Auf diese Ideen bezogen sich in der Folge die Vertreter eines politischen Islam und vor allem die 1928 in Ägypten entstandene Muslimbruderschaft. Sie wurde dank ihres dezidiert sozialen und politischen Programms rasch zu einer Volksbewegung mit hunderttausenden von Anhängern in der arabischen Welt.
Hassan al-Banna, dem 1949 ermordeten Gründer der Bruderschaft, ging es nicht allein darum, die Muslime auf den rechten Weg zum Islam zurückzuführen. Er machte auch Front gegen die britische Kolonialherrschaft in Ägypten und in anderen Ländern, und er trat für einen Staat Palästina ein.
Mitglieder der Bruderschaft kämpften im arabisch-israelischen Krieg von 1948/49. Die von ihnen in anderen arabischen Ländern begründeten Organisationen haben sich zum Teil bis heute gehalten; in Ägypten und Jordanien bilden sie die wichtigste politische Kraft der Opposition. Auch der Islamische Dschihad und die Hamas in Palästina sind aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen.
Die Gruppen, die sich heute als Salafisten bezeichnen, haben sich nicht als übergreifende Bewegung organisiert. Vielfach geht es ihnen nur darum, die Grenzen dessen zu bestimmen, was der islamische Glaube ihrer Auffassung nach erlaubt. Einen wichtigen Einfluss übt dabei die wahhabitische Schule aus. Die Salafisten widmen sich, wie die saudischen Wahhabiten, dem idschtihad (dem Studium des Koran und der Quellen der Sunna, um ein eigenes Urteil zu gewinnen). Ihre konservative Haltung schließt soziales Engagement nicht aus, sie wollen die Gesellschaft islamisieren und sind häufig auch sehr interessiert an Wissenschaft und Technik.
Die ersten Mitglieder des Al-Qaida-Netzwerks kamen aus Gebieten, in denen der Salafismus sehr einflussreich ist. Viele ihrer Führer hatten mit den afghanischen Rebellen gegen die Sowjetmacht gekämpft; sie sind dem Westen entfremdet und kritisieren die Regime in ihren Heimatländern für ihre Nachgiebigkeit gegenüber dem Westen.
Neben dieser dschihadistischen Strömung gibt es jedoch eine wachsende Zahl von Salafisten, die sich ganz auf eine fromme Lebensführung nach dem Islam konzentrieren. Diese friedliche politikferne Auffassung gewinnt in jüngster Zeit mehr Einfluss unter jungen Muslimen im Nahen Osten, die ihre Wurzeln und Traditionen nicht verlieren wollen, aber auch im Westen. Diese Salafisten erkennt man an einigen äußeren Attributen: Die Männer haben lange, dichte Bärte, die Hosen oder Mäntel sind oft kürzer als üblich; die Frauen tragen die lange dschellabah mit dem Gesichtsschleier nikab, können darunter aber ohne weiteres Jeans oder Sporthosen tragen.
In Großbritannien zeigt sich inzwischen eine dritte Richtung: „Reformsalafisten“, die sich politisch betätigen und gegen die Radikalisierung ihres Glaubens antreten. Der dschihadistischen Strömung werfen sie vor, sich der ganzen Bewegung gewaltsam zu bemächtigen. Wie viel Einfluss dieser neue Trend gewinnen kann, bleibt abzuwarten. Wendy Kristianasen